KÖLN (inn) – Die ARD-Korrespondentin in Tel Aviv, Sophie von der Tann, hat am Donnerstagabend in Köln den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis erhalten. Die Jury ehrte die 34-Jährige als „eine herausragende Journalistin, die in einer Extremsituation zuverlässig erstklassige Arbeit liefert“.
Von der Tann sei den Menschen und ihren Schicksalen nahe, „ohne dazu zu gehören, cool – aber nicht kalt“, heißt es weiter in der Begründung. „Wie es Hanns-Joachim Friedrichs für unseren Stand postulierte. Man spürt ihre Entschlossenheit, die komplexe Wirklichkeit verständlich zu erklären.“
Dass von der Tann, die seit 2021 in Tel Aviv arbeitet, den Preis erhielt, stieß teilweise auf Ablehnung. Kritiker warfen der ARD-Korrespondentin eine einseitige Berichterstattung vor.
FAZ: Beispiele für tendenziöse Berichterstattung
So verfasste Esther Schapira für die FAZ einen Gastkommentar unter der Überschrift „Warum Sophie von der Tanns Beiträge zu Nahost nicht preiswürdig sind“. Sie verwies darauf, dass die ARD-Korrespondentin gegenüber dem bayerischen Antisemitismus-Beauftragten Ludwig Spaenle geäußert hatte, der 7. Oktober 2023 habe eine „historische Vorgeschichte“. „Das klingt nach ‚aber‘ und meint genau das: die Relativierung des Hamas-Pogroms. Übertrieben? Dann stellen wir uns kurz die berechtigte Empörung vor, wenn eine Journalistin auf die ‚historische Vorgeschichte‘ des Holocaust hinweisen würde.“
Als eines von mehreren Beispielen für tendenziöse Berichterstattung führte Schapira einen Vorfall vom Februar 2024 an: Israelische Streitkräfte hatten ausländische Journalisten in einen Hamas-Tunnel im Gazastreifen mitgenommen. „Er verläuft unter einer Schule. Direkt unter dem Hauptquartier des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) liegt die Kommandozentrale der Hamas. Überprüfen könne sie die Angaben nicht, sagt Sophie von der Tann, obwohl sie selbst im Tunnel steht.“
Weiter schrieb Schapira, passend titele „tagesschau.de“, das israelische Militär zeige „mutmaßliche Hamas-Tunnel“. Und fügte an: „Mutmaßlich? Den Angaben des Hamas-Gesundheitsministeriums zu mutmaßlichen Hungertoten traut sie dagegen erkennbar mehr als israelischen Wissenschaftlern.“
„Welt“: Generalproblem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Christoph Lämmer betitelte seinen Meinungsartikel in der „Welt“ mit den Worten: „Diese Preisverleihung ist ein öffentlich-rechtlicher Skandal“. Er stellte fest: „Niemand verkörpert gerade das Generalproblem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks besser als die Israel-Korrespondentin der ARD, Sophie von der Tann. Es besteht in einer komplett von der Außenwelt abgeschirmten Wahrnehmung, verbunden mit erheblichem Missionierungsbedürfnis.“
Dabei ignoriere die ARD schriftliche Nachfragen. Beispielsweise habe „Welt“ wissen wollen, warum von der Tann niemals darüber berichtet habe, „wie die von ihr stets in Schutz genommenen Palästinenser über Adolf Hitler denken“, ergänzte Lemmer. „Die Frage ist höchst relevant. Hitler ist in den Palästinensergebieten populär. Deutsche, die es dort hin verschlägt, werden umstandslos auf Hitler angesprochen. Der nationalsozialistische Menschheitsverbrecher wird weithin als positive Figur gesehen, und zwar deshalb, weil er Millionen Juden ermorden ließ. Hitler ist bei Hamas und Hisbollah beliebt und genießt auch in der PLO von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas Ansehen.“
Botschafter Prosor: Geschichte verdreht
Im Juli dieses Jahres hatte der israelische Botschafter in Berlin, Ron Prosor, von der Tann geraten, Aktivistin zu werden. Anlass war ein Post auf Instagram, in dem sie einen Beitrag des umstrittenen Historikers Omer Bartov teilte. Dieser wirft Israel einen „Genozid“ im Gazastreifen vor.
