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„Nie wieder!“ aus israelischer und deutscher Perspektive

Am 20. Januar 1942 kamen in einer Villa am Großen Wannsee in Berlin 15 NS-Funktionäre zusammen, um Details der sogenannten „Endlösung der Judenfrage“ zu erörtern. 80 Jahre später haben Deutsche und Israelis unterschiedliche Lehren gezogen.
Von Carmen Shamsianpur

Nie wieder!“ – so lautet die bedeutungsschwere, oft aber zur leeren Worthülse verkommene Parole beim Gedenken an die Zeit des Nationalsozialismus. Auch im Gästebuch der Bildungs- und Gedenkstätte „Haus der Wannseekonferenz“ hat sie ihren festen Platz. 

Sie wollten elf Millionen Juden ermorden

An dem idyllischen Ort befasste sich 1942 ein gutes Dutzend hochgebildeter Männer bei einer Arbeitsbesprechung mit der Vernichtung der Juden. Elf Millionen Menschen seien zu ermorden, Männer, Frauen und Kinder. Der Massenmord war bereits in vollem Gange und musste weder beschlossen noch geplant, nur noch präzisiert werden.

Der rangniedrigste Teilnehmer, Obersturmbannführer Adolf Eichmann, fertigte das Protokoll an und schönte darin die Sprache. Jahre später sagte er bei seinem Verhör in Jerusalem aus, dass die Herren bei ihrem Treffen unverblümt die Worte „töten, eliminieren und vernichten“ benutzten. Im Anschluss gab es ein Frühstück.

Ein Ort, der Illusionen raubt

Die Villa am Wannsee ist ein Ort, der Illusionen raubt. Er zeigt, wie das abgrundtief Böse sich hinter Schönheit, Geselligkeit und Doktortiteln verbergen kann. Und er verdeutlicht, dass Kultur, Bildung und Aufklärung allein kein wirksames Mittel gegen Antisemitismus sind. 

Deutsche und Israelis ziehen daraus die gleiche Schlussfolgerung: „Nie wieder“. Sie füllen die Worte jedoch mit sehr unterschiedlichem Inhalt. Aya Zarfati, eine Mitarbeiterin der Gedenkstätte, schrieb ihre Masterarbeit zur Erinnerungskultur und der Bedeutung der Wannsee-Konferenz in der israelischen Gesellschaft. Dazu wertete sie Besucherbefragungen und Einträge im Gästebuch aus.

Für Israelis bedeutet das „Nie wieder“ vor allem, einen wehrhaften Staat zu haben. Die Antworten der Befragten ähneln einander: „So lange der Staat Israel existiert, wird dies nie wieder geschehen“; „Wir werden nie wieder unseren unabhängigen Staat Israel verlieren“; „Nie wieder, solange das jüdische Volk über einen starken Staat und militärische Mittel verfügt“; „Nie wieder – der Staat Israel wurde gegründet“.

Pazifismus um jeden Preis

Diese vorrangige, einleuchtende Bedeutung des „Nie wieder“ kommt im deutschen Gedenken so gut wie gar nicht vor. Denn „Nie wieder“ heißt hierzulande vor allem „Nie wieder Krieg“: Pazifismus um jeden Preis, so erweckt es manchmal den Eindruck, auch auf Kosten des jüdischen Staates. Konsequentes Vorgehen gegen modernen Vernichtungsantisemitismus in Form von Hamas oder Iran ist kein Bestandteil des deutschen „Nie wieder“. Noch immer schreien Hisbollah-Anhänger beim jährlichen Al-Quds-Tag in Berlin ungehindert antisemitische Slogans.

Es bedeutet außerdem „Nie wieder Diskriminierung“, verfeinert zu: „Nie wieder Denken in Gruppenzugehörigkeiten“. Diesem Credo entspricht zum Beispiel eine Abkehr von der Begegnungspädagogik. Sogar vor einem Schüleraustausch mit Israel raten Pädagogen vermehrt ab oder warnen zumindest vor „Differenzkonstruktionen“. Israelische und deutsche Jugendliche würden sich dann nämlich als Vertreter ihrer Nationen begreifen und zwangsläufig als „anders“ wahrnehmen. Das will man vermeiden, um jeden Preis, selbst wenn dabei das vielleicht wirksamste Mittel gegen Antisemitismus geopfert wird.

Eine leere Parole mit Bedeutung füllen

Die Mehrheit der Deutschen glaubt, selber Opfer des Nationalsozialismus in der Familie gehabt zu haben – oder sogar Menschen, die Juden halfen. Dabei erreicht die tatsächliche Zahl solcher Personen nicht einmal den einstelligen Promillebereich. Vor 35 Jahren, am 29. Januar 1987, starb der letzte Teilnehmer der Wannseekonferenz, SS-Gruppenführer Gerhard Klopfer, in Ulm „nach einem erfüllten Leben“, wie es in seiner Todesanzeige hieß. Mit dem Zusatz: „zum Wohle aller, die in seinem Einflussbereich waren“. 

