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Warum nicht alle Eichmann hängen sehen wollten

Vor 60 Jahren verurteilt das Jerusalemer Bezirksgericht Adolf Eichmann zum Tode. Nicht allen gefällt das. Unter den Kritikern der Todesstrafe sind nicht zuletzt einige der bedeutendsten Denker des Judentums.
Von Sandro Serafin

Für die israelische Tageszeitung „Ma’ariv“ war die Sache klar: „Exekutieren!“, überschrieb sie am 15. Dezember 1961 einen Leitartikel ihrer Freitagsausgabe. Früher am selben Tag, am heutigen Mittwoch vor 60 Jahren, hatte das Jerusalemer Bezirksgericht im „Bet Ha’am“, dem Haus des Volkes, in seiner 121. Sitzung Adolf Eichmann zum Tode verurteilt. Die drei deutschstämmigen Richter befanden den Mitorganisator des Holocaust aus dem Reichssicherheitshauptamt unter anderem der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Verbrechen gegen das jüdische Volk schuldig.

Lobende Worte für das Urteil kamen nicht zuletzt aus der deutschen Politik: „Hochrangige deutsche Offizielle erachten die Todesstrafe für Eichmann als ‚gerecht‘“, ließ die jüdische Nachrichtenagentur „Jewish Telegraphic Agency“ (JTA) ihre Abnehmer am 18. Dezember wissen und verwies unter anderem auf zustimmende Äußerungen von Kanzler Adenauers Pressechef Felix von Eckardt. Die JTA zitierte auch „Vertreter der FDP“ mit den Worten: „Selbst die überzeugtesten Gegner der Todesstrafe werden dieses Urteil als gerecht begreifen“.

Foto: GPO
Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen gegen das jüdische Volk: Am 15. Dezember 1961 wird Adolf Eichmann in Jerusalem zum Tode verurteilt

Tatsächlich hielten auch viele Juden und Israelis Eichmanns Todesstrafe für angebracht. Unumstritten war diese aber keineswegs. So wie die Befürworter meldeten sich auch einige Kritiker der Exekution des Urteils öffentlich oder mit Briefen an Politiker zu Wort, darunter die bekanntesten Namen des zeitgenössischen jüdischen Intellektualismus. Die Israelische Nationalbibliothek hat dazu bereits im April dieses Jahres einige Originalquellen online zur Verfügung gestellt. Sie geben Einblicke in diesen eher wenig bekannten Aspekt des Eichmann-Prozesses.

„Du sollst nicht töten“

Da ist zum Beispiel ein „Memorandum“ eines gewissen Joseph Ben-David aus New York, der direkt am 15. Dezember 1961 seine Ansichten zum Fall Eichmann niederschrieb und anklagte: „Was hier getan wird, ist nicht das Judentum, sondern eine jüdische Imitation des Schlimmsten, was Juden unter den Nationen gelernt haben“. Am unteren Dokumentenrand war die dreifache Aufforderung zu lesen: „Du sollst nicht töten **** Du sollst nicht töten **** Du sollst nicht töten“.

Aus Iowa wandte sich der Psychologie-Professor Isadore Farber mahnend an Staatspräsident Jitzchak Ben-Zvi: Es gebe eine „Pflicht des jüdischen Volkes, seiner Verantwortung gerecht zu werden, für die es auserwählt wurde: die höchste Ethik zu praktizieren, die das menschliche Herz und der menschliche Geist formulieren können“.

7.000 Kilometer östlich schrieb im schwedischen Bromma auch die deutsch-jüdische Autorin und spätere Nobelpreisträgerin Nelly Sachs in einem Brief an David Ben-Gurion – in deutscher Sprache – ihre Gedanken auf: „Lassen Sie kein Todesurteil gegen Eichmann ergehen – auch in Deutschland gab es die Gerechten – um ihretwillen sei es Gnadenzeit.“ Sachs selbst hatte sich unter Mithilfe der schwedischen Schriftstellerin Selma Lagerlöf aus NS-Deutschland retten können.

Die bekanntesten Kritiker des Urteils sammelten sich indes um den prominenten jüdischen Professor und Philosoph Martin Buber. Buber hatte bereits im Vorfeld des Urteils sein Unbehagen deutlich gemacht. Gemeinsam mit anderen berühmten Persönlichkeiten, darunter der Religionshistoriker Gershom Scholem und die Dichterin Leah Goldberg, wandte auch er sich in einem Brief direkt an Staatspräsident Ben-Zvi.

