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Erste Realitätsprüfung der neuen israelischen Regierung

Israel erlebt in diesen Tagen sowohl Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen als auch Attentate auf Zivilisten. Das Land blickt auf unruhige Zeiten, die die Partner des Koalitionsbündnisses mit der Realität konfrontieren.
Von Antje C. Naujoks

Die Bilanz des Wochenendes in Israel hätte noch fataler ausfallen können. Wäre das Attentat am Schabbat-Abend nur etwas früher verübt worden, hätte der 21-jährige palästinensische Bewaffnete wesentlich mehr als sieben Menschen ermorden und drei verletzen können. Dann wären nämlich noch mehr Betende der Synagogengemeinde zugegen gewesen.

Am Schabbat-Morgen wurden am anderen Ende der Stadt dank schneller Reaktion die Mordabsichten eines weiteren palästinensischen Attentäters vereitelt. Obwohl selbst schwer verletzt, setzte ein junger Armee-Offizier den 13-jährigen Attentäter durch Schüsse außer Gefecht. Dennoch war es dem Attentäter zuvor gelungen, den Vater des Israelis, der mit ihm auf dem Nachhauseweg vom Gebet an der Klagemauer war, niederzustrecken.

Beide Anschläge wurden innerhalb von 14 Stunden von Einzeltätern verübt. Die Absichten von allein zu Terrormorden Ausziehenden sind nur schwer im Vorfeld aufzuspüren. Da Jerusalemer Attentätern zudem oftmals ein israelischer Personalausweis beim Passieren von Kontrollen hilft, löste die Polizei für die Stadt die höchste Alarmstufe aus.

Gelungene Verknüpfung

Unterm Strich musste sich Israel am vergangenen Wochenende eines eingestehen: Die palästinensischen Terror-Organisationen haben es wieder einmal geschafft, eine von ihnen propagandistisch beständig hochstilisierte Verknüpfung zwischen den Ereignissen im Westjordanland und dem Gazastreifen mitsamt Brückenschlag zu Jerusalem herzustellen.

Im Mai 2022 lief die israelische Militäroperation „Wellenbrecher“ nach Wochen an, in denen Israel mit einer fortwährenden Welle von Terrorakten zu ringen hatte. Im Fokus der Einsätze stehen seither palästinensische Terroraktivsten, die in der autonom-palästinensischen Zone des Westjordanlandes in Dschenin und Umgebung agieren.

Vergangene Woche kamen bei einer von Israels Militär durchgeführten Razzia mehrere Mitglieder des Palästinensischen Islamischen Jihad (PIJ) ums Leben. Doch auch der Tod von Unbeteiligten war zu beklagen. Infolge der fatalen Bilanz wurde Israel Rache angedroht. Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Mahmud Abbas (Fatah) setzte die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Israel aus, die sonst auch während einer Eskalation stillschweigend fortbesteht und häufig zur Vereitelung von Attentaten beiträgt. Am Sonntag hat sich die Zahl der Toten auf zehn erhöht.

Die erste Umsetzung der angedrohten Rache erfolgte vom Gazastreifen aus. Mehrmals musste im Süden Israels Raketenalarm gegeben werden. Nachfolgend rückte Jerusalem nicht nur wegen der beiden Schusswaffenattentate in den Fokus, sondern auch weil in arabischen Wohnviertel Unruhen ausbrachen.

Im Verlauf des Schabbat kam es außerdem zu einem Schusswaffenangriff in der Nähe von Jericho entlang einer Straße, die israelischer Kontrolle untersteht. Im Westjordanland verhinderte das Sicherheitspersonal der Siedlung Kedumim das Eindringen eines bewaffneten Palästinensers. Nicht verhindert werden konnten „Preisschild“-Racheakte, bei denen palästinensisches Eigentum im Westjordanland beschädigt wurde. Diese Ereignisse sorgten innerhalb kürzester Zeit für eine weitere Zuspitzung der ohnehin angespannten Sicherheitslage.

