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Kämpfer für einen palästinensischen Staat

Der verstorbene Diplomat Saeb Erekat folgte als Chefunterhändler den Richtlinien der palästinensischen Führung. Folglich lehnte er die israelischen Abkommen mit arabischen Staaten ab. Medizinische Hilfe aus Israel nahm er jedoch in Anspruch.
Wollte von einer israelischen Normalisierung mit arabischen Staaten nichts wissen: Saeb Erekat

„Palästina findet sich heute zwischen zwei Epidemien: Zu einer Zeit, in der unser ganzes Volk mit dem Coronavirus zu tun hat, geht es mit der gleichen Entschlossenheit gegen die Epidemie der kolonialistischen Besatzung vor.“ Dies sagte der langjährige Chefunterhändler Saeb Erekat im März laut der offiziellen Zeitung der Palästinensischen Automiebehörde (PA), „Al-Hajat al-Dschadida“. Nun ist er selbst mit 65 Jahren an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben, während ihm die Besatzungsmacht offenbar weniger anhaben konnte: Er verbrachte die letzten Wochen seines Lebens in einer israelischen Klinik.

Erekat wurde am 18. April 1955 im Jerusalemer Vorort Abu Dis geboren und wuchs in Jericho auf. 1967 erlebte er mit, wie angesichts des Sechs-Tage-Krieges Palästinenser aus der Stadt nach Jordanien flohen. Er studierte Internationale Beziehungen an der Staatlichen Universität San Francisco in Kalifornien. Anschließend promovierte er in der englischen Stadt Bradford in Friedens- und Konfliktstudien. Als Professor der Politikwissenschaft lehrte er an der An-Nadschah-Universität in der palästinensischen Autonomiestadt Nablus. Noch im September erhielt er einen Ruf der Harvard-Universität im US-Bundesstaat Massachussetts für ein Projekt zur Zukunft der Diplomatie.

Der katarische Sender „Al-Dschasira“ nannte Erekat das „öffentliche Gesicht der palästinensischen Sache“. Und in der Tat war der Fatah-Politiker in seinen über 20 Jahren als Chefunterhändler oft der erste Palästinenser, der Journalisten Rede und Antwort stand. Bei der Nahostfriedenskonferenz in Madrid wirkte er 1991 mit. Zwei Jahre später wurde er bei den Endverhandlungen zu den Osloer Abkommen nicht mehr beteiligt. Doch 1995 erhielt er den Posten als Unterhändler gegenüber den Israelis, von dem er im Laufe der Jahre mehrmals zurücktrat – jedoch ohne große Folgen. 2000 gehörte er zur Gesandtschaft, die unter Jasser Arafat mit dem damaligen israelischen Premierminister Ehud Barak in Camp David verhandelte.

Diplomatischer Erfolg: Aufwertung bei der UNO

Der Generalsekretär der „Palästinensischen Befreiungsorganisation“ (PLO) setzte sich für eine Zwei-Staaten-Lösung mit den „Grenzen von 1967“ und für eine Anerkennung von Rechten ein, die den Palästinensern aus seiner Sicht zustehen. Als Erfolg konnte er es verbuchen, dass die Vereinten Nationen im November 2012 „Palästina“ zum Beobachterstaat aufwerteten.

Am 15. Mai 2013 veröffentlichte die palästinensische Nachrichtenagentur „Ma’an“ einen Beitrag, den Erekat zum 65. Jahrestag der „Nakba“ veröffentlichte. Mit diesem arabischen Wort für „Katastrophe“ bezeichnen Palästinenser die israelische Staatsgründung. In dem Artikel hieß es: „1948 wurde das palästinensische Volk zum Exil verdammt, und sein Heimatland, Palästina, verschwand von den Landkarten.“

Weiter schrieb der Politiker: „65 Jahre lang hat unser Volk die Unbeständigkeiten und die Erniedrigung durchlebt, als Fremde behandelt zu werden, sowohl im Exil als auch in ihrem eigenen Land. Heute kämpfen wir immer noch darum, Palästina auf die Landkarte zurückzuholen und auf Grundlage des internationalen Rechtes Gerechtigkeit für Palästinenser überall zu erlangen.“ Leider wolle die israelische Besatzungsmacht keinen Frieden. Die Regierung habe jederzeit die Möglichkeit, sich zwischen Frieden und Siedlungen zu entscheiden. Doch sie habe sich für Letzteres entschieden. Ihre Minister riefen auf „zur Beseitigung des palästinensischen Staates und zum Bau von Siedlungen für eine Million Siedler im besetzten Gebiet“.

Um palästinensische Interessen durchzusetzen, beteiligte er sich auch an der Verbreitung von Unwahrheiten. So behauptete er im Mai 2002 gegenüber dem amerikanischen Nachrichtensender CNN, bei einem Einsatz im Flüchtlingslager Dschenin habe die israelische Armee 500 Palästinenser „umgebracht“ und die meisten seien Zivilisten gewesen. Später korrigierten offizielle palästinensische Quellen die Angaben auf 53 tote Palästinenser, von denen zwei Drittel bewaffnete Kämpfer waren. Mit Sprengfallen hatten sie 23 israelische Soldaten getötet.