Deutschland könnte derartigem Hohn und den genannten Fehlentwicklungen entgegenwirken, wenn es sich die israelische Lesart des „Nie wieder“ zu eigen machte. Auch der internationale Holocaust-Gedenktag am 27. Januar ist eine Gelegenheit, die Worte wieder mit Bedeutung zu füllen.

Israelnetz Magazin

Dieser Artikel ist in einer Ausgabe des Israelnetz Magazins erschienen. Sie können die Zeitschrift hier kostenlos und unverbindlich bestellen. Gern können Sie auch mehrere Exemplare zum Weitergeben oder Auslegen anfordern.

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8 Antworten

  1. Wir Deutschen wollen eben, dass das ALLEN Menschen nie wieder passiert und nicht nur den Juden nie wieder passiert.

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    1. Das ist zwar richtig, das allen Menschen dies nicht widerfahren darf. Und da müssen wir auch hinarbeiten. Nur leider sieht die Praxis oft genug anders aus. Hängt auch damit zusammen, wie gehen wir, wie gehen die Generationen nach uns mit dem Thema um. Wenn wir keine Zeitzeugen mehr haben, Zeitzeugen die Opfer oder Täter waren. Beides stirbt aus.

      In einem der widerlichsten und verlogensten Artikel, der mir in den letzten Tagen begegnet ist, findet sich auch dieser Abschnitt:
      „Auf der Wannseekonferenz kamen am 20. Januar 1942 fünfzehn Hochrangige der nationalistischen Reichsregierung und SS-Behörden unter dem Vorsitz des SS-Obergruppenführers Heydrich zusammen. Der Hauptzweck dieser Konferenz war übrigens nicht, die „Endlösung“ zu beschließen, der Holocaust war schon seit 1941 seit dem Angriff auf die Sowjetunion im Gange, sondern es ging hauptsächlich um die Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung, diese und die Zusammenarbeit der Beteiligten zu organisieren.“

      Man kann sich viel schönreden, vor allem wenn man Terror gegen Juden als Freiheitskampf empfindet. Das hier ist schlichtweg gelogen. Es ging nicht um die Deportation. Es ging darum, wie man die Judenvernichtung schneller, industriell und vor allem Täter schonend hinbekommt. Schließlich ist es nicht zumutbar, dass die Mörder psychisch durch das Blutbad leiden, während mit Gas es doch viel angenehmer ist und die Toten dann auch noch von den Juden selbst „entsorgt“ werden. Wie dumm und dreist gehen manche Journalisten mit der Geschichte um. Ideologisch verblendet von A-Z.

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      1. Das habe ich hieraus abgeleitet: „So lange der Staat Israel existiert, wird dies nie wieder geschehen“.
        Inwiefern verhindert die Existenz des Staates Israel den Genozid an anderen Völkern?

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  2. Leider ist der Antisemitismus wieder sehr aktuell.Schon allein deshalb,weil viele junge Flüchtlinge von zu Hause her mit dem Hass aufgewachsen sind und somit ihn in den Kindergärten und Schulen weitergeben .Für die ist es normal,aber unsere Kinder werden schikaniert und oft muss man sie gezwungenermaßen aus den Schulen und Kindergärten nehmen.Außerdem wird das Problem auch vom Lehrerkollegium oft bagatellisiert und bewusst ignoriert.

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  3. Ich finde es absolut richtig, dass Israel militärisch präsent ist und seine Jugend auch in diesem Sinne erzieht. Die Lebensgefahr für Juden in der Diaspora besteht immer noch mehr oder weniger. Sie sollten das Gefühl haben, dass Israel immer ein sicherer Hafen sein wird. Dieser Gedanke sollte auch in der deutschen Politik Fuß fassen!

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  4. „Nie wieder“ 🤔 ??
    An offiziellen Gedenktagen, heulen die Wölfe in Schafspelzen (deutsche Staatskirchenpolitiker) für die Galerie der MSM ,u. täuschen die Welt !!
    Allein die Fakten auf internationalem Parkett, wie sich EU……schland zu inneren Angelegenheiten des Staates Israel positioniert, u. das Abstimmungsverhalten bei UN Resolutionen u.v.a.m., zeigt das wahre Gesicht hinter der Maske der deutschen Politik. Alles sichtbare Erscheinungen GOTTloser antibiblischer Geistesgesinnung. Auch die Spaltung der Menschen in …schland u. Israel, in Pro u. Kontra zur Politik, ist der Propaganda u. des damit verbundenen Abfalls (Matth. 24,9-12/ Gal. 4,4) vom jüdisch-messianischen Glaubens (Bibel) zu verdanken.
    Schon wieder !!! … ist der geistige Nährboden bereitet …, für „Nie wieder“ 🤔 ??????? Nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten …..

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