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„Israel ist zu einem anderen Land geworden“

Auf einer Konferenz in Frankfurt am Main teilt die Journalistin Gisela Dachs ihre Beobachtungen zur Lage der israelischen Gesellschaft. Ein Terrorexperte informiert über unterschiedliche Strömungen der Hamas.
Von Elisabeth Hausen

FRANKFURT/MAIN (inn) – Israels zerrissene Gesellschaft wurde am „schwarzen Schabbat“ vom Blitz getroffen. Dies sagte die Publizistin Gisela Dachs am Mittwoch auf der Konferenz „Der 7. Oktober“ in Frankfurt am Main. Wer seitdem nicht in Israel gewesen sei, verstehe die Lage nicht. Es sei zu einem anderen Land geworden.

Ein Anzeichen für diese Veränderung sei, dass man nicht mehr frage: „Wie geht es?“ Denn: „Was soll man darauf antworten? Den Umständen entsprechend gut? Auch das würde nicht stimmen.“

Die Israelis seien „wie in einer Zeitschleife gefangen“, ergänzte die langjährige „Zeit“-Korrespondentin, die an der Hebräischen Universität Jerusalem am European Forum lehrt. Die Rekonstruktion der Geschehnisse dauere noch an. Im Fernsehen seien permanent Sendungen zu sehen, die sich damit befassten. Fast täglich fielen Soldaten. Viele, die nicht zu den Beerdigungen gehen könnten, verfolgten sie live auf dem Bildschirm. Die Gesichter der Geiseln seien allgegenwärtig.

Der Blitz habe Israel getroffen, nachdem es neun Monate lang jeden Samstag Massenproteste gegeben habe. Der Bruch sei mitten durch Familien gegangen. Manche hätten nicht mehr zusammen Pessach oder Rosch HaSchanah gefeiert, weil sie wegen der Justizreform uneins gewesen seien.

Doch auf das Terrormassaker habe „eine unglaubliche Zivilgesellschaft, die sich in aller Stärke gezeigt hat“, reagiert. Das nenne man Resilienz, fügte die Journalistin hinzu.

Journalistin Schapira: „Globaler rasender Judenhass“

Eine sehr persönliche deutsch-jüdische Perspektive zur aktuellen Situation Israels brachte Esther Schapira ein. Dabei lag der Schwerpunkt auf den antisemitischen Reaktionen auf das Massaker. Aus ihrer Sicht hat der 7. Oktober die Welt neu sortiert: in ein jüdisches Wir und das Sie der Täter – und das Ihr. Das Letztere zeige alle Schattierungen von solidarisch bis hasserfüllt.

Die „altbekannte Schuldumkehr“ sei schon aufgetaucht, bevor die israelische Armee gegen die Hamas vorrückte. Sie habe damit gerechnet – aber die Schnelligkeit, mit der die Bilder in Vergessenheit gerieten, nicht geahnt. „Wie lange ist es möglich, den globalen rasenden Judenhass zu überleben?“, fragte die Journalistin.

Da viele Opfer des Terrorüberfalles Friedensaktivisten waren, frage sie sich: „Wo waren die palästinensischen Friedenspartner jetzt?“ Schapira sprach von einem „antisemitischen Verrat der Linken“. Die Globale Linke habe jedes Recht verloren, über Israels Zukunft mitzubestimmen.

Genau 54 Jahre sei es her, dass bei einem Anschlag auf ein Swissair-Flugzeug alle 54 Passagiere getötet wurden. Der einzige Grund: „Weil sie nach Israel fliegen wollten.“ Auch die Opfer des 7. Oktober seien ermordet oder verschleppt worden, weil sie Juden waren oder einen Bezug zu Israel hatten.

Zu den politischen Kundgebungen in Deutschland merkte Schapira an: „Jetzt gibt es die Massendemonstrationen, auf die wir nach dem 7. Oktober gehofft hatten.“ Die Parole „Nie wieder ist jetzt“ werfe in ihr jedoch die Frage auf: „Wem gilt dieses Versprechen?“ Trotz dieser Unklarheit und des zunehmenden Antisemitismus ermutigte sie die jüdische Gemeinschaft in Deutschland dazu, sich an gerechtfertigten Protesten zu beteiligen und in der Öffentlichkeit als Juden zu erscheinen.

Terrorexperte: Fünf „Gesichter“ der Hamas

Über die Hamas referierte der Terrorexperte Peter Neumann vom King’s College in London. Er sieht fünf „Gesichter“: Als religiöse Bewegung erhält die Hamas demnach Legitimation in der islamischen Welt. Als Wohlfahrtsorganisation indoktriniere sie, etwa in den von ihr eingerichteten Kindergärten und Schulen.

Die Hamas trete aber auch als politische Partei auf, was ihr öffentliche Unterstützung ermögliche. Da sie die Regierung im Gazastreifen bilde, habe sie Kontrolle über das Territorium. Überdies nehme sie Steuern und Gebühren ein, etwa für die Nutzung der Tunnel. Der militärische Flügel wiederum führe dazu, dass sie als vermeintlicher „Verteidiger“ der palästinensischen Sache wahrgenommen werde.

Darüber hinaus gebe es in der Terrorgruppe unterschiedliche Strömungen, sagte Neumann weiter. Das „Politbüro“ in Katar vertrete eine „moderatere“ Haltung, deshalb werde auch mit dessen Vertretern über die Freilassung der Geiseln verhandelt. Im Gazastreifen seien hingegen mit Jahja Sinwar oder Mohammed Deif „radikalere“ Hamas-Führer zu finden. Diese Widersprüchlichkeit erschwere es, die islamistische Organisation einzuschätzen.

