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Was bedeutet eine Labour-Regierung für Israel?

Jahrelang plagte ein Antisemitismus-Problem die britische Labour-Partei. Nun greifen die Sozialdemokraten nach der Macht, mit Keir Starmer als künftigem Premier. Hat der alte Weggefährte von Jeremy Corbyn das Problem wirklich gelöst?
Von Sandro Serafin

Bei den Parlamentswahlen im Vereinigten Königreich am 4. Juli ist ein Sieg der Labour-Partei so gut wie sicher: Umfragen sagen erdrutschartige Gewinne für die Sozialdemokraten und noch heftigere Verluste für die konservativen Tories von zuletzt mehr als 24 Prozentpunkten voraus.

Vor fünf Jahren hätte diese Aussicht sowohl in Israel als auch unter britischen Juden noch größte Besorgnis ausgelöst. Denn als Engländer, Schotten, Waliser und Nordiren das bislang letzte Mal bei einer Wahl für das gesamte Königreich zur Wahlurne gerufen wurden, stand der traditionsreichen Labour-Partei ein Mann vor, der Israel ausgesprochen feindlich gesinnt war: Jeremy Corbyn.

Corbyn, ein Vertreter der „Neuen Linken“, hatte sich nicht nur vor und nach seiner Wahl in den Parteivorsitz 2015 mit sozialistischen Verstaatlichungsphantasien exponiert, sondern die Partei mit seinen Anhängern auch auf einen obsessiv israelfeindlichen Kurs getrimmt. Im Gedächtnis blieb unter anderem, dass der heute 75-Jährige vor seiner Zeit an der Parteispitze Vertreter der Terror-Organisationen Hamas und Hisbollah als „Freunde“ bezeichnete.

Corbyns Antisemitismus-Problem überschattete seine gesamte Amtszeit. 2018 gaben in einer Umfrage der britisch-jüdischen Zeitung „Jewish Chronicle“ mehr als 38 Prozent der befragten Juden an, eine Auswanderung ernsthaft zu erwägen, sollte der damalige Labour-Chef Premierminister werden.

Starmers großes Versprechen

Doch Corbyn führte die Partei bei den Unterhauswahlen 2019 zu einem historisch schlechten Ergebnis und räumte daraufhin seinen Posten. Sein Nachfolger wurde Keir Starmer, ein Mann, der sich noch 2019 „zu hundert Prozent“ hinter Corbyn gestellt hatte. Trotzdem machte es sich Starmer nun zur Aufgabe, „dieses Gift“ des Antisemitismus „mit seinen Wurzeln“ aus der Partei „herausreißen“, wie er direkt zu Beginn versprach.

Vier Jahre später ist seine Bilanz durchaus beachtlich. Tatsächlich hat der Ehemann einer jüdischen Frau die Problematik kontinuierlich beackert – was zunächst bedeutete, Corbyn kaltzustellen. Im Februar 2023 machte Starmer klar, dass der Ex-Parteichef unter ihm nicht noch einmal auf einem Labour-Ticket für die Wahl kandidieren würde. Corbyn entschied sich daraufhin, als unabhängiger Kandidat bei der Wahl im Juli anzutreten, woraufhin Labour ihn im Mai aus der Partei warf. 

Doch der frühere Parteichef war und ist nicht Starmers einziges Problem. Auch gegen weitere, teils hochrangige Parteimitglieder ging „Sir Keir“ wegen diverser Entgleisungen vor, was ihm von Gegnern den Vorwurf der „Säuberungen“ einbrachte. Gleichzeitig setzte er beachtliche inhaltliche Akzente: So sprach er 2021 in einer Rede von „anti-zionistischem Antisemitismus“, der „allein dem jüdischen Volk das Recht auf Selbstbestimmung“ verweigere. Linke Kritiker legten ihm das als Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus aus.

Ebenfalls 2021 setzte ein Labour-Parteitag einen neuen Beschwerdeprozess für den Umgang mit antisemitischen Vorfällen ein – und damit eine Empfehlung der staatlichen Menschenrechtskommission um, die die Partei seit 2019 im Visier hatte. Die Kommission stellte die Beobachtung von Labour 2023 schließlich zufrieden ein. Auf dem erwähnten Parteitag ließen die Delegierten allerdings auch eine Resolution passieren, in der von „Apartheid“ in Israel und Israels „militärischer Gewalt gegen die Al-Aqsa-Moschee“ die Rede war.

Ein Mann, „auf den britische Juden vertrauen können“

Bei Vertretern der jüdischen Gemeinschaft und auch Israels hat der neue Labour-Kurs Starmer trotzdem Anerkennung eingebracht. Als symbolisch empfanden viele, dass 2021 Louise Ellman in die Partei zurückkehrte. Die langjährige jüdische Abgeordnete und Vorsitzende einer Israel-Freundesgruppe war 2019 aus Protest ausgetreten. Nun erklärte sie, mit Starmer werde Labour von einem Mann geführt, „auf den britische Juden vertrauen können“.

Dann kam der Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober mit dem anschließenden Krieg im Gazastreifen und stellte den Parteichef vor neue Herausforderungen. Der 61-Jährige positionierte sich zunächst deutlich an Israels Seite. Wenige Tage nach dem Angriff erklärte er sogar, das Land habe das Recht, Strom und Wasser für den Gazastreifen abzustellen, ruderte anschließend jedoch zurück.

