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Wie sich die iranische Opposition formiert

Nach 44 Jahren wackelt die Terrorherrschaft der Theokraten in der Islamischen Republik Iran wie nie zuvor. Regimegegner im In- und Ausland haben unterschiedliche Pläne für die Zukunft ihres Landes.
Von Carmen Shamsianpur

Auf den gewaltsamen Tod der iranischen Kurdin Dschina Mahsa Amini am 16. September 2022 folgten landesweite Proteste. Die junge Frau hätte fünf Tage später ihren 23. Geburtstag gefeiert.

Aber die iranische Sittenpolizei nahm sie in Gewahrsam, weil sie ihr Kopftuch nicht ordnungsgemäß trug. Dschina überlebte die grausame Behandlung durch die fanatischen Gesetzeshüter nicht. Die Proteste unter dem Slogan „Frau – Leben – Freiheit“ gaben auch Oppositionsbewegungen von Exil-Iranern neuen Aufwind.

Strategie der Mullahs

Das Mullahregime verfolgt verschiedene Strategien, um Opposition und Kritik zu ersticken. Diese stammen zum einen aus dem Methodenkoffer erfolgreicher Diktaturen: Vom ersten Tag an schränkte die Regierung unter Revolutionsführer Ruhollah Chomeini die Rechte der Menschen noch weiter ein, als es unter der Schah-Diktatur der Fall gewesen war. Die Abwesenheit von Presse-, Rede-, Meinungs-, Religions- und Versammlungsfreiheit bei drakonischen Strafen zeigte Wirkung. Zu jeder Zeit verhaftete, folterte und ermordete das Regime seine Kritiker und jagte sie auch im Ausland. Hinrichtungen waren und sind an der Tagesordnung. Sie finden teilweise öffentlich statt.

Zum anderen setzte die Islamische Republik eine Mischung aus Bedrohung, Beschwichtigung und Maskerade ein, um Kritiker zu täuschen. Dazu gehört das Märchen von den iranischen „Hardlinern“ und „Reformern“, deren Konkurrenz um die Regierung demokratische Prozesse vorgaukelte. Dabei haben sämtliche Reformpräsidenten zusammen keine einzige ernstzunehmende Reform zustande gebracht.

In Zeiten von Krisen und Aufständen schürten sie die Angst vor dem territorialen Zerfall des Iran. Die Mullahs stellten sich als die Einzigen dar, die in der Lage seien, den Iran zusammenzuhalten.

Über 40 Jahre lang konnten sie sich mit Lüge und Gewalt im Sattel halten. Und tatsächlich hatte die Opposition das Problem, zersplittert und zerstritten zu sein. Sie hatte keine Stimme, mit der sie im Ausland auftreten konnte. Das ändert sich langsam.

Nochmal vom Regen in die Traufe?

Als der Schah gestürzt war und Chomeini übernahm, fielen die Iraner, die gegen Menschenrechtsverletzungen des Monarchen protestiert hatten, buchstäblich vom Regen in die Traufe. Tief sitzt die Angst, dass so etwas noch einmal passieren könnte.

Ausgerechnet eine der namhaftesten und ältesten iranischen Oppositionsbewegungen gibt Grund zur Sorge: „Der Nationale Widerstandsrat des Iran“ (NWRI) ist garantiert unter den ersten Treffern einer Googlesuche nach „iranischer Opposition“.

Die Volksmudschahedin, zu denen der NWRI gehört, opponierten bereits gegen den Schah. Nach der Revolution mussten sie enttäuscht feststellen, dass Chomeini nicht gewillt war, die Macht mit ihnen zu teilen. Masud Radschawi, einer der Anführer, floh und gilt als „verschwunden“. Seine Frau, Marjam Radschawi, führt die Bewegung von Frankreich aus an.

Der NWRI bezeichnet sich selbst als „Exilparlament des iranischen Widerstands“. Der deutsche Verfassungsschutz hingegen sieht ihn als politischen Arm der Volksmudschahedin, einer „militanten Politsekte“. Die Sorge, dass ein Iran unter den Volksmudschahedin nur einen neuen diktatorischen Personenkult bedeuten würde, ist berechtigt.

