Ein komplexes Verhältnis zu Israel

Vor 50 Jahren ist Hannah Arendt gestorben. Ihr Werk wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Insbesondere Arendts Berichterstattung zum Eichmann-Prozess schlug hohe Wellen. Auch ihre Haltung zu Israel ist Gegenstand der Debatten.
Von Israelnetz

„Wenn man als Jude angegriffen ist, muss man sich als Jude verteidigen.“ Diesen denkwürdigen Satz äußerte Hannah Arendt in einem Gespräch mit dem Journalisten Günter Gaus, das 1964 im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) ausgestrahlt wurde. „Zur Person“ hieß das Format und Hannah Arendt war die erste Frau, die dazu eingeladen wurde.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die vor 50 Jahren verstorbene politische Theoretikerin bereits viele Stationen hinter sich: 1933 verbrachte sie acht Tage in Gestapo-Haft, flüchtete daraufhin nach Frankreich, verhalf dort jungen Menschen zur Flucht ins damalige Mandatsgebiet Palästina, emigrierte schließlich 1941 mit ihrem zweiten Ehemann in die USA und berichtete 1961 als Reporterin für das amerikanische Magazin „New Yorker“ über den Eichmann-Prozess in Jerusalem.

Hannah Arendt

Hannah Arendt wurde als Johanna Arendt am 14. Oktober 1906 in Linden bei Hannover in eine jüdische Mittelschichtsfamilie geboren und verbrachte ihre Kindheit im preußischen Königsberg (heute Kaliningrad). Schon in jungen Jahren las das wissbegierige Mädchen Kant und Kierkegaard. Nach dem Abitur 1924 studierte sie in Marburg, Freiburg und Heidelberg Philosophie und wurde vier Jahre später promoviert. 1937 erkannte ihr das nationalsozialistische Deutschland die deutsche Staatsbürgerschaft ab, da lebte sie schon als Flüchtling in Frankreich. 1951 wurde die staatenlose Denkerin in den USA eingebürgert und lehrte an verschiedenen Universitäten.

Hannah Arendt begriff sich selbst als zuallererst als Jüdin; „Jude sein gehört für mich zu den unbezweifelbaren Gegebenheiten meines Lebens, und ich habe an solchen Faktizitäten niemals etwas ändern wollen, nicht einmal in der Kindheit.“ Deutsch im Sinne einer Volkszugehörigkeit sei sie nie gewesen, erzählte sie im ZDF-Gespräch mit Gaus. Nach dem Holocaust benannte sie ihre deutsche Muttersprache als das, was ihr an deutscher Identität übriggeblieben ist. „Es ist ja nicht die deutsche Sprache, die verrückt geworden ist“.

Der Eichmann-Prozess

Über den Prozess, der seinerzeit weltweit viel Aufmerksamkeit erregte, schrieb Arendt ihr bis heute umstrittenes Buch „Eichmann in Jerusalem“. Es erschien 1963 zuerst in den USA und ein Jahr darauf in Deutschland. In dem Buch kritisierte sie das Gerichtsverfahren als  „Schauprozess“ und prägte den Ausdruck von der „Banalität des Bösen“.

Damit löste sie prompt eine Kontroverse aus. Arendt wurde vorgeworfen, damit die Taten des NS-Verbrechers, der die Deportation und Ermordung von rund sechs Millionen Juden organisierte, zu verharmlosen. Dagegen verwahrte sie sich entschieden. Nicht die furchtbaren Taten waren in ihren Augen „banal“, sondern Eichmann selbst, den sie ob seiner „Gedankenlosigkeit“ als „Hanswurst“ verhöhnte. Ihre Kritiker warfen ihr indes vor, auf Eichmanns Selbstinszenierung hereingefallen zu sein.

Als problematisch wurden auch ihre Einlässe zu den sogenannten „Judenräten“ wahrgenommen, die von den Nazis zur Verwaltung von Ghettos eingesetzt wurden. Und in der Tat lesen sich manche Passagen wie Schuldzuweisungen. Holocaust-Überlebende und jüdische Verbände warfen ihr vor, damit die Verantwortung der deutschen Täter zu relativieren.

