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„Schande“, sagt Israel – „Frechheit“, antwortet Polen

Seit Tagen streiten Israel und Polen über eine polnische Gesetzesänderung, die Restitutionsforderungen betrifft. Im Hintergrund schwingen die anhaltenden Meinungsverschiedenheiten über den Umgang mit dem Holocaust mit.
Chef der konservativen polnischen Regierungspartei: Jarosław Kaczyński (Archivbild)

JERUSALEM / WARSCHAU (inn) – Wieder einmal sind die Regierungen Israels und Polens aneinandergeraten: Dieses Mal geht es um eine Änderung im polnischen Verwaltungsverfahrensrecht und eine Fristenregelung darin. Diese betrifft die Frage, wie lange bestimmte Restitutionsforderungen geltend gemacht werden können.

Was nach trockener Juristerei klingt, erhitzt die Gemüter auf beiden Seiten und löste in der vorvergangenen Woche einen tagelangen verbalen Schlagabtausch aus, der immer noch anhält. Israel und jüdische Interessensverbände werfen der polnischen Regierung vor, durch eine neue Anfechtungsfrist von 30 Jahren Wiederherstellungs- und Entschädigungsforderungen von Holocaust-Überlebenden quasi unmöglich zu machen. Es geht um Besitz, der während der deutschen Besatzung und in der Folgezeit des Kommunismus geraubt und enteignet wurde.

Als das Gesetz am 24. Juni die erste polnische Parlamentskammer, den Sejm, mit 309 Ja-Stimmen bei 120 Enthaltungen und ohne Gegenvotum passierte, schaltete sich Israel umgehend in die Debatte ein. Das Land versteht die Rechte von Holocaust-Überlebenden als wichtigen Teil seiner Identität, wie es Außenminister Jair Lapid (Jesch Atid) formulierte. Entsprechend scharfzüngig trat der Minister denn auch gegenüber Polen auf, sprach von einer „schrecklichen Ungerechtigkeit und Schande“ und warnte, das Gesetz werde „die Beziehungen zwischen den Ländern schwer beschädigen“. Er ließ den polnischen Botschafter Marek Magierowski ins Ministerium einbestellen. Womöglich hofft Israel tatsächlich, das Gesetz noch stoppen zu können. Die Vorlage liegt derzeit im Senat. Dort appellierte am Mittwoch die Geschäftsträgerin der israelischen Botschaft Tal Ben-Ari Ja’alon in einer Rede: „Es ist noch nicht zu spät.“

Polen argumentiert mit Rechtssicherheit

Ben-Ari Ja’alon war selbst vor einigen Tagen von der polnischen Regierung vorgeladen worden. Mehrere Regierungsvertreter reagierten mit scharfen Entgegnungen auf die israelischen Anwürfe. Am Dienstag meldete sich auch der Chef der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) und politische Strippenzieher Jarosław Kaczyński zu Wort: In einem Interview bezeichnete er Lapids Äußerungen als „frech und inakzeptabel“. Sein Land mache seine eigenen Gesetze und schulde niemandem etwas – „nicht einmal einen Groschen“, sagte er der Wochenzeitung „Gazeta Polska“. Polen argumentiert unter anderem mit der Rechtssicherheit für die Betroffenen sowie der Vermeidung von Rechtsmissbrauch und gibt an, mit dem Gesetz ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts umzusetzen.

Polens Botschafter in Israel erklärte die weiteren Hintergründe in einer Tweet-Reihe anhand eines Beispiels, in dem Familien während des Zweiten Weltkriegs aus einem Haus in Warschau vertrieben werden. Anschließend ziehen dort andere Familien ein, die andernorts zum Teil ebenfalls Besitz verloren haben. Nach dem Fall des Kommunismus bieten staatliche Stellen ihnen an, die Wohnungen zu kaufen. Jahre später melden dann Anwaltskanzleien die Rechte der ursprünglichen Besitzer an. „So werden Menschen, die nie etwas mit dem Krieg und dem Holocaust zu tun hatten, dann aus ihrem legal erworbenen Eigentum vertrieben. Sie leben in Angst und Unsicherheit“, schrieb der Botschafter.

Streit um die Geschichte

Bereits Ende Juni hatte der stellvertretende polnische Außenminister Paweł Jabłoński gesagt, das Gesetz richte sich gegen niemanden und adressiere keine Fragen, die mit dem Holocaust zusammenhängen. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass hinter dem aktuellen Disput auch die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Israel und Polen über den Umgang mit und die Deutung der Scho’ah stehen. Polens Premierminister Mateusz Morawiecki (PiS) selbst äußerte vor der Presse, solange er Regierungschef sei, werde Polen „nicht für deutsche Verbrechen bezahlen: keinen Złoty, keinen Euro, keinen Dollar“. Lapid wiederum stellte den Streit in den Kontext eines „Kampfes um die Erinnerung an den Holocaust“.

In den vergangenen Jahren war es regelmäßig zu Zusammenstößen zwischen Israel und Polen gekommen. Deutschlands östlicher Nachbar sieht sich als eines der Hauptopfer des Zweiten Weltkriegs, da es sowohl von Hitler, als auch von Stalin ausgeblutet wurde. Die derzeitige Regierung ist geschichtspolitisch sehr aktiv und streitet etwa auch mit Deutschland über Reparationszahlungen.

Ein Reizthema ist in Polen die Frage polnischer Mittäterschaften während des Krieges. 2018 verabschiedete der Sejm unter israelischem Protest ein später wieder entschärftes Gesetz, das es unter Strafe stellte, der polnischen Nation faktenwidrig eine Mitverantwortung für Verbrechen des Dritten Reichs zuzusprechen. Im vergangenen Jahr sagte Staatspräsident Andrzej Duda (PiS) seine Teilnahme an einer internationalen Gedenkveranstaltung in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem ab, weil er nicht als Redner eingeplant war.

Von: ser

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