Ein Vertreter des Regimes als Alternative?

Ebenso fragwürdig ist, ob sich jemand, der einst selbst das Regime repräsentierte, als Anführer einer Demokratiebewegung eignet. 2009 war Mir Hossein Musawi Präsidentschaftskandidat und verlor gegen Mahmud Ahmadinedschad. Wie bei jeder Wahl stand der Sieger von vornherein fest. Die Wut darüber setzte große Proteste in Gang. Plötzlich fand sich der „Reformer“ Musawi an der Spitze der „Grünen Revolution“ wieder.

Musawi bekleidete ein Spitzenamt in der Regierung während der größten Hinrichtungswelle politischer Gefangener im Iran 1988. Auch nach 2009 beteuerte er seine Treue zum Revolutionsführer und zum Regime. Seit 2011 steht er dennoch unter Hausarrest. Von dort ließ er verlauten, dass er das System nun doch nicht mehr für reformierbar hält. Viele Iraner setzen Hoffnungen in ihn. Andere halten die Wahrscheinlichkeit für zu groß, dass seine jüngeren Bekenntnisse nichts als leere Worte sind.

Allianz für Demokratie und Freiheit im Iran

Kürzlich haben sich einige prominente Exiliraner zur „Allianz für Demokratie und Freiheit im Iran“ zusammengeschlossen. Es ist das erste Mal, dass eine Gruppe mit beträchtlicher Anhängerschaft und klarem Bekenntnis zu demokratischen Werten so geschlossen auftritt. Vertreter des offenen Netzwerks trafen sich am 10. Februar im „Georgetown Institut für Frauen, Frieden und Sicherheit“ in Washington DC. Unter dem Titel „Die Zukunft der iranischen Demokratiebewegung“ stellten sie sich den Fragen der Presse. Vier Männer und vier Frauen bilden den Kern der Gruppe.

  • Reza Pahlavi

Der prominenteste unter ihnen ist Reza Pahlavi, ältester Sohn des letzten iranischen Schahs Mohammad Reza Pahlavi. Er gehört einer gestürzten Dynastie an und propagiert ein Referendum, in dem die Iraner über ihre zukünftige Herrschaftsform selbst bestimmen können. Dennoch wird er von iranischen Monarchisten als rechtmäßiger Thronfolger gehandelt.

Nach eigener Aussage beansprucht weder er noch eine andere Person aus dem Bündnis eine Führungsposition im „neuen“ Iran. Sie wollen lediglich ihre Reichweite geltend machen, um Oppositionellen eine Stimme zu geben, die politische Gefangene der Mullahs sind. „Wir sind kein Leitungsrat“, sagt Pahlavi. „Sondern wir wollen helfen, einen solchen zu gründen.“

  • Dr. Schirin Ebadi

Zur Allianz gehört auch Dr. Schirin Ebadi. Sie war vor der Revolution die erste Richterin in der iranischen Geschichte und setzte sich später für Menschenrechte, Frauen und Dissidenten ein. 2003 erhielt sie dafür den Friedensnobelpreis. Seit 2009 lebt sie im Exil in Großbritannien.

  • Abdullah Mohtadi

Er ist der Generalsekretär der iranisch-kurdischen Komalah-Partei. Das ist keine „Partei“ in dem Sinne, dass sie zu Wahlen antreten könnte. So etwas gibt es im Iran nicht. Iran und Japan stufen die kommunistische Gruppe als Terror-Organisation ein. Sie operiert hauptsächlich vom Irak aus.

Mohtadi tritt der Angst vor dem Zerfall des Iran, also territorialen Ansprüchen der Kurden entgegen. Die „Revolution der Freiheit“ sei von den Kurden ausgegangen. Sie habe falsche Anschuldigungen widerlegt. Die kurdische Gemeinschaft sei jetzt ein „Sinnbild für Einheit“.

