Die Verbindung zwischen Volk und Land Israel

Zeiten der Zerstreuung bedeuten großes Leid für Israel, aber auch großen Segen für die Nationen. Umgekehrt bringt die Wiederherstellung Israels Segen für das Volk und das Land, aber auch Gericht für die Heidenvölker mit sich.
Von Nicolas Dreyer

ALTDORF BEI NÜRNBERG (inn) – Ein Verständnis von der Geschichte Gottes mit seinem Volk und dem Land Israel kann für Christen einen Perspektivwechsel mit sich bringen. Das betonte der Theologe David Kissling in einer Predigt in der Christusgemeinde Altdorf bei Nürnberg.

Kissling ging von der Berufung des Erzvaters Abraham (1. Mose 12,1–3+7) aus, ein Segen für alle Völker zu sein und das Land Israel zu erben. Er umriss in dem Vortrag am 27. Juli die Heilsgeschichte bis in die heutige Zeit der zunehmenden Rückkehr des jüdischen Volkes nach Israel.

Die Berufung Abrahams sei auf Isaak und Jakob übergegangen. Letzterer habe im Ringen mit Gott bestanden; ihm sei von Gott der neue hebräische Name „Jisrael“ verliehen worden. Dieser verbinde die hebräische Bezeichnung für Gott („El“) mit der Zukunftsform des Verbes „herrschen“ (basierend auf dem Verb „sarar“) und bedeute: „Es wird herrschen Gott“ – „Jisrael“. Der Name bringe somit Gottes Vorhaben zum Ausdruck, sein Reich in der Welt aufrichten zu wollen

Damit sei das Land, gezeichnet durch den Namen „Jisrael“, zu einer „Projektionsfläche“ für den Plan Gottes geworden. Dabei habe das Volk den Auftrag bekommen, auf dieser „Projektionsfläche“, die die Landkarte der Region prägt, das Gefäß Gottes für seine Botschaft gegenüber der Menschheit zu werden.

Raschis Argument für das jüdische Erbe des Landes Israel

Der Prediger verwies auf den in der jüdischen Bibelauslegung und in Israel bis heute hoch geachteten Kommentator Rabbi Schlomo ben Jitzhak (1040–1105). Der bedeutende mittelalterliche Tora- und Talmudgelehrte im französischen Troyes, der auch in Worms wirkte, wird in der jüdischen Tradition oft nur mit seinem Akronym bezeichnet – Raschi. Er sei auf die Frage eingegangen, warum die Tora mit der Schöpfung beginne.

Raschi habe dazu aus Psalm 111,6 zitiert: „Die Kraft seiner Taten hat er seinem Volk kundgemacht, ihnen das Erbe der Nationen zu geben“ (Elberfelder). Der Gelehrte habe argumentiert, der Schöpfung liege die Allmacht Gottes zugrunde. Deren Erkenntnis könne auch helfen, den Anspruch Israels auf das Land zu bekräftigen.

Raschi lehrte demnach, dass die Schöpfung den souveränen Willen Gottes verkörpere. Damit verteidige Gott auch seine Entscheidung, das Land Israel als „Erbe der Nationen“ seinem Volk zu geben. Raschi habe auf prophetische Weise erkannt, dass eines Tages die Völker der Welt sinngemäß zu Israel sprechen würden: „Ihr seid Räuber, denn Ihr habt das Land der sieben Nationen eingenommen“.

Vorwurf des „Landraubs“

Kissling ergänzte, dass heute genau dieser Vorwurf wieder erhoben werde. Die Medien würfen Israel völkerrechtswidriges Handeln vor nach dem Motto: „Ihr seid Räuber, ihr setzt euch in dieses Land, baut Siedlungen und vertreibt die Menschen von dort.“  Dies sei derselbe Vorwurf, den Raschi vor fast tausend Jahren antizipiert habe.

