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„Es gibt eine extreme Fokussierung auf Israel“

Der FDP-Abgeordnete Frank Müller-Rosentritt hat im Bundestag einen Antrag initiiert, das deutsche Abstimmungsverhalten bei den Vereinten Nationen zu ändern. Mit Israelnetz sprach er über Probleme bei den UN, seine Einstellung zur Israel-Politik der Bundesregierung und seine persönliche Motivation.
Initiierte bereits mehrere pro-israelische Anträge im Bundestag: der FDP-Abgeordnete Frank Müller-Rosentritt

Am Dienstag wurde in New York die 74. Sitzungsperiode der UN-Generalversammlung eröffnet. In der kommenden Woche startet dann die große Generaldebatte. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu wird aufgrund der innenpolitischen Situation nach den Knesset-Wahlen in diesem Jahr nicht vor Ort sein. Dennoch dürfte der jüdische Staat auch dieses Mal wieder unter Beschuss stehen. Immer wieder stimmt auch Deutschland Resolutionen zu, die einseitig gegen Israel gerichtet sind. Den FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Müller-Rosentritt ärgert das.

Israelnetz: Herr Müller-Rosentritt, im März lehnte der Bundestag einen Antrag Ihrer Fraktion ab, das deutsche Abstimmungsverhalten bei den UN zu ändern. Hat Ihre Initiative dennoch in irgendeiner Art und Weise Wirkung gezeigt?

Frank Müller-Rosentritt: Unser Antrag hat in den Medien große Aufmerksamkeit erhalten. Dadurch sind viele gesellschaftliche Gruppen auf das Thema aufmerksam geworden, auch die Parteien der Großen Koalition, die sich dann damit befassen mussten. Dementsprechend kann ich sagen, dass wir auf jeden Fall ein Ziel erreicht haben. Wir haben auf die Doppelmoral hingewiesen, mit der die Bundesregierung entweder gegen Israel votiert oder sich enthält.

Ich denke auch an eine Abstimmung bei der WHO im Mai: Erstmals stimmte Deutschland hier gegen eine alljährliche Anti-Israel-Resolution …

Ja, hier war sogar ein erster Erfolg im Regierungshandeln zu sehen. Ich will allerdings nicht in maßloser Selbstüberschätzung sagen, dass dies allein an unserem Antrag lag. Ich denke aber schon, dass es einen kausalen Zusammenhang gibt.

Außenminister Mass begründet das Verhalten der Bundesregierung damit, bei der Formulierung von Resolutionstexten „bis zum Schluss dabei zu sein“. Ist das nicht einfach besonders pragmatisch?

Pragmatisch hin oder her. Gut gemeint ist nicht automatisch auch gut gemacht. Die Statistik zeigt doch ganz deutlich, dass sich das Ansinnen von Herrn Maas entweder durch Naivität oder durch Lippenbekenntnisse auszeichnet. Von 26 Resolutionen der vergangenen UN-Generalversammlung richteten sich 21 einseitig gegen Israel. Und Deutschland hat 16 dieser Resolutionen zugestimmt. Es gibt offenbar bei einer signifikanten Anzahl von UN-Mitgliedsstaaten den Wunsch, Israel in Gänze zu delegitimieren und anzuprangern. Vor diesem Hintergrund erscheinen die salbungsvollen Worte des Außenministers äußerst zweifelhaft.

Sie argumentieren in erster Linie mit der Anzahl der Resolutionen. Stimmen Sie den Texten denn inhaltlich zu, wenn diese etwa Kritik an der Siedlungspolitik der israelischen Regierung üben?

Die Verurteilung der Siedlungspolitik wird den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern in keinster Weise lösen. Einseitige Verurteilungen werden die Gespräche nur erschweren, wenn nicht sogar verhindern. Das bedeutet aber überhaupt nicht, dass ich die Augen vor Dingen verschließe, die aus meiner Sicht in Israel hochproblematisch sind.

Zum Beispiel?

Gerade weil wir gute Beziehungen haben, kritisieren wir die Regierung in Israel auch. Als Freier Demokrat muss ich natürlich feststellen, dass Premierminister Benjamin Netanjahu nicht gerade der liberalste Politiker ist. Wenn man sich für das Existenzrecht Israels einsetzt, wird das immer gleichgesetzt mit einer kritiklosen Unterwürfigkeit unter die aktuelle Regierung. Das ist völliger Quatsch. Noch einmal: Die Regierung darf natürlich kritisiert werden – so wie jede andere Regierung auch. Problematisch ist der oft sehr einseitige Blick: Warum reden wir nicht mal über die Besetzung der Westsahara oder Tibets? Es gibt eine extreme Fokussierung auf Israel, die mir Sorge macht.

Sie plädieren auch dafür, die Europäer von einem anderen Abstimmungsverhalten zu überzeugen. Wären im Zweifel deutsche Alleingänge nötig, wenn dies nicht gelingt?

