TEL AVIV (inn) – Zehntausende Israelis haben am Samstagabend in Tel Aviv an die Ermordung von Premierminister Jizchak Rabin vor 30 Jahren erinnert. Zu den Rednern auf dem Rabin-Platz gehörte auch eine ehemalige Geisel. Vertreter der aktuellen Regierung traten nicht auf die Bühne.
Rabin war am 4. November 1995 bei einer Friedenskundgebung vom extremistischen Juden Jigal Amir erschossen worden. Oppositionsführer Jair Lapid (Jesch Atid) sagte laut der Zeitung „Yediot Aharonot“, die drei Kugeln hätten nicht nur eine Führungsperson töten sollen, sondern auch eine Idee. „Das bedeutet politischer Mord: gleichzeitig einen Mann und eine Vision töten. Der Mann wurde getötet. Es ist unsere Pflicht, zu gewährleisten, dass die Vision weiterlebt.“
Es handele sich um die Idee, „dass ein Land sowohl stark sein, als auch nach Frieden streben kann, sowohl national, als auch liberal sein kann, und vor allem sowohl jüdisch, als auch demokratisch“. Zionismus, die Unabhängigkeitserklärung und Israels Demokratie seien in der jüdischen Tradition verwurzelt, fügte Lapid an. Wer versuche, diese Konzepte voneinander zu trennen, schüre Hass.
Golan: Schüsse klingen nach
Der Abgeordnete Jair Golan meldete sich ebenfalls zu Wort. Er ist Vorsitzender der Partei „Die Demokraten“, die aus Rabins sozialdemokratischer Arbeitspartei (Avoda) und der linksgerichteten „Merez“ hervorging. Er zog eine direkte Linie vom Mord damals zu „Hetze und extremistischem Nationalismus“ in Israel heute.
„Der Nachhall jener drei Schüsse ist nicht vergangen“, sagte Golan. „Sie klingen heute immer noch in jedem Akt dieser Regierung nach, die gegen ihr eigenes Volk handelt. Jedes Mal, wenn Patrioten Verräter genannt werden. Jedes Mal, wenn Demonstranten, die ihre bürgerliche Pflicht erfüllen, geschlagen werden. Jedes Mal, wenn die Medien zum Schweigen gebracht werden und auf der Justiz herumgetrampelt wird – dann hallen diese selben Schüsse nach.“ Rabin habe gewusst, „dass Frieden nicht Schwäche ist, sondern Stärke und Macht“.
Der Vorsitzende der kürzlich von ihm gegründeten Partei „Jaschar“, Gadi Eisenkot, bezeichnete Rabin als „wahren Mann der Sicherheit“. Der Premier sei an die Stelle von Politikern getreten, die nach dem Versagen beim Jom-Kippur-Krieg von 1973 zurückgetreten seien, weil sie Verantwortung übernahmen – in Worten und Taten. Der frühere Armeechef forderte eine staatliche Untersuchung der Versäumnisse, die zum Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 geführt hatten.
Die frühere Außenministerin Zippi Livni (zuletzt „HaTnua“) hatte von 2013 bis 2014 Verhandlungen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) angeführt. Sie sagte: „Vor 30 Jahren wurde Rabin ermordet. Aber die Demokratie starb nicht, und wir kämpfen um ihr Leben und für unser Leben unter ihr.“
Ehemalige Geisel ruft zum Frieden auf
Die ehemalige Geisel Gadi Moses aus dem Kibbuz Nir Os rief die Israelis auf, um zukünftiger Generationen willen Frieden zu wählen. „Wenn ich hier stehen und diese Dinge laut aussprechen kann, dann können wir alle das. Ich muss diese Hoffnung und diesen Glauben senden“, sagte der 80-Jährige, der im Januar nach 482 Tagen im Gazastreifen freigelassen wurde. Er forderte diplomatische Abkommen mit den Palästinensern, Syrien und dem Libanon.