In einer Mischung aus Rück- und Vorausblick habe Raschi eine Antwort vorgeschlagen: Die Israeliten sollten ihnen entgegnen, die ganze Erde gehöre dem Heiligen, gelobt sei er. Er habe sie erschaffen, wovon der Schöpfungsbericht Zeugnis ablege. Daher könne er die Erde geben, wem er wolle. Gott habe nach seinem Willen das Land anderen Völkern gegeben, es ihnen aber wieder genommen, um es dem Volk Israel zu geben.

Der Predigtvortrag veranschaulichte, dass es Christen helfen kann, Raschis Gedankengänge nachzuvollziehen und die Fragestellung und seine Antwort zu vergegenwärtigen: Wem gehört das Land? Gehört es dem Volk Israel? Nein! Denn es gehöre dem Ewigen, Gott! Es gehöre weder Israel noch den Nationen.

Gott gebe es zum Erbe, wem er will. Und er habe es als Erbe dem Volk Israel überlassen, zur Pacht mit Nutzungsrechten, nicht jedoch zum Eigentum. Das Land Israel sollte zu einer Projektionsfläche für Gottes Pläne werden. Zu manchen Zeiten bedeutete dies, dass es im Besitz der Nationen gewesen sei, und zu anderen Zeiten, dass es im Besitz Israels gewesen sei.

Die nationalreligiöse Bewegung und die orthodoxen Siedler folgen dieser Deutung zufolge auch heute der Argumentation Raschis: Sie behaupteten nicht, das Land gehöre ihnen, sondern es gehöre Gott. Dieser habe es ihnen jedoch gegeben, damit es ihnen zum Segen würde.

Daher sei die zionistische Einstellung der Siedler theologisch begründet: weil sie das Land als Auftrag Gottes verstünden, es zu nutzen und zu bebauen, könnten sie nicht länger in New York oder anderswo in der Diaspora leben. Denn sie fühlten sich verpflichtet, das Land Israel, einschließlich Judäas und Samarias, wieder zu besiedeln.

Foto: Nicolas Dreyer
Von alten Gemäuern in Nabi Samuel lassen sich die Bauten moderner jüdischer Siedlungen in Judäa erblicken

Besiedelung des Landes als biblischer Auftrag

Ein neutestamtlicher Vergleich, bei dem es allerdings nicht um das Land Israel gehe, ist für Kissling das Gleichnis Jesu von den anvertrauten Talenten (zum Beispiel Matthäus 25,14–30). Darin gebe der Chef seinen Verwaltern verschiedene Talente und erwarte, dass sie diese gewinnbringend einsetzten. Am schlechtesten komme derjenige hinweg, der seine Talente vergrabe habe. Analog zur Botschaft des Gleichnisses verstünden die israelischen Siedler in Judäa und Samaria, dem Westjordanland, ihren Auftrag so, dass sie das anvertraute Land wieder fruchtbar machen sollten.

Der jüdische Auftrag, das Land zu bevölkern, heiße jedoch nicht, dass nichtjüdische Bewohner darin nicht leben dürften, unterstreicht der Prediger. Die ganze Geschichte des Landes sei davon geprägt, dass immer Fremde im Lande lebten – sogenannte „Fremdlinge“ in manchen Bibelübersetzungen. Die mosaische Gesetzgebung sei ebenfalls von dieser Realität durchdrungen: viele Regelungen bezögen sich auf die Gleichbehandlung von Juden und Nichtjuden im Land Israel. Die Tora lege den Fremden in vieler Hinsicht dieselben Rechte und Pflichten auf wie den Israeliten.

Israel als „Projektionsfläche“ der Pläne Gottes

David Kissling betrachtet die wechselhafte Geschichte des Volkes mit dem Land Israel als „Projektionsfläche“ göttlicher Absichten. Wer die Geschichte Israels verstehen wolle, könne sich eine Landkarte als eine Art Leinwand vorstellen, auf die Gott seine heilsgeschichtlichen Absichten projiziere.

Zeiten der politischen Eigenständigkeit im Land hätten sich wiederholt mit Zeiten des Exils und der Diaspora des Volkes Israel und später des Judentums abgewechselt. Diese unterschiedlichen Epochen in der israelitischen und jüdischen Geschichte seien jedoch heilsgeschichtlich bedeutsam gewesen, sowohl für Israel, als auch für die Nationen.

