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Herzog: Gedenksirene als Weckruf für das gespaltene Volk

Bei der Auftaktzerenomie zum Gedenktag für die Gefallenen appelliert Präsident Herzog an das israelische Volk. In Tel Aviv betrauern Israelis und Palästinenser gemeinsam Opfer des Konfliktes.
Von Israelnetz

JERUSALEM / TEL AVIV (inn) – Mit eindringlichen Worten hat der israelische Staatspräsident Jitzchak Herzog sein Volk erneut zur Einheit aufgerufen. In einer Rede am Montagabend vor der Klagemauer in Jerusalem betonte er die Vielfalt der Armee, in der alle ein gemeinsames Ziel anstrebten. Anlass war der Gedenktag für die Gefallenen und Terror-Opfer, Jom HaSikaron. Dieser begann mit einer einminütigen Sirene, die landesweit zum stillen Gedenken aufrief.

Herzog nahm in seiner Ansprache Bezug darauf: „Die Sirene, die gerade eben das Schweigen durchbohrte, indem sie von einem Ende des Landes zum anderen den Weg bahnte, erschüttert unsere Seelen und macht Platz für Erinnerung, die uns mit Schweigen überwältigt. Ich frage mich; ich frage euch: Welches andere Land in der Welt hat so einen besonderen Klang? Es ist der Klang von Schmerz und von Hoffnung, von Trauer und von Stolz. Es ist der Klang des Staates Israel. Ein Klang, der uns aufruft, für einen Augenblick innezuhalten, die Heiligkeit einzuschließen, zu gedenken und uns miteinander zu verbinden.“

Angesichts der aktuellen „Tage der Uneinigkeit“ sei dieser Klang „stärker, erbarmungsloser und schmerzvoller denn je“, sagte Herzog mit Bezug auf den Streit um die Justizreform. Dieses Jahr rufe dieser Klang mehr als je zuvor die Israelis auf: „Wir alle, gemeinsam! Ihr Opfer war nicht vergeblich; es soll niemals vergeblich gewesen sein.“

Dabei brachte das Staatsoberhaupt den Ort der Gedenkveranstaltung ins Spiel: „Ich appelliere an euch, meine Brüder und Schwestern, Bürger Israels, in diesem heiligen Augenblick, von hier, von der Mauer der Sehnsucht und der Tränen, von dem sich die göttliche Gegenwart nie entfernt hat, ich fordere euch auf, gemeinsam zu trauern.“ Die kollektive Trauer müsse frei von Zwietracht sein.

Friedhöfe zeigen Vielfalt der Israelis

Herzog ergänzte, die Militärfriedhöfe erzählten eine einzigartige israelische Geschichte. Sie sprächen von Vielfalt und Zusammengehörigkeit. „Die Steintafeln, die auf ihre Gräber gelegt wurden, sind die Tafeln eines Bundes: eines Bundes von Schicksal und eines Bundes von Bestimmung.“

Als Beispiel griff er eine kleine Parzelle auf dem Herzlberg in Jerusalem heraus: die Parzelle 9, Bereich A, mit Gefallenen aus den Jahren 1948 und 1949, also aus dem Unabhängigkeitskrieg. Der Jüngste in der Parzelle ist demnach der Gefreite Josef Zvi Strauss, ein Ultra-Orthodoxer aus Ungarn und Überlebender des Holocaust.

Herzog skizzierte seine Geschichte: Die Alija mit dem illegalen Einwandererschiff „Latrun“ scheiterte, Strauss wurde von den Briten nach Zypern ausgewiesen und interniert. Doch er habe durchgehalten und sei zurückgekehrt. Als Student der Jeschiva Kol HaTora in Jerusalem ließ er sich den Segen seines Rabbiners geben, um sich für den Krieg rekrutieren lassen. Er fiel mit 17 Jahren in der Schlacht um Armon HaNatziv im Osten Jerusalems.

Neben dem gebürtigen Ungarn sind ein Einwanderer aus dem Jemen und ein im Land geborener Soldat begraben. Eine Mutter und ihre Tochter waren während der Scho’ah voneinander getrennt worden und hatten sich unerwartet in Jerusalem wiedergetroffen. Die Tochter fiel im Krieg, die Mutter starb an gebrochenem Herzen. Weitere Gefallene in der Parzelle stammen aus Libyen, Frankreich, Polen und Deutschland.

