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Knesset verabschiedet Angemessenheits-Gesetz

Vor der Verabschiedung des Angemessenheits-Gesetzes zeigen sich Befürworter und Gegner bei Großdemonstrationen auf den Straßen. Politiker suchen bis zuletzt nach einem Kompromiss.
Von Israelnetz
Gedränge mit Fahnenmeer: Viele Gegner der Justizreform kamen am Samstag in Jerusalem zusammen

JERUSALEM (inn) – Die Knesset hat am Montagnachmittag das Angemessenheits-Gesetz mit 64 Ja-Stimmen und keiner Gegenstimme verabschiedet. Die Opposition boykottierte die Abstimmung. Bis zuletzt hatte es Kompromiss-Versuche gegeben, die aber scheiterten. Das Gesetz ist der erste zentrale Bestandteil der Justizreform, der nun umgesetzt ist. Bereits Ende März verabschiedete die Knesset jedoch ein Gesetz zur Regelung der Absetzung eines Regierungschefs.

Justizminister Jariv Levin (Likud) sprach unmittelbar nach dem Votum von einem „ersten Schritt in einem historischen Prozess zur Verbesserung des Justizsystems“. Der Vorsitzende des Knesset-Verfassungsausschusses, Simcha Rothman (Likud), sagte bei der Vorstellung des Gesetzesvorschlages, die Regelung behebe eine Unwucht: „Wir haben uns an die Idee gewöhnt, dass wichtige Entscheidungen nicht in diesem Haus getroffen werden. Das muss enden. Entscheidungen in der Knesset zu treffen ist der einzige Weg.“

Gegner des Angemessenheits-Prinzips haben in der Vergangenheit ins Feld geführt, dass dieses Kriterium zu vage sei. Richter hätten damit zu viel Machtbefugnis, um Minister-Ernennungen oder Regierungsentscheidungen zu kippen. In der Debatte hatte auch Staatspräsident Jitzchak Herzog zugestanden, dass es hier Verbesserungsbedarf gebe. Die völlige Abschaffung des Kriteriums sehen Kritiker jedoch als unangemessene Einschränkung richterlicher Autorität.

Nach dem Votum kündigte Oppositionsführer Jair Lapid (Jesch Atid) an, gegen das Gesetz eine Petition einzureichen. Er sprach von einem „traurigen Tag“ und ergänzte: „Wir geben nicht auf. Wir werden uns nicht in Ungarn oder Polen verwandeln.“

Großdemos in Tel Aviv und Jerusalem

In den Tagen vor dem Votum hatte sich der Streit um das Gesetz zugespitzt. Zahlreiche Menschen kamen am Wochenende nach Jerusalem, um dagegen zu protestieren. In Tel Aviv versammelten sich hingegen zahlreiche Menschen, die für diesen Teil der Justizreform protestierten.

Zu den Protesten in Tel Aviv kamen nach Angaben der Organisatoren 200.000 Menschen. Es war der erste größere Protest des Reformlagers seit Ende März. Am Sonntagnachmittag versuchten die Demonstranten, die Ajalon-Schnellstraße zu blockieren, doch die Polizei vereitelte dies. Laut Medienberichten waren auch Rufe wie „Tod den Arabern“ und „Theokratie“ zu hören.

An den Demonstrationen gegen die Reform sollen sich landesweit 500.000 Menschen beteiligt haben. Viele davon waren in dieser Woche in einem Marsch von Tel Aviv in die Landeshauptstadt gekommen. Vor Ort richteten sie regelrechte Zeltstädte ein.

Kompromissvorschlag abgelehnt

Neben den Protesten regt sich in der Wirtschaft Widerstand gegen die Reform. Das „Geschäftsforum“, ein Bündnis der größten Unternehmen im Land, kündigte für Montag an, dass die Geschäfte und Einkaufszentren nicht öffnen würden. Auch 200 Unternehmen der Hightech-Branche streikten am Montag.

Der Gewerkschaftsbund Histadrut legte am Sonntag einen Kompromissvorschlag vor. Demnach hätten die Richter weiterhin die Möglichkeit, über die „Angemessenheit“ von Regierungsentscheidungen zu befinden, doch nicht mehr bei Personalentscheidungen wie Ministerernennungen. Die Likud-Partei von Premier Benjamin Netanjahu wies diesen Vorschlag aber zurück. Ihr schwebt eine Abschaffung des Kriteriums der Angemessenheit bei Richterentscheidungen vor.

Bislang erfolglose Vermittlung

Um Vermittlung bemüht war bis zuletzt auch Staatspräsident Jitzchak Herzog. Nach seiner Rückkehr aus den USA begab er sich vom Flughafen direkt ins Scheba-Krankenhaus, wo sich Netanjahu einer Herzoperation unterzogen hatte. Nach dem Gespräch mit dem Premier traf er sich mit Oppositionsführer Jair Lapid (Jesch Atid) und anschließend mit Benny Gantz (Staatslager).