Besonders perfide war aus Prosors Sicht die Überschrift des geteilten Beitrages: „Never Again“. Die Worte erinnerten an die Schoa. „Sie im Kontext von Gaza zu zitieren, bedeutet, die Geschichte zu verdrehen und zu relativieren. Egal, ob es sich um fehlendes Geschichtsbewusstsein oder schlichte Überforderung handelt: Von ihrer ARD-Korrespondentin dürfen die Zuschauer mehr erwarten.“ Der Botschafter erinnerte an die Forderung des Medienstaatsvertrages, die „Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit“ zu achten.
Wenn @sophie_tann lieber Aktivistin wäre, sollte sie den Job wechseln. Auf ihrer Instagram-Seite teilt sie den Beitrag des umstrittenen Historikers Omer Bartov, der Israel einen Genozid vorwirft. Besonders perfide ist die Überschrift: „Never Again”. Die Worte erinnern an die… pic.twitter.com/GGUn7b0Oyz
— Ambassador Ron Prosor (@Ron_Prosor) July 17, 2025
Offener Brief fordert Solidarität
Doch es gab auch Zustimmung. In einem offenen Brief forderten Nahostkorrespondenten und andere Journalisten mit Bezug zur Region „Solidarität mit Sophie von der Tann!“. Sie schreiben: „Derzeit läuft eine Diffamierungskampagne gegen unsere Kollegin Sophie von der Tann, Korrespondentin im ARD-Studio Tel Aviv. Die Anschuldigungen gehen längst über sie als Person hinaus. Auch deshalb stellen wir uns hinter sie.“
Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern reiche viele Jahrzehnte zurück, heißt es weiter. Diese Vorgeschichte im Blick zu haben, sei mitnichten eine „Relativierung des 7. Oktober“, die ihrer Kollegin unterstellt werde. „Wir berichten seit mehr als zwei Jahren über das Leid auf beiden Seiten; die Barbarei des Terrorangriffs und die verheerende Kriegsführung in der Folge sind gleichermaßen unsere ständigen Themen.“
Gegen die Verleihung des renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises an Sophie von der Tann laufe eine eigens organisierte Kampagne, etwa mit Beiträgen in Sozialen Medien sowie der Ankündigung einer Mahnwache. Diese fand dann auch tatsächlich statt. Zudem hatte es eine Petition gegen die Verleihung gegeben. „Solche Angriffe bedrohen den Kern dessen, was Journalismus leisten muss: Dass sich Menschen auf Basis von professionell recherchierten, angemessen kritischen Berichten ihre Meinung bilden können. Das ist auch eine Gefahr für die Demokratie.“
Die Unterzeichner rufen dazu auf, „die Medienfreiheit zu respektieren und das Ansehen von Kolleginnen und Kollegen nicht durch Diffamierungskampagnen zu beschädigen“. Zu ihnen gehört der freie Journalist Borhan Akid, der am Donnerstag den Förderpreis verliehen bekam. Er arbeitet für „WDRforyou“, ein Online-Format mit Informationen und Orientierung für Geflüchtete und Zugewanderte in Deutschland.
Redner fordert Rundfunkreform
In der Erklärung zum diesjährigen Preis heißt es: „2025 wurde ein Jahr beispiellosen Drucks von außen wie von innen auf die Berichterstattung aus Krisengebieten. Die Jury richtet in diesem Jahr ihren Fokus auf herausragende Leistungen unter dem Vormarsch totalitärer und autokratischer Regime, die mit Meinungs- und Pressefreiheit eine der tragenden Säulen demokratischer Ordnung zerstören wollen.“
Das Thema griff der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, in seiner Hauptansprache auf. Die Vorwürfe gegen von der Tann bezeichnete er als „völlig überzogen“, wie der „Evangelische Pressedienst“ (epd) berichtet. In der Rede sagte er, Journalisten dienten nicht nur der Kontrolle politischer Akteure. „Sie schaffen auch die Voraussetzungen für einen informierten politischen Diskurs, indem sie recherchieren, bewerten und Zusammenhänge herstellen und auf diese Weise unsere gemeinsamen Realitätsannahmen prägen.“
Nichtsdestotrotz sieht Voßkuhle Reformbedarf. Er sprach das zunehmende Misstrauen gegenüber den traditionellen Medien in der Gesellschaft an, sprach von einem „Kulturkampf“. Er fügte an: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk bedarf einer grundsätzlichen Reform, die diesen Namen verdient.“ Der zu diesem Zweck eingerichtete Zukunftsrat habe hier viele hilfreiche Vorschläge unterbreitet, die von den Verantwortlichen noch ernster genommen werden sollten als bisher. Vielfaltssicherung sei das zentrale Qualitätsmerkmal für eine funktionierende Medienlandschaft.
