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Der Krieg in der Hosentasche

Kriege werden heutzutage nicht nur auf dem Schlachtfeld ausgetragen. Auch in den so genannten Sozialen Medien wird parallel zum echten Gemetzel angegriffen, provoziert, gelogen und verteidigt.
Von Jörn Schumacher

Der große Vorteil des Internet: Jeder kann seine Meinung sagen. Der große Nachteil des Internet: Jeder kann seine Meinung sagen.

Früher war die Medienwelt einfach. Da gab es einige Journalisten, die berichteten in die Wohnstuben, was in den Ländern da draußen passierte. Heute gibt es Millionen Berichterstatter, auf allen Straßen, jederzeit bereit: Live-Reporter, Kameramänner und -frauen – dem Smartphone sei Dank.

Nicht erst mit dem Angriff der Hamas auf Israelis am 7. Oktober werden Konflikte in unsere Wohnzimmer getragen; aber seit diesem Tag scheint sich der Social Media-Krieg noch einmal schneller zu drehen und extremer geworden zu sein. Der Krieg ist in der Hosentasche angekommen.

Mehr pro-palästinensische Inhalte als pro-israelische

Es beginnt damit, dass die Hamas-Kämpfer ihre Taten mit Smartphones und Action-Cams social-media-gerecht selbst filmten. Jedem Internet-Nutzer stellt sich da die Frage: Soll man sich diese schrecklichen Dokumente unermesslicher Gewalt und Niederträchtigkeit ansehen, oder nicht?

Einerseits: Ja, denn nur so wird das wahre Ausmaß der Taten deutlich. Andererseits: Nein, denn wer kann sich dem wirklich ohne seelischen Schaden aussetzen? Kann man Gewalt nicht auch dann verurteilen, wenn man sie nicht quasi-live und ruckelig mit der Bodycam festgehalten, selbst gesehen hat?

Facebook, Tiktok und X bringen das Schlachtfeld ins Wohnzimmer und sind selbst zum Schlachtfeld geworden. Die Timeline spielt Videos ab von eben noch tanzenden Festival-Besuchern, die plötzlich vor Gewehrsalven fliehen, oder von blutüberströmten oder toten israelischen Kindern. Menschen, die früher Social Media höchstens nutzten, um ihre Mittagsmahlzeit zu fotografieren oder selbstgebastelte Halloween-Kostüme vorzuzeigen, finden sich plötzlich in einem Disput über die noch schlimmeren Gewaltakte oder die Geschichte des Staates Israel wieder.

Analysen zeigen, dass die pro-palästinensische Seite in den Sozialen Medien deutlich die Oberhand besitzt, berichten die Faktenfinder der Tagesschau. Im Gegensatz dazu hätten es Postings, die den Terror der Hamas oder das Leid der israelischer Geiseln darstellen, schwerer. Ein Grund: Die jeweiligen Plattformen bevorzugen für ihre Timelines vor allem Inhalte, die von vielen positiv bewertet und lange angesehen werden.

Algorithmen verstärken Vorurteile und Lügen in einer Echokammer immer weiter. Die Dienste der Sozialen Medien sehen sich nicht als journalistische Portale, auf denen überprüfbare Nachrichten verbreitet werden. Stattdessen geht es um hohe Klickzahlen.

Auf Instagram gebe es zum Hashtag „FreePalestine“ (Befreit Palästina) 5,6 Millionen Beiträge, beim Hashtag „IsraelUnderAttack“ (Israel unter Beschuss) hingegen lediglich 132.000 Beiträge, stellte Benjamin Gust, Professor der Technischen Hochschule Mittelhessen, fest. Zum Hashtag „FreeIsrael“ gibt es nur 22.300 Beiträge. Bei TikTok wurden Beiträge mit dem Hashtag „FreePalestine“ 23,1 Milliarden mal gesehen, pro-israelische Inhalte hätten nur rund 211 Millionen Aufrufe.

TikTok häufig einzige Informationsquelle

Einem Bericht des Reuters-Institutes für das Jounalismstudium zufolge ist TikTok vor allem bei Jugendlichen beliebt: ein Fünftel der 18- bis 24-Jährigen nutzt TikTok als Nachrichtenquelle. Laut einer Umfrage der Quinnipiac University unterstützen wiederum jüngere Menschen in den USA pro-palästinensische Positionen deutlich öfter als ältere. Die militärische Reaktion Israels auf den Angriff der Hamas unterstützen beispielsweise nur 32 Prozent der 18- bis 24-Jährigen – bei den 50- bis 64-Jährigen sind es 58 Prozent.

Eine Umfrage unter 1.300 Nutzern deutet darauf hin, dass TikTok ein wichtiger Treiber für den aktuellen Anstieg des Antisemitismus ist: Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand antisemitische oder anti-israelische Ansichten vertritt, ist demzufolge um 17 Prozent erhöht, wenn man täglich 30 Minuten auf TikTok verbringt – verglichen mit 6 Prozent bei Instagram und 2 Prozent bei X.