Allerdings seien sie dies auf gegensätzliche Art und Weise gewesen: Zeiten der Zerstreuung seien für die Israeliten und Juden aus biblischer Sicht immer Zeiten des Gerichts gewesen, oft begleitet von Verfolgung in der Diaspora.

Für die Heidenvölker, also die nichtjüdischen Nationen, habe sich jedoch die Präsenz der Israeliten beziehungsweise der Juden eine Zeit des Segens und der Gnade erwiesen. Umgekehrt habe immer wieder die Rückkehr der Juden in ihr Land ein Verlust an Segen für die Völker bedeutet, wenn nicht sogar das Gericht Gottes über die Völker. Indes war der Wiederaufbau der nationalen Unabhängigkeit der Juden immer ein Segen für sie und das Land Israel, das wieder erblühen konnte.

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In der Predigt veranschaulichte Kissling diese Zusammenhänge anhand von Beispielen aus der jüdischen Geschichte. So sei schon Abraham angekündigt worden, dass seine Nachkommen eines Tages für 400 Jahre das Land verlassen müssten. Zu jenem Zeitpunkt habe es das Volk der Israeliten noch nicht gegeben, und sie hätten das Land noch nicht erobert (1. Mose 15,13–16). Sie sollten erst nach vier Generationen zurückkehren – mit der Begründung, dass die Schuld der Amoriter noch nicht voll gewesen sei.

Gott habe Abraham seinen Plan geoffenbart: Er werde seinen Nachkommen das Land zeitweise „verpachten“ und es ihnen später wieder wegnehmen. Er habe noch einen zusätzlichen Plan mit den Völkern im Land, hier den Amoritern. Gott habe ein 400-jähriges Exil angekündigt. Die Israeliten würden wieder zu Sklaven werden, aber letztendlich werde Gott das Volk richten, das sie versklaven sollte.

Wiederholte Zerstreuung und Wiederherstellung

Auch Abrahams Urenkel Josef war nach Kisslings Ausführungen eine solche heilsgeschichtliche Figur, die in Zeiten des Exils für die Nichtjuden, also hier die Ägypter, zum Segen geworden sei. Als Vizekönig habe er in großer Hungersnot die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung sichergestellt sowie das Land und den Pharao damit reich gemacht.

Josef, der im Judentum auch als ein Prototyp des Messias gelte, sei durch sein langes Leben am Hof des Pharao schon so heidnisch geworden, dass seine eigenen Brüder ihn nicht mehr erkannt hätten. Durch die Geschichte Josefs und der Israeliten in Ägypten und den Auszug von dort hätten die Ägypter den lebendigen Gott erkennen können. Der Auszug der Israeliten aus Ägypten sei jedoch mit den vorangehenden zehn Plagen für Ägypten zum Gericht geworden.

Auch andere Phasen von Exil und Wiederherstellung seien vergleichbar verlaufen. Im Exil, das für die Israeliten Vertreibung aus der Heimat bedeutet habe, seien sie zu einem großen Segen für Babylonier wie auch Perser geworden. Als ein Beispiel nannte der Prediger den Dienst der beiden Seher Daniel und Hesekiel in Babylonien und Persien.

Nach der Zerstörung des zweiten jüdischen Tempels in Jerusalem 70 nach Christus und nach dem Ende des Bar-Kochba-Aufstands im Jahr 135 ging die frohe Botschaft, das Evangelium, um die Welt. Dies sei auch durch die Zerstreuung der Juden in die ganze damalige römische Welt ermöglicht worden.

Foto: Nicolas Dreyer
Triumphzug der Römer mit den erbeuteten Schätzen des Zweiten Tempels: Ein Relief im Diaspora-Museum in Tel Aviv stellte die berühmte Szene auf dem Titus-Bogen in Rom dar.

