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Präsident und Tora-Schüler: Javier Milei

Als der „Anarchokapitalist“ Javier Milei im November die Präsidentschaftswahlen in Argentinien gewann, war das für viele Beobachter ein Schock. Manche sehen darin aber auch eine Chance für das Land. Ein genauer Blick zeigt: Javier Milei ist ein enger Freund Israels, der sogar die Tora studiert.
Von Jörn Schumacher

Als nach der Stichwahl am 19. November feststand, dass der künftige Präsident Argentiniens Javier Milei heißen würde, war das eine Überraschung. Der 53-Jährige war bekannt geworden durch provokante Auftritte in Radio und Fernsehen, seine stets ungekämmten Haare brachte ihm den Spitzamen „La Peluca“ („Die Perücke“) ein, auch „Der Verrückte“ wurde er lange genannt. Im Wahlkampf zog er mit einer Kettensäge durchs Land, um die Zerstückelung des ineffizienten argentinischen Staates zu symbolisieren. Am kommenden Sonntag wird Milei vereidigt, seine Amtszeit wird bis zum 10. Dezember 2027 dauern.

Der Wirtschaftswissenschaftler hat einen besonderen Faible für Israel. Vor der Wahl kündigte er an, die argentinische Botschaft nach Jerusalem verlegen zu wollen – ein Zeichen dafür, einen anderen Blick auf die Politik dieses Landes zu haben als viele andere Staats- und Regierungschefs von Ländern, deren Botschaften in Tel Aviv liegen. Doch der Katholik Milei hat darüber hinaus eine besondere Beziehung zum Judentum.

Milei ist der Sohn eines Busfahrers, der sich später ein eigenes Transportunternehmers aufbaute. Der Vater habe ihn oft geschlagen, sagte der designierte Präsident. Guten Kontakt hatte er vor allem zu seiner Schwester, die auch heute noch seine engste Vertrauten ist. Er hatte schon früh den Spitznamen „der Verrückte“, spielte in einer Coverband der Rolling Stones und war eher Einzelgänger. Bis heute ist er unverheiratet.

Milei studierte Wirtschaftswissenschaften, arbeitete als Volkswirt bei einer Versicherung und bei einer Finanzberatung, unter anderem bei der Investmentbank HSBC. Dann hatte er an zwei Universitäten in Argentinien Professuren inne. Bekannt wurde Milei durch provokante Auftritte im Radio und im Fernsehen. Die „Neue Zürcher Zeitung“ beschrieb den Politiker als eine „Mischung aus Rumpelstilzchen und einem Rock’n’Roller“.

Milei ist Anhänger eines „Anarchokapitalismus“, demzufolge sich die Politik weitestgehend aus dem freien Markt heraushalten müsse für eine Prosperität aller. Der Politiker gründete 2021 die libertäre, konservative und ultrarechte Parteienkoalition „La Libertad Avanza“ (LLA). Zu den wichtigsten Zielen gehören ein möglichst minimalistischer Staat, der nur die allernötigsten Funktionen ausübt. Milei will umfassende Privatisierungen durchsetzen, den Peso durch den US-Dollar ersetzen, eine Liberalisierung des Waffenrechts und die Legalisierung von Marihuana-Konsum.

Versöhnung mit dem Papst

Der designierte Präsident spricht sich für die gleichgeschlechtliche Ehe aus und ist Anhänger der freien Liebe. Er lehne die Ehe ab, sagte er in einer Fernsehsendung, er wolle da „keine Vorschriften“. Gleichzeitig befürwortet er ein striktes Abtreibungsverbot, selbst in Fällen von Vergewaltigungen. Milei kündigte zudem an, das Frauenministerium und das Nationale Institut gegen Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus abzuschaffen. Acht von 18 Ministerien sollen aufgelöst werden, ebenso wie die Zentralbank des Landes.

Milei bezeichnet sich als Katholik, er lehnt allerdings die Autorität der römisch-katholischen Kirche ab. Im Wahlkampf zog er immer wieder auch biblische Motive mit ein. Häufig lässt er ein Schofar-Horn blasen. Das Symbol seiner Bewegung ist ein Löwenkopf, einer seiner Schlachtrufe lautete: „Ich bin nicht gekommen, um Lämmer zu führen, sondern um Löwen zu wecken.“

Im Wahlkampf kritisierte er Papst Franziskus, seinen Landsmann. Der lehne den Liberalismus ab und fördere damit die Armut, sagte Milei. Wenn jemand das Privateigentum in Frage stelle, könne die Wirtschaft eines Landes nicht wachsen. Umgekehrt sprach Papst Franziskus in einem Fernsehinterview wenige Tage vor der Stichwahl – ohne Milei beim Namen zu nennen – von „messianischen Clowns“, die ihn an den Rattenfänger von Hameln erinnerten. Die argentinische Kirche hatte sich im Wahlkampf eindeutig gegen Milei positioniert.

Inzwischen scheint sich das Verhältnis zwischen Milei und dem Papst aber zu verbessern; nach seiner Wahl lud der zukünftige Präsident den Pontifex nach Argentinien ein. Der Papst wiederum schickte ihm und seiner Vizepräsidentin Rosenkränze.