  • Golschifteh Farahani

Sie ist eine berühmte iranische Schauspielerin. Seit 2009 lebt sie in Frankreich im Exil. Das erste Ziel, sagte sie in Washington, sei der Sturz des Regimes. „Danach werden wir nicht einer Meinung sein, aber genau das bedeutet Demokratie und Freiheit.“

  • Nazanin Boniadi

Boniadi ist Biologin, Schauspielerin und Aktivistin. Sie lebt in den USA. Boniadi fordert eine „Abkehr von der Atomvertrag-Politik hin zu einer menschenrechtszentrierten Politik“. An westliche Staaten gewandt sagt sie: „Hört auf, dieses Regime zu stabilisieren.“

  • Dr. Hamed Esmaelion

Er ist Präsident des Verbandes der Familien der Opfer des Fluges PS752, der ukrainischen Boeing, die im Januar 2020 kurz nach dem Start in Teheran von iranischen Flugabwehrraketen abgeschossen wurde. Der Verband fordert eine unabhängige Untersuchung des Vorfalls sowie die Listung der iranischen Revolutionsgarde als Terrorgruppe. Esmaelion lebt in Kanada.

  • Masih Alinedschad

Die iranische Frauenrechtlerin und Journalistin lebt in den USA. Als Markenzeichen in ihrem Kampf gegen den Kopftuchzwang trägt sie eine Blume in ihrem lockigen Haar. In Bezug auf die iranische Unterstützung Russlands gegen die Ukraine warnt sie Europa: „Wenn ihr der Islamischen Republik nicht entgegentretet, werdet ihr sie in euren eigenen Ländern bekämpfen müssen.“

  • Ali Karimi

Er ist der ehemalige Kapitän der iranischen Fußballnationalmannschaft und einer von mehreren Spitzensportlern, die öffentlich Solidarität für die Proteste 2022 bekundeten. Im Iran droht ihm deswegen eine Haftstrafe.

Charta

Die Allianz hat in einer Charta („Mahsa-Charta“) ihre vorrangigen Ziele formuliert und lädt jeden ein, sich diesen anzuschließen. Unter anderem fordert sie:

  • Isolation der derzeitigen iranischen Regierung und Ausweisung iranischer Botschafter
  • Referendum zur Bestimmung der neuen Regierungsform
  • Trennung von Staat und Religion
  • Wahrung der territorialen Integrität
  • Dezentralisierung der Macht
  • Umsetzung der allgemeinen Menschenrechte
  • Abschaffung von Todesstrafe und Körperstrafen
  • Beseitigung der Diskriminierung der Frau
  • Einführung von Arbeitnehmerrechten wie Streikrecht und Mindestlohngarantien
  • Abschaffung der Revolutionsgarde
  • Friedliche Beziehungen zu allen Ländern der Welt
  • Beitritt zum Übereinkommen über nukleare Sicherheit

Streitfragen

Die Allianz hat als eines ihrer ersten Ziele die Isolation des Islamischen Republik formuliert. Neben der politischen ist damit auch die wirtschaftliche Isolation in Form weiterer Sanktionen gemeint. Innerhalb der Opposition herrscht darüber Uneinigkeit. Die Sanktionen träfen vor allem die Bürger, sagen viele. Masih Alinedschad hält dem entgegen, dass zur Zeit des Atomdeals der ganze Reichtum aufgehobener Sanktionen nicht bei den Menschen angekommen sei. Er ist vielmehr in den Taschen der Mullahs und in geheimen Atomanlagen versickert.

Außerdem ist unklar, ob die Mehrheit eine Demokratie oder eine konstitutionelle Monarchie befürwortet. Reza Pahlavi sagt hierzu, dass viel wichtiger als die Staatsform die Frage sei, ob jemand beispielsweise konservativ oder liberal eingestellt sei. Eine demokratische „Kultur“ müsse das iranische Volk erst erlernen. Strukturen zur Bürgerbeteiligung wie Parteien, Vereine und andere demokratische Institutionen fehlen im Iran komplett.