Gott ließ dem Prediger zufolge immer wieder durch seine Propheten, vor allem Jesaja, Jeremia und Hesekiel, verkünden, dass er sein Volk wieder in sein Land zurückziehen werde. Ein herausragendes Beispiel ist Jeremia 23,7–8. Darin habe Jeremia die zukünftige Heimkehr der Juden als viel mächtiger angesehen als den Auszug aus Ägypten, der das israelitische Selbstverständnis so geprägt habe:

Darum siehe, Tage kommen, spricht der HERR, da wird man nicht mehr sagen: So wahr der HERR lebt, der die Söhne Israel aus dem Land Ägypten heraufgeführt hat! – sondern: So wahr der HERR lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel heraufgeführt und sie gebracht hat aus dem Land des Nordens und aus all den Ländern, wohin ich sie vertrieben hatte! Und sie sollen in ihrem Land wohnen.  

Verheißene Sammlung erfüllt sich erst jetzt

Eine verbreitete Meinung in der Theologie, dass die verheißene Rückkehr ins Land Israel sich schon in der Zeit des persischen Königs Kyros, von Esra und Nehemia erfüllt habe, kann Kissling nicht überzeugen. Denn die Mehrheit der Juden sei in Babylonien geblieben und nicht in ihr Land zurückgekehrt.

Selbst circa 500 Jahre später, zur Zeit Jesu, sei das Judentum überwiegend babylonisch gewesen. Auch der wichtigste jüdische Kommentar, der Talmud, sei im babylonischen Exil in den Jahrhunderten nach der Zerstörung des Tempels entstanden.

Foto: Nicolas Dreyer
Ein Fries im Museum der Davidszitadelle in Jerusalem zeigt das Edikt von König Cyrus (2. Chronik 36,22–23) …
Foto: Nicolas Dreyer
… und die Rückkehr babylonischer Juden nach Zion

Kissling empfahl, dazu die letzte Frage der Jünger Jesu an ihren Meister, bereits nach seiner Auferstehung und vor unmittelbar der Himmelfahrt, zu betrachten: „Sie nun, als sie zusammengekommen waren, fragten ihn und sagten: Herr, stellst du in dieser Zeit für Israel das Reich wieder her?“ (Apostelgeschichte 1,6) Jesu Jünger wollten wissen, ob ihr Herr jetzt erfüllen würde, was die Propheten verkündigt hätten: die Zeit der jüdischen Königsherrschaft wiederherzustellen und das Volk aus der babylonischen Zerstreuung ins Land zurückzuholen. 

Jesus habe seinen Nachfolgern nicht geantwortet, wann sich all dies erfüllen würde. Im Rückschluss habe dies jedoch bedeutet, dass sich diese Verheißungen zur Zeit Jesu eben noch nicht erfüllt haben konnten. Er gab ihnen den Rat, sich nicht darum zu sorgen, wann Gott sein Reich wiederherstellen würde. Indes sollten sie den Auftrag ihrer Zeit verstehen, das Evangelium – die Botschaft vom Reich Gottes – in alle Welt zu tragen.

Wechselwirkung zwischen Schicksal Israels und der Völker

Kissling führte weiter aus, das Volk Israel habe eine sehr lange Verzögerung erleben müssen. Nun erlebe es in unserer Zeit die Erfüllung dieser Verheißungen der endgültigen Sammlung, damit das Evangelium für die ganze Menschheit zum Segen werden könne.

 „Er sprach zu ihnen: Es ist nicht eure Sache, Zeiten oder Zeitpunkte zu wissen, die der Vater in seiner eigenen Vollmacht festgesetzt hat. Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist; und ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde.“  (Apostelgeschichte 1,7–8)

Den Redner beschäftigte auch die Frage, warum für Christen heute noch das Thema der Sammlung Israels so wichtig sei und sein sollte. Seit der Zerstörung des ersten Tempels bis in die moderne Zeit habe der mehrheitliche Teil des Judentums im Exil gelebt. Noch im Jahr 2019 habe von geschätzten 15 bis 20 Millionen Juden weltweit die Mehrheit außerhalb Israels gelebt. Dies habe sich jedoch inzwischen geändert. Mit mehr als sieben Millionen jüdischen Einwohnern habe Israel heute die größte Konzentration an jüdischer Bevölkerung im weltweiten Vergleich.