Foto: Public Domain
Arendt im Gerichtssaal während des Eichmann-Prozesses in Jerusalem

Arendts Haltung zu Israel

Doch wie stand Hannah Arendt zu Israel? Und umgekehrt: Wie stand Israel zu Hannah Arendt? In beiden Fällen kann man sagen: es ist kompliziert.

Einerseits lehnte sie Nationalstaaten ab, und schrieb in einem Briefwechsel mit dem Religionshistoriker Gerschom Scholem, der ihr mangelnde Empathie für die „jüdische Sache“ vorwarf: „Erstens habe ich nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv ‚geliebt‘, weder das deutsche noch das französische, noch das amerikanische, noch etwa die Arbeiterklasse oder sonst was in dieser Preislage. Ich liebe in der Tat nur meine Freunde und ich bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig. Zweitens aber wäre mir diese Liebe zu den Juden, da ich selbst jüdisch bin, suspekt.“

Andererseits unterstützte sie die Entstehung einer jüdischen Heimstätte. Einer amerikanischen Freundin schrieb Arendt in den 1960er Jahren, Israel sei ein beeindruckendes Beispiel für die Gleichheit aller Menschen, und betonte ihre geistige Verbundenheit mit dem Land.

Auf der Suche nach pragmatischen Lösungen

Zwei neuentdeckte Texte der Politologin, die erst seit 2024 auf Deutsch vorliegen, helfen dabei, ein Bild zu zeichnen. Geschrieben hatte Arendt sie 1944 und 1958. Gerade im zweiten Text plädierte sie für die „Einstaatenlösung“ mit Sicherheitsgarantien für Israel und dem Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr.

Hannah Arendt war, wie sich in den Texten zeigt, vor allem an pragmatischen Lösungen interessiert. So erklärte sie die Frage nach Schuld und Legitimität („Wer war zuerst da?) für irrelevant und vertrat die Position, dass alle Flüchtlinge entschädigt werden sollten – palästinensische wie jüdische Flüchtlinge, die 1948 ihre arabischen Heimatländer verlassen mussten. 

Natürlich wusste Arendt, dass es für diese Lösung guten Willen auf beiden Seiten des Konflikts brauchte. Sie sah auch, dass entsprechende Gesprächspartner fehlten. Dennoch war sie überzeugt: „Hass währt nicht ewig. Eine gerecht konzipierte Lösung kann zur Beilegung von Feindseligkeiten führen“.

Folgen Sie uns auf Facebook und X!
Melden Sie sich für den Newsletter an!

In Israel prägte vor allem Arendts Berichterstattung zum Eichmann-Prozess die Wahrnehmung ihrer Person. Ihr Werk wurde lange nicht gelesen. Noch 2006 bezeichnete die israelische Historikerin Idith Zertal die Politologin in einem Gespräch mit der Zeitung „taz“ als „Minderheitengeschmack“. 

Heute wird Hannah Arendt oft im Zusammenhang mit anti-zionistischen Positionen zitiert. Gerade im „dominant israel-kritischen Milieu“ werde Arendt für den eigenen Antizionismus in Haftung genommen, schrieb der Journalist Georg Beck auf der Nachrichtenplattform „Deutschlandfunk“ 2024. Doch gelte es, den „kritischen Zionismus“ Hannah Arendts wiederzuentdecken.

Vor 50 Jahren, am 4. Dezember 1975, starb Hannah Arendt im Alter von 69 Jahren in New York. (mw)

Bitte beachten Sie unsere Kommentar-Richtlinien

Schreiben Sie einen Kommentar

3 Antworten

  1. Trotz aller Kontroversen um ihre Haltung zum jüdischen Staat verehre ich diese große Politik-philosophin nach wie vor und ungebrochen. Zum Teil sind es ihre Werke, die mir den Zugang zu einer pragmatischen Haltung bezüglich Israels ermöglicht haben.
    Und weder Butler noch Feldman oder einer der anderen ,,jüdischen“ Kritikerinnen und Kritiker
    können ihr auch nur annähernd das Wasser reichen.
    SHALOM

    1
  2. Danke für den Bericht zu Hannah Arendt. Es sind wichtige Informationen, die Welt braucht umstrittene Meinungen, und so ist sie wohl auch zu sehen.

    1

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Israelnetz-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen