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Was es mit der Militäroperation in Nordisrael auf sich hat

Zunächst nahmen Einwohner unter ihren Häusern Geräusche wahr, dann folgte ein „gewaltiger Truppenaufmarsch“. Die israelische Armee hat mit einer großangelegten Operation zur Enttarnung von Terrotunneln der Schiiten-Miliz Hisbollah begonnen. Die Hintergründe.
Die Kleinstadt Metulla an der israelisch-libanesischen Grenze: Hier hatten Bewohner Erschütterungen vernommen

Um Punkt 7:30 Uhr am Dienstagmorgen gab die militärische Pressezensur eine wichtige Mitteilung des Militärsprechers frei. Der verkündete den Beginn der Militäroperation „Nördlicher Schutzschild“ an der Grenze zum Libanon. Rundfunkreporter erzählen, dass sie über die Pläne der Armee keine Minute früher berichten durften, obwohl sie schon Bescheid wussten.

Kriegsgegner können beruhigt sein, denn vorerst wird nicht scharf geschossen und menschliche Opfer gibt es auch keine. Bisher ist der neue „Krieg“ geografisch beschränkt und spielt sich lediglich auf einem Feld westlich des winzigen Dorfes Metulla ab – zwischen der „Blauen Linie“ und den nur 50 Meter von der Grenze zum Libanon entfernten Häusern am Rand der nördlichsten israelischen Ortschaft.

„Blaue Linie“ nennt die UNO diese Grenze zwischen Israel und dem Libanon, nachdem sie ihren genauen Verlauf im Juni 2000 vermessen hat, um festzustellen, ob Israel sich tatsächlich „vollständig“ aus dem Süden des Nachbarstaates zurückgezogen habe. Gleichwohl gibt es bis heute Streitigkeiten, weil der Libanon dieser Grenzziehung nicht zustimmt und behauptet, dass Israel an einigen Stellen immer noch libanesisches Territorium besetzt halte.

„Gewaltiger Truppenaufmarsch“

Seit der Aufteilung des Nahen Ostens zwischen Briten und Franzosen 1916, nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches, ist nicht nur diese Grenze umstritten. Das kann jederzeit von der einen oder anderen Seite als Anlass genommen werden, in den Krieg zu ziehen. Diesmal hat die UNO jedoch so exakte Arbeit geleistet, dass die „Blaue Linie“ an einer Stelle sogar quer durch das Grab eines „Heiligen“ führt. Auf der libanesischen Seite wird der muslimische Heilige Scheich Abad verehrt. Auf der israelischen Seite liegt da Rabbi Aschi. Zwischen zwei Dritteln der Leiche des libanesischen Scheich Abad und einem Drittel des israelischen Rabbi Aschi trennt nun ein hoher Zaun.

Die jetzige Militäroperation begann damit, dass ein Feld an der Grenze zum „militärischen Sperrgebiet“ erklärt wurde. Die Bauern, die dort Apfelbäume pflegen, durften nicht mehr ihre Felder bestellen. Dem folgte laut Medienberichten ein „gewaltiger Truppenaufmarsch“. Am Vormarsch waren Bulldozer, Bohrmaschinen und anderes Baugerät beteiligt. Im ganzen Norden Israels wurde die Armee wegen der Militäroperation in den höchsten „Alarmzustand“ versetzt. Einige wenige Reservisten wurden eingezogen, vor allem Bauingenieure.

Der „Feind“ waren weder schießende Soldaten noch Panzer oder Abschussrampen der über 100.000 im Libanon bei der Hisbollah eingelagerten Raketen. Mit genauer Zieltechnik können sie angeblich jeden Punkt in Israel treffen. Der Feind bestand zunächst aus „Gerüchten“ von Einwohnern Metullas, die unter ihren Häusern unklare Erschütterungen bemerkt und gewisse Geräusche gehört hätten. Seit mindestens vier Jahren prüfen Experten des Militärs diese Behauptungen, aber erst jetzt kamen sie ihnen auf die Spur: Im Felsen tief unter den Häusern von Metulla entdeckten sie einen Tunnel, den die Hisbollah angeblich unter der Grenze hinweg nach Israel hinein grabe.

Armee schon länger informiert

Die Hisbollah-Miliz hatte vor einigen Tagen selber einen Hinweis zu dem Projekt geliefert. Sie behauptete, nach Ausbruch des nächsten Krieges sogar Teile von Galiläa im Norden Israels erobern zu können. Dazu müssten freilich Kämpfer nach Israel eindringen. Da die Grenze oberirdisch bewacht und befestigt ist, kann das aber nur unterirdisch geschehen, also durch Angriffstunnel, wie sie die Hamas im Gazastreifen bis tief in israelisches Gebiet gegraben hat.