Foto: Nicolas Dreyer
Neueinwanderer aus Äthiopien kommen in Israel an. Der Flug 2012 wurde von der International Fellowship of Christians and Jews und dem Ebenezer Hilfsfonds Deutschland e.V. unterstützt.

Aufgrund eines steigenden Antisemitismus ist die Einwanderung nach Israel aus aller Welt demnach in den vergangenen Jahren gestiegen. Besonders aus Frankreich, das in der Nachkriegszeit die größte jüdische Bevölkerung in Westeuropa beherberge, habe die Alija um 400 Prozent zugenommen.

Die Wiederherstellung Israels entwickele sich in unserer Zeit so stark, wie nie zuvor in den vergangenen 2.500 Jahren. Dies sei ein Zeugnis für die Treue Gottes zu seinem Volk. Damit hätten Christen eine vergleichbare Grundlage, auf Gottes Zusagen für die Kirche zu vertrauen, selbst wenn diese oft ihr Ziel verfehlt habe. Genauso habe auch Israel oft als Volk Gottes versagt. Dennoch erlebe es die Gnade der Treue Gottes.

Biblische Verheißungen erfüllen sich wörtlich

Während Christen oft dazu neigten, Gottes Verheißungen zu vergeistlichen und bildlich zu verstehen, ermutigte Kissling zu einem Perspektivwechsel. Gottes Zusagen für Israel seien durchaus wörtlich zu verstehen, argumentierte er. Jedenfalls läsen die israelischen orthodoxen Juden die Bibel genauso. Ein Beispiel sei das prophetische Wort von Jeremia (31,5–6) über die Anpflanzung neuer Weinberge in Samaria – einem Teil des Westjordanlandes, das von der internationalen Staatengemeinschaft als „besetzte Gebiete“ bezeichnet werde.

Dass das Volk und Land Israel trotz aller Anfeindungen der Nationen wieder zu einer Einheit zusammengefügt werde, sei ein Beispiel für die Treue des lebendigen Gottes zu seinem Wort.

„Ich will dich wieder bauen, und du wirst gebaut sein, Jungfrau Israel! Du wirst dich wieder mit deinen Tamburinen schmücken und ausziehen im Reigen der Tanzenden. Du wirst wieder Weinberge pflanzen auf den Bergen Samarias; die Pflanzer pflanzen und werden genießen.“

Während das Land Israel durch die erneute jüdische Besiedlung wieder mit menschlichem Leben aufblühe und mit landwirtschaftlicher Fruchtbarkeit erfüllt werde, führe Gott die Nationen ins Gericht. So sagte der Prophet Joel voraus:

„Denn siehe, in jenen Tagen und zu jener Zeit, wenn ich das Geschick Judas und Jerusalems wenden werde, dann werde ich alle Nationen versammeln und sie ins Tal Joschafat hinabführen. Und ich werde dort mit ihnen ins Gericht gehen wegen meines Volkes und meines Erbteils Israel, das sie unter die Nationen zerstreut haben. Und mein Land haben sie geteilt und über mein Volk das Los geworfen …“

Auch in unserer Zeit wiederhole sich das altbekannte Muster: Die Sammlung und Wiederherstellung Israels werde für Israel zum Segen, nach einer Zeit großer Bedrängnis in der Diaspora. Gleichzeitig werde sie für die Heidenvölker zu einer Zeit des Gerichts, nachdem die jüdische Präsenz unter ihnen ein großer Segen gewesen sei, sagte Kissling.

Die Ursache für das Gericht Gottes sei die Vertreibung Israels durch die Nationen aus seinem Heimatland sowie die Teilung des Landes. Charakteristisch sei, dass auch heute die westliche Welt dogmatisch fordere, das Land Israel müsse geteilt werden. Ein Jeder trete in der Weltöffentlichkeit auf, als ob er berufen sei, ein Wort darüber mitzusprechen, was mit Gottes Land zu geschehen habe.

Dabei könne auch christliche Theologie Anteil an der Zerstreuung Israel haben. Gottes heilsgeschichtliches Vorhaben, zu dem die Sammlung des Volkes ins Land gehöre, werde viel zu oft durch geistliches Allegorisieren und christliche Vereinnahmung ignoriert, ja sogar geleugnet.