TikTok hat allein in den USA schätzungsweise 150 Millionen aktive Nutzer. Die Plattform belegt bei US-amerikanischen Teenagern den zweiten Platz in der Beliebtheit nach YouTube und weltweit den sechsten Platz in Bezug auf die Anzahl der monatlichen Nutzer unter den Social-Media-Plattformen, hinter Facebook und YouTube.

Hass hat zugenommen

Trotz strenger Anti-Hass-Richtlinien haben Hass und Belästigung auf TikTok in den letzten Jahren stark zugenommen. Laut einer Umfrage der Anti Defamation League ist der Anteil der Erwachsenen, die auf TikTok belästigt wurden, zwischen 2021 und 2023 von 5 Prozent auf 19 Prozent gestiegen. Die ADL hat in ihrem Bericht auch neun antisemitische Memes und Bilder aufgelistet; viele von ihnen verbreiten uralte antisemitische Stereotypen von macht- und geldgierigen Juden.

Man konzentriere sich weiterhin auf die Durchsetzung der „Regeln gegen Hass, schädliche Fehlinformationen und andere rechtsverletzende Inhalte“, teilte Tiktok mit. „Vom 7. Oktober bis 17. November haben wir in der Konfliktregion mehr als 1.164.000 Videos wegen Verstößen gegen unsere Regeln entfernt. Darunter Inhalte, die Hamas, Hassreden, Terrorismus und Fehlinformationen fördern. Weltweit haben wir im gleichen Zeitraum Millionen von Inhalten entfernt.“

In einem „normalen“ Monat vor Beginn des Gazakrieges habe TikTok 21 Millionen gefälschte Konten entfernt; in dem Monat nach dem Beginn seien es 35 Millionen Konten gewesen – ein Anstieg von 67 Prozent. „Wir sind uns bewusst, dass dies für viele in unserer Gemeinschaft eine herausfordernde Zeit ist“, hieß es von TikTok, und weiter: „Hasserfüllte Ideologien sind auf unserer Plattform nicht erlaubt und waren es auch nie.“

TikTok hatte sich auch gezwungen gesehen, Stellung zu beziehen anlässlich eines Videos, in dem eine Amerikanerin erzählt, sie habe Osama Bin Ladens „Brief an Amerika“ aus dem Jahr 2022 gelesen. Darin kritisierte er die USA heftig und versuchte, die Terroranschläge vom 11. September zu rechtfertigen. Das Video wurde – nicht nur bei TikTok – millionenfach angesehen und gelikt. In einer Erklärung sagte TikTok: „Inhalte, die diesen Brief bewerben, verstoßen eindeutig gegen unsere Regeln zur Unterstützung jeglicher Form von Terrorismus.“

Videotagebücher mit Kriegsbeschreibungen

Tägliche Videotagebücher von Nutzern über das Leben in einem Kriegsgebiet überschwemmen die Social-Media-Feeds. Diese Berichte enthalten einige der erschütterndsten Kriegsbeschreibungen. Die im Gazastreifen lebende Journalistin Plestia Alaqad postete kürzlich für ihre 3,6 Millionen Instagram-Follower ein Video, in dem sich der blaue Himmel über ihr mit dem Rauch einer abgeworfenen Bombe füllte.

„Der Himmel gibt mir sonst immer Hoffnung“, schrieb die 22-Jährige Palästinenserin in dem Beitrag, der mehr als 200.000 Likes erhielt. „Aber jetzt sehe ich nur Rauch und Dunkelheit … der Himmel gibt mir keine Hoffnung mehr.“

Der israelische Student Adiel Cohen wiederum ist rekrutierter Reservist der israelischen Armee, der derzeit an der Front an der Nordgrenze Israels steht. Seine Follower-Zahl habe sich seit Kriegsbeginn verdoppelt, sagte er gegenüber „ABC News“. „Wenn es um Aufrufe, Likes und Engagement und sogar um die Menge der veröffentlichten Inhalte geht, sind wir deutlich in der Unterzahl“, sagte der 25-jährige und bezog sich dabei auf pro-israelische und pro-jüdische Inhalte im Vergleich zu palästinensischen Social-Media-Inhalten.

Cohen folgen über 51.000 Personen auf Instagram, 65.000 auf TikTok und über 12.000 auf X. Er wehrt sich gegen die Behauptung, er diene als Botschafter der Regierung oder der israelischen Armee. „Ich bin hier, um über meine Erfahrungen als israelischer Jude zu sprechen, der den Konflikt erlebt und der jahrelang unter Terror und Raketenangriffen gelitten hat.“ Die falsche Ansicht sei sehr verbreitet, dass Israel die Palästinenser unterdrücke. „Für viele Menschen ist es fast unmöglich, zu verstehen, wenn sie im Ausland leben“, sagt Cohen – etwa, dass es Israel nicht um einen Kampf gegen die Palästinenser gehe, sondern gegen die Hamas.

