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Anerkennung mit Risiko

Für viele Beobachter überraschend haben sich Israel und der Kosovo gegenseitig anerkannt. Der Balkanstaat eröffnet sogar seine Botschaft in Jerusalem. Die Europäische Union reagiert besorgt.
Die erste Botschafterin des Kosovo in Jerusalem: Ines Demiri

Am 1. Februar haben Israel und der Kosovo diplomatische Beziehungen aufgenommen. Damit erkennt ein weiteres mehrheitlich muslimisches Land den jüdischen Staat an. Die am 14. Februar neu gewählte Regierung in Pristina hielt sich zudem an die Zusagen ihrer Vorgängerin und eröffnete am 14. März als derzeit drittes Land überhaupt die Botschaft in Jerusalem. Der designierte kosovarische Außenminister Besnik Tahiri stellte klar, die Haltung zu Jerusalem hänge nicht an der einen oder anderen Regierung, sondern sei „Staatsposition“.

Umgekehrt gehört Israel zu den nun 98 Ländern – rund die Hälfte der UN­Mitgliedsstaaten –, die den Kosovo anerkannt haben. Den Schritt bezeichnete die damalige Außenministerin Meliza Haradinaj-Stublla als „eine der größten Errungenschaften“ des jungen Landes. Israel begibt sich damit jedoch in eine schwierige Situation: Denn Serbien passt die Anerkennung nicht. Belgrad sieht den Kosovo, der sich 2008 einseitig für unabhängig erklärt hat, als autonome Region innerhalb des eigenen Staatsgebietes.

Diplomatisches Geflecht

Die Aufnahme der Beziehungen hat ihren Ursprung in Abkommen, die am 4. September im Weißen Haus unterzeichnet wurden. Darin vereinbarten Serbien und der Kosovo die Normalisierung ihrer wirtschaftlichen Beziehungen. Für viele erstaunlich war, dass Israel dabei auch eine Rolle spielte: Seitens des Kosovo ging es um die Anerkennung, seitens Serbiens um die zeitnahe Eröffnung einer Handelsmission in Jerusalem – und die Verlegung der Botschaft nach Jerusalem bis Juli 2021.

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Jerusalem als Hauptstadt

Die meisten Länder erkennen Jerusalem als Hauptstadt Israels nicht an und haben dementsprechend nicht dort, sondern in Tel Aviv ihre Botschaften. Guatemala, der Kosovo und die USA sind hierbei die Ausnahme. Die afrikanischen Staaten Malawi und Äquatorialguinea haben Botschaften in Jerusalem angekündigt, Serbien unter Vorbehalt einer Nicht-Anerkennung des Kosovo. Einige Länder haben sich in der Jerusalem-Frage zu einem Zwischenschritt entschieden: der Eröffnung von Handelsmissionen mit diplomatischem Status (Brasilien, Honduras, Kolumbien, Serbien, Tschechien und Ungarn). Australien betreibt in Jerusalem Regierungsbüros, die explizit keinen diplomatischen Status haben, also keine „Filiale“ der Botschaft in Tel Aviv darstellen. Ebenso wie Russland betrachtet Australien lediglich den Westteil der Stadt als Hauptstadt Israels. Der pazifische Inselstaat Nauru erkennt seit August 2019 ganz Jerusalem als Hauptstadt an. Kurios: Paraguay hatte im Mai 2018 eine Botschaft in Jerusalem eröffnet, machte nach einem Regierungswechsel den Schritt drei Monate später aber rückgängig.

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In den Tagen nach der Unterzeichnung wurde klar, dass Serbien die Entwicklung zwischen Israel und dem Kosovo mit Argwohn betrachtet: Ein Regierungssprecher stellte zwar klar, dass sich dies nicht auf die Wirtschaftsvereinbarungen auswirken würde. Sollte Israel den Kosovo jedoch anerkennen, würde dies den israelisch-serbischen Beziehungen schaden. In diesem Falle würde Serbien von einer Botschaftsverlegung absehen. Als die Anerkennung dann im Februar vollzogen wurde, teilte Außenminister Nikola Selakovic mit, er sei „nicht glücklich“ über den Schritt.

Der amerikanische Faktor

Auf den ersten Blick wirkt dieser Vorgang wie viele andere in der Politik: Des einen Freud ist des anderen Verdruss. Dennoch drängt sich die Frage auf, was Israel zu einer Anerkennung Pristinas bewogen hat. Für viele Beobachter kam der Schritt überraschend, zumal die beiden Länder bislang wenig miteinander zu tun hatten. Über die Jahre hatte Jerusalem auf eine Anerkennung des Kosovo verzichtet, auch weil dessen Situation an die der Palästinenser erinnert: Eine in einem bestimmten Gebiet mehrheitlich vertretene Gruppe erklärt einseitig ihre Eigenstaatlichkeit. Die Palästinenser haben dies bereits 1988 getan, bis heute haben es 138 Länder anerkannt. Und tatsächlich sehen die Palästinenser im Kosovo ein Vorbild: „Der Kosovo ist nicht besser als wir“, sagte der hochrangige palästinensische Politiker Jasser Abed Rabbo im Jahr 2008 als Reaktion auf die Unabhängigkeitserklärung. „Wir verdienen sogar noch vor dem Kosovo Unabhängigkeit.“