Gespaltenes Verhältnis zu Terror

Mitunter setzte Erekat die israelische Besatzungspolitik mit Terror gleich, so etwa im Januar 2015 mit dem Islamischen Staat: „Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Terrorismus jener Gruppe, die von Abu Bakr al-Baghdadi angeführt wird, und Israels Terrorismus.“

Im Oktober 2007 äußerte er vor der vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush ausgerichteten Annapolis-Konferenz: „Die Zeit der Verhandlungen ist vorbei. Es ist Zeit für Entscheidungen. Wir waren nie so kurz davor, das Endspiel zu erreichen, wie jetzt.“ Frieden sei wichtig für die Palästinenser. „Ich will nicht, dass mein Sohn ein Selbstmordattentäter wird.“

Doch hofierte er auch Terroristen wie den Vorsitzenden der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP), Ahmad Sa’adat. Er sitzt wegen der Ermordung des israelischen Tourismusministers Rehavam Se’evi im Jahr 2001 in Haft. Der Unterhändler sprach ihn 2010 in einem Brief als „lieben Bruder“ an und kritisierte den Umgang der „Besatzung“ mit palästinensischen Häftlingen. Weiter schrieb er: „Unser Geliebter, die Dunkelheit des Gefängnisses wird zu einem Ende kommen. Wir glauben, dass wir uns bald treffen werden und den Sieg und die Befreiung und die Freiheit feiern, für alle Häftlinge.“

Neffe nach Autoangriff erschossen

Im vergangenen Juli rammte ein palästinensischer Autofahrer in Abu Dis eine israelische Polizistin und verletzte sie leicht. Als er ausstieg, werteten ihre Kollegen ihn als Bedrohung und erschossen ihn. Anschließend stellte sich heraus, dass es sich bei dem Fahrer um einen Neffen des PLO-Generalsekretärs handelte: Achmed Erekat. Sein Onkel sprach von einer „Hinrichtung“ und machte Regierungschef Benjamin Netanjahu dafür verantwortlich.

Als PA-Präsident Mahmud Abbas im Mai 2018 in einer vielkritisierten Rede den Juden eine Mitschuld am Holocaust zuwies, relativierte Erekat die Äußerung: „Präsident Abbas hat häufig seinen Respekt für die Religion des Judentums betont, und dass unser Problem mit demjenigen besteht, der unser Land besetzt.“

Entschieden gegen Normalisierung

Den Nahostfriedensplan von US-Präsident Donald Trump lehnte Erekat ab: „Die internationale Gemeinschaft muss sich entscheiden: Entweder steht sie auf der richtigen Seite der Geschichte mit der Unabhängigkeit des Staates Palästina, der Seite an Seite, in Frieden und Sicherheit, mit dem Staat Israel in den Grenzen von 1967 lebt – oder es willigt ein, ein Apartheidregime zu dulden.“

Ebenso wandte er sich, wie die gesamte PLO, gegen die Normalisierung arabischer Staaten mit Israel. Das Geheimtreffen zwischen Netanjahu und dem sudanesischen Übergangsregierungschef Abdel Fattah al-Burhan Anfang Februar verunglimpfte er als „Messerstich in den Rücken der palästinensischen Sache“. Nach den Abkommen zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain sprach er von der „Geburt des arabischen Zionismus“ und einem „vergifteten Dolch, der in den Rücken der Palästinenser gestoßen wird“.

Erekat stand also für Verhandlungen zwischen den Palästinensern und Israel. Aber israelische Abkommen mit arabischen Ländern duldete er nicht – und verfolgte damit die Linie der PA und der PLO. Nach anfänglichem Optimismus wurde er im Laufe der Zeit pessimistischer, obwohl er die Hoffnung auf einen verhandelten Palästinenserstaat bis zuletzt nicht aufgab. In einem Interview sagte er 2007: „Ich bin der am meisten enttäuschte Unterhändler der Menschheitsgeschichte. Ich habe keine Armee, keine Marine, keine Ökonomie, meine Gesellschaft ist zersplittert.“

Risikopatient nach Lungentransplantation

Am 8. Oktober wurde Saeb Erekat positiv auf das Coronavirus getestet. Zunächst blieb er in häuslicher Isolation in Jericho. Doch da er sich 2017 in den USA einer Lungentransplantation unterzogen hatte, bat die PA Israel, ihn in die Hadassah-Klinik im Jerusalemer Stadtteil Ein Kerem aufzunehmen. Daraufhin kam der palästinensische Unterhändler am 18. Oktober dorthin. Er wurde unter anderem an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. Die israelischen Mediziner berieten sich mit internationalen Ärzten, konnten ihm letztlich jedoch nicht helfen. Am 10. November starb er in Jerusalem. Er hinterlässt seine Ehefrau Naema, zwei Söhne, zwei Töchter und acht Enkel.

„Al-Dschasira“ fasste Erekats Eintreten für eine Zwei-Staaten-Lösung so zusammen: „Es war ein Kompromiss und ein großes Zugeständnis. Aber sein Leben lang beschuldigten ihn Israelis, ein ‚Extremist‘ zu sein und Spaltung zu säen, während Palästinenser ihn einen Verräter an der palästinensischen Sache nannten, der zuviel hergebe.“

Abbas erklärte nach seinem Tod: „Das Scheiden eines Bruders und Freundes, eines großen Kämpfers, Dr. Saeb Erekat, ist ein großer Verlust für Palästina und unser Volk, und wir sind zutiefst betrübt.“ Der Fatah-Chef rief eine dreitägige Trauer aus. In Ramallah gab es am 11. November eine offizielle Abschiedszeremonie für den Verstorbenen. Dann wurde er in Jericho beigesetzt.

Von: Elisabeth Hausen

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