In der aktuellen Situation ist es dringend notwendig, dass Europa mit einer einheitlichen Stimme spricht. Das ist eine unserer liberalen Kernforderungen. Die Priorität muss darauf liegen, als Europäer eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. Ich hoffe, dass die neue Kommission unter Ursula von der Leyen Initiative ergreift und die europäische Außenpolitik neu justiert mit einem klaren Bekenntnis zum Existenzrecht Israels.

„Die Reaktion der USA ist nicht vom Himmel gefallen“

Die USA reagieren radikal auf die Zustände bei den UN: Die Trump-Regierung hat den Ausstieg aus dem UN-Menschenrechtsrat und der Kulturorganisation UNESCO vollzogen und die Finanzierung der des UN-Hilfswerks für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) beendet. Ist das der richtige Weg?

Ja und Nein. Klar ist: Die Reaktion der USA ist keineswegs vom Himmel gefallen. Sie weist auf Probleme hin, die es in diesen Institutionen gibt. Wir brauchen zum Beispiel eine Debatte darüber, mit welchen antisemitischen Stereotypen UNRWA-Schulbücher Israel darstellen. Dort wird letztlich mit deutschen Steuergeldern gelehrt, Israel von der Landfläche zu tilgen. Und man muss auch darüber sprechen, wie die UNESCO eine Resolution verabschieden konnte, in der das jüdische Erbe des Tempelberges geleugnet wird.

Spricht das nicht alles dafür, dass das Problem sehr tiefgreifend ist und Reformen nicht mehr möglich sind?

Ja, das ist sehr schwierig. Trotzdem sollten wir in solchen Situationen gerade als Europäer besonnen reagieren. Ich glaube schon, dass UNRWA und UNESCO ganz wichtige Hilfsaufgaben übernehmen. Ein kompletter Rückzug ist keine realistische Option. Wir sollten unsere Gelder – insbesondere an die UNRWA – an Bedingungen knüpfen, die unseren Werten entsprechen. Letztlich brauchen wir aber auch eine Debatte darüber, ob die UNRWA dem ganzen Friedensprozess grundsätzlich vielleicht mehr schadet als hilft.

Nicht nur die UNRWA-Zahlungen sind umstritten, sondern auch der Geldfluss an die Palästinensische Autonomiebehörde (PA). Studien weisen darauf hin, dass über diesen Umweg deutsche Steuergelder bei palästinensischen Terroristen landen. Wie soll Deutschland damit umgehen?

Auch hierfür gilt das bereits zur UNRWA Gesagte.

Laut Bundesregierung sind die Hilfsgelder schon jetzt zweckgebunden. Ob dies wirkt, ist aber zweifelhaft …

Wir müssen gut abgewogen vorgehen und schauen, ob sich die Vorwürfe bewahrheiten. Die PA übernimmt wichtige Funktionen innerhalb des Autonomiegebietes. Wir müssen diskutieren, wie wir weiter damit umgehen.

Die Bundestagsdebatte über Ihren UN-Antrag verlief kontrovers. Die anderen Fraktionen warfen Ihnen eine „Diskreditierungsstrategie gegenüber der Bundesregierung“ vor. War da etwas dran?

Es braucht keinen Antrag der Opposition, um diese Große Koalition zu diskreditieren. Mit diesem Vorwurf sollte vom eigentlichen Thema abgelenkt werden. Die Debatte hat gezeigt, dass die Probleme von Teilen der Regierungsfraktionen ebenso wahrgenommen werden.

Nur zwei Monate später hat ein ebenfalls von Ihnen initiierter Antrag gegen die anti-israelische Boykottbewegung BDS eine Mehrheit im Bundestag erhalten. Was haben Sie anders gemacht?

Da es den Vorwurf der mangelnden Absprache nun einmal gab, bin ich mit der BDS-Initiative pro-aktiv auf die anderen Fraktionen zugegangen. Wir haben es dann geschafft, einen gemeinsamen Text zu verfassen.

In den Bundestagsdebatten fällt neben der FDP die AfD mit pro-israelischen Beiträgen auf. Sehen Sie hier Gemeinsamkeiten, die sogar zu einer Zusammenarbeit führen könnten?

Ich bin wegen der AfD überhaupt politisch aktiv geworden, um etwas gegen diese Partei zu tun. Die AfD ist unser gegenüberliegender Pol – wir stehen für Freiheit, Weltoffenheit und Liberalität. Solange es dort zum Beispiel einen Fraktionsvorsitzenden gibt, der die Scho’ah als „Vogelschiss“ bezeichnet, oder einen Funktionär, der das Holocaust-Denkmal als „Denkmal der Schande“ sieht, erübrigt sich jeder Gedanke an eine Zusammenarbeit.

„Trennung der Hisbollah in militärischen und politischen Arm ist naiv“

Entsprechend haben Sie auch im Juni gegen einen AfD-Antrag gestimmt, die schiitische Hisbollah-Partei aus dem Libanon in Deutschland zu verbieten. Wie stehen Sie inhaltlich zur Frage eines Verbots?

Die Herausforderungen mit der Hisbollah müssen wir ernst nehmen. Eine naive Betrachtungsweise, wie sie die Bundesregierung macht …

Sie meinen die Differenzierung zwischen einem politischen und militärischen Arm.

