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Meinung

Ein erschütternder und notwendiger Film von Sheryl Sandberg

In einem sehenswerten und bedrückenden Film dokumentiert Sheryl Sandberg die sexuelle Gewalt der Hamas am 7. Oktober. Sie kommt ohne Bilder von Gräueltaten aus, dennoch ist die Altersfreigabe berechtigt. Eine Filmkritik
Von Elisabeth Hausen

Drei Frauen sitzen in einem Auto. Sie fahren in den zerstörten Kibbutz Kfar Asa nahe der Grenze zum Gazastreifen. Zwei von ihnen haben das Massaker vom 7. Oktober und die Geiselhaft der Hamas überlebt: Chen Goldstein Almog und ihre Tochter Agam. Die dritte Frau ist Sheryl Sandberg, die ehemalige Geschäftsführerin des Facebook-Konzerns Meta.

Doch diesmal ist sie nicht als Unternehmerin unterwegs, sondern als Filmproduzentin. Sie sammelt Zeugenberichte von Menschen, die körperliche und vor allem sexuelle Gewalt vom Hamas-Massaker beobachtet, dokumentiert oder auch selbst erlebt haben.

Hier sei ihr Nachbar ermordet worden, erzählt die Mutter auf der Fahrt durch den Kibbuz. Und dann stehen sie vor dem Haus, das für die Familie ein privater und sicherer Ort sein sollte, wie die Überlebende sagt.

Kein Abschied vom Vater

Drinnen stürmt nicht nur die Zerstörung ihres Zuhauses auf sie ein, sondern – viel schlimmer – die Erinnerungen an jenen furchtbaren Tag. Und so erzählen sie der Regisseurin, wie der Familienvater Nadav im Schutzraum von Terroristen ermordet wurde und seinen letzten Atemzug tat.

Eben habe er noch geatmet, dann sei er tot gewesen, sagt Agam – ohne dass sie sich von ihm verabschieden oder ihn noch einmal hätte umarmen können. Ihre große Schwester Jam sei ohnmächtig geworden, als die Terroristen im Haus waren. Sie wurden gezwungen, sie allein zu lassen. Als sie Jam noch einmal sahen, hatten die Mörder ihr ins Gesicht geschossen.

Ohrenzeugin: Erst Schreie, dann Schweigen

Dies ist eine von vielen Szenen, in denen Sandberg Überlebende an den Ort zurückbringt, an dem sie den Horror erlebt haben. Eine Teilnehmerin des Nova-Festivals im Re’im sagt, sie habe zuerst nichts erzählen wollen. Doch wegen der Opfer fühle sie sich dazu verpflichtet.

Obwohl sie nur Ohrenzeugin war, verdeutlicht ihr Bericht das Grauen jenes schwarzen Schabbats: Sie habe in einem Versteck verzweifelte Schreie von Frauen gehört, die ihre Peiniger anflehten, von ihnen abzulassen. Diese Frauen seien vergewaltigt worden. Woher sie das gewusst habe, fragt Sandberg. Es sei eine andere Art von Schreien gewesen als bei einem Angriff, gegen den sich jemand wehrt. Außerdem habe es 20 oder auch 15 Minuten gedauert.

„Und was geschah danach?“, will Sandberg wissen. Die Antwort: „Silence“. Also Stille, Schweigen. „Sie wurden erschossen.“ Von dieser Aussage stammt der Filmtitel „Screams Before Silence“ – „Schreie vor dem Schweigen“. Denn die allermeisten Opfer der sexuellen Gewalt wurden von den Tätern aus dem Gazastreifen zum Schweigen gebracht.

Ein Zeuge hat beim Nova-Festival aus einem Versteck heraus beobachtet, wie eine junge Frau vergewaltigt wurde. Dass er ihr nicht helfen konnte, weil er keine Waffe dabei hatte, treibt ihm während des Interviews Tränen in die Augen.

„Ich schaffe das nicht“

Immer wieder bittet die Regisseurin Überlebende und Zeugen um Entschuldigung dafür, dass sie ihnen zumutet, den Horror vor Ort noch einmal zu durchleben. „Ich kann nicht mehr weitergehen, ich schaffe das nicht“, sagt ein Reservist mit zitternder Stimme. Er war nach den ersten Berichten über das Massaker spontan an den Ort des Festivals gefahren, um Menschenleben zu retten.

Mit einer Kamera nahm er auf und kommentierte, was er sah: Leichen über Leichen. Um ein Lebenszeichen bat er vergebens – auch wenn er später ein paar Überlebende retten konnte.

Tränen fließen in dem Film oft. Wer ihn anschaut, sollte ein Taschentuch griffbereit haben. Ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation ZAKA zeigt Sandberg Aufnahmen von verstümmelten Leichen. Der Zuschauer sieht nur ihre fassungslose Reaktion, aber die spricht Bände.

