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„Ich war sehr verärgert über die Deutschen“

Im Interview spricht der Schwimmer und Überlebende des Massakers von München, Avraham Melamed, über den 5. September 1972 und die „heiteren Spiele“, die für elf israelische Sportler tödlich endeten. Die Fragen stellte Markus Vögele.
Von Israelnetz

Israelnetz: Ein Streit mit dem Israelischen Olympischen Komitee verhinderte Ihre Teilnahme an den Olympischen Spielen 1972 in München. Worüber haben Sie sich gestritten?

Avraham Melamed: Vor den Olympischen Spielen kritisierte ich den Leiter des israelischen Sportverbandes für seine Inkompetenz. Ich erinnere mich nicht mehr an die genauen Einzelheiten. In jenem Jahr war ich in fantastischer Form und war sehr zuversichtlich, was die Zielschlusszeit für die 100 Meter Schmetterling anging. Zu dieser Zeit studierte ich in den USA, wo die Schwimmsaison im Winter endet. Also trainierte ich allein in einem 25-Yards-Becken (circa 23 Meter). Ich nahm mit dem israelischen Schwimmteam an einigen Wettkämpfen teil und kam der israelischen Olympianorm für die 100 Meter Schmetterling nahe, schaffte sie aber nicht.

Da mir die Zeit davonlief, beschloss ich, nach Israel zu fahren und ein offizielles Zeitschwimmen zu absolvieren. Dies wurde arrangiert, und ich erreichte die Norm. Der Leiter des israelischen Sportverbands behauptete jedoch, ich hätte mich nicht qualifiziert, weil die offizielle Frist 13 Uhr war und mein offizielles Zeitschwimmen, das sie arrangiert hatten, um 16 Uhr stattfand.

Trotzdem waren Sie bei den Spielen in München letztlich als Schwimmerbetreuer dabei. Wie haben Sie das ohne Pass geschafft?

Ich erinnere mich, dass die Wächter Kinder oder sehr junge Leute waren, die einen befristeten Job als Pförtner bekamen. Ich nehme an, dass sie darauf trainiert waren, nett zu den Leuten zu sein und den Bewohnern des olympischen Dorfes – Athleten, Offiziellen und so weiter – entgegenzukommen. Und ich nutzte diese Gelegenheit, um mich bei Bedarf einzuschleichen. Manchmal war ich allein, manchmal zwischen Athleten anderer Delegationen oder der israelischen Delegation. Natürlich waren sie nicht bewaffnet.

Gab es im Vorfeld Gerüchte über einen möglichen Angriff von Palästinensern auf Israelis?

Ich kann mich nicht an konkrete Gerüchte erinnern. Aber die Themen Sicherheit und Terrorismus wurden in der Öffentlichkeit, insbesondere in Sportlerkreisen, in gewissem Umfang diskutiert.

In den frühen Morgenstunden des 5. September 1972 drangen acht Palästinenser der Terrorgruppe „Schwarzer September“ in die Unterkünfte der israelischen Mannschaft im olympischen Dorf ein, töteten einen Israeli und nahmen zehn israelische Sportler als Geiseln. Wann wurde Ihnen klar, dass es sich um einen Terroranschlag handelte?

Gegen 6 Uhr morgens waren in unserem Teil des Dorfes Schüsse und dumpfe Schreie zu hören. Dies geschah zweimal im Abstand von wenigen Minuten. Ich befand mich noch in einem leichten Schlummer. Danach kam ein Sportschütze aus dem zweiten Stock der Wohneinheit, in der wir wohnten, in den ersten Stock und sagte uns, dass Terroristen Geiseln aus der Mannschaft genommen hätten und der Ringertrainer Muni Weinberg getötet worden sei. Ich ging in den zweiten Stock hinauf und sah seinen regungslosen Körper auf dem Bürgersteig, Blut floss von seinem Kopf herab.

Die Terroristen nahmen ihre ersten Geiseln in Apartment 1, in dem eine Gruppe israelischer Trainer und Funktionäre untergebracht war. Sie zogen dann weiter zu Apartment 3, in dem die israelischen Gewichtheber und Ringer einquartiert waren. Warum, glauben Sie, übersprangen die Angreifer Apartment 2, in dem Sie wohnten?

Ich vermute: Nachdem die Terroristen in Wohnung 1 eingedrungen waren, zwangen sie Muni, sie zu den übrigen israelischen Wohnungen zu bringen. Ich glaube, dass Muni, der wusste, welche Einheiten von welchen Leuten bewohnt waren, dachte, dass die Ringer und Gewichtheber eine bessere Chance hatten, sie zu überwältigen oder sich zu wehren, als die Sportschützen und ein Distanzläufer, die die Einheit 2 bewohnten. Also führte Muni die Terroristen zu Einheit 3.