Innerhalb der Partei sorgte die aufgeheizte Lage für eine Polarisierung und neuerliche Entgleisungen mehrere Labour-Repräsentanten. So äußerte die Abgeordnete Kate Osamor im Januar zum Holocaust-Gedenktag die Auffassung, man solle nun auch an „jüngste Genozide“, etwa in Gaza, erinnern. Osamor wurde nur vorübergehend aus der Labour-Fraktion suspendiert.

Als im Februar Nachwahlen für das Mandat des Wahlkreises Rochdale bei Manchester anstanden, verursachte die Kandidatur des dortigen Labour-Politikers Azhar Ali einen Eklat: Ali hatte im Herbst 2023 gemutmaßt, Israel habe den Hamas-Angriff absichtlich zugelassen. Die Partei ließ ihn erst nach mehreren Tagen fallen.

Krieg im Gazastreifen bringt Starmer unter Druck

Je länger der Krieg dauerte, desto stärker geriet Starmer von links unter Druck. Schon im November 2023 wichen 56 Labour-Abgeordnete von seiner Linie ab und unterstützten im Unterhaus einen Antrag für einen Waffenstillstand. Im Frühjahr dann konnte der Parteichef eine Rebellion nur verhindern, indem Labour schließlich selbst einen eigenen Antrag für einen Waffenstillstand im Unterhaus einbrachte.

Auch im Wahlprogramm fordert die Partei nun einen „sofortigen Waffenstillstand“ und Respekt für das Völkerrecht. Zudem verspricht sie, einen palästinensischen Staat anzuerkennen – „als Beitrag für einen erneuerten Friedensprozess“. Aus dem Passus geht nicht klar hervor, wann genau dies geschehen könnte.

Starmers Kurs steht auch deswegen unter Druck, weil er am Ende wichtige Stimmen muslimischer Wähler kosten könnte. In zwölf Wahlkreisen sind ein Drittel bis mehr als die Hälfte der dortigen Stimmberechtigten Moslems. Nach den Kommunalwahlen Anfang Mai hatten Analysten bereits festgestellt, dass die Sozialdemokraten in Kreisen mit hohem muslimischem Anteil erheblich an Stimmen verloren hatten.

Derzeit versucht das Bündnis „The Muslim Vote“ muslimische Wähler davon abzuhalten, für Labour-Vertreter zu stimmen. Zwar dürfte Starmers Israel-Kurs den Gesamtsieg seiner Partei letztlich kaum gefährden. Einzelnen Abgeordneten in Wahlkreisen mit vielen muslimischen Wählern könnte er aber einen Strich durch ihre weitere Karriereplanung machen.

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6 Antworten

  1. Ich wünsche Labour-Chef Starmer viel Erfolg bei der Bekämpfung des Antisemitismus in seiner eigenen Partei. Dass auch in UK die Muslims im Vormarsch sind und an Zahl zugenommen haben, das ist eine schlechte Entwicklung. Die Welt steht insgesamt vor dem Abgrund, weil der Islam unterschätzt wird und in Deutschland sowieso verherrlicht wird.

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    1. Nach Frankreich leben in GB die meisten Muslime. In vielen Städten haben sie schon den Bürgermeister gestellt und sitzen im Parlament. Sie unterstützen die Labour Partei, eine eher linksideologische, die sich zunehmend auf die Seite der Palästinenser stellt. Als in GB lebender Jude hätte ich dazu kein Vertrauen.

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    2. Eine positive Sicht könnte aber auch sein, dass der Heilige Geist sie schickt, damit sie sich verändern weil sie hier einer anderen Kultur und auch dem Christentum und Judentum, dem Humanismus, der Gewaltenteilung usw. begegnen. Wenn die Europäer ihre eigenen Werte ernster nehmen würden, also zum Beispiel hier in der BRD noch Familie, Ehe und Kinder, Generationenvertrag pflegen würden, wäre das Problem gar nicht so groß?! Ich kenne auch fleißige, warmherzige und soziale Muslime, von denen sich die dekadenten und hedonistischen Europäer eine Scheibe abschneiden könnten…?

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  2. Der Corbyn Judenhass, ist er zu bewältigen?
    Es geht immer auch um Wählerstimmen, da sich der Islamismus europaweit ausgebreitet hat.

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  3. Auch wenn Labour-Chef Starmer israelfreundliche Politik verfolgen möchte, wird er schlussendlich diese nicht durchsetzen können. Zu stark wird der Gegenwind werden, vor allem auch deshalb, weil Israel die Hisbollah im Libanon den Krieg erklären wird. Es ist nur eine Frage von Tagen oder wenigen Wochen. Ich setze kein Vertrauen in die linke Politik der Labour Partei.
    Schlussendlich, und das ist eine traurige Entwicklung, wird sich die ganze Welt gegen Israel richten. Israel bleibt nur, ihre ganze, ungeteilte Hoffnung auf den Gott Israels, YHWH, zu setzen. Denn so Israel zu Ihm schreit, wird er hören.
    „… und rufe mich an am Tag der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich ehren!“ Psalm 50:15
    Am Israel Chai!

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