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„Wir werden wieder tanzen“

In Tel Aviv ist derjenige Ort nachgestellt, an dem am 7. Oktober die meisten Israelis ermordet wurden. Ein Besuch kann helfen, dem eigenen Trauma zu begegnen.
Von Valentin Schmid

Wer dieser Tage die Messehalle 1 in Tel Aviv betritt, findet sich an einem unwirklichen Ort wieder. Im fahlen Licht einiger Scheinwerfer steht dort ein Nachbau des Musikfestivals „Nova“, welches Hamas-Terroristen am 7. Oktober 2023 in ein Blutbad verwandelten.

Ein halbes Dutzend ausgebrannter Autowracks, teils verrostet, teils schwarz verrußt, erinnert an die qualvollen Tode flüchtender Teilnehmer. Eine Reihe gelber Toilettenhäuschen zeigt die Brutalität, mit der die Terrorosten vorgingen: Mit Gewehren schossen sie einfach durch die Wände, um sie als Versteck unmöglich zu machen. Auf einer einzelnen Tür sind gleich zehn Einschusslöcher zu zählen.

Als die Zeit stehen blieb

Alle „Requisiten“ sind Originalstücke vom Festivalgelände nahe des Kibbutz Re’im. Das gilt selbst für die Campingzelte von Festivalbesuchern, dekoriert mit Lichterketten. Auch die Massen an bunten Kleidungsstücken, Schuhen und Rucksäcken, die sie zurückließen, lassen einen schmerzhaften Blick in den Moment zu, als die Zeit stehen blieb. „6:29 Uhr“ ist der Titel der Ausstellung.

„Das ist genau die Zeit, als die Polizei zur Bühne gekommen ist und gesagt hat: Wir schließen das Festival, bitte geht alle zu den Autos.“ Ophir Amir geht an einer Krücke. Der 40-Jährige hat den 7. Oktober nur um Haaresbreite überlebt – denn als einer der Organisatoren des Festivals blieb er nach der Ansage noch auf dem Gelände, um der Polizei bei der Evakuierung zu helfen.

In Sicherheit gewogen

Zunächst fühlte er sich noch einigermaßen sicher. Schließlich hätten alle Behörden das Festival in 5 Kilometer Entfernung zum Gazastreifen genehmigt. Auch Raketenalarm sei in dieser Gegend Israels nicht allzu ungewöhnlich. „Aber um 8 Uhr sind Hunderte von der Hauptstraße zurückgerannt und wir sahen die Terroristen.“ So rannte auch er mit Freunden zum Auto, fuhr aber erst eine Stunde später los, da sie nicht wussten, wohin.

Und tatsächlich wurden sie im Vorbeifahren auf freiem Feld attackiert, Amir wurde durch die Tür in beide Beine getroffen. Als das Auto kurz später den Geist aufgab, versteckten sie sich zwischen Orangenbäumen. Nach zwei Stunden starb ein Freund durch eine Schussverletzung am Rücken, nach einer weiteren Stunde wurde er selbst von der Polizei gerettet. Insgesamt 364 Menschen haben das Massaker nicht überlebt, wobei die endgültige Zahl noch vom Schicksal der gut 40 Geiseln im Gazastreifen abhängt, welche die Hamas vom Festivalgelände verschleppte.

Therapie statt Party

In den vergangenen drei Monaten hat die „Nova-Gemeinschaft“ einen einzigartigen Wandel durchlebt. Angefangen als kleiner Freundeskreis mit Liebe zu Musik unter freiem Himmel war sie zu einer festen Größe der israelischen Partyszene aufgestiegen. Das „Supernova-Festival“ während der jüdischen Sukkot-Woche mit gut 4.000 Teilnehmern hätte ein neuer Höhepunkt werden sollen.

Doch jetzt ist alles anders. „Nach einer Woche haben wir bei Cäsarea eine Halle gemietet, in der eigentlich Hochzeiten gefeiert werden“, erzählt Amir. Gut 3.300 der Festival-Überlebenden waren in den vergangenen Monaten dort, um verschiedenste Therapieangebote in Anspruch zu nehmen. Dabei kamen nicht nur Musik und Yoga zum Einsatz, sondern – wegen ihrer beruhigenden Wirkung auf Menschen – sogar Pferde. Einige Gemälde und kleine Kunstwerke, die in dieser Zeit entstanden, sind ebenfalls in der Ausstellung zu sehen.

Ein kollektives Trauma

Doch auch die abendlichen Veranstaltungen seien wichtig gewesen, betont Amir. Schließlich haben sie das Trauma gemeinsam erlebt und wollen es nun auch gemeinsam bearbeiten. „Das war auch für mich das erste Mal nach dem 7. Oktober, dass ich mich wieder getraut habe, aus dem Haus zu gehen.“ Das Motto dieses Heilungsprozesses lautet seit Anbeginn. „Wir werden wieder tanzen“, wie er weiter erklärt.