Nicht zu unterschätzen: Der Faktor Hetze

Die Mitteilung, die der 13-jährige Attentäter seiner Mutter hinterließ, veranschaulicht den Einfluss der anti-israelischen Hetze und der menschenverachtenden Anstachelung zu Gewalt, die in den Palästinensergebieten allgegenwärtig sind. Bevor er die Schusswaffe nahm und sich mit der Absicht aufmachte, Israelis zu ermorden, weil sie Israelis und Juden sind, teilte er seiner Mutter schriftlich mit: „Du wirst stolz auf mich sein.“

Er war sich sicher, den Anschlag nicht zu überleben, aber auf Postern, die die PA für Märtyrer drucken lässt, in seine Nachbarschaft sowie viele andere Orte „Palästinas“ zurückzukehren; berühmt und überdies gepriesen als Held der Nation. Obwohl er verletzt im Krankenhaus liegt und das nicht eingetreten ist, muss er sich um sein Image dennoch keine Sorgen machen. Kinder und Jugendliche, die zusammen mit ihm in einer Straße groß wurden, gaben vor laufenden israelischen TV-Kameras zum Besten, wie „heldenhaft“ in ihren Augen seine Tat ist.

Ein Poster hätte beinahe einen anderen Palästinenser abgebildet. Der israelische TV-Sender „Kanal 12“ benannte ihn fälschlicherweise als Täter des Anschlags vor der Synagoge. Der Benannte meldete sich auf Facebook und bekundete, zu leben, den Anschlag weder verübt zu haben noch damit in Verbindung zu stehen.

Wer glaubt, dass das mit einer Distanzierung von der Tat gleichzusetzen ist, liegt falsch. Zum Abschluss seines Facebook-Clips preist er „Allah, der die Märtyrer segnen möge.“ Sein Clip sorgte in den Fluren der PA-Ministerien für Hektik, schließlich galt es, die Auslieferung der bereits anhand der israelischen Informationen gedruckten Poster zu stoppen. Poster werden immer gedruckt. Sie sind Teil nicht nur der Propaganda der bewaffneten palästinensischen Vereinigungen, sondern auch palästinensischer Ministerien.

Egal ob ihre Angehörigen Attentate überleben oder nicht, auf einen weiteren Aspekt können die Familien palästinensischer Mörder ebenfalls bauen: „Gehälter“, die Terroristen und ihre Familien von der PA erhalten. Israel entschied kürzlich, unter anderem aus Protest gegen diese Praktik, die eingezogenen palästinensischen Steuergelder zurückzuhalten. Dutzende von Staaten, die zu den Förderern der PA gehören, veranlasste das zur scharfen Rüge Israels, nicht jedoch zum Protest gegen die Verwendung der von ihnen bereitgestellten Subventionen.

Notfall-Kabinettssitzung offenbart Klüfte

Am Ausgang dieses blutigen Wochenendes fanden in Israels Großstädten erneut Anti-Regierungs-Demonstrationen statt. Die Proteste, die dieses Mal weniger Menschen anzogen, wurden mit einer Schweigeminute eingeleitet und liefen ohne künstlerische Einlagen und Musik ab. Zeitgleich wurden zum Schabbat-Ausgang die ersten Anschlagopfer beigesetzt. Parallel kam das Kabinett zu einer eilig angesetzten Sitzung zusammen.

Auf der mehrstündigen Kabinettssitzung ging es genauso heiß her wie auf Israels Straßen, wenngleich Premier Benjamin Netanjahu (Likud) zuvor in einer an das Volk gerichteten Botschaft zur Besonnenheit aufrief. Die Zusammenkunft der Minister offenbarte, dass Israels Koalitionspartner sehr unterschiedliche Ansichten vertreten, welche Maßnahmen im Kampf gegen den palästinensischen Terror ergriffen werden sollten.