Alle haben nun dieselbe Adresse

Herzog nannte den Sohn eines Ermordeten von der arabischen Revolte 1936 bis 1939 und den Sohn eines in Auschwitz ermordeten Juden. Ein ehemaliger Freiwilliger der Britischen Armee gegen die Nationalsozialisten gehöre ebenso dazu wie ein Kämpfer der Terrorgruppe Irgun. „Sie alle haben dieselbe Adresse: Parzelle 9, Herzlberg, Jerusalem“, sagte der Präsident. Die schweigenden Grabsteine sprächen weiter „mit einem stillen, sanften Sausen“ (1. Könige 19,12).

Die Gefallenen seien aus allen möglichen Ursprungsländern, Berufen und Lebensstilen gekommen. „Sie alle glaubten an die Auferstehung Israels auf seinem Boden; sie alle träumten vom Staat Israel; sie alle wollten darin aufbauen und aufgebaut werden; sie alle bezahlten mit ihrem Leben für unsere gemeinsame Heimat, hier in unserem Heimatland.“

„Wir alle sind ein Volk“

Die Sirene müsse als Weckruf dienen, betonte Herzog. „An diesem heiligen Ort, wo so viele unserer Soldaten Eide schwören, das Heimatland zu verteidigen, ist es jetzt Zeit, einmal mehr zu geloben: Wir haben eine Armee und einen Staat.“ Er fügte hinzu: „Unsere Feinde missdeuten völlig die israelische Argumentationskultur und den israelischen Geist. Sie sollten sich nicht täuschen: Wir alle sind ein Volk, eine gemeinsame Gesellschaft, ein Staat, den wir weiter verteidigen werden.“

Der Staatspräsident versicherte, er bete für Verwundete aus Kriegen und Anschlägen um Genesung an Leib und Seele. Zum Abschluss zitierte er aus 1. Könige 26,6, wo Gott spricht: „Ich will Frieden geben in eurem Lande, dass ihr schlaft und euch niemand aufschrecke. Ich will die wilden Tiere aus eurem Lande wegschaffen, und kein Schwert soll durch euer Land gehen.“

Zum Jom HaSikaron wurden Namen gefallener Soldaten an die Mauer der Jerusalemer Altstadt projiziert. Schriftzüge und Bilder von brennenden Kerzen riefen zum Gedenken auf. An vielen Schulen des Landes versammelten sich Lehrer und Schüler zu Zeremonien. Dabei trugen sie Kleidung in den nationalen Farben Blau und Weiß.

Foto: Israelnetz/mh
Gedenkzeremonie an einer Schule im Jerusalemer Stadtteil Rechavia

Am heutigen Dienstag besuchen Hinterbliebene die zahlreichen Militärfriedhöfe des Landes. Sie begehen weitere dezentrale Gedenkveranstaltungen. Mit Sonnenuntergang geht der Jom HaSikaron nahtlos in den 75. Unabhängigkeitstag (Jom HaAtzma’ut) über.

Tel Aviv: Israelis und Palästinenser gedenken gemeinsam

Eine alternative Gedenkzeremonie gab es am Montagabend im Ganei-Jehoschua-Park in Tel Aviv. Daran nahmen fast 15.000 Menschen teil. Unter ihnen waren etwa 150 Palästinenser aus dem Westjordanland. Sie betrauerten gemeinsam die Verluste auf beiden Seiten.

Außerhalb des Geländes protestierte eine Schar rechtsgerichteter Israelis, auch Zwischenrufe waren zu hören. Die Polizei sorgte dafür, dass die beiden Gruppen nicht direkt aufeinandertrafen.

Veranstalter war die linksgerichtete Gruppe „Kämpfer für Frieden“. Sie bringt Israelis und Palästinenser zusammen, die Angehörige im Konflikt verloren haben. Von Anfang an stieß das Vorhaben auf viel Kritik. Israelis werfen den Aktivisten vor, Terror zu legitimieren und Gefallene mit denen gleichzusetzen, die sie angegriffen hätten. Von palästinensischer Seite heißt es hingegen, die Teilnehmer förderten eine unerwünschte Normalisierung mit Israel.

