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Quo vadis, Iran?

Der Iran steht am Scheideweg. Opposition und Bevölkerung bäumen sich gegen die islamistische Regierung auf. Der Westen muss entscheiden, welche Seite er unterstützt.
Von Carmen Shamsianpur
Der Iran sieht sich in Teilen nicht mehr an das Atomabkommen gebunden

Iran, wo stehst du? Wohin gehst du? Rein gar nichts scheint mehr klar zu sein. Die Sprechchöre auf Teherans Straßen, die einen Umsturz fordern, werden von Jahr zu Jahr lauter. Gerade erlebt das Mullahregime den größten Aufstand seiner Bevölkerung seit 2009.

Besserung in Sicht?

Eine junge Frau, Mahsa Amini, stirbt im iranischen „Sittengewahrsam“. Ihr Körper weist Folterspuren auf. Ihr Vergehen: Sie habe ihr Kopftuch nicht richtig getragen. Der Hass auf das Unterdrücker-Regime, der seit so vielen Jahren unter der Oberfläche brodelt, entlädt sich erneut auf die Straßen. Frauen verbrennen zu Tausenden ihre Kopftücher. Sie riskieren alles. Diesmal noch mehr, an mehr Orten gleichzeitig, auch international, angestachelt durch die zeitgleiche USA-Tour des iranischen Präsidenten. Unzählige Demonstranten hoffen und kämpfen dafür, dass doch noch alles besser wird.

Was bedeutet „besser“? Für die Bevölkerung wäre es Meinungs- und Religionsfreiheit, vor allem aber wirtschaftliche Sicherheit. Für die Iranerinnen Freiheit von Kopftuchzwang und struktureller Unterdrückung. Für die Mullahs hingegen wäre „besser“ die Konsolidierung ihrer Macht bis zur Wiederkehr ihrer religiösen Mahdi-Figur, als deren Platzhalter sie sich verstehen. Für Europa wäre es vor allem Zugang zum iranischen Markt mit seinen Öl- und Gasreserven.

Die beiden letzteren haben zum Erreichen ihrer Ziele gerade einen großen Hebel in der Hand: Die Wiederbelebung des gescheiterten Atomabkommens. Es hat das Potential, die europäische Energiekrise zu lösen und das Mullahregime im Sattel zu halten. Nur die freiheitsdurstige iranische Bevölkerung müsste mal wieder geopfert werden. Die bärtige, klerikale Herrscherklasse im Iran juckt das nicht, und auch in Europa gehört es zur politischen Routine.

Wo steht der Deal?

Hintergrundinformationen zu den holprigen Atomverhandlungen mit dem Iran sind dieser Tage schwer bis gar nicht zu finden. Obwohl die Medien den Streit seit Jahren begleiten und in den vergangenen Monaten mitverfolgt haben, wie das Papier hin- und hergeschoben wurde, ist über dessen Inhalte so gut wie nichts bekannt. Westliche wie die iranische und andere beteiligte Regierungen schweigen sich darüber aus. Wohl aus gutem Grund.

Während einige Kritiker schon erleichtert aufatmen und zu wissen glauben, dass der Deal „vom Tisch“ sei, redet der Iran selbst lediglich von einer US-verschuldeten Pause. Diese könne er einfach beenden, indem er die aktuelle Version des Vertrags unterzeichne. Mit Blick auf Europa, das angesichts der Gasknappheit im anstehenden Winter unruhig auf seinem Stuhl hin- und herrutscht, pokerte der Iran bislang auf günstigere Konditionen. Mit den jüngsten Protesten im Rücken könnte der Stift für die Unterschrift aber nun etwas lockerer in der Hand sitzen.

Was ist das Problem mit dem Deal?

Offiziell trägt das Abkommen den Namen Joint Comprehensive Plan of Action (gemeinsamer umfassender Aktionsplan, JCPA). Es handelt sich dabei um eine multilaterale Übereinkunft mit gegenseitigen Zugeständnissen und Verpflichtungen. Was der Deal nicht ist: ein in irgendeiner Weise völkerrechtlich bindender Vertrag.

Da über die Inhalte des neuen Deals nur wenig bekannt ist, lassen sich auch die Probleme nicht so einfach benennen. Einige Defizite erscheinen jedoch offensichtlich. Sie reichen aus, den Deal als „schlecht“ zu bezeichnen. Dafür spricht, dass sowohl Kritiker als auch die meisten Befürworter des alten und neuen Atomabkommens sich über dessen Schwächen weitgehend einig sind. Kaum jemand bezeichnete den Vertrag von 2015 als „gut“.  Sondern einfach nur als „besser als nichts“.