Die 17-jährige Agam aus Kfar Asa erzählt im Interview auch von der Entführung und der ständigen Angst, sexuelle Gewalt zu erleben: „Sie können dich mitten in der Nacht aufwecken und vergewaltigen, und die ganze Zeit ist ein Gewehr auf deinen Kopf gerichtet.“ Sie weist darauf hin, dass sich manche Frauen immer noch in der Hand ihrer Vergewaltiger befänden.

Freigelassene Geisel erzählt über eigene Vergewaltigung

Agam selbst hat keine Vergewaltigung erlitten, aber Amit Susana. Ende März brach sie ihr Schweigen und erzählte der „New York Times“, was sie durchgemacht hat – und ging als erste ehemalige Geisel mit dem Thema an die Öffentlichkeit. In der Dokumentation erzählt die junge Frau, wie sie tagelang ahnte, dass der Terrorist, der sie bewachte, eine bestimmte Absicht verfolgte – bis er eines Nachts mit einer Waffe im Anschlag über sie herfiel. Dass sie innerlich darauf vorbereitet war, habe ihr geholfen.

Sie habe nach ihrer Freilassung Ende November nicht darüber sprechen wollen, sagt Susana. Doch nachdem sie einer Frauenärztin von der Vergewaltigung erzählt hatte, habe sie sich erleichtert gefühlt.

Die Frage, ob es Beweise für Vergewaltigungen im großen Stil gibt, zieht sich durch den Film. Immer wieder hakt Sandberg nach. Und sie erhält Antworten – von Helfern, die nach dem Massaker vor Ort waren. Von Schari Mendes, einer Reservistin an einem Stützpunkt, an den alle Leichen zunächst gebracht wurden. Sie gibt eine klare Antwort: Wenn jemand durch einen Genickschuss getötet wurde, blutet er normalerweise nicht im Genitalbereich. Die Juristinnen Cochav Elkajam-Levy und Ruth Halperin-Kaddari liefern weitere Indizien.

Auch Aussagen von Hamas-Terroristen aus Verhören fließen in die Dokumentation ein. Einer dieser Palästinenser sagt, dass er mit einer Israelin „geschlafen“ habe. Auf Nachfrage der Ermittler gesteht er: „Ich habe sie vergewaltigt.“ Und er wirkt nicht so, als wäre er zu dieser Aussage gezwungen worden.

Bilder entstehen im Kopf

Am Ende wechselt Sandberg den Stuhl und nimmt selbst die Position der Interviewten ein. Regisseurin Anat Stalinsky fragt sie nach ihrem Fazit. Es könne kein Zufall sein, dass Zeugen von unterschiedlichen Orten das gleiche berichteten. Dahinter habe ein Plan gesteckt, folgert die Initiatorin der Dokumentation.

Die Stimmung in dem Film ist bedrückend. Dabei kommt er ohne grausame Bilder aus. Dennoch hat er zu Recht eine Altersfreigabe. Denn die Berichte, die Sandberg behutsam den Zeugen und Überlebenden entlockt, wühlen auf und lassen Bilder im Kopf entstehen.

Sandberg hat ganze Arbeit geleistet. Der etwa einstündige Film auf YouTube enthält bislang unveröffentlichte Zeugenaussagen auf Englisch und Hebräisch, durchgehend mit englischen Untertiteln. Er ist nicht schwer zu ertragen, er ist überhaupt nicht zu ertragen.

Und gerade deshalb sollten möglichst viele Erwachsene „Screams Before Silence“ sehen. Dann können sie ebenfalls bezeugen, was die Hamas und ihre Helfershelfer jüdischen Frauen angetan haben – damit die internationale Gemeinschaft die Verantwortlichen für dieses so unfassbar brutale Verbrechen verurteilt und auf das Schweigen der ermordeten Opfer nicht das Schweigen der Welt folgt.

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4 Antworten

  1. Danke für den Bericht.
    Dieser erschütternde Film von Sheryl Sandberg sollte mal der Ampelkoalition gezeigt werden.
    Denn die deutschen Regierungspolitiker vergessen mittlerweile allesamt die Solidarität mit Israel und wenden sich den „Palästinensern“ zu.
    Die Zeit wird immer finsterer, doch wir müssen alle der Wahrheit ins Auge schauen.

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  2. Dass sollte Pflichtliteratur in Geschichte, und Sozialkunde sein ab der Klassenstufe 9! Man kann gar nicht genug danken für diese Mühe und das Berichten unter diesem Druck schrecklichster Erinnerungen. Die Mitwirkenden sind wahre Helden!

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  3. Danke für Ihre ausgezeichnete Berichterstattung über und Einstimmung auf diesen Film. Durch Ihre sensible und emphatische Wortwahl tragen Sie dazu bei, dass die Leser Ihres Beitrags das Filmmaterial als Zuschauer noch wertschätzender wahrnehmen werden.

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