Neumann führte weiter aus, die Charta von 1988 wende sich explizit „gegen Juden“. 2017 habe die Hamas eine neue Charta veröffentlicht, die zwischen „Juden“ und „Zionisten“ differenzierte und gemäßigter wirkte. Dies sei ein Grund für die große Täuschung nicht nur in Israel gewesen: „Die Hamas haben wir im Griff.“ Verhandlungen mit Israel indes schließt die Charta ebenso aus wie eine „Zwei-Staaten-Lösung“.

Fassungslosigkeit bündeln

Veranstalter der dreitägigen Konferenz „Der 7. Oktober“ sind die Bildungsabteilung des Zentralrates der Juden in Deutschland, die Kinder- und Jugend-Aliyah e. V. sowie das israelische Generalkonsulat in München. Nach Aussage des Leiters der Bildungsabteilung, Doron Kiesel, soll die Tagung die Fassungslosigkeit nach dem 7. Oktober bündeln und komprimieren. Es gehe hingegen nicht um die häufig gestellte Frage: „Ist der Terrorangriff kontextualisierbar?“

Pava Raibstein von der Kinder- und Jugend-Aliyah wies darauf hin, dass Jungen und Mädchen in Israel besonders von dem Terrorangriff betroffen seien. Viele seien entwurzelt. Kinder und Jugendliche bangten um Soldaten und Reservisten. Diejenigen, die aus der Ukraine geflüchtet seien, hätten am 7. Oktober ein weiteres Trauma erlitten.

Foto: Israelnetz/Elisabeth Hausen
Seit einem halben Jahr in Deutschland: Vizegeneralkonsulin Bainesai-Harbor

Kasa Bainesai-Harbor vom Generalkonsulat prangerte das laute Schweigen der Frauen- und der feministischen Organisationen nach der Vergewaltigung zahlreicher Israelinnen an. Diese Gewalt gehe in der Geiselhaft noch weiter. Auch das „laute Schweigen“ der Kinderorganisationen und der deutschen Kulturszene nach dem Massaker kritisierte die Vizegeneralkonsulin, die erst seit August in München ist. Besorgt äußerte sie sich über den Anstieg von Antisemitismus: Mehr als 1.800 antisemitische Vorfälle seien in Deutschland seit dem 7. Oktober registriert worden.

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9 Antworten

  1. Konferenz „Der 7. Oktober“ in Frankfurt am Main. Esther Schapira spricht von einem „antisemitischen Verrat der Linken“. Der Antisemitismus kommt von links. Ist es wirklich so? Ja.

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  2. Ich glaube, dass die Israelische Gesellschaft nach dem 7.Oktober mehr zusammenwachst, während die Welt immer mehr zu Judenhassern wird. Allerdings gibt es in USA,UK, Tschechien, Österreich, und Arg. Miliei auch viele Freunde, auch in NED und Ungarn u. Polen.
    Aber Deutschland ist ein böses Beispiel. Wir müssen endlich auch gegen den linken Antisemitismus, z.B. Fr. Baerbock, demonstrieren. Demos gegen RECHTS sind viel zu wenig.
    Keine Demo findet gegen diese unselige Ampel statt, das wäre aber angebracht, weil die Ampelregierung die nach dem 7.Oktober 2023 geäußerten Versprechen gegenüber Israel nicht eingehalten hat.
    Nur mit dem Glauben an den lieben Gott kann Deutschland punkten, das Gegenteil ist der Fall.
    Deutschland hat immer noch Milliarden Geschäfte mit dem Iran, und die UNRWA ist von Deutschland vollgestopft worden mit Geldern, die an die HAMAS weitergeleitet werden.
    Nur ein geschichtsbewusstes Deutschland, das gleichzeitig im Alten Testament bzw. Hebräische Bibel geschult wird, kann endlich sämtlichen Antisemitismus ablegen. Dazu sind Israelische Militärexperten im Dialog mit deutschem Fernsehen und Internet gefragt, um über das Tunnelsystem der HAMAS, den Missbrauch von Krankenhäusern durch die HAMAS usw. mehr zu erfahren. Aber Deutschland ist das alles gleichgültig ! Armes Deutschland !

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  3. Die Gottlosigkeit der Nationen, aller Nationen einschließlich Israel, sind die Ursache für all diese Schwierigkeiten.
    Lieber Gruß Martin

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    1. @Untertan
      Das ist falsch! Israel und die Toscana gottlos? Nein, sie waren es noch nie und sie werden es nie werden!

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    2. Dann sollten wir wohl zuerst klären, welcher der unzähligen Götter, die sich die Menschen ausgedacht haben, nun der „wahre“ Gott ist.

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        1. Welcher Gott denn nun? Vermutlich Ihrer, nicht wahr JSR. Milliarden Hindus, Buddhisten und Moslems liegen falsch.

          1
  4. Wertes Forum

    Werde ab u zu eine Literaturempfehlung einstellen.

    Werner Keller ‚Und wurden zerstreut unter alle Völker‘
    Droemer Knaur

    Überragendes Werk…….’Abriss‘ 2000 jähriger jüdischer Geschichte

    Was dem Antisemitismus etc. zueigen ist, daß Staaten, in welchen er aufflammt, oftmals deutlicher wirtschaftlicher Niedergang folgt, wie auch ethische Zerrüttung sowie die Verwerfung christlicher Werte.

    Mit lieben Grüßen
    Shalom
    Andreas

    Einfach zB bei ZVAB o Abebooks suchen

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