Die Bedeutung der Worte von Joel haben laut Kissling heute ungefähr folgende Botschaft für die Völker und die christliche Kirche: Passt auf, wie ihr euch gegenüber Israel positioniert, denn es spiele für Gott eine Rolle, wir ihr mit Land und Volk verfahrt. Daher sei es so wichtig, das Land Israel als „Projektionsfläche“ der Pläne Gottes zu verstehen.

Entweihung und Heiligung des Namens Gottes

Letztendlich gehe es in Gottes heilsgeschichtlichen Absichten aber nicht in erster Linie um das Schicksal Israels selbst. Seine Motivation sei einzig die Verherrlichung seines Namens. Hesekiel (36,22–23) habe dies im 6. vorchristlichen Jahrhundert im babylonischen Exil verkündet:

„Darum sage zum Haus Israel: So spricht der Herr, HERR: Nicht um euretwillen handle ich, Haus Israel, sondern um meines heiligen Namens willen, den ihr entweiht habt unter den Nationen, zu denen ihr gekommen seid. Und ich werde meinen großen, unter den Nationen entweihten Namen heiligen, den ihr mitten unter ihnen entweiht habt.“

Hesekiel habe den Schmerz Gottes über den Ungehorsam, die Untreue und den Götzendienst des Volkes Gottes zum Ausdruck gebracht. Diese hätten eine Veruntreuung des Landes bedeutet und damit zum Gericht und zur Vertreibung der Israeliten aus ihrem Land geführt. Auch in der Zerstreuung, unter den Heidenvölkern, hätten sie den Namen Gottes entweiht. Denn sie seien gezwungen gewesen, ihr Land zu verlassen. Gott gehe es um seine Ehre, seinen heiligen Namen, den er wiederherstellen möchte – indem er die erzwungene Trennung zwischen Volk und Land wieder aufhebe.

Gott nimmt es nach Ansicht des Redners persönlich, wenn Menschen über seine Zusagen spotten, das Volk Israel wieder in sein Land einzupflanzen. Der protestantische Reformator Martin Luther habe sich zum Beispiel über die Prophetien der Rückkehr lustig gemacht. Er habe die Juden für lächerlich gehalten, die an den alten Prophetien festgehalten hätten.

„Herr, lehre uns beten“

Die erste Bitte, mit der sich die Jünger an Jesu wandten, war die nach dem richtigen Gebet. Jesu Antwort, etwa in Matthäus 6,9–10, richtete sich aus am Prinzip der Heiligung des Namens Gottes: „Betet ihr nun so: Unser Vater, der ⟨du bist⟩ in den Himmeln, geheiligt werde dein Name; dein Reich komme; dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden!“

Für die Jünger sei es selbstverständlich gewesen, dass die Heiligung des Namens Gottes mit der Sammlung Israels verbunden sei. Weil aber die christliche Tradition auch das Vaterunser vergeistlicht und allegorisiert habe, verstünden viele Christen heute nicht mehr, dass das „Reich Gottes“ mit der Rückkehr Israels ins Verheißene Land untrennbar verknüpft sei.

Kissling beendigte seine Predigt mit der Frage, inwieweit die Zuhörer wüssten, dass Gott sein Volk in sein Land zurückrufe; und ob sie sehen könnten, dass Gottes Name dadurch wieder geheiligt würde. Wo dies nicht der Fall sei, liege es mitunter daran, dass unsere Zeitungen und Medien überhaupt nicht darüber berichteten.