Schah oder nicht Schah?

Dabei steht der „Schahsadeh“, wie die Iraner Pahlavi nennen, selbst im Mittelpunkt dieser Auseinandersetzung. Die Anhängerschaft für eine Wiederbelebung der Schah-Dynastie ist groß. So sehr Pahlavi auch beteuert, die Monarchie nicht erneuern zu wollen, hat er sich in den Augen seiner Kritiker nicht klar genug von der Gewaltherrschaft seines Vaters distanziert.

Große Teile der alten Garde, die bis 1979 in Amt und Würden war, existieren noch. Viele Jüngere kennen nur die Bilder von wirtschaftlicher Blüte und Religionsfreiheit und glorifizieren deswegen den Schah. Die brutale Unterdrückung politischer Opposition und Meinungsfreiheit unter dessen Herrschaft blenden sie aus.

Für Pahlavi als Galionsfigur der Oppositionsbewegung sprechen seine Bekanntheit, Eloquenz und Führungsqualitäten sowie internationale Vernetzung. Um den Monarchisten die Hoffnung auf eine neue Diktatur zu nehmen, sollte sich seine Mitwirkung an einer neuen Regierung vielleicht auf beratende Funktionen beschränken.

„Ladet uns ein“

Eine Forderung der Allianz an die internationale, vor allem die westliche Gemeinschaft ist, als politischer Ansprechpartner anstelle von iranischen Regierungsvertretern eingeladen zu werden. Ein vielbeachteter Anfang war die diesjährige Münchner Sicherheitskonferenz. Der iranische Außenminister wartete vergeblich auf eine Einladung. Stattdessen saßen Pahlavi, Alinedschad und Boniadi als Vertreter der Allianz auf dem Podium.

Dort beteuerte Alinedschad noch einmal: „Glauben Sie mir: Das iranische Volk ist ein besserer Verbündeter als diese rückwärtsgewandten Mullahs. Wir sind bereit für einen Iran ohne Islamische Republik. Aber wir fragen uns, ob der Westen dafür bereit ist. Wenn Sie wirklich Stabilität in der Region wollen, glauben Sie mir, dann können Sie nicht weiter mit einem der instabilsten Regime verhandeln, das überall Chaos anrichtet.“

Das erste Land, das Reza Pahlavi offiziell einlud, war Israel. Sowohl Präsident Jitzchak Herzog als auch Premierminister Benjamin Netanjahu (Likud) als auch Geheimdienstchefin Gila Gamliel (Likud) empfingen den „Oppositionsführer“. Pahlavi beteiligte sich am Holocaustgedenken zum Jom HaScho’ah, besuchte die Klagemauer und übermittelte eine „Botschaft des Friedens und der Freundschaft“.

Die Vorstellung von einem friedliebenden, israelfreundlichen Iran scheint zu schön, um wahr zu sein. Aber wenn selbst Nazideutschland zu einer Demokratie werden konnte, in der Pazifismus quasi Staatsreligion ist – wieso sollte Vergleichbares im Iran nicht möglich sein?

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2 Antworten

  1. Ich befürchte, dass die Mullahs nicht fallen.
    Der Iran ist gespalten, wobei das fanatische, frauenfeindliche Regime noch zu viele Anhänger hat und auch
    die „kriminelle“ Revolutiongarde. Als besonders gefährlich empfinde ich die Frauen, welche andere Frauen ohne Kopftuch auf den Strassen schlagen und in Autos zerren.
    Man kann nur hoffen, dass Islamisten – Iraner keine Anschläge in der BRD verüben
    Wobei die Hoffnung bleibt. Mögen die Freiheitskämpfer/Innen gesegnet sein.

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  2. Danke für den interessanten Artikel. Der Allianz für Demokratie und Freiheit im Iran ist Erfolg zu wünschen, dem Westen endlich die Einsicht, dass er vom alten, fatal naiven Kurs abrücken muss.

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