Wunsch nach Rache überwinden

Einer der Redner bei der 17. gemeinsamen Gedenkveranstaltung war laut der Onlinezeitung „Times of Israel“ Juval Sapir. Seine Schwester wurde 1994 bei einem Terroranschlag ermordet. „Es ist einfach und natürlich, zu hassen und wütend zu sein und Rache zu wollen und das Feuer des Konfliktes immer wieder anzufachen“, sagte der Israeli. „Ich habe mich dafür entschieden, zu versuchen, die Kette von Rache und Hass zu durchbrechen.“

Adel Abu Badawia aus der Terrorhochburg Dschenin vermisst seinen Bruder Madschid. Dieser starb als Kind, als er sich vor israelischen Truppen versteckte. Badawia sprach ebenfalls bei der Veranstaltung: „Wir Palästinenser, Israelis, Araber und Juden müssen versuchen, die Realität zu ändern und eine bessere Zukunft für unsere Kinder zu schaffen. Eine Zukunft, in der es nicht mehr Schmerz, Furcht und Besatzung gibt.“

Kritik an der israelischen Regierung

Mohammed Beiruti ist Gründer der Organisation „Ein Land für alle“. Sie tritt ein für „zwei Staaten in einem Heimatland“. Der Palästinenser bezeichnete die israelische Regierung in Tel Aviv als „faschistisch“. Sie knüpfe ein Ende der Besatzung an ein Ende des Konfliktes. Das Land „gehört nicht nur euch. Beendet die Besatzung, wenn ihr Frieden wollt“, forderte er.

Auch eine Verwaltungsangestellte der Universität Tel Aviv, Neta Siv, kritisierte die israelische Regierung und deren Unterstützung für Siedlungen: „Böse Winde, extremistische und rassistische, wehen gerade von offiziellen Machtzentren in Israel.“ Die Israelin fuhr fort: „Sie predigen jüdische Überlegenheit und arbeiten dafür, die Besatzung zu vertiefen. Sie streben danach, die Spaltung zu erweitern und verbreiten Hass zwischen dem palästinensischen und dem israelischen Volk.“

Verteidigungsminister Joav Gallant (Likud) hatte im Vorfeld versucht, die Palästinenser an der Einreise zu hindern. Er begründete dies mit der „komplexen Sicherheitslage“ im Westjordanland. Am Sonntag verfügte das Oberste Gericht, dass Gallant die Genehmigungen für 169 Palästinenser erteilen müsse. Bereits 2018 und 2019 hatte das Gericht die Verteidigungsminister aufgefordert, die Einreise zu bewilligen.

Die US-Botschaft in Jerusalem war mit einer Delegation bei der Veranstaltung in Tel Aviv vertreten. Der Leiter des Büros für palästinensische Angelegenheiten, George Noll, führte sie an. (eh)

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6 Antworten

  1. „Keine echte Demokratie kann zugleich eine Besatzungsmacht sein.“ (Jakob Hessing; geb. 1944 in einem Versteck in Polen als Kind von Holocaustüberlebenden; in Israel lebender Germanist und Übersetzer)

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    1. Israelis haben Land gekauft, einen funktionierenden Staat gegründet.
      Palästinenser ersticken mit Terror gegen unbewaffnete, friedliche Zivilisten ihre Chancen, Perspektiven und Möglichkeiten.
      Eindrückliches Beispiel: Gaza in der Vergangenheit mit israelischen Siedlern und heute.

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  2. Gottes Wort sagt: Ich habe mir Israel zum Eigentum erwählt! Der Staatspräsident Herzog ruft das Volk zur Einheit auf – das ist richtig und wichtig. Noch wichtiger ist jedoch, der Ruf zu Buße und Umkehr zum allmächtigen Gott und zu seinem Liebesangebot, in Jesus Christus.
    L.G. Martin

    12
    1. Ich bin immer wieder froh, nicht Teil dieses Volkes und somit das Eigentum eines Gottes zu sein.

      8
  3. Wer von Israel als eine Besatzungsmacht spricht weiß soviel von Israel, wie die Maus über den Elefanten unter dessen Fuß.

    11

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