Foto: Valentin Schmid
Die „Nova-Gemeinschaft“ wünscht sich, schon bald wieder ihre Tanzfläche zu füllen

„Denn das ist unser Ziel: Dass jeder, der das Festival überlebt hat, wieder tanzen wird.“ Die Nova-Gemeinschaft will sich nicht unterkriegen lassen von dem Angriff auf Menschen, die das Leben und die Liebe feierten. „Religion, Herkunft, Beruf – alles egal, wenn wir auf der Tanzfläche sind“, meint Amir abschließend. „Wenn wir die gleiche Musik hören, sind wir die gleichen Leute.“

Dem Trauma begegnen

Die Ausstellung „06:29“ ist dabei nicht nur ein Schritt auf dem Weg der Nova-Gemeinschaft – sie hilft auch anderen Israelis. Jeder hat Bilder des Massakers im Fernsehen oder in Sozialen Medien gesehen. Bilder, die auch indirekt Traumata auslösen können.

Foto: Valentin Schmid
An der nachgebauten Bar heften dutzende weiße Grußkarten

In der Messehalle sind Besucher nun selbst eingeladen, Fotos und Videos vom nachgestellten Tatort aufzunehmen. An den Autowracks und anderen Stellen heften Hunderte weiße Grußkarten, die Beileid ausdrücken oder Wünsche für die Angehörigen. Ein Schritt zur Heilung für das traumatisierte Israel.

Valentin Schmid studiert derzeit an der Hebräischen Universität Jerusalem.

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12 Antworten

  1. Ich hoffe doch diesmal ohne Buddha Statue?
    Das gefällt nämlich Gott JHWH rein gar nicht!

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  2. Liebe Redaktion, es sehr traurig, dass Sie die biblische Wahrheit, hier nicht mehr dulden.

    Lieber Gruß Martin Dobat

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  3. Möge die geistliche Dimension, die das Ereignis hatte, vielen Menschen klar werden!

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    1. Liebe Maria, könnten Sie das noch etwas ausführlicher erklären (geistliche Dimension).
      L.G. Martin

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      1. Lieber Martin,
        damit meine ich einige Dinge, die in Israel aus biblischer Sicht nicht beachtet wurden. Schon damals, als die Altstadt von Jerusalem befreit und der Tempelberg wieder zugänglich war, hat man nach einigen Stunden dieses wichtige Territorium zurückgegeben. Aus dem Jom Kippur-Krieg, der bald darauf folgte, wurden keine Lehren gezogen. Was in der Corona-Zeit in Israel geschah, ist mir unverständlich. Wie konnte ein ganzes Volk so verkauft werden? Und die Proteste und Demonstrationen, die das Volk nochmals tief gespalten haben, sind ein weiteres Puzzle-Teil in dem Drama. Ich könnte noch viele Ereignisse anführen. Das Super Nova-Musikfestival mit der Buddha-Statue und der Zeitpunkt des Überfalls der Hamas sind kein Zufall, 50 Jahre nach dem Jom Kippur-Krieg. Gott schaut sehr genau hin, was in seinem Volk geschieht. Das meine ich mit der geistlichen Dimension. Ich war zum Zeitpunkt des Überfalls in Israel und habe die Stimmen von Gemeindeleitern und die Bußgebete Gläubiger gehört. Es flossen viele Tränen.

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  4. Terrorismus ist einer der schlimmsten Formen der Unterdrückung und Supression. Man soll sich davon nicht dauerhaft beeinflussen lassen obwohl solche Ereignisse auf die Betroffenen einwirken. Wieder zu tanzen ist eine gute Entscheidung, trotz aller Widrigkeiten.

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  5. Warum wird von Israel immer erwartet, dass sie einen höheren Standart haben als wir? Auch in unsern westlichen Ländern finden sich freizügige Festivals, Paraden wie Pride, Clubpartys, Buddahs, usw. Sind wir da auch schnell dabei zu sagen, Gott muss das richten?
    Das ist eine Sache zwischen Ihm und Seinem Volk. An uns ist es, den Schmerz und den Schock anzuerkennen, zu trösten, uns an ihre Seite zu stellen, und zu beten. Ihre Zeit der Busse und Umkehr wird kommen!

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  6. Ja, die Zeit für Israel wird kommen. Darum dürfen wir mit David beten: oh das aus Zion die Rettung Israels da wäre! Wenn der Herr die Gefangenschaft seines Volkes wendet, wird Jakob fröhlich sein, Israel sich freuen( Psalm 14 Vers 7

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