Diese Trennung gilt es zu hinterfragen. Wir als FDP initiieren Anträge, die so substantiell sein müssen, dass sie im Falle einer Verantwortung auch umgesetzt werden können. Deshalb dauert der Gedankenprozess auch länger. Die AfD will das Thema hingegen nur instrumentalisieren.

Sie sind also an der Thematik dran?

Selbstverständlich, das ist eine meiner aktuellen Hauptaufgaben. Wir arbeiten an einer sehr konkret umsetzbaren Lösung und werden entsprechende Vorschläge unterbreiten. Das benötigt Zeit.

Der deutsche Gesandte in Ramallah likt anti-israelische Tweets, während der UN-Botschafter israelische Bulldozer und Hamas-Raketen in einem Atemzug nennt. Sind das Einzelfälle oder hat die deutsche Außenpolitik ein tiefergreifendes Problem?

Ich habe die Nachrichten darüber erst für einen schlechten Scherz gehalten. Diese Fälle sind absolut besorgniserregend.

Wie erklären Sie sich dieses Verhalten?

Ich kann es mir nicht erklären. Es ist außerhalb meiner Vorstellungskraft, dass deutsche Diplomaten solche Dinge sagen. Dennoch glaube ich nicht, dass es ein strukturelles Problem im Auswärtigen Amt gibt. Wenn es zu solchen Vorfällen kommt, muss dies ganz klar thematisiert und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, wie es auch passiert ist. Ich halte es für eine große Errungenschaft, dass inzwischen ein Bewusstsein für solche Fälle entstanden ist.

Woran machen Sie das fest?

Es fällt heute einfach auf, wenn anti-israelische Tweets von einem offiziellen deutschen Twitter-Account aus gelikt werden, es kommt in der Presse an. So können sich die Entscheidungsträger nicht wegducken.

Noch einmal zu Ihrer Partei. Im Bundestagswahlprogramm 2017 bekannte sich die FDP zu einem „Zwei-Staaten-Modell“. Ist diese Lösung überhaupt noch praktikabel?

Es gibt diverse Überlegungen über das richtige Vorgehen. Für mich führt an der Zwei-Staaten-Lösung kein Weg vorbei. Dabei sind die Interessen beider Seiten zu berücksichtigen: Israels legitimes Sicherheitsinteresse und der Wunsch der Palästinenser nach einem eigenen Staat. Wichtig ist, eine Politik der kleinen Schritte zu avisieren. Es wird viel zu viel über große Lösungen gesprochen, statt überhaupt erst mal den Weg dahin einzuschlagen, den ersten Schritt zu gehen. Aktuell sind wir davon weit entfernt.

„Israel hat mehr zu bieten als Konflikt“

Viele erinnern sich noch gut an die Debatten über Jürgen Möllemann. Hat sich die FDP gewandelt?

(lacht) Es gibt kein Interview ohne diese Frage. Nein, die FDP hat sich nicht gewandelt. Innerhalb der Fraktion und unter den Mitgliedern gibt und gab es immer ein klares Selbstverständnis. Der Blick fällt dabei im Übrigen viel weniger auf den Nahost-Konflikt, als vielmehr auf die Start-up-Nation Israel. Dieses Land hat mehr zu bieten als Konflikt, es geht in vielen Bereichen progressiv voran – Technologie, Klimaschutz, Umweltschutz. Dieses Know-How wissen viele Abgeordnete unserer Fraktion zu schätzen. Jürgen Möllemann hat niemals eine Mehrheitsposition der FDP-Fraktion vertreten. Was aber richtig ist: Durch unsere Anträge haben wir nun auch öffentlich ganz klar gezeigt, wo wir stehen – für eine faktische Umsetzung des Bekenntnisses zum Existenrecht Israels im Regierungshandeln.

Woher kommt Ihr persönliches Engagement für Israel?

Menschen mit meiner Vergangenheit – ich und meine Frau sind in der DDR groß geworden – haben besondere Antennen dafür, dass Freiheit nicht selbstverständlich ist und täglich verteidigt werden muss. Außerdem ist mir die Einbindung in die demokratische Werteordnung und die Unterstützung unserer Verbündeter grundsätzlich wichtig. Und: Natürlich haben wir als Deutschland mit Blick auf unsere Geschichte eine absolute Verpflichtung, das jüdische Volk zu unterstützen und uns täglich für das Existenzrecht Israels einzusetzen.

Gibt es etwas, das Sie besonders bewundern an Israel?

Da gäbe es unglaublich viel zu nennen: Die Start-up-Nation, der Wille, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, der Lebenswille überhaupt und auch die unglaubliche Lust am Leben. Auch eine gewisse Frechheit natürlich. Ich glaube, man kann es in einem Wort zusammenfassen: Die Chuzpe. Dieses Wort steht synonym für so vieles, was ich an diesem Land schätze.

Vielen Dank für das Gespräch!

Frank Müller-Rosentritt (37) sitzt seit 2017 im Bundestag. Dort ist er unter anderem Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Der Chemnitzer ist zudem stellvertretender Landesvorsitzender der FDP Sachsen.

Die Fragen stellte Sandro Serafin

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