Wie haben Sie es geschafft, sich zu retten?

Ich habe immer noch nicht das Gefühl, dass ich mich gerettet habe, da ich weder angegriffen noch verfolgt wurde – auch keiner der anderen Überlebenden. Meine Erklärung ist, dass die Terroristen einige Teammitglieder hatten und keinen erfolgreichen Angriff riskieren wollten, also setzten sie die Operation fort. Ich habe irgendwie gespürt, dass die Gefahr vorüber war, und bin einfach durch ein Fenster im hinteren Teil der Einheit, in der ich mich aufhielt, ausgestiegen. Ich wurde dann von einigen „Sicherheitsleuten“ eingeholt. Sie hatten keine Waffen und durften sie auch nicht haben.

Wie sind Sie mit Ihrer Situation als Überlebender des Anschlags, bei dem Ihre Teamkollegen ermordet wurden, umgegangen?

Ich weiß nicht, wie ich darauf antworten soll. Einerseits fühlte ich mich emotional wie betäubt. Ich war sehr mit meinen Gefühlen über meine Nichtteilnahme beschäftigt. Wie alle Israelis war ich sehr verärgert über die Deutschen, die einerseits Israel nicht erlaubten, für seine eigene Sicherheit zu sorgen. Die Deutschen verboten auch jede Art von Verteidigungswaffen wie Handfeuerwaffen im Dorf. Wie alle anderen habe ich einfach mein persönliches Leben weitergeführt. Meine damalige US-Freundin hatte den Eindruck, dass ich eine Zeit lang emotional wie erstarrt war, aber ich habe das nicht so empfunden.

Wie standen Sie zu dem zwischendurch geplanten Boykott der Gedenkfeier zum 5. September?

Politik und Sport sind eine schlechte Mischung. Sportler sollten in Sicherheit trainieren und Wettkämpfe bestreiten. Alle Regierungen sollten sich auf das Schlimmste einstellen und das Beste daraus machen. Die persönliche und mediale Betonung und Fokussierung auf finanzielle Entschädigung wirft einen dunklen Schatten auf die menschliche Bedeutung dieses schrecklichen Ereignisses. Dies gilt umso mehr, wenn ein Boykott dazu führt, dass diese Tragödie von künftigen Athleten und der öffentlichen Wahrnehmung ferngehalten wird.

Die Angehörigen der Opfer haben sich mit der deutschen Regierung auf eine Entschädigung in Höhe von 28 Millionen Dollar geeinigt. Wie haben Sie diese Nachricht aufgenommen und was bedeutet sie für Sie?

Es ist gut für alle und ich bin froh, dass es vorbei ist. Ich fühle mich wirklich unwohl dabei, eine solche Tragödie in finanzieller Hinsicht zu bewerten, aber es steht für mich außer Frage, dass die anfänglichen Entschädigungen sehr niedrig waren. Hier widerspreche ich mir selbst.

Zur Person

Avraham „Bey“ Melamed wurde am 29. Mai 1944 geboren und wuchs im Norden Israels im Kibbuz Ramat Johanan auf. 1964 und 1968 nahm er an den Olympischen Spielen teil und gewann 1966 bei den Asienspielen in der thailändischen Hauptstadt Bangkok die Silbermedaille über 100 Meter Schmetterling und die 4×100-Meter-Lagenstaffel. 1970 ging er mit einem Schwimmstipendium für das West Liberty State College in die Vereinigten Staaten und arbeitete später als Programmierer im Bereich Informatik in New York. Der 78-jährige Amateurfotograf ist noch immer im oder am Schwimmbecken anzutreffen, um sein Wissen weiterzugeben. Melamed lebt in Peekskill, etwa 65 Kilometer nördlich von New York City.

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7 Antworten

  1. Da hat man sich also geeinigt, die Angehörigen der zwei Israelis, die von den palästinensischen Geiselnehmern in München getötet wurden und der neun Israelis, die bei dem dilettantischen Befreiungsversuch auf dem Flughafen in Fürstenfeldbruck umkamen, mit 28 Millionen Euro zu „entschädigen“. Das entspricht rd. 2,5 Millionen Euro pro Opfer. Nicht genannt wurden die erhobenen Forderungen. Es ist wohl davon auszugehen, daß diese bei fünf Millionen pro Opfer, also bei insgesamt 55 Millionen Euro lagen. Mir ist nur ein Fall bekannt, bei dem Israel Zahlungen für die Opfer seines Militärs geleistet hat: Im Jahre 2014 überwies Israel 20 Millionen $ an die Türkei für die beim Überfall auf das türkische Schiff Mavi Marmara der Gasa-Hilfsflotte getöteten zehn türkischen Staatsbürger, also zwei Millionen $ pro Opfer.