Fan des Judentums

Seit einigen Jahren befasst sich Milei intensiv mit dem orthodoxen Judentum. Wie die israelische Tageszeitung „Ha’aretz“ berichtet, erklärte der argentinische Rabbiner Fabián Skornik einmal, wie es dazu gekommen sein mag: Als Milei an der Universität Wirtschaftswissenschaften lehrte, sei ihm ein Student aufgefallen, der besonders intelligente Fragen stellte. Als er mehr über den Studenten wissen wollte, stellte sich heraus, dass dieser den Talmud studierte, was Milei offenbar so beeindruckte, dass er selbst mit dem Lesen jüdischer Schriften begann.

Der neue Präsident Argentiniens besucht regelmäßig den Leiter einer argentinisch-marokkanischen jüdischen Gemeinde mit Sitz in Buenos Aires, Axel Wahnish. Der Geistliche helfe ihm, die Welt ein bisschen besser zu verstehen, sagte Milei.

In einem Interview der spanischen Zeitung „El Pais“ sagte der Politiker im Juli 2023: „Der Rabbi hilft mir, die Tora zu studieren, und er meint, ich könne sie auch aus einer ökonomischen Perspektive lesen.“ Die jüdische Gemeinde des Landes ist mit 250.000 Mitgliedern eine der größten in Lateinamerika.

Das geistliche Oberhaupt des „Centro Unión Israelita de Cordoba“ und der ehemalige Präsident der Lateinamerikanischen Rabbinerversammlung, Rabbi Marcelo Polakoff, sagte, er glaube, dass eine große Mehrheit von wahrscheinlich 70 Prozent der jüdischen Wähler in Argentinien ihre Stimme für Milei abgegeben habe, auch wenn er dazu keine Statistik habe.

„Ich werde international als ein Freund Israels gesehen“

Im September sagte Milei dem Fernsehsender „La Nacion“: „Ich gehe nicht in die Kirche, sondern in den Tempel. Ich spreche nicht mit einem Priester, ich habe einen Rabbiner. Ich studiere die Tora. Ich werde international als Freund Israels und als Tora-Schüler gesehen.“

Als Milei im November seine erste Auslandsreise nach seiner Wahl zum Präsidenten nach New York antrat, besuchte er das Grab von Menachem Mendel Schneerson, dem 1994 verstorbenen Führer der Lubawitsch-Bewegung. Vor der Wahl hatte Milei gesagt, dass dies ein Ort sei, den er als erstes nach seiner Wahl besuchen wolle, neben dem Land Israel.

Auf die Frage, ob er zum Judentum konvertieren wolle, sagte Milei: „Ich bin ganz nah dran.“ Doch ein Vertrauter, der Milei mit Wahnish bekannt gemacht hatte, sagte einem AFP-Bericht zufolge: „Derzeit befindet er sich nicht in einem Konvertierungsprozess.“ Der 24-Jährige fügte hinzu. „Er wird keine politischen Entscheidungen auch auf der Grundlage der Tora treffen. Für ihn ist das Studium der Thora eine rein spirituelle Angelegenheit, bei der es um das Interesse an Wissen geht.“

Vor der Wahl hatte Milei in einem Interview der „Times of Israel“ angekündigt, er werde „selbstverständlich“ die Botschaft nach Jerusalem verlegen. Er bewundere Israel, weil das Land es schaffe, „die geistliche Welt mit der wirklichen Welt zu kombinieren“. Die voraussichtliche Außenministerin seiner kommenden Regierung, Diana Mondino, sagte, ein sofortiger Wechsel nach Amtsantritt sei angesichts des Krieges Israels mit der Hamas allerdings nicht wahrscheinlich.

Keine voreilige Hoffnung

Laut einem Bericht der „Jerusalem Post“ besuchte Milei vor kurzen ein Viertel in Buenos Aires, das für seine große Zahl orthodoxer Juden bekannt ist. Während seines Besuchs im jüdischen Zentrum „Hevrat Pinto“ nahm er an der Hawdala-Zeremonie teil, bei der am Samstagabend bei Nachteinbruch das Ende des Schabbat ausgerufen wird. Milei erhielt dabei einen besonderen Segen vom kabbalistischen Rabbi David Pinto. Ein Video davon veröffentlichte einer der Anwesenden über X (ehemals Twitter). Milei bekräftigte, er werde der jüdischen Gemeinde des Landes und dem Staat Israel zur Seite zu stehen.

Wie „Ha’aretz“ berichtet, blieben viele Führer der jüdischen Gemeinde Argentiniens aber skeptisch. Milei könnte zwar sehr gute Beziehungen zwischen Argentinien und Israel herbeiführen, sagte Rabbi Marcelo Polakoff. „Aber es gibt andere, die glauben, dass diese herzliche Umarmung für uns gefährlich werden könnte.“

Dina Siegel Vann, Direktorin des Instituts für latinische und lateinamerikanische Angelegenheiten beim „American Jewish Committee“, sagte, es sei verfrüht, Mileis Wahl als Sieg für die jüdische Gemeinde zu sehen. „Er sagt definitiv die richtigen Dinge“, bemerkte sie. „Er hat ein Gespür für jüdische Themen und hat bei einem Rabbiner studiert.“ Aber der neue Präsident sei noch eine „unbekannte Größe“, die „kontroverse Aussagen“ zu brisanten Themen mache; so habe er sich beispielsweise gegen Sexualerziehungskurse ausgesprochen, er wolle die Zentralbank abschaffen und er glaube nicht an den Klimawandel.