Neue Perspektive auf das Land Israel

Daher lohne es sich, den Blickwinkel zu ändern und sich nicht von den Medien und der öffentlichen Stimmung leiten zu lassen, sondern vom Wort Gottes: „Und die Nationen werden erkennen, dass ich der HERR bin, spricht der Herr, HERR, wenn ich mich vor ihren Augen an euch als heilig erweise. Und ich werde euch aus den Nationen holen und euch aus allen Ländern sammeln und euch in euer Land bringen.“ (Hesekiel 36,24)

Foto: Nicolas Dreyer
Vom Karmelgebirge öffnet sich der Blick auch in Richtung Samaria

So habe letztendlich die Wiederherstellung Israels als Nation im Land Israel auch eine heilsgeschichtliche Bedeutung für die gesamte Menschheit. Möglicherweise verspürten die Völker, dass es um viel mehr gehe, als nur um die Frage nach den Grenzen Israels. Deshalb werde die Debatte um Israel so aufgeregt und emotional geführt; deshalb fokussierten sich die Mächte der Welt in besonderem Maße auf diesen kleinen Streifen Land am östlichen Mittelmeer.

David Kissling ist evangelischer Theologe und Mitarbeiter von „Christen an der Seite Israels“. Die Organisation setzt sich seit 1998 für die deutsch-israelische und christlich-jüdische Verständigung ein und fördert humanitäre Projekte in Israel. Sie unterstützt auch die Alija der Juden nach Israel. Die Geschäftsstelle befindet sich im schwäbischen Herrenberg. CSI bietet ein Arbeitsheft zum Thema an.

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6 Antworten

  1. Gestern war Israel-Sonntag und auch dieser Artikel hilft, die Historie und das aktuelle Zeitgeschehen einzuordnen und zu verstehen – danke.
    Ich habe mehrfach Markus Lanz angeschrieben und ihn um Einladung von „Israel-, Bibel- und Historien-Experten“ wie Roger Liebi gebeten. Bisher keine Antwort. Immer bei seinen Themen Gaza und Israel, Naher Osten muss ein Experte dazu, der all diese Zusammenhänge kennt, die auch der Autor dieses Artikels beschreibt.

    Diese Kenntnis klärt auf, zeigt was kommt – die „Zukunft“ wird beschrieben: „Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist …“ (Psalm 33, 12).

    Am Zeitgeschehen können wir alle ablesen, wie diese Bibelstelle gemeint ist. Nur wenn der Mensch, der Verantwortliche in Erziehung, Bildung, Wissenschaft, Forschung, Politik usw. zulässt, dass Gott sein Herr ist, hört all das Leid, die Gewalt, das Unrecht, Lüge und Betrug auf.

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  2. Toller Artikel. Diese Zusammenhänge zu sehen, zu erkennen, ist von essentieller Wichtigkeit.
    Wenn dies nicht erkannt wird, ist es eher unverständlich, nicht nachvollziehbar. Wenn es dann noch verzerrt wird, führt das Unverständliche wohl bei „vielen“ Menschen, die das erste Testament, die Propheten und deren Verheißungen für das jüdische Volk und Erez Israel nicht kennen, zur Rebellion, zum Aufbegehren gegen G’tt und seine Pläne in dieser Welt. Traurig.
    Letztlich scheint es so, dass der Großteil der Menschheit gegen G’tt ist, und damit gegen seine Pläne, sein Volk und vor allem srine Präsenz im Land Israel.
    Aber, sie werden es nicht verhindern können, die biblischen Verheißungen erfüllen sich vor unseren Augen, und wir sehen sie nicht, weil wir sie offensichtlich gar nicht mehr kennen.
    Danke an alle jene, die dies sehen und erkennen und verkündigen.
    G’tt mit all jenen, die für das jüdische Volk in Israel und in dieser Welt einstehen. HERR segne und schütze sie.

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  3. „Christen an der Seite Israels“. Das haben wir gern.
    Theologe David Kissling, der beste Theologe von allen: „Das Schicksal Israels bestimmt das Schicksal der Völker“. Kann man dem widersprechen? Nein.

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    1. Theologen die die Lehre von Menschen bejubeln, die Jesus als Gottes Sohn ablehnen, entlarven sich selbst. Dem muss widersprochen werden!
      Lieber Gruß Martin

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  4. Rabbi Raschi glaubte nicht das Jesus Gottes Sohn sei! Der Talmud bezeichnet „jenen Mann“ (Jesus) als falschen Propheten und Verführer Israels und einiges mehr.
    Traurige 😢 Grüße Martin

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