Erklärtes Ziel war nie, den Iran langfristig am Bau einer Atombombe zu hindern. Dazu taugten die Abmachungen nicht, die jeweils nur auf wenige Jahre, maximal Jahrzehnte befristet waren. Das offizielle Auslaufen der Fristen hätte die iranische Urananreicherung sogar nachträglich legitimiert. Ganz nach dem Vorbild Nord-Koreas, das seine Atombombe in aller Seelenruhe nach Ablauf der Fristen eines Abkommens fertigstellte, das es mit der Clinton-Regierung in den Neunzigerjahren geschlossen hatte.

Alle nach 2015 im Iran abgebauten Zentrifugen und sonstige zum Bau der Bombe benötigte Infrastruktur blieben intakt und im Land, allzeit bereit, ihre Arbeit wiederaufzunehmen. Soweit bekannt, setzt der angestrebte Deal eine neue Frist bis zum Jahr 2031. Danach die Sintflut.

Bedeutung für Israel

Auch die kurze Zwischenzeit von 10 bis circa 25 Jahren hätte lediglich die Wirtschaft und vielleicht das Gewissen westlicher Staaten beruhigt. Die Jahre vom Abschluss des Vertrag 2015 bis zum Ausstieg der USA 2018 unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump haben deutliche Nebenwirkungen gezeigt. Für Israel nämlich waren die Milliarden, die durch das Aufheben der Sanktionen in den Iran flossen, an der Aufrüstung der Terrorgruppen Hisbollah, Hamas und Islamischer Dschihad zu spüren. Die iranische Bevölkerung hingegen hat von den Erleichterungen weniger mitbekommen – und teils heftig dagegen demonstriert.

Die regionale Expansion der Islamischen Republik mit ihrem Revolutionsexport kommt in den Atomabkommen nicht vor. Seine Vernichtungsambitionen gegen Israel werden ebenso ausgeklammert wie seine militärische Einflussnahme in Syrien, dem Irak, dem Jemen und anderen Ländern. Ebenfalls unberührt bleibt Irans ballistisches Raketenprogramm, das einigen israelischen Militärs mehr Sorgen bereitet als die Urananreicherung. Erst am Donnerstag hat der Iran bei einer Militärparade in Teheran eine neue ballistische Rakete mit abnehmbarem Sprengkopf vorgestellt. Sie habe eine Reichweite von 1.400 Kilometern – damit könnte sie Teile Europas erreichen.

Iran mit neuen Forderungen

Alle diese unzureichenden Punkte müsste bei einer Neuauflage des Atomabkommens berücksichtigt werden. Das ist aber ausgeschlossen. In seiner Verhandlungsposition, die heute sehr viel besser ist als 2015, hat es der Iran nicht nötig, einen „schlechteren“ Deal zu akzeptieren. Vielmehr nutzt er diese Position, um weitergehende Bedingungen zu stellen: Die Revolutionsgarden sollen von der US-Terrorliste gestrichen werden, der Handel mit Russland soll nicht durch Sanktionen beeinträchtigt werden, die USA sollen garantieren, die Verträge nicht noch einmal zu brechen.

Außerdem entrüstet sich der Iran darüber, dass die Atomenergiebehörde Untersuchungen in Gebieten durchführte, die nicht als Teil des iranischen Atomprogramms deklariert worden waren. Das war nicht Teil des Deals! Im neuen Deal müsse die Behörde versichern, dass so ein Eingriff in die militärische Privatsphäre nicht wieder vorkommt. Dabei haben die Proben Spuren von Uran gezeigt, wo keine hätten sein dürfen – also einen klaren Vertragsbruch seitens des Irans.  

Diplomatischer Eiertanz

Seit Jahrzehnten leisten sich die USA und Europa einen diplomatischen Eiertanz mit dem Iran. Jede rote Linie, die dem Iran missfiel, wurde durchlöchert oder fallengelassen. Sonst wäre beispielsweise eine Beschränkung des iranischen Raketenprogramms Teil des ersten Deals geworden.

Der Iran wünscht von den USA Garantien, den Vertrag nicht wieder zu verletzen. Die US-Regierung könnte kontern, dass es der Iran war, der sich nicht an die Abmachungen hielt, und in geheimen Anlagen weiter auf seinen „Breakout“ hinarbeitete. Sie könnte sagen, dass man einem Regime, an dessen Spitze international gesuchte Massenmörder stehen, nicht Garantien anstelle von Rechenschaftsforderungen geben kann. Aber nein, sie entschuldigt sich fast dafür, dass sie leider für die Entscheidungen zukünftiger Regierungen nicht garantieren kann. Zu traurig. Vielleicht findet sich dann ein anderer Weg, den Iran zufriedenzustellen.