Schon im Vorfeld wie auch auf der Sitzung selbst eingeklagte Forderungen – darunter Abriegelung arabischer Wohnviertel, Deportation von Familien der Attentäter, Einführung der Todesstrafe – zeigten, dass insbesondere Israels Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir (Otzma Jehudit) unter Hochdruck steht. Seine hochtrabenden Wahlkampfversprechen treffen auf die Realität. Diese umreißt Maßnahmen, die politisch als ratsam und sicherheitstechnisch als effektiv gelten, aber auch juristisch durchsetzbare Sanktionen. Seine radikalen Forderungen werden von den anderen Abgeordneten der Rechtsaußenflanke grundsätzlich mitgetragen werden. Dass sie ausgebremst wurden, ist nicht nur Verteidigungsminister Joav Galant (Likud) zuzuschreiben, der Kollektivstrafen grundsätzlich ablehnt.

Obwohl der Schass-Vorsitzende Arje Deri wegen der Disqualifizierung des Obersten Gerichtshofes bereits als Minister entlassen ist, bat ihn Netanjahu als Beobachter zu dieser Kabinettsitzung hinzu. Das unterstreicht, wie sehr der Regierungschef auf ihn als Gegengewicht zur Rechtsaußenflanke angewiesen ist. Es verhinderte aber nicht, dass die Ereignisse des Wochenendes die Klüfte unter den Koalitionspartnern deutlich zutage treten ließen.

Umstrittene Entscheidungen

Trotz einer gewissen Deckelung der Forderungen fällte das Kabinett ungewöhnliche Entscheidungen mit sofortiger Wirkung wie auch mit Langzeiteffekt, die fast ausnahmslos als umstritten anzusehen sind. Dazu gehört keineswegs nur die Entscheidung, das Wohnhaus des Attentäters, der den Anschlag vor der Synagoge verübte, ungewöhnlich schnell abzureißen; eine Kollektivstrafe, die in Israel sehr umstritten ist.

Zu den umstrittenen Entscheidungen zählt ebenfalls, dass die Bestimmungen zur Waffenführung gelockert werden sollen, so dass mehr Bürger in den Besitz von Schusswaffen kommen. Einige fühlen sich allein beim bloßen Ausblick darauf schon jetzt sicherer, anderen graut bereits vor der Aussicht, bald endgültig im „Wilden Osten“ zu leben.

Antje C. Naujoks studierte Politologie an der FU Berlin und an der Hebräischen Universität Jerusalem. Die freischaffende Übersetzerin lebt seit fast 35 Jahren in Israel, davon ein Jahrzehnt in Be‘er Scheva.

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8 Antworten

  1. Zum letzten Abschnitt:
    Na klar, Einige hin, Einige her.
    Was zählt ist, sich im Moment des Angriffs wehren zu können. Sich und seine Familie vor diesen bis in die Haarspitzen motivierten Strenggläubigen schützen zu können. Wer in immerwährender Angst vor Attentaten, Messermorden, Raketenangriffen und Tunnelbauten, die weit in die Kibbuzim reichen leben muss, der sieht das Mitführen einer Waffe nicht als „Wilden Osten“ an, sondern als Notwendig im Verteidigungsfall. Leider ist das so. Solange gewisse Nachbarn Israels keine Kehrtwende in ihrem Verhalten machen, so lange muss jeder Israeli für sein Überleben auch selbst sorgen.
    Gelobt sei der Friedensvertrag mit Jordanien und Ägypten. Kluge und weitgehend säkulare Verhandlungspartner haben bewiesen, dass es geht. Weitere islamische Staaten reichen Israel die Hand und wollen selbst auch, dass „der Ewige Trubel“ wegen der so genannten Palästinenser welche einfach nur Araber sind, endlich befriedet wird.
    Eine friedliche Zusammenarbeit mit Israel ist die Lösung. Dass das geht zeigen bereits erfolgreich Firmen wie z. B. Extal Aluminium. Hier arbeiten Juden und Araber kooperativ und friedlich zusammen.
    Leider haben die dämlichen, überflüssigen, strangulierenden Auflagen der EU seinerzeit an Sodastream dazu geführt, dass sie aus den „besetzten Gebieten“ ausgewandert und ihre Fabrik in der Nähe von Dimona wieder aufgebaut haben. Fazit? 500 Palis verloren ihren Arbeitsplatz. Welche eine gute Tat…

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  2. Ein Auto wurde in Brand gesteckt und am Sonntagabend im palästinensischen Dorf Jalud eine Inschrift mit der Aufschrift „Juden wacht auf“ gesprüht, als Teil einer Welle mutmaßlicher Racheverbrechen gegen Palästinenser nach der Reihe von Schießereien am vergangenen Wochenende in Ost-Jerusalem und Westjordanland.