Auch ohne die Warnungen der Hisbollah anhand von Videofilmchen waren Israels Militär- und Regierungsspitze offenbar schon seit einiger Zeit umfassend informiert. Nach dem plötzlichen Rücktritt von Verteidigungsminister Avigdor Liberman und den nachfolgenden Drohungen von Ministern, die Regierung zu stürzen, hatte Premierminister Benjamin Netanjahu über eine „kritische Bedrohungssituation“ gesprochen. In einer solchen Zeit sei es „unverantwortlich“, eine Regierungskrise auf die Spitze zu treiben oder Neuwahlen auszurufen. Niemand verstand, worum es ging. Denn gerade erst war doch eine akute Krise im Gazastreifen entschärft worden. Nach einem gescheiterten tödlichen Kommandounternehmen der Israelis und 400 auf Israel abgeschossenen Raketen der Hamas war wieder Ruhe eingekehrt. Rätselraten löste auch der überstürzte Flug des Premiers nach Brüssel aus, um sich dort drei Stunden lang zu einem Gespräch mit US-Verteidigungsminister Mike Pompeo zu treffen.

Erst nach der Rückkehr Netanjahus kam die überraschende Mitteilung des Militärsprechers, dass „Krieg ausgebrochen“ sei, freilich mit der Betonung darauf, dass sich das Kriegsgeschehen allein auf der israelischen Seite der Grenze abspiele, mit Bohrmaschinen und anderem Werkzeug, um dort vermutete Tunnel zu entdecken.

Libanon beschwert sich bei UNO

Am Dienstagmittag dann verlautete, dass man nahe dem libanesischen Dorf Kafr Kila einen etwa zwei Meter hohen Tunnel entdeckt habe, der in der Tiefe von über 20 Metern etwa 40 Meter weit in israelisches Gebiet hineinreiche und nun zur Zerstörung vorbereitet werde. Laut Armeeangaben startet der Tunnel auf libanesischer Seite unter einem zivilen Gebäude. Die Armee veröffentlichte ein Video, das zwei Männer in einem Tunnel zeigt, die von einem israelischen Armee-Roboter aufgeschreckt werden. Man handele, bevor die Tunnel zu einer direkten Bedrohung für israelische Zivilisten und Soldaten werden könnten, erklärte Armee-Chef Gadi Eisenkot. Weiter hieß es, dass sich die angekündigte Militäroperation noch dutzende Kilometer und auf weitere unterirdische Gänge ausweiten werde, nämlich entlang der ganzen Grenze zum Libanon. „Wir sind erst an Tag eins dieser Operation“, betonte ein Armee-Sprecher.

Die Tunnel seien Teil einer „Anstrengung von einer Breite und Tiefe, wie wir es noch nicht gesehen haben“, kommentierte Netanjahu, der seit dem Rückzug Liebermans auch als Verteidigungsminister fungiert. „Und er ist auch Teil eines regionalen und globalen Terrorismus, angeführt vom Iran.“ Die Islamische Republik habe den Bau der Tunnel aktiv unterstützt. Letztlich sieht Israel die Verantwortung für sämtliche Terroraktivitäten, die von libanesischem Boden ausgehen, jedoch bei der libanesischen Regierung.

Die zieht unterdessen Truppen an der Grenze zusammen und wirft Israel vor, nach „eingebildeten Tunneln“ zu suchen. Eine entsprechende Beschwerde sei schon bei der UNO eingereicht worden, um eine Entschärfung der „Krise“ mit dem Einsatz von UNO-Truppen herbeizuführen. Denn die israelische Suche nach Tunnels nahe der Grenze verstoße eindeutig gegen die während des „Libanon-Krieges“ von 2006 verabschiedete UNO-Resolution 1701. Umgekehrt wirft Israel der Hisbollah vor, mit dem Bau der Tunnel dieselbe Resolution und damit letztlich Israels Souveränität verletzt zu haben.

Ähnlich sieht es das Weiße Haus in Washington. Die Amerikaner unterstützen Israels „Recht auf Selbstverteidigung“. „Außerdem rufen wir den Iran und alle seine Verbündeten dazu auf, die regionale Aggression und Provokation zu stoppen, die eine inakzeptable Bedrohung für Israel darstellen“, sagte der Nationale Sicherheitsberater John Bolton. Auch aus dem russischen Außenministerium hieß es, Israel dürfe sich zweiffellos selbst verteidigen. Allerdings hoffe man, dass die Armee bei ihrem Vorgehen nicht gegen UNO-Resolutionen verstoße.

Von: Ulrich W. Sahm

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