Die Macht des iPhones

„Da ist die Macht des iPhones, das die Menschen zu Medienkanälen für die Demokratisierung von Informationen macht“, sagte Valerie Wirtschafter vom „Brookings Institute“, die die Auswirkungen der neuen Technologien untersucht, gegenüber ABC News. Grundsätzlich sei es sehr wichtig, dokumentieren und teilen zu können, insbesondere an Orten, zu denen Journalisten keinen Zugang haben. „Die Herausforderung besteht darin, dass es mittlerweile ein so großes Informationsvolumen gibt“, ergänzt Wirtschafter.

Die ungefilterten Social-Media-Beiträge aus Gaza sind zu einer wichtigen Informationsquelle für die Welt geworden, da Ägypten und Israel die Einreise in den Gazastreifen kontrollieren und vielen ausländischen Reportern die unabhängige Einreise verwehren. Im aktuellen Gazakrieg berichten Bürgerjournalisten, Filmemacher, Mütter, Dichter, Schriftsteller, Studenten und Fotografen, die in den Sozialen Medien posten.

Die Nachrichtenagentur „Associated Press“ sah sich drei Wochen nach dem Hamas-Angriff gezwungen, vor den vielen Fake News zum Gazakrieg, die in den Sozialen Medien die Runde machen, zu warnen: „In den Tagen seit dem Einmarsch von Hamas-Kämpfern in Israel Anfang des 7. Oktober füllte eine Flut von Videos und Fotos, die den Konflikt zeigen sollten, die sozialen Medien und machte es für Zuschauer auf der ganzen Welt schwierig, Fakten von Fiktionen zu unterscheiden.“

Die ARD-Sendung „Kontraste“ machte einige Inhalte publik, die von der Hamas gefälscht wurden. Da ist etwa ein blutüberströmter palästinensischer Junge auf einem Foto zu sehen – erst bei genauem Blick wird deutlich, dass er sechs Finger hat. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass offenbar eine KI-Software am Werk war.

„Das Internet implodiert vor unseren Augen“

Es deutet nichts darauf hin, dass sich der Krieg der Bilder und des „Hosentaschenjournalismus“ in Zukunft abschwächen wird. Ebenso wie den „echten“ Krieg wird Künstliche Intelligenz ihn wohl eher noch schlimmer machen. „Die KI killt das alte Internet“, schrieb kürzlich ein Kommentator der Neuen Zürcher Zeitung. „Vor unseren Augen entsteht gerade ein neues Web.“

KI könne die Art, wie in der Wissenschaftsgesellschaft Informationen produziert und rezipiert werden, radikal verändern, schreibt der Autor. Denn immer mehr Menschen googeln nicht einmal mehr, sondern fragen KI-Systeme wie ChatGPT nach Informationen. Und die wiederum stückeln sich ihre Informationen aus Bruchstücken auch aus den Sozialen Medien zusammen. Echokammern bilden sich, die sich selbst verstärken.

Chat-GPT weist schon gar keine Quellen mehr aus, mahnt der Kommentator. „Schon jetzt gibt es Befürchtungen, dass KI-Systeme mit KI-generierten Inhalten gefüttert werden und sich gegenseitig kannibalisieren: also nur noch das wiederkäuen, was andere Maschinen vorher ausgespuckt haben“, schreibt der Beobachter. „Das Internet implodiert vor unseren Augen.“

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3 Antworten

  1. KI = künstlich produzierte Verdummung! Wer sich darauf verlässt, ist von allen guten Geistern verlassen. Ausschalten!

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  2. …. googeln nicht einmal mehr!!!, tragisch, bequem Ende nie, das sieht man auch in vielen anderen Bereichen..
    Brot und Spiele war die Devise im alten Rom….Nichts (eigentlich) Neues unter der Sonne……
    Prüfe ALLES…..mahnt dagegen die Bibel

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  3. Wir müssen kämpfen, dass Sozial Media keine israelfeindliche Gleichschaltung erfahren. Am Besten sollte das deutsche Fernsehen sich um Kooperation mit Israelischen Fernsehen und allen Dingen aus Israelischer Sicht bemühen. Die Israel-feindliche Lügen sind so grausam, und bewirken immer mehr Antisemitismus.
    Ich glaube an die Wende zum Guten, die Frage ist nur, wer diese realisieren kann. Kai Wegener ist eine Ausnahme in der ansonsten miserablen deutschen Politik, und die Probleme werden NICHT angegangen. Ich kenne keinen einzigen deutschen Politiker, der die gesamte deutsche Geschichte seit Weihnachten 800 kritisch durchleuchtet. Das braucht es aber, damit wir endlich die nötigen Schlüsse ziehen. Wenn es keine guten Vorbilder in Politik und Medien mehr gäbe, dann kann auch kein Erfolg einer Israel-freundlichen Wende bei den Sozial Medien erfolgen. Israel wird gegen die HAMAS militärisch gewinnen, aber es gibt eine andere bedeutsame Front, diese ist noch schlimmer als die HAMAS: Nämlich die Israel-feindliche Medienhetze in TIKTOK usw. Was ich raten würde: GEMEINSAM für Israel UND Ukraine kämpfen, dann können viele Anhänger/innen in Osteuropa gefunden werden, die sich GEGEN Putin-RUS und für die Bibel engagieren.

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