    Seit Freitag hat Israel 35 Fälle nationalistischer Verbrechen gegen Palästinenser im Westjordanland registriert, darunter das Werfen von Steinen auf Autos und die Zerstörung von Eigentum, hauptsächlich in der Region Binyamin nördlich von Jerusalem. In keinem der Fälle kam es zu Festnahmen.

    Die Polizei leitete Ermittlungen ein und vermutet, dass jüdische Siedler das Fahrzeug in Brand gesteckt haben. Das Dorf Jalud in der Nähe des Shiloh-Außenpostens war im Laufe der Jahre oft das Ziel nationalistischer Verbrechen durch Siedler.

    Ebenfalls am Sonntagabend wurden die zweite Nacht in Folge Steine ​​auf palästinensische Fahrzeuge auf der Straße geworfen, die in die Stadt Rawabi führt. (Quelle: Haaretz vom 30.1.2023)

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    1. Ja, Herr Luley. Möchten Sie etwas zu den sieben ermordeten Zivilisten sagen, Herr Luley? Verurteilen Sie die Tat, Herr Luley?

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  3. Die Haaretz ist ein linkes Blatt geworden vor mehr als 10 Jahren.
    Seither schreiben sie gegen Israel pro Pal.
    Was ich hier vermisste, ist von den Usern, die sich nur zu Wort melden, wenn Pals sterben oder verletzt werden, aber NIE wenn Pals töten, Steine werfen oder Mord feiern.
    Wir als Besatzer – töten abgetan? Die würden auch töten, wenn sie einen eigenen Staat hätten, weil sie so erzogen wurden und für Mord an Juden haben Familien finanziell ausgesorgt.

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    1. Das mit dem etwas dazu sagen fällt halt schwer, wenn die Tat im Herzen bejubelt und verteidigt wird.

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    2. Früher habe ich immer die Jerusalem Post gelesen. Diese ist im Laufe der Zeit immer konservativer geworden. Wie auch israelische Freunde bin ich dann zur liberaleren Haaretz gegangen. Diese als links zu bezeichnen, ist sicher eine Definitionssache – in den Augen von Trump wäre sie sicher sogar linksradikal. Ich bin nicht immer einer Meinung mit ihr, aber insgesamt habe ich mein Wechseln von Jerusalem Post zu Haaretz nie bereut. Die Kritik an Usern, die die palästinensische Sache kritiklos unterstützen, teile ich voll. In diesem Kontext finde ich die Diskussion der letzten Tage über den „linken Antisemitismus“ sehr positiv. Aber ob das bestimmte Leute zum Nachdenken bringen wird …?

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  4. in der Thora…5.MO 28 gibt es Verse über Segen in Verbindung mit Gehorsam und Nachfolge mit ganzem Herzen….danach kommen viele Fluchverse für solche, die selber entscheiden, was gut und böse ist…..
    und in V 28 ist dann die Rede von BLINDHEIT–nicht die Wahrheit und Realität Gottes erkennen können
    ……………..und du wirst KEIN Gelingen haben auf deinen Wegen; und du wirst nur bedrückt und beraubt sein alle Tage, und niemand wird retten. Wohl dem, der MOSE ernst nimmt, den geschriebenen Mose, nicht den lange Zeit mündlich überlieferten Mose…Jesus selber zitiert ihn immer wieder.

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    1. Dass Jeschua Mosche zitiert ist kein Wunder.
      Jeschua war ein gläubiger jüdischer Rabbi. Er wurde als Jude geboren, beschnitten, feierte seine Bar Mitzwa, lehrte die Torah und letztendlich starb er am Römerkreuz. Bevor sein Geist ihn verließ, er ihn in die Hände des Vaters gab betete er den Psalm 22. Jeder gläubige Jude der merkt, dass sein Ende nahe herbei gekommen ist betet den Buß- und Sterbepsalm 22.

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