Gantz wandte sich danach an die Öffentlichkeit mit einer Botschaft an die Koalition: Er versprach, dass im Falle eines Kompromisses auch die kommende Knesset nicht versuchen werde, die Maßnahme rückgängig zu machen. Die Partei Staatslager führt seit Anfang Mai in den meisten Umfragen, während die Regierungsparteien das letzte Mal Mitte März auf eine Mehrheit kamen.

Armeechef: Israel existenziell gefährdet

Die Appelle zu einem Kompromiss beziehen ihre Dringlichkeit auch aus den wiederholten Ankündigungen von Armeereservisten, den Dienst zu verweigern. Armeechef Herzi Halevi warnte am Sonntag, dass Israel dadurch „existenzieller Gefahr“ ausgesetzt sei. Er wies darauf hin, dass es kein Recht gebe, den Dienst zu verweigern. Die Armee habe für Sicherheit zu sorgen, auch damit eine Debatte wie die um die Justizreform im sicheren Rahmen ablaufen kann.

Inzwischen hat sich auch der frühere Leiter des Auslandsgeheimdienstes Mossad, Jossi Cohen, kritisch zum Reformprozess geäußert. Er rief dazu auf, diesen zu überdenken. In einem Interview des Fernsehsenders „Kanal 12“ sagte er am Sonntag, er fürchte, Israel befinde sich auf einem „Kollisionskurs“. Wenn es zur Dienstpflichtverweigerung komme, werde eine rote Linie überschritten. (df)

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11 Antworten

  1. Für den Außenstehenden ist das ganze Theater unverständlich. Die Bevölkerung betreibt infantile Politik unterster Schublade. Wenn nicht umgehend ein Schlussstich gezogen wird und Israel an einem Strang zieht, werden diese Zeichen der Schwäche von Israels „Freunden“ sehr schnell zu neuen Terrorakten führen. Es ist mehr wie bedenklich, wenn sich Armeeangehörige (auch in Reserve) weigern, ihren Dienst gewissenhaft auszuüben. Ich vermisse das „Standing“ aller Israelis, was auch dazu führt, das ihr außenpolitischen Ansehen stark geschädigt wird. Israel muss umgehend den Mut haben, innenpolitisch alle Querelen einzustellen. Es könnte sonst ein böses Erwachen geben.
    Written 2023, 24, 07 by Friedhelm Seelig

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    1. Das sind alles mehr als Querelen, denn die Sicherheit des Landes ist in Gefahr.
      Nur der Premier hätte das Gesetz nicht- in – die- Abstimmung – bringen können. Nun ist es geschehen.
      Die Reservisten halten ihre Köpfe hin für Frieden und Freiheit. Politiker momentan für Frieden und Freiheit?
      Machtspiele!
      In Tel Aviv demonstrieren sie teils pro Netanjahu, in Jerusalem gegen das Gesetz.
      Und ja, die “ Freunde“ lachen schon über das zerstrittene Volk. Das Land wird antastbarer.

      Als Außenstehender können sie unser Theater, wie sie es nennen, nicht verstehen.
      Diese Demos sind nicht unterste Schublade. Netanjahu hätte nie mehr antreten dürfen nach all den
      Viel- Wahlen der letzten Jahre. Er ist es, der unbeliebt ist in der Außenpolitik wegen seiner “ Liebe“
      zu Trump. Auch wenn dadurch das Abraham-Abkommen entstand. Wobei gerade diese Länder a u c h
      bei UNO gegen IL stimmen.
      OT: In der BRD könnten auch Demos gegen die AfD stattfinden. Bin dabei.
      Nein, das Volk wählt sie, diese Rechten und Höcke`s aus Frust gegen die Ampel und CDU/CSU

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    2. @Seelig:

      Bis „die Bevölkerung betreibt infantile Politik unterster Schublade“ habe ich gelesen. Den Rest Ihres Beitrags mir erspart.

      Vorschlag: Besuchen Sie einmal das schöne Land, sie werden die obig diffamierte Bevölkerung als sehr gastfreundlich und kommunikativ zu schätzen lernen.

      Und setzen sich an einen der erstaunlich vielen ruhigen Plätze dieses hektischen Landes und denken darüber nach, ob sie den obig Diffamierten wirklich ein „Parlament“ wünschen sollten, dass Beschlüsse der obersten Gerichtsinstanz einfach wieder aufhebt. Als wäre nichts gewesen mit diesem lästigen Obersten Gerichtshof… .

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    3. Interessante Sichtweise, Herr Seelig.
      Sehenden Auges in die Aushebelung der Gewaltenteilung marschieren, das heißt für Sie also *an einem Strang ziehen*.
      Sich dagegen wehren und die Demokratie verteidigen ist infantil und unterste Schublade.
      Ein faschistischer Politiker (auf Ministerposten) hat eine Privatarmee zugebilligt bekommen, ein alter Mann will seine Macht nicht abgeben.
      Das außenpolitische Ansehen ist eben durch diese Justizreform (plus die Herren Ben Gvir und Smotrich) beschädigt, und zwar gründlich.
      Lediglich die Tatsache, dass eben ein großer Teil der Israelis diesen Weg aus der Demokratie weg hin zum Gotteststaat mit evtl teildemokratischem Deckmäntelchen nicht gehen will und dies auch kundtut, rettet Israels internationales Ansehen.
      Die Frage ist nur – wie lange noch?