Rabbi Alejandro Avruj, das geistliche Oberhaupt der Kongregation Amijai in Buenos Aires, ist nach eigener Aussage am meisten beeindruckt von Mileis starker Reaktion auf den Terroranschlag der Hamas im Süden Israels am 7. Oktober. „Er verurteilte die Hamas sofort als Terror-Organisation – was unsere letzte Regierung nicht getan hat, obwohl 20 der von der Hamas gefangenen Geiseln argentinische Staatsbürger sind.“ Von der bisherigen Regierung könne er ohnehin nicht sagen, dass sie viel Gutes für die jüdische Gemeinschaft getan habe.

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10 Antworten

  1. Lateinamerika ist nicht verloren, der linke Antisemitismus hat eine Schlacht verloren. Javier Milei ist unser Mann.

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  2. Eine sehr extravagante Persönlichkeit, ob er sich zum Freund eignet, wird man noch beobachten müssen.
    Lieber Gruß, Martin

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    1. @Untertan
      Milei, so wie wir ihn schätzen, würde gern Ihr Freund sein und mit Ihnen durch dick und dünn gehen…

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  3. Gute Nachrichten braucht diese Welt ! Ich wünsche Javier Milei viel Erfolg für die Regierungsarbeit und wünsche mir, dass sich Europa nun mehr engagiert in Argentinien. Deutschland hat auch da eine böse Vergangenheit, die BRD unterstütze lange Zeit den Argentinischen Faschismus in den 70er und 80er Jahren.
    Javier Milei ist für uns alle ein Hoffnungsschimmer in dieser schwierigen Welt.

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    1. Javier Milei ist für uns alle ein Hoffnungsschimmer in dieser schwierigen Welt.

      Da muss ich Ihnen sehr deutlich widersprechen!

      Only Jesus = Hoffnung, Weg und Wahrheit

      Lieber Gruß, Martin

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      1. Jesus selbst hat von den Auserwählten gesprochen, die da kommen werden. Dazu zähle ich z.B. Mutter Teresa, Jan Hus und Martin Luther King u.v.a. Ohne diese Vorbilder wäre der Glauben vorbei. Javier Milei ist für mich ein eingepfropfter Zweig des Baumes, an den ich glaube. Er bringt neue Ideen mit, ich bin gespannt, was er in der Politik umsetzen wird. Ich bin kein Anhänger von „Only Jesus“, Jesus hat ja auch die Jüdische Lehre bestätigt und dachte auch an diejenigen, die über ihn lästern werden: Sünde wider den Heiligen Geist, die Worte gegen den Sohn werden vergeben, die Worte gegen den Heiligen Geist werden nicht vergeben. Ich glaube daran, dass Jesus sein Wort halten wird, die Menschen jüdischen Glaubens, die die Gebote u. Gesetze der Tora lehren und sie auch einhalten, sind groß angesehen bei Gott. Jesus wird viele aus Seinem Volk begrüßen werden in der anderen Welt.

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  4. Wer von Volkswirtschaft nur irgendeine Ahnung hat wird Mileis ‚Programm‘ als kompletten Irrsinn sehen:
    ein Verelendungsprogramm+ein Marsch hin zur wirtschaftlichen Auslöschung des Landes setzt Mileis seine Ideen tatsächlich um. Nebenbei: Kenntnisse der Thora (ob Mishna oder anderer Teile) sind nicht immer Ausweis von ‚Intelligenz‘.

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    1. @Hans Gielessen
      Milei ist ein genialer Politiker und Volkswirt mit einem genialen Wirtschaftsprogramm, das die Landesleute dazu motiviert sich mehr anzustrengen, mehr zu arbeiten um mehr zu erreichen. Weniger Sozialstaat, weniger Staatsverschuldung ist immer gut.

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      1. Albert, das absolute Abtreibungsverbot inclusive dem Zwang zum Austragen eines Kindes nach Missbrauch, Inzest und Vergewaltigung sind auch gut. Ebenso die Privatisierung von Bildung und Gesundheitswesen.
        Durch ersteres sorgt man für ständigen Nachschub an Billiglohnsklaven, durch zweiteres dafür, dass diese nicht zu schlau werden und rechtzeitig abtreten, sobald sie nicht mehr profitabel sind.

        Der Präsi nimmt flüsternd den Pfaffen am Arm: Halt Du sie dumm, ich halt sie arm!

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        1. @Agnes
          Abtreibung ist ein Tötungsdelikt. Die Privatisierung von Bildung und Gesundheitswesen eine absolute Notwendigkeit um die Akademisierung zu reduzieren. Wer hart arbeitet, ist leider der Dumme, das nennen wir Dekadenz.

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