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„Wer die Hamas-Charta kennt, war nicht überrascht“

Nationalsozialisten und der Jerusalemer Mufti Al-Husseini standen in einem „kulturellen Austausch“ über Antisemitismus. Dies wirke sich bis heute auf die Hamas aus, sagte der amerikanische Historiker Herf bei einem Vortrag in Frankfurt am Main.
Von Elisabeth Hausen

FRANKFURT/MAIN (inn) – Wer die Charta der Hamas gelesen hat, war über den brutalen Terrorangriff vom 7. Oktober nicht schockiert. Diese These vertrat der amerikanische Historiker Jeffrey Herf am Montagabend bei einem Vortrag in Frankfurt am Main. Dabei stellte er sein neues Buch „Israel’s Moment“ vor. Es befasst sich mit internationaler Unterstützung für und Opposition gegen die Gründung des jüdischen Staates zwischen 1945 und 1949.

Der Professor der Universität Maryland sieht eine direkte Linie vom Jerusalemer Großmufti Hadsch Amin al-Husseini und der nationalsozialistischen Propaganda zum israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948. Teile dieser Kette seien die Muslimbruderschaft, die islamische Revolution 1979 im Iran und die Gründung der Hamas 1988. Die Charta der Terrorgruppe habe Themen der NS-Zeit aufgenommen.

Mufti und Nazis lernten voneinander

Eine Quelle ist für Herf der „kulturelle Austausch“ zwischen Nationalsozialisten und Mufti Al-Husseini in Deutschland. Sie hätten voneinander gelernt. Die Hamas habe bei ihrem Überfall das umgesetzt, was sie glaube.

Der Referent führte aus, dass sich Al-Husseini ab Mai 1945 im Hausarrest in Paris befand. Es habe Forderungen gegeben, ihn ebenso wie führende Nationalsozialisten in Nürnberg vor Gericht zu stellen. Doch einen solchen Prozess habe es nicht gegeben.

Foto: Israelnetz/Elisabeth Hausen
„Entkommen für den Nazi-Mufti – aber keine Rettung für Nazi-Opfer“: Massenprotest gegen Al-Husseinis Straffreiheit 1946 in New York

Al-Husseini habe während seiner Haft mit französischen Beamten gesprochen und ihnen vermittelt: Gute Beziehungen mit arabischen Staaten wären von Vorteil für die französische Machtstellung in Nordafrika, Syrien und dem Libanon. Deshalb habe Frankreich „Nein“ gesagt zur Forderung, dem Großmufti in Nürnberg oder London den Prozess zu machen.

Im Mai 1946 gelang Al-Husseini mithilfe des französischen Geheimdienstes die (inszenierte) Flucht aus dem Hausarrest. Er wurde ein wichtiger Führer der arabischen Gemeinschaft in Palästina. Vielleicht hätte eine andere arabische Führungspersönlichkeit den UN-Teilungsplan vom 29. November 1947 akzeptiert, mutmaßte Herf.

Cousin des Mufti: „Arabische Rassenhomogenität beibehalten“

Der Referent zitierte auch den Cousin des Großmuftis, Dschamal al-Husseini. Dieser hatte 1947 zwei Reden gehalten – eine in London und eine in New York bei den Vereinten Nationen. Dort habe der „westlich orientierte palästinensische Politiker“ gesagt, die arabische Welt bilde eine „Rassenhomogenität“. Sie habe eine gemeinsame Sprache, Geschichte und Tradition. Das zionistische Projekt würde diese Homogenität zerstören.

„Er war ein Rassist“, folgerte Herf. Doch seit den 1960er Jahren hätten palästinensische Organisationen in den USA die Gleichung aufgestellt: „Zionismus ist eine Variante des Rassismus“. Eine der Errungenschaften der Palästinenser sei die „Projektion ihres eigenen Rassismus auf den Zionismus“.

USA wähnten Verbindung zwischen Zionismus und Kommunismus

In seinem Vortrag stellte der Historiker klar, dass die USA Israel erst nach 1967 militärisch unterstützt hätten. Vor der Staatsgründung 1948 seien die Vorbehalte gegen das zionistische Projekt groß gewesen.

