Uns allen ist das Denken in den Kategorien von Belohnung und Strafe vertraut. Wenn ich die Erwartungen erfülle, die meine Mitmenschen oder die Gesellschaft an mich stellen, werde ich entsprechend belohnt und im umgekehrten Fall bestraft. Dieser Vorstellung begegnen wir im 5. Buch Mose. Dort heißt es: „Siehe, ich lege euch heute vor den Segen und den Fluch: den Segen, wenn ihr gehorcht den Geboten des HERRN, eures Gottes, die ich euch heute gebiete; den Fluch aber, wenn ihr nicht gehorchen werdet den Geboten des HERRN, eures Gottes“ (11,26–28).
In 5. Mose 11,29 lesen wir weiter: „Wenn dich nun der Ewige, dein Gott, in das Land bringt, in das du kommen sollst, es einzunehmen, so sollst du den Segen sprechen lassen auf dem Berge Garizim und den Fluch auf dem Berge Ebal“.
Auch wenn Segen und Fluch ursprünglich vom Himmel herabkommen, liegt es in der Macht des Menschen, den Fluch in Segen zu wandeln. Segen und Fluch unterliegen den Einwirkungsmöglichkeiten des Menschen. Er kann auf Segen und Fluch Einfluss nehmen. Genau das meint der Satz: „Siehe, ich lege euch heute vor den Segen und den Fluch.“
Die beiden Berge, Garizim und Ebal, befinden sich gegenüber der Stadt Nablus (Sichem) und in der Nähe der Eiche More (5. Mose 11,30). Mit diesen beiden Bergen ist je eine Geschichte von Fluch und Segen verbunden. Die Erzählung von der Schandtat an Dina spielt sich in Nablus ab. Diese hat zur Konsequenz, dass Dinas Brüder Levi und Schimon in der Stadt ein Blutbad anrichten.
„Wenn dich nun der Ewige, dein Gott, in das Land bringt, in das du kommen sollst, es einzunehmen, so sollst du den Segen sprechen lassen auf dem Berge Garizim und den Fluch auf dem Berge Ebal.“
5. Mose 11,29
Abraham siedelte bei der Eiche More. Der Erzvater erhält die Verheißung eines Segens. Gott sagt zu ihm: „Ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden“ (1. Mose 12,2–3).
Abraham bekommt hier nicht einfach einen Blankoscheck für einen sich selbst erfüllenden Segen ausgestellt. Das Versprechen, dass er ein Vater vieler Nachkommen wird, ist abhängig von seinem Bemühen, ein Segen für andere zu werden. Für ihn geht es darum, eine Bracha, den Segen, nicht nur entgegenzunehmen, sondern sie mit dem Tun eines Gerechten zu erfüllen. Er selbst soll ein Segen sein, damit durch ihn die Menschen auf Erden gesegnet werden können.
Das Gleiche gilt für den Fluch. Er geht auf entsprechende Taten von Menschen zurück. Erinnern wir uns noch einmal an das Blutbad, das Levi und Schimon angerichtet haben, um die geschändete Ehre Dinas und ihrer Familie wieder herzustellen. Es brachte den beiden Brüdern letztlich den Fluch des Vaters ein: „In ihrem Zorn haben sie Männer gemordet, und in ihrem Mutwillen haben sie Stiere gelähmt. Verflucht sei ihr Zorn, dass er so heftig ist, und ihr Grimm, dass er so grausam ist. Ich will sie versprengen in Jakow und zerstreuen in Israel“ (1. Mose 49,5–7).
Die vom Ewigen auf den Bergen Garizim und Ebal gebotene Aufstellung der Stämme Israels gleicht einem Psychodrama. Den Kindern Israel soll sich tief einprägen, dass Fluch und Segen in ihren Händen liegen. Der Mensch ist in der Welt verantwortlich, indem er die Weichen für den Fluch oder den Segen stellt.
Mit dem göttlichen Geschenk der freien Wahl, Segen oder Fluch zu wählen, ruft der Schöpfer letztendlich zur Wahl zwischen Leben und Tod auf. Gott erwartet, dass wir durch unser Leben ein Segen werden und dadurch unseren Mitmenschen und uns selbst zum Leben dienen – und nur dem Leben!
Die Auslegung bezieht sich auf den Tora-Wochenabschnitt „Re’eh” (5. Mose 11,26–16,17).
Von Rabbiner Dr. Salomon Almekias-Siegl
Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).
4 Antworten
Ich habe einmal an der Tür einer Metzgerei gelesen: Ohne Arbeit von früh bis spät wird nichts getan. Der Neider sieht nur das Blumenbeet und nicht den Spaten.
Gott segne dich, wenn du am Morgen aufstehst, noch bevor es dir gelingt, dich über den Tag zu ärgern oder dich vor ihm zu fürchten.
Gott segne dich mitten im Trubel des Alltags, wenn du gar nicht dazu kommst, an ihn zu denken.
Gott segne dich wenn dir Schweres widerfährt, noch bevor es sich in deinem Herzen festsetzen kann.
Gott segne dich am Abend, indem er die Schatten des Tages von dir nimmt, noch bevor sie sich in deine Träume schleichen.
Gott segne dich in allem, was du tust und lässt und schenke dir seinen Frieden.
Ella 🙏
Danke für den Bericht. Dass der Segen durch das eigene Tun erarbeitet / bestätigt werden muss, ist wichtig und eine Aufforderung an alle. Bleiben wir alle in Gottes Liebe und tun Gutes !
Zwei der drei abrahamitischen Religionen (das Christentum und das Judentum) sind mittlerweile größtenteils in der modernen Zeit angekommen und haben maßgeblich dazu beigetragen dass sie überhaupt entstehen kann!
Was die dritte Religion betrifft:
Ich freu mich schon so auf den Tag an dem die gesamte islamische Welt erkennen muss, dass sie mit ihrem Gebet Richtung Mekka seit 1200 Jahren in die falsche Richtung beten bzw. pilgern und eigentlich petra in Jordanien die richtige Stadt wäre! (siehe Dan Gibson – The sacred City)