Raisi in New York

Immerhin bekam der als „Schlächter von Teheran“ berüchtigte iranische Präsident Ebrahim Raisi trotz persönlichem Embargo ein Sondervisum, um in New York bei der UN-Generalversammlung vor aller Welt seine Sicht der Dinge zum Besten zu geben.

Der Iran bemühe sich „intensiv und kontinuierlich“ um die Schaffung einer gerechten Weltordnung, sagte Raisi. Dazu gehöre auch die „Eindämmung des in den USA entstandenen Terrorismus“. Eine herausragende Rolle hierbei habe der „Märtyrer“ (beziehungsweise Top-Terrorist) Kassem Soleimani gespielt. Die Aufklärung seines Todes, eines „Verbrechens, das der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten gestanden hat“, sei ein „Dienst an der Menschheit“.

In Raisis Vorstellung einer „gerechten Weltordnung“ würde außerdem ein Staat „Palästina“ „von den Bergen bis zum Meer“ das „zionistische Regime“ ersetzen. Der Iran indes habe nie nach Atomwaffen gestrebt. Krieg sei keine Lösung für Konflikte.

Glaubenskonstrukte

Viele Menschen würden das nur zu gern glauben. Politiker und Medienschaffende schauen immer noch auf den durchaus kritikwürdigen Ex-US-Präsidenten Donald Trump in der Überzeugung, dass er unmöglich das ein oder andere richtig gemacht haben könnte. „Trump = Fehlentscheidung“ lautet die Devise, nach der alle seine politischen Entscheidungen beurteilt werden.

Manch andere klammern sich an eine Anti-Atombomben-Fatwa, ein religiöses Rechtsgutachten von Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei persönlich, das es aber tatsächlich nie gegeben hat.

Wer heute Raisi abkauft, dass sein Land die militärische Nutzung von Uran und Plutonium für sich ausschließt, kann gleich Vorschläge liefern, wie der Iran seine auf 60 Prozent angereicherten Uranvorräte friedlich nutzen könnte. Diese Möglichkeit gibt es nämlich bislang nicht. Der Iran führt den Westen immer noch am Nasenring durch die Manege.

Wäre ein Umsturz die Lösung?

Interessanterweise waren viele Fachleute, die sich anfangs gegen den Deal aussprachen, genauso vehement gegen den Ausstieg. Denn der Deal bedeutete letztlich einen atomar gerüsteten Iran, nur etwas zeitverzögert. Der Ausstieg hingegen bedeutet das gleiche, nur deutlich früher. Und ein neuer Deal? Der bedeutet Stand heute ein uneingeschränktes iranisches Atomprogramm ab 2031. Die wenigen Jahre bis dahin würden das Regime reicher und mächtiger machen. Das Ergebnis wäre eine Katastrophe für die gesamte Region.

Zu all diesen Szenarien, an deren Ende ein atomar gerüsteter Gottesstaat stünde, gibt es nur eine einzige realistische Alternative: Den Fall des Regimes. Für einen Umsturz ist es immer von Vorteil, wenn der entscheidende Impuls dazu aus dem Innern, von der Bevölkerung kommt. Jetzt gerade ist wieder so ein Zeitpunkt, an dem alles möglich erscheint.

Notwendige Schritte

Die Opposition im In- und Ausland steht bereit, das Ruder zu übernehmen. Detaillierte Pläne für die Zeit nach der Mullah-Herrschaft liegen fertig in den Schubladen. Eine gut ausgebildete, hoch motivierte Gesellschaft wartet darauf, ihr Land neu aufzubauen. Die Mullahs haben das reiche Land heruntergewirtschaftet, indem sie hauptsächlich in sich selbst und in Terror investiert haben. Aber ein Iran, der international nicht mehr isoliert ist, könnte schnell wieder auf die Beine kommen.

Die jungen Frauen und Männer auf Teherans Straßen brauchen jedoch Unterstützung, die ihnen in der Vergangenheit verwehrt blieb. In der jetzigen Situation wäre das Mindeste, was der Westen tun könnte, die Bereitstellung von Internet, damit die Demonstranten nicht mehr von der Außenwelt abgeschnitten sind. Elon Musk hat bereits seinen Satelliten-Internetdienst Starlink dafür angeboten. Die USA müssten jedoch erst bestehende Sanktionen aufheben, die das Internet betreffen.