„Antisemiten wollen, dass wir in diese Falle tappen“

„Ihre Opposition rührte vor allem aus moralischen Gründen und einer fundamentalen Ablehnung der Todesstrafe her“, erklärt Amit Naor von der Israelischen Nationalbibliothek. „Sie wollten Eichmann nicht schützen oder die Schwere seiner Taten relativieren. Ihnen ging es darum, das jüdische Volk davor zu bewahren, eine aus ihrer Sicht moralische Ungerechtigkeit zu begehen. Außerdem befürchteten einige, dass die Todesstrafe als Vorwand für die Annahme dienen könnte, dass damit die Sünden der Nazis gesühnt seien.“

In einem Entwurf der Gruppe für den Brief an Ben-Zvi klang das dann so: „Uns geht es nicht um sein Leben, denn wir wissen, dass es niemanden gibt, der weniger Gnade verdienen würde als er … Wir wollen nicht, dass diese hasserfüllte Person aus uns Henker macht … Antisemiten auf der ganzen Welt wollen, dass wir genau in diese Falle tappen. Denn die Todesstrafe zu vollziehen, würde es ihnen möglich machen zu behaupten, dass das jüdische Volk für das vergossene Blut mit Blut bezahlt wurde.“

Foto: Moshe Pridan/GPO
Professor Martin Buber an einem Schreibtisch im November 1961: Der österreichisch-jüdische Philosoph argumentierte gegen die Vollstreckung der Todesstrafe an Adolf Eichmann

Gershom Scholem fasste es später in einem Essay in etwas andere Worte: Die Gesetze der menschlichen Gesellschaft versagten in der angemessenen Bestrafung für die Verbrechen Eichmanns, schrieb er in der Zeitschrift „Amot“. „Die Anwendung der Todesstrafe stellt ein unangemessenes Ende dar. Es verfälscht die historische Bedeutung des Gerichtsverfahrens, indem es die Illusion schafft, dass es möglich ist, eine Sache wie diese [also den Holocaust; Anm. d. Red.] abzuschließen, indem man eine menschliche oder unmenschliche Kreatur hänge.“

Kabinett und Präsident entschieden anders

Am Ende konnten sich er und die anderen Kritiker der Todesstrafe mit ihrer Ansicht nicht durchsetzen. Als sich das israelische Kabinett Ende Mai 1962 mit der Frage befasste, ob Eichmann begnadigt werden solle, waren die Einwände Bubers und seiner Mitstreiter zwar durchaus präsent. Ben-Gurion selbst trug sie vor, wie der Historiker Jechiam Weitz 2007 berichtete, nachdem er das Protokoll der Sitzung hatte einsehen können. Doch am Ende stimmten elf Minister für die Exekution und lediglich zwei dagegen.

Aus Weitz‘ Bericht über die Sitzung wird auch ersichtlich, dass für einige Regierungsmitglieder an der Durchführung der Todesstrafe ein zutiefst zionistisches Moment hing. Golda Meir, zu diesem Zeitpunkt Außenministerin, erklärte vor dem Kabinett: „Es gab ein Verfahren und ein Urteil nach israelischem Recht – so wie es alle Nationen getan haben: die Polen mit Rudolf Höß, die Tschechen mit Dieter Wisliceny [einem Duzfreund Eichmanns; Anm. d. Red.], die Norweger mit Quisling [NS-Kollaborateur in Norwegen; Anm. d. Red.]; niemand hat zu ihnen gesagt, dass sie irgendwie besonders sensibel sein müssen. Das wird nur von uns verlangt, weil die Welt sich immer noch nicht daran gewöhnt hat, dass das jüdische Volk handelt wie alle andere Nationen.“

Präsident Ben-Zvi vollzog die Entscheidung der Regierung am 31. Mai 1962 nach. Um Mitternacht wurde das Todesurteil vollstreckt. Buber kommentierte das Berichten zufolge wenige Tage später als „Fehler historischen Ausmaßes“. Bis heute ist Eichmann die einzige Person, an der Israel eine Todesstrafe exekutiert hat.

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8 Antworten

  1. Ich glaube, die Entscheidung ist den Verantwortlichen nicht leicht gefallen. Eichmann war der Judenmörder schlechthin.

    Vielleicht hätte man ihn lebenslänglich einsperren sollen, dann hätte er vielleicht zu 1 % erfahren, wie es seinen Opfern ging. 1 %, denn ihn hätte man nicht gequält, nicht gefoltert. Nicht mit borkigem Wasser und einer Scheibe schimmligem Brot pro Tag ernährt. Ihn hätte man nicht 14 Std. am Tag arbeiten lassen. Er wäre nicht stundenlang im Eiswasser gestanden. Und er wäre nicht vergast worden. Ausgepeitscht worden.

    Aber: wäre er dann nicht zum Märtyrer geworden für die Nazis, die sich auch noch Jahrzehnte nach Kriegsende im Recht fühlen? Siehe Nazi Haverbeck.

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    1. Frau Haverbeck sollte man nicht als Beispiel verwenden. Die Frau ist innerhalb und außerhalb ihrer Bekundungen zum „Nichtholocaust“ keinesfalls ernst zu nehmen, sondern einfach eine geistig verkrüppelte Irre. Und wer ihr auch nur einen Meter weit folgt gehört in die selbe Fraktion! Damit meine ich natürlich nicht Sie!