    Und wie viel Entschädigung erhalten z. B. die Angehörigen der palästinensisch-amerikanischen Journalistin Shireen Abu Akleh, die offensichtlich von einem israelischen Scharfschützen erschossen wurde und die Angehörigen der mehreren hundert palästinensischen Kinder, die bei den immer wiederkehrenden Angriffen des israelischen Militärs auf den Gasastreifen getötet wurden? Alle diese Toten würde es nicht geben, wenn die Palästinenser nicht seit dem Jahre 1967 im Westjordanland und im Gasastreifen vollkommen rechtlos unter einer völkerrechts- und menschenrechtswidrigen militärischen Besatzung oder Blockade leben und leiden müßen.

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    1. Möchten Sie sich zu den Häftlingsgehältern und Märtyrerrenten äußern, Herr Luley?

      Wieviel Entschädigung haben all die hunderte Journalisten erhalten, die ums Leben kamen, weil es bei ihnen zum Berufsrisiko gehört? Hätten Sie eine Zahl, Herr Luley?

      Und was ihre Kinder im Gazastreifen angeht. Beschweren Sie sich bitte bei der Hamas: keine Raketen auf Israel, keine Toten im eigenen Lager. Aber warum sollten Sie auch beschweren, schließlich haben Sie vor ein paar Wochen auf dieser Seite gefordert, dass die Hamas und andere Terrorgruppen doch endlich zielgenau Tel Aviv treffen sollen. Hätten Sie da auch Bedauernis mit den jüdischen Kindern, die dabei sterben würden?

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    2. @ Bjoern sagt:
      „…die offensichtlich von einem israelischen Scharfschützen erschossen wurde…“
      Ihre Vorverurteilung ist Ihr Kleid, wenn es gegen Israel geht. Offensichtlich ist, dass man es nicht genau weiss, denn die eindeutigen Beweise konnten nicht erbracht werden.

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    3. Im Differenzieren sind Sie wahrlich Weltmeister – aber Ihre Haltung ist ja zur Genüge bekannt.

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    4. Sehr geehrter Herr Luley, ihre Kommentare sind mittlerweile Bekannt und völlig Indiskutabel.

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  2. H. Luley, da Sie ja i.ds. Forum fuer vielfaches recherchieren bekannt sind,
    duerfte Ihnen sicherlich auch der Ueberfall v. 6 arab. Armeen auf den neu
    gegruendeten Staat Israel 1948, mit dem Aufruf: „…..alle Juden ins Meer jagen…“,
    bekannt sein! – Dieses besagte „WJL“ (Judaea u. Samaria), u. Andere, haben die
    Israelis 1967 wieder rechtmaessig zurueckerobert! – Vergessen Sie die ganzen
    jahrelangen, sog.“Friedens-Verhandlg.“ mit sinnlosen Ergebnissen! – Dieses Gebiet
    wurde den Arab. nie weggenommen, oder besetzt, weil es Denselben noch nie
    gehoert hat! – Auch Jerusalem war noch nie die Hauptstadt eines anderen Landes/
    Volkes/Nation! – Schon Josua, der Nachfolger Moses, musste vor 3.400 Jahren die
    Urvorfahren der Araber, die Kanaaniter, als goetzendienerische Volksstaemme,
    nicht nur vertreiben, sondern sogar ausrotten! – Dazu sollte man allerdings Einiges
    an bibl. Kenntnissen besitzen, ohne die der heutige Nah-Ost-Konflikt nie sachgemaess
    beurteilt werden kann! –

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    1. Schon Josua, der Nachfolger Moses, musste vor 3.400 Jahren die
      Urvorfahren der Araber, die Kanaaniter, als goetzendienerische Volksstaemme,
      nicht nur vertreiben, sondern sogar ausrotten!
      ————————–
      Völkermord im Namen Gottes ist für Sie also völlig in Ordnung, solange es nur der *richtige* Gott ist?
      Was in aller Welt unterscheidet also die damaligen Juden von den heutigen Muslimen oder den früheren Christen, welche ja auch *im Namen Gottes* gemordet haben?
      Und ganz ehrlich, Christen und Muslime hielten ihren Opfern wenigstens die Option der Annahme ihres Glaubens offen ….
      Zum Glück nehme ich persönlich das AT (und auch das NT) nicht wortwörtlich.

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