Die Anerkennung des Kosovo stößt auch bei israelischen Diplomaten auf Unverständnis. Der frühere israelische Botschafter in Serbien, Arthur Koll, sieht Israel „in den Balkan-Konflikt geworfen“. So formulierte er es gegenüber der Nachrichtenseite „The Media Line“. Er fürchtet, dass dies Auswirkungen auf den Konflikt mit den Palästinensern haben könnte. Und er vermutet, dass die USA diesbezüglich Druck auf Israel ausgeübt haben. Donald Trump befand sich damals mitten im Wahlkampf und wollte sich offenbar nicht nur als Vermittler in Konflikten, sondern mit Blick auf seine christlichen Wähler auch als Förderer Jerusalemer Interessen präsentieren. Netanjahu wiederum konnte wegen der dezidiert pro-israelischen Politik Trumps schlecht Nein zu einer Anerkennung des Kosovo sagen.

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Der Kosovokonflikt

Der Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo tritt seit Anfang der 1980er Jahre verstärkt offen zutage: Die muslimischen Kosovo-Albaner forderten Republikstatus innerhalb Jugoslawiens für die Provinz. Die Serben sehen das Gebiet aber als Wiege ihrer Nation. Auch die serbisch-orthodoxe Kirche hat dort ihren Ursprung, das Gebiet beherbergt zahlreiche Klöster. Unter Machthaber Josip Broz „Tito“ (1892–1980) hatte der Kosovo 1974 Teilautonomie erhalten, mitsamt einer Garantie für die Ausübung des muslimischen Glaubens. Slobodan Milosevic (1941–2006) machte diese Autonomie rückgängig und stellte den Kosovo 1990 unter Zwangsverwaltung. Willkür und Unrecht gegen die Kosovaren herrschten vor. Diese beschränkten sich zunächst auf friedlichen Widerstand und bauten einen Untergrundstaat auf. Ab 1996 trat die „Befreiungsarmee des Kosovo“ (UCK) mit Gewaltakten in Erscheinung. 1998 kam es zum Krieg, 1999 mischte die NATO nach ergebnislosen Verhandlungen auf der Seite des Kosovo mit. Der Einsatz sollte der humanitären Katastrophe – es gab Massaker auf beiden Seiten – ein Ende setzen, war aber höchst umstritten. Nach einer vorläufigen Beruhigung brach der Konflikt 2004 erneut aus. 2008 erklärte sich der Kosovo für unabhängig. Kosovaren bilden heute mit 80 Prozent die überwiegende Mehrheit im Land, die christlichen Serben finden sich vor allem im Norden. Beide Gruppen leben weitgehend in Parallelgesellschaften.

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Druck aus Brüssel und Ankara

Doch auch für den Kosovo ist der Zug mit Risiko verbunden. Einerseits mag das Land mit seinen rund 1,9 Millionen Einwohnern froh sein über jede diplomatische Anerkennung, um sich gegenüber Serbien zu behaupten. Andererseits geht die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels, zumal der Betrieb einer Botschaft dort, der Europäischen Union gegen den Strich: Der Staatenverbund hat die Vision von Jerusalem als „Hauptstadt zweier Staaten“, eines israelischen und eines palästinensischen. Solange dieses Ziel nicht „durch Verhandlungen“ herbeigeführt wird, müssen EU-Mitglieder ihre Botschaften in Tel Aviv belassen.

Der Kosovo ist zwar kein EU-Mitglied, strebt aber wie Serbien einen Beitritt an. Auf Israelnetz-Anfrage, mit welchen Konsequenzen der Kosovo nun rechnen müsse, teilte ein Sprecher der Europäischen Union lediglich mit, die Entscheidung, von der EU-Position abzurücken, sei zu bedauern: „Jegliche diplomatischen Schritte, die die gemeinsame Haltung der EU zu Jerusalem infrage stellen, sind eine Angelegenheit großer Besorgnis.“

Druck auf Pristina übt auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan aus. Zum Thema Botschaft in Jerusalem sagte er vor der Eröffnung: „Es wäre vorteilhaft, so einen Zug, der dem Kosovo schaden würde, zu vermeiden.“ Nach der Eröffnung teilte die Türkei mit, sie betrachte dies als „unverantwortlich“ und „gesetzlos“.

Wie die außenpolitischen Folgen der wechselseitigen Anerkennung zwischen Israel und dem Kosovo aussehen werden, lässt sich noch nicht sagen. Doch für die Juden im Kosovo – nach eigenen Angaben 86 Familien – sind die neuen Beziehungen eine gute Nachricht: Die frühere Außenministerin Haradinaj-Stublla verkündete bei der Anerkennungszeremonie, noch in diesem Jahr werde ein jüdisches Kulturzentrum gebaut. Zudem werde die Regierung die Pflege jüdischer Friedhöfe sowie Bildungsmaßnahmen bezüglich des Holocaust­Gedenkens fördern.

Von: Daniel Frick

Diesen Artikel finden Sie auch in der neuen Ausgabe 2/2021 des Israelnetz Magazins. Sie können die Zeitschrift kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/5 66 77 00, via E-Mail an info@israelnetz.com oder online. Gerne können Sie auch mehrere Exemplare zum Weitergeben oder Auslegen anfordern.

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