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      1. Frau Haverbeck ist, das habe ich gerade recherchiert, 93 Jahre alt. In diesem Alter sollte die zweifellos strafbaren Äußerungen nicht mehr verfolgt werden. Es ist auch grundsätzlich eine Überlegung wert, ob Irrglauben, auch wenn er auf Überzeugungen basiert, strafbewehrt sein sollte. Ich meine, Dummheit oder auch das >nicht Wahrhaben wollen< gewisser historisch belegter Vorgänge, in den Bereich der freien Meinungsäußerung gehört und schlimmstenfalls eine Ordnungswidrigkeit darstellt., wenn man sie öffentlich publiziert.

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    2. zum Kommentar der Christin: jemand Gelegenheit zu geben, über seine Taten und den Rest eines verpfuschten Lebens lebenslänglich nachzudenken, erscheint mir eine größere und nützlichere Strafe zu sein, als die schnelle Hinrichtung, die lediglich ein Ende mit Schrecken ist. Die Fortexistenz von Nazitum, die es ja offensichtlich auch ohne E.`s Weiterleben gibt, bedeutet in jeder Hinsicht nichts weiter als die Fortexistenz der erkennbaren Bosheit und Verblendung. Der Staat Israel hätte ein souveräneres Beispiel gegeben, wenn man E für den Rest seines Lebens in Sicherungsverwahrung gegeben hätte. Oder vielleicht noch besser für den Gegenwert von 10 Schekel an den verkauft hätte, der als erster hier schrie. Für die überlebenden Nazis muss es ein beständiges Ärgernis sein, in ihren Herkunftsländern auf eine Mauer der Verachtung zu stoßen. Statt Endsieg endlose Schande.

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      1. Das Problem ist nur, dass Eichmann die Einsicht nie gehabt hätte. Er hätte sich als Opfer hochstilisiert und wäre als Märtyrer gefeiert worden. War ja auch der Grund, warum man ihn eingeäschert hat und die Asche im Meer verstreut hat. D erlebte es ja Jahr für Jahr wie die Anhänger von Hess an sein Grab gepilgert sind.

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  2. Kriegsverbrechen sind in jedem Fall immer durch die Todesstrafe zu ahnden. Das sollte schon aus Anstand gegenüber den Opfern und ihrer Angehörigen geschehen.

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  3. Die Frage nach einer Berechtigung der Todesstrafe wird sich immer stellen. Auch die Sicht nur Gott dürfe ein Leben beenden hat einen Sinn. Ich denke man hat Eichmann auch wegen der Todesstrafendie in der Bundesrepublik Deutschland nicht möglich gewesen wäre nach Israel gebracht. Fritz Bauer hätte ihn anklagen können. Vielleicht wären nur 20 Jahre herausgekommen, wie bei Albert Speer und anderen in Nürnberg verurteilten. Ich habe schon Respekt von der Männern des Mossad für die es einfacher gewesen wäre Eichmann in Argentinien zu töten. Was wäre die Alternative zum Tod und dem verstreuen der Asche gewesen? Es gibt übrigens einen guten deutschen Film zum Eichmann Prozess und wie sein Verteidiger in Israel angegriffen wurde. Interessant auch die darin erwähnte Sichtweise von Eichmann er wäre kein Antisemit. Lebenslange Haft wie bei Rudolf Heß? Immer wieder die fragen einen alten Mann doch frei zu lassen? Den Mann gut versorgen zu müssen, Israel würde ihn gut versorgen, wie es bei Heß immer der Fall war, dann die Theorien, hat er sich selbst umgebracht (Heß), sowie die „Pilger“ siehe beim Grab von Heß.
    Speer hat nach der Haft Bücher geschrieben, die Erinnerungen und die Spandauer Tagebücher habe ich gelesen und finde sie gut. Heut weiß ich Joachim C. Fest war der Schreiber, weshalb sie so gut zu lesen sind. Herr Fest ist inzwischen der Meinung von Herrn Speer belogen worden zu sein, da er doch mehr gewusst hat als er in Nürnberg, bzw. in den Interviews zu den Büchern zugegeben hat. Eichmann hätte auch einen „Ghostwriter“ gefunden. Die Speer Bücher sind heute noch lesenswert, man darf ihm nur nicht glauben, dass er so vieles nicht wusste. Er hat Lager gesehen, er muss das Leid gesehen haben.
    Eichmann Erinnerungen?, nein lieber nicht.

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  4. Ich bin fest davon überzeugt, das die Opfer des Nazismus und dieser Person, es nicht gebilligt hätten, wenn er nicht hingerichtet worden wäre. Hinzu kommt, wie schon angemerkt worden ist, das ein Auftrieb von Neonazis stattgefunden hätte – nicht von der Hand zu weisen auch versuchte Attentats- und Befreiungsversuche. An dieser Person wäre die übliche Propagandalawine losgetreten worden um Israel ins Unrecht zu setzen. Das eine Person auf dem intellektuellen Niveau wie Eichmann zu irgendeiner Einsicht gekommen wäre, erscheint mir unwahrscheinlich. Die Jauler, die wenn es zum Schwur kommt „nie“ Antisemiten gewesen sind, sich nur aktiv als Antisemiten verhalten haben, leben von und mit der Verdrängung. Philosophische Weisheit ist eine gute Sache, nur ist sie häufig wenig altagskompatibel, sonst wäre vieles einfacher.

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