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    1. @Brigitte:

      Das würde ich nicht so apodiktisch sehen. Diese Seite soll den Austausch zwischen Christen und Juden, Deutschen und Israelis fördern. Da dürfen dann gewiss auch „Aussenstehende“ ihre Meinung kundtun.

      Auf einem anderen Blatt steht natürlich, dass Herr Seelig von erstaunlicher Ahnungslosigkeit geprägt scheint. „Die Bevölkerung betreibt infantile Politik unterster Schublade.“ – da muss man erst einmal drauf kommen.

      Siehe ansonsten die zutreffenden Beiträge von Am Israel chai, Agnes und insbesondere Quetzalcoatl.

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  2. Mit der Ausführung „Die Bevölkerung betreibt infantile Politik unterster Schublade“ hat sich Herr Seelig selbst demaskiert!
    Wer DIE (!) Bevölkerung im Gegensatz zur Regierung Netanjahu sieht, der lässt seinen Diktaturbestrebungen endlich einmal freien Lauf. Mit solchen Anti-Demokraten kann man keine Diskussionen mehr führen!
    Geradezu lachhaft sind seine Ausführungen „Armeeangehörige (auch in Reserve) weigern, ihren Dienst gewissenhaft auszuüben“ – was macht denn der allgrößte Teil der männlichen Religiösen und alle weiblichen Religiösen!? Die versehen eben ihren militärischen Dienst GAR NICHT (und die wenigen Religiösen in eigenen bzw. abgeschotteten Einheiten haben einen Wert irgendwo zwischen quantite negligeable und dysfunktional!
    Zum Volkseinkommen/Sozialprodukt tragen diese Religiösen nicht nur NICHTS bei – sie leben letztlich auf Kosten der säkularen Israelis: Die Haredim leben von Sozialtransfers, und die anderen Religiösen jedweder Schattierung bekommen Strukturhilfe, mit öffentlichen Geldern gebaute Siedlungen etc.
    Die Säkularen nur als Milchkühe zu benutzen, den Rechtsstaat bzw. die liberale Demokratie aber abzubauen – was steckt da für ein Weltbild hinter!? Sollen die Religiösen in ZAHAL doch für ihre eigenen Groß Israel-Ziele dienen sowie kämpfen, sollen sie endlich einmal für ihren Lebensunterhalt selbst einstehen – aber auf Kosten der Säkularen leben, ihnen aber den Rechtsstaat nehmen – diese Rechnung geht irgendwann nicht mehr auf!

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  3. Im Kern finde ich das Gesetz richtig und demokratisch.
    Die Regierung wurde für diese Legislatur gewählt und repräsentiert eine Mehrheit.
    Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass normale Regierungsarbeit, wie ein Kabinett zu bilden und Minister zu ernennen, von der Justiz blockiert oder gar bestimmt werden darf.
    Und der friedliche Protest belegt einmal mehr: Israel ist eine funktionierende Demokratie

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    1. Endlich mal jemand, die verstanden hat, worum es geht! Vielen Dank, ich freue mich und hoffe, dass es zu einem guten ende kommt, damit sich Israels Feinde nicht die Hände reiben.
      Im Übrigen weiß ich, dass G’tt zu seinem Volk steht und seine Verheißungen erfüllen wird.

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      1. Israels Feinde reiben sich die Hände, wenn die Regierung Netanyahu ihre Gesetzesvorhaben durchbringt, und der Rechtsstaat bzw. die liberale Demokratie des Staates Israel Geschichte sind.
        Denn das bestätigt das Bild der Feinde Israels von der „Diktatur Israel“.
        Und diesbezüglich hätte das diktatorische dann ALLE Demokraten weltweit gegen sich.
        Und was den inhaltsleeren Satz „im Übrigen weiß ich, dass G’tt zu seinem Volk steht und seine Verheißungen erfüllen wird.“:
        Lassen wir einmal beiseite, dass die Geschichtswissenschaft bezüglich des alten Israel in machen Punkten zu anderen Ergebnissen kommt als das wortgetreue Glauben des Alten Testaments.
        Aber bei einer Diskussion des ehem. israelischen Botschafters in Deutschland (des besten Botschafters, den Israel jemals in Deutschland hatte) mit Vertretern der Siedlerbewegung zeigte Primor auf, welche innen- und außenpolitischen Konflikte auf Israel zukommen, sofern die Gaza- und Westbank-Forderungen der Siedlerbewegung erfüllt werden. Darauf meinte ein Vertreter der Siedlerbewegung „Der Herr wird und schützen!“ Primors Antwort: „Klar, so wie er uns 1933 bis 1945 geschützt hat!“
        Q.e.d.!

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