Er selbst habe nach einem gescheiterten Rettungsversuch gesehen, wie Rabin vor der Kamera Verantwortung übernahm, ergänzte Moses. „Er war ein ehrlicher Mann und ein mutiger Leiter. Wenn Jizchak Rabin heute Premierminister wäre, würde niemand zurückgelassen. Er hätte uns, die Gefangenen, nicht zwei Jahre lang aufgegeben. Er hätte sich nicht abgewandt, bis jeder nach Hause zurückgekehrt wäre, einschließlich der Gefallenen.“
Moses bezog sich auf Nachschon Wachsman, der 1994 im Westjordanland von der Hamas entführt wurde. Rabin lehnte den geforderten Austausch gegen 201 Sicherheitshäftlinge ab und ordnete einen Befreiungsversuch an. Dieser misslang, die Geisel wurde von einem Terroristen erschossen.
„Rabin hatte recht“
Bei der Veranstaltung wurde auch Rabins letzte Rede ausgestrahlt, die er bei der Friedenskundgebung auf dem Platz hielt, der damals noch nicht seinen Namen trug. Zum Zeitpunkt der damaligen Schüsse um 21:45 Uhr Ortszeit gab es eine Schweigeminute.
Nach Einschätzung der Veranstalter kamen anfangs 80.000 Menschen zur Gedenkkundgebung, am Ende waren es demnach 150.000 Teilnehmer. Transparente riefen zum Frieden auf oder erklärten: „Rabin hatte recht“.
Rabin war von 1974 bis 1977 und noch einmal von 1992 bis zu seiner Ermordung 1995 israelischer Regierungschef. Er unterzeichnete 1993 mit Palästinenserführer Jasser Arafat (Fatah) die Oslo-Abkommen. Der Attentäter Amir lehnte es ab, Kontrolle im Westjordanland an die Palästinenser zu übergeben. Er wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.
An die Versammlung schloss sich die wöchentliche Demonstration auf dem Geiselplatz an. Die Teilnehmer forderten die Rückholung der zu dem Zeitpunkt noch elf verbliebenen toten Geiseln aus dem Gazastreifen. Mittlerweile befinden sich noch acht Leichname in den Händen der Terroristen. (eh)
3 Antworten
Rabin habe gewusst, „dass Frieden nicht Schwäche ist, sondern Stärke und Macht“.
Und deshalb war Jitzchak Rabin der beste israelische Ministerpräsident seit 1948. Er erkannte als Erster, dass Israel langfristig nur überleben kann, wenn es in Frieden mit seinen arabischen Nachbarn lebt. Wer kann in der gegenwärtigen Lage garantieren, dass Israel in 20 Jahren überhaupt noch existiert? Deshalb befürworte ich ein Abraham-Abkommen mit den arabischen Staaten anstelle einer Annexion.
Hinter Oppositionsführer Lapid steht: „Ja zu Frieden – nein zu Gewalt!“. Danke Herr Lapid,
sein Unglück war, dass er eine Koalition mit Naftali Bennett bilden musste, den ich für noch radikaler halte als Netanjahu. Doch wenn Lapid nächstes Jahr hoffentlich gewinnt und eine Koalition mit Jair Golan zustande kommt, kann das Ziel, das Jitzchak Rabin anstrebte, wieder realisierbar werden.
Ob Christ, Jude oder Muslim – wir alle gehören dem abrahamitischen Glauben an.✡️✝️☪️
Ein hervorragender Artikel. Danke nach Wetzlar fürs Einstellen.
Der Ermordung des eigenen Ministerpräsidenten durch einen -formal- Landsmann, der kann man nicht häufig genug gedenken.
Bezeichnend für den jüdischen Staat 2025 S.3 des ersten Absatzes aber:
“ Vertreter der aktuellen Regierung traten nicht auf die Bühne.“ – denn wenn sich ein gemässigter Likud-Politiker oder gar der MP an der Trauer um die Ermordung Rabins demonstrativ beteiligt hätten, gäbe es wieder Zoff mit den Spinnerten in der ggw. Regierung Israels.
Ich will darauf hoffen, dass die rechtsradikal beeinflusste Regierung schon vor dem gesetzlichem Neuwahl-Termin den Jordan runtergeht. Ansonsten eben spätestens im Oktober kommenden Jahres.
Die Idee, „dass ein Land sowohl stark sein, als auch nach Frieden streben kann“, war gut aber unrealistisch. Frieden mit Arafat, Frieden mit einem Terroristen?