„Reporter ohne Grenzen“ geehrt
Eine weitere Preisträgerin ist die Leiterin der ARD-Studios in Istanbul und Teheran, Katharina Willinger. Die Jury würdigte bei ihren Reportagen „Besonnenheit und kenntnisreiche Einordnungen“.
Der Sonderpreis ging an die Organisation „Reporter ohne Grenzen“. Dazu schreibt die Jury: „Die Welt verzeichnet zunehmend gezielte tödliche Angriffe gegen Journalisten während des Gazakrieges und in anderen militärischen Konflikten sowie einen immer stärkeren Druck auf die freie Berichterstattung. Und das nicht mehr nur in autoritären Staaten wie Russland oder China, sondern ebenfalls in vermeintlich demokratisch verfassten Gesellschaften.“ Dass im Gazakrieg mitunter auch Terroristen als Journalisten fungieren, blieb in der Erklärung außen vor.
Es gebe zunehmend „aggressive Zensurbestrebungen nebst einer immer offeneren Forderung nach Selbstzensur von Journalisten und Medien“. Die „konzertierten Angriffe auf die Presse- und Medienfreiheit verlangen die Stärkung von Organisationen, die sich der Verteidigung und Bewahrung dieser Freiheit verschrieben haben und tagtäglich für den Schutz von Journalist:innen und ihrer Arbeit einsetzen, oft unter großer persönlicher Gefahr. Dieses im wahren Sinn des Wortes lebenswichtige Engagement will die Jury im 30. Jahr des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises würdigen“.
Der Preis ist benannt nach dem früheren „Tagesthemen“-Moderator Hanns Joachim Friedrichs (1927–1995). Unter Journalisten ist er für den Satz bekannt: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten.“ Diese Aussage hat der Verein zur Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises für Fernsehjournalismus nach seiner Gründung 1995 als Motto gewählt. (eh)
3 Antworten
Wenn man dem Gedankengang der Verteidiger von Frau von der Tann (die selbst offenbar nichts gesagt hat ?) folgt, war Winston Churchill ein Kriegsverbrecher (das ist nicht meine Meinug, wohlgemerkt) . Gott bin ich froh, dass ich nicht mehr dabei bin. Übrigens: Reporter ohne Grenzen steht derzeit in Frankreich unter heftigem Beschuss, weil sie mit Untstützung von Macron die französische Presse „labelisieren“ sollen. Also auf Kurs bringen. Einer der schärfsten Kritiker von RSF ist übrigens der Mitbegründer Robert Ménard, heute Bürgermeister von Béziers. Ein mutiger, aufrechter Mann und Freund Israels.
„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten.“ Das konnte S.v.d.T. meines Erachtens nicht rüberbringen. Immer wieder konnte man zuerst hören: Israel hat angegriffen, hat dies und jenes getan. Wenn man Glück hatte, kam der Nachsatz: Zuvor hatte Hamas…
Man spürte ihre Entschlossenheit, die komplexe Wirklichkeit „PRO-PALÄSTINENSISCH“ verständlich zu erklären. Ich unterstütze die Meinung Voßkuhles, dass die öffentlich rechtlichen dringend Reformen brauchen. Ich verlassen mich nicht auf ihre Berichterstattung.
Nur ein Satz zu Frau von der Tann: Sie hat den Preis absolut nicht verdient.