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Nicht nur Phrasen – aber vor allem

Wenn es um den Nahen Osten, Israel und den Konflikt mit den Palästinensern geht, verfallen Politiker in Deutschland schnell in abgedroschene Phrasen. Jede Menge davon findet man auch in den Programmen zur anstehenden Bundestagswahl. Doch es gibt auch erfrischende Vorschläge. Fünf Beobachtungen nach der Lektüre. Von Sandro Serafin
9 Parteien haben Chancen, in den 20. Deutschen Bundestag einzuziehen. 7 davon stellen sich überregional zur Wahl. Die CSU tritt nur in Bayern, der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) als Partei der dänischen Minderheit nur in Schleswig-Holstein an.

1. Fast alle äußern sich

Es hat wohl mit der deutschen Geschichte zu tun, dass es hierzulande für die Parteien zumindest seit einigen Wahlen (früher war das noch anders) zum guten Ton gehört, sich in ihren Wahlprogrammen zu Israel und dem Nahen Osten zu positionieren. Doch ist das auch gut so? Warum äußern sie sich gerade dazu, warum nicht – Sie kennen diese Schieflage – zur Westsahara (zugegeben: Die Linke tut dies am Rande), zu Tibet (dieses Wort lassen die Grünen immerhin einmal fallen) oder zu irgendeinem anderen Territorialkonflikt?

Nur eine überregionale Partei hat sich entschieden, nichts zum Thema zu sagen, zumindest nicht direkt zum Nahen Osten: die AfD. Deren Leitlinie ist, dass sich die Außenpolitik „an deutschen Interessen“ auszurichten habe. Für einige Regionen (zum Beispiel die Türkei) buchstabiert sie auch aus, was das konkret bedeutet, nicht aber für den Nahen Osten. Vermutlich liegt es daran, dass dazu in der Breite der Partei keine einheitliche Meinung herrscht. Über Umwege taucht Israel dann gleichwohl auch bei der AfD noch auf: Dort nämlich, wo sie sich im Kapitel „Islam“ – nach einem Verweis auf Rechtsextremismus – auch gegen „juden- und israelfeindliche Muslime“ wendet und ein Verbot der „Al-Quds-Tage“ – gemeint sein dürfte der Al-Quds-Marsch – in Berlin fordert.

Neben der AfD äußert sich auch der Südschleswigsche Wählerverbund (SSW), der als Partei der dänischen Minderheit nur in Schleswig-Holstein wählbar ist und für den keine Prozenthürde gilt, nicht zu Israel und Nahost. Alle anderen Parteien nehmen explizit Stellung zum Nahen Osten – mal ausführlicher wie die Grünen, die FDP oder die Union, mal sehr knapp wie Die Linke.

2. Phrasen, Phrasen, Phrasen

Phrasenweltmeister sind Politiker auch außerhalb der Wahlkampfzeiten, und so wundert es nicht wirklich, dass sich dies auch im Wahlprogramm fortsetzt. Wozu bekennen sich wohl alle Programme? Natürlich zur „Zwei-Staaten-Lösung“. Schaut man genau hin, findet man allerdings auch Unterschiede. Die Linke und die Grünen legen sich auf die eher radikale Version einer Lösung „auf der Basis“ der „Grenzen von 1967“ – gemeint ist die Waffenstillstandslinie von vor dem Sechs-Tage-Krieg – fest. Was mit „auf der Basis“ gemeint ist, lassen sie offen.

Gleichwohl werden die beiden Parteien damit immer noch konkreter als ihre Mitbewerber, die nicht sagen (und es vermutlich auch selbst nicht einmal wissen), was für sie noch als „Zwei-Staaten-Lösung“ durchgehen würde. Was für ein Fetisch die „Zwei-Staaten-Lösung“ inzwischen geworden ist, zeigt sich besonders deutlich im Unionswahlprogramm. Dort führen die Schwesterparteien aus: „Wir unterstützen alles, was ein friedliches Zusammenleben von Israelis und Palästinensern fördert …“ – nur um direkt hinterherzuschicken: „ … und eine Zwei-Staaten-Lösung ermöglicht“. Hier ist die „Zwei-Staaten-Lösung“ ganz offensichtlich nicht mehr Mittel zum Frieden, sondern längst zum Selbstzweck geworden.