Ein Grund dafür war laut Herf die irrige Annahme, Zionismus habe etwas mit Kommunismus zu tun. Diese Verbindung habe im Kopf amerikanischer Politiker bestanden. So hätten sie festgestellt, dass führende Zionisten sich bis Mai 1949 ähnlich äußerten wie die UN-Botschafter der kommunistischen Länder Sowjetunion, Ukraine und Polen.

„Marshall-Plan in Gefahr“

US-Präsident Harry S. Truman unterstützte die jüdische Einwanderung ins Mandatsgebiet Palästina. Doch sein Verteidigungsminister George C. Marshall vertrat die Ansicht, dass das arabische Öl für den nach ihm benannten Plan zum Wiederaufbau in Westeuropa nötig sei.

Zu dieser Auffassung neigte auch Außenminister George F. Kennan. Er habe zudem festgelegt, dass ein Eckpfeiler US-amerikanischer Außenpolitik sei, die britische Position in Palästina weitgehend aufrecht zu erhalten. Die beiden Länder seien im Zweiten Weltkrieg und darüber hinaus Verbündete gewesen. Und ein jüdischer Staat in Palästina würde die britische Vorherrschaft beenden.

Ferner habe Kennan die Befürchtung geäußert, eine Unterstützung des Teilungsplanes werde den Marshall-Plan gefährden, ergänzte der Referent. Denn möglicherweise müssten sowjetische Truppen eingreifen, wenn ein Konflikt in Palästina entstehe.

Zwei Zugeständnisse habe Truman den Juden in Palästina dennoch gemacht: die Ja-Stimme für den Teilungsplan und die sofortige Anerkennung des neugegründeten jüdischen Staates Israel – als erste Nation nach der Unabhängigkeitserklärung am 14. Mai 1948. Dies habe zu dem Mythos beigetragen, die USA hätten Israel von Anfang an unterstützt.

Kommunistische Unterstützung für Israel

Befürwortet wurden die zionistischen Pläne von kommunistischen Ländern, französischen Sozialisten sowie linken und liberalen Kräften in den USA und Großbritannien. Die dringend benötigten Waffen lieferte die damals stalinistisch regierte Tschechoslowakei den Israelis nach der Staatsgründung. Zudem wurde Israel jahrelang vom sozialistisch geprägten Frankreich unterstützt.

Der Buchtitel „Israel’s Moment“ bezieht sich auf den Übergang von der Anti-Nazi-Koalition der Alliierten zum Kalten Krieg. In dieser Zeit zwischen 1945 und 1949 gab es einen kleinen Augenblick der amerikanisch-sowjetischen Zusammenarbeit – und beide stimmten 1947 für den Teilungsplan und damit für einen jüdischen Staat. Bei der Umsetzung gingen sie dann wieder getrennte Wege, und das Schreckgespenst Kommunismus verhinderte eine eindeutige Haltung der USA zugunsten des zionistischen Projektes.

Appell an deutsche Wissenschaftler

Vor seinem Vortrag las Herf angesichts der aktuellen Ereignisse in Israel einen Aufruf an Wissenschaftler vor. Er forderte sie auf, sich solidarisch gegenüber dem jüdischen Staat zu erklären. Deutsche Professoren sollten „im Überlebenskampf“ an der Seite Israels stehen. Die Hamas habe am 7. Oktober Juden ermordet, weil sie Juden seien, betonte der Historiker. Wissenschaftler müssten nicht nur gegen Antisemitismus protestieren, sondern auch gegen die „Barbarei“, hinter der ein nationalsozialistischer Geist stecke.

Den Vortrag an der Frankfurter Goethe-Universität veranstaltete die Deutsch-Israelische Gesellschaft in Kooperation mit dem „Mideast Freedom Forum Berlin“ (MFFB), der DIG AG Frankfurt und dem Jugendforum Frankfurt.

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3 Antworten

  1. Historiker Jeffrey Herf
    „Wer die Hamas-Charta kennt, war nicht überrascht“. Ja, in der Tat, die wenigsten waren nicht überrascht.

    4
    1. Sie meine Armme und Geheimdienste. Da können Sie Recht haben. Aber was die Morde angeht bin ich nicht uberrast. Der Hasspegel ist so hoch das Hamas Leute zum Tieren mutiert haben. Entschuldigung, wollte Tiere nicht beleidigen. Ich habe in Jugend eine Kostprobe davon in Libanon gesehen. Glauben sie mir was ein Mensch einen anderen antunn kann bringt kein Tier fertig.

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