In den USA arbeiteten Exil-Iraner fieberhaft daran, Raisi wegen Menschenrechtsverletzungen anzuklagen und in Gewahrsam nehmen zu lassen, solange er noch auf amerikanischem Boden war. Das berichtete das persischsprachige Nachrichtenportal „Sedaje Amrika“. Die Erfolgsaussichten waren gleich Null. Dennoch ist es an der Zeit, dass westliche Regierungen mehr Sympathie für iranische Oppositionelle bekunden und sie öffentlich als Gesprächspartner betrachten. Über kurz oder lang werden sie sich nämlich durchsetzen. Angesichts der nuklearen Ambitionen der Theokraten drängt die Zeit.

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6 Antworten

  1. „Der Iran steht am Scheideweg.“ Ich glaube, dass die Menschen an einem Scheideweg stehen, wollen wir mit oder ohne Gott in die Zukunft gehen. Das gilt für Israel, Deutschland, Iran und alle anderen Nationen. Bei Jesaja lesen wir in Jes. 66,14 ff „Dann wird man erkennen die Hand des Herrn an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden.“ Bei Mose lesen wir, dass wir wählen müssen zwischen Segen und Fluch, wir müssen uns entscheiden, ob wir in den Ordnungen Gottes leben wollen – oder eben auch nicht. Jer. 1,16 „Und ich will mein Gericht über sie ergehen lassen um all ihrer Bosheit willen, dass sie mich verlassen und andern Göttern opfern und ihrer Hände Werk anbeten.
    Die Menschen suchen immer gerne die Schuld bei den anderen, der „böse“ Putin, der „Schlächter von Teheran“ – die sind Schuld am Elend unserer Zeit. An das Wort Gottes, seine Gerichte glauben wir nicht mehr. Gottes Wort ist aber nicht wandelbar und dem Zeitgeist „gehörig“, nein – dieses Wort und dieser Gott ändert sich niemals. Gottes Wort berichtet uns auch, dass der lebendige Gott, Könige eingesetzt hat, um sein Volk zu strafen und zu züchtigen – auch das ändert sich nicht.
    Gott wartet auf die Umkehr der Menschen!
    Lieber Gruß Martin

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  2. Ich denke nicht, dass der Iran an einem Scheideweg steht.
    Die knüppeln die Demonstranten und Frauen nieder, wie damals die Studenten.
    OT
    Mein früherer Kollege war so ein Student, der rechtzeitig flüchtete.

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  3. Notfalls gehen die Mullahs zum Schein auf mehr Freiheiten ein, um baldmöglichst wieder zu unterdrücken.
    Es wird keinen Weg geben als Zerstörung der geplanten Atomwaffen.
    Weil unter Biden alle kneifen, wird Israel handeln müssen, um zu überleben.
    Denn westliche Politiker begreifen nicht, dass der Iran auch ihre Staaten bedrohen wird, gemeinsam mit anderen von Autokraten geführten Staaten. Bzw. Sie hoffen, dass es nach ihnen kommen wird. Denn sie handeln nur bis zu nächsten Wahl.

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  4. Anstelle immer wiederkehrende Stimmungsmache gegen den Iran würden mich neue Fakten und nächste Schritte interessieren, die Waffenarsenale der umliegenden aufgerüsteten Vereinigungen zerstören, und die rote Linie von Moskau bis Jerusalem zerstückeln.
    Der Iran liefert dem Russen Drohnen und der Russe liefert oder baut für den Iran alles, was er haben will. Man muss beide im Auge behalten und endlich anfangen ganz konkret spürbare Schritte an beiden einzuleiten. Sonst helfen die vielen Buchstaben oder Worte leider nicht mehr als Nichts.

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  5. Der Iran unterstützt Russland. Das wird sich nicht lohnen.
    Mittlerweile macht sich das Land an Ukrainern schuldig, die mit deren Gerät angegriffen werden.
    Die setzen auf das falsche Pferd!

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    1. Sehe ich anders. Schon das russische Vetorecht ist für den Iran wertvoll. Es würde
      auch bei einer Militäraktion nicht untätig bleiben. Der „Westen“ will einfach nicht
      wahrhaben, das ihm seine herablassende Verachtung für den „globalen Süden“ nun
      krachend um die Ohren fliegt. Indien, Brasilien , selbst Nato-Länder wie Ungarn
      oder die Türkei sorgen für Ärger. Hochmut kommt immer vor dem fall. Wer übrigens
      den Schah, Griechenlands Junta, Pinochet oder Argentiniens Junta unterstützte und
      mit Waffen versorgte, sogar Apardheit-Südafrika, sollte das Wort Ethik oder Werte
      lieber gleich meiden. Da kann man ja nur noch lachen.

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