Zu den beliebten und vielfach verwendeten Schlagwörtern gehört neben der „Zwei-Staaten-Lösung“ auch die Rede von der Sicherheit und dem Existenzrecht Israels als Staatsräson (CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP), beziehungsweise von der „historischen“ oder „besonderen Verantwortung“ Deutschlands gegenüber Israel (CDU/CSU, SPD, Freie Wähler).

3. In den Grundzügen herrscht Einigkeit

Der Verweis auf die Phrasen zeigt schon: In den Grundzügen der Israel- und Nahostpolitik herrscht unter den Parteien Einigkeit. Die Unterschiede liegen im Detail. Anders als die anderen Parteien erwähnen SPD und Grüne geradezu pflichtschuldig den „Siedlungsbau“. Gemeinsam mit der FDP warnen sie auch vor israelischen Annexionsvorhaben – ein Thema, das seit Abschluss der Abraham-Abkommen überhaupt nicht mehr auf dem Tisch liegt. Aber es eignet sich gut zur Herstellung der typisch deutschen Äquidistanz, nachdem man auch den Terror gegen Israel verurteilt hat. Bei der Union kommt der Siedlungsbau erstaunlicherweise nicht vor.

Auch bezüglich des Iran scheinen sich auf den ersten Blick alle einig zu sein: Union, SPD, Grüne, Linke und Freie Wähler hoffen jedenfalls, dass das Atomabkommen (JCPOA) wieder Wirkung entfaltet. Im Detail stechen allerdings unterschiedliche Nuancen ins Auge. Linke und Freie Wähler heben den Austritt der USA hervor und schieben damit vor allem den Vereinigten Staaten die Schuld zu. Die Linke fordert zudem die Abschaffung unilateraler, vorgeblich völkerrechtswidriger Sanktionen, womit dem Westen ein entscheidendes Druckmittel gegen den Iran aus der Hand genommen wäre.

Die CDU hingegen tritt dafür ein, „dass der Iran seine Verpflichtungen aus der Wiener Nuklearvereinbarung von 2015 strikt einhält und sein ballistisches Raketenprogramm und seine aggressive Rolle in der Region beendet“. Und die SPD formuliert ihren Satz dazu sehr neutral. Die deutlich kritischere, israelische Position zur Frage, ob man mit dem Iran überhaupt kooperieren kann, vertritt freilich keiner.

Auf die innenpolitischen Zustände in den Autonomiegebieten gehen nur FDP, SPD und Grüne ein. Die Liberalen beklagen die „fehlende demokratische Legitimation der derzeitigen Palästinenserführung sowie die eklatanten Menschenrechtsverletzungen“. Die SPD fordert in den Autonomiegebieten „auf allen Ebenen weitere demokratische Fortschritte“ (womit vorausgesetzt ist, dass es bereits solche Fortschritte gibt, die Wahlen hat Präsident Mahmud Abbas ja bekanntlich wieder einmal abgesagt). Und die Grünen wollen sich „für Wahlen, einen Demokratisierungsprozess sowie den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen“ starkmachen.

4. Auch Innenpolitik ist Nahostpolitik

Der Nahe Osten und die deutsche Innenpolitik lassen sich inzwischen nicht mehr voneinander trennen – auch das zeigt der Blick in die Programme. Nicht nur die AfD wendet sich gegen die Auswirkungen des anti-israelischen bis antisemitischen Al-Quds-Tags in Berlin. Auch die FDP will ein Verbot der Demonstration zumindest prüfen, legt aber anders als die AfD keinen Wert auf die Betonung des vornehmlich islamischen Hintergrunds der Teilnehmer.

Ausgerechnet die Liberalen – die Partei der möglichst freien Wirtschaft – wollen nach dem Skandal um den gerichtlich abgesegneten Beförderungsboykott gegenüber Israelis von Kuwait Airways außerdem durchsetzen, „dass für antisemitische und israelfeindliche Geschäftspraktiken, wie sie beispielsweise im Luftreiseverkehr vorkommen, auf deutschen Märkten kein Platz ist“. Dazu wollen sie sich insbesondere an der Antisemitismus-Definition der IHRA orientieren, die auch von der israelischen Regierung unterstützt wird. Ginge es nach der FDP, sollte es zudem härtere Sanktionen für das Verbrennen von Israel-Fahnen „als Ausdruck von israelbezogenem Antisemitismus“ geben – und das, obwohl der Bundestag bereits im Mai 2020 das Verbrennen ausländischer Flaggen strafrechtlich verankert hat.

Die CDU will Antisemitismus „klar benennen und bekämpfen“, egal ob „von rechtsaußen, linksaußen oder von migrantisch geprägten Milieus“. Sie verschreibt sich zudem einem Kampf gegen Islamisten, die das Existenzrecht Israels ablehnen. Die Grünen treten für eine Finanzierung privater „Sensibilisierungs- und Präventionsprojekte“ ein, die unter anderem auch „israelbezogenen Antisemitismus“ adressieren sollen. Auch die Freien Wähler versprechen „ein entschiedenes Einschreiten gegen alle Erscheinungsformen des Antisemitismus und israelfeindlicher Bestrebungen“. Sie stören sich aber vor allem an der „QAnon-Bewegung“ – ob das das größte Antisemitismusproblem in Deutschland ist: fraglich.

Bemerkenswert aber auch das: Nicht nur die Linke, auch die SPD erwähnen Antisemitismus stets nur in Kombination mit anderen Formen der Diskriminierung wie „Rassismus“, „Antiziganismus“, „Islamfeindlichkeit“ oder „Homo- und Transfeindlichkeit“.

5. Erfrischende Vorschläge sind möglich

Allen Phrasen zum Trotz finden sich auch erfrischende Vorschläge in den Programmen: Vor allem die FDP hat sich einiges einfallen lassen. Auf ihre Orientierung an der IHRA-Definition etwa ist schon hingewiesen worden. Die Liberalen wollen zudem den Internationalen Holocaustgedenktag am 27. Januar aufwerten, „indem wir eine bundesweite Schweigeminute am Vorbild des israelischen Jom haScho’a einführen“. Ob dann auch die – wie wir inzwischen wissen – kaum mehr vorhandenen Sirenen zum Einsatz kommen sollen?

Gut klingt auch die Forderung, wonach regelmäßig überprüft werden soll, ob deutsche und europäische Hilfszahlungen an die Palästinensische Autonomiebehörde direkt oder indirekt zur Finanzierung von Terrorismus missbraucht werden. Letztlich erweist sich diese Forderung aber als zahnlos, führt die FDP doch nicht aus, mit welchen Maßnahmen sie dies tun will. Dass die ordnungsgemäße Verwendung der Gelder sichergestellt wird, behauptet die Bundesregierung nämlich auch jetzt schon. Dass Deutschland heute Terror dennoch indirekt mitfinanziert, ist gleichwohl ein offenes Geheimnis.

Auch die Union hebt sich immerhin ein wenig von den anderen Parteien und den üblichen Parolen ab, indem sie ein „deutsch-israelisches Jugendwerk und mehr Stipendienprogramme“ fordert, um den deutsch-israelischen Austausch „auf allen gesellschaftlichen Ebenen“ zu verstärken. Die Zusammenarbeit mit der israelischen Politik soll insbesondere auch „in der Hochtechnologie und bei der Förderung von Start-Ups“ ausgebaut werden. Was das genau heißt, bleibt offen – aber immerhin ist es mal ein anderer Vorschlag und auch insofern erfrischend, als die Union noch vor vier Jahren überhaupt nicht über Phrasen wie „Staatsräson“ und „Zwei-Staaten-Lösung“ hinauskam.

Die Grünen wollen der Nahostpolitik indes eine ganz neue Dimension geben. Sie möchten – wie könnte es anders sein – die Partnerschaften mit Staaten des Nahen Ostens auch zu einem wichtigen Bestandteil ihrer Klimapolitik machen. Genau darauf haben der Libanon, Syrien, Jordanien, Saudi-Arabien und der Oman sicherlich schon lange gewartet.

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