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Ist Donald Trump ein Golem?

Der Golem ist eine der berühmtesten Legendenfiguren des Judentums. Der Lehm-Riese, der dazu neigt, Amok zu laufen, taugt sehr gut als Metapher für den amerikanischen Wahlkampf. Das findet der US-Schriftsteller Joshua Cohen, der auch Parallelen zur digitalen Gesellschaft zieht.
Der amerikanische Schriftsteller Joshua Cohen ist ein großer Fan der Symbolkraft der hebräischen Sprache

„Ist der designierte US-Präsident Donald Trump ein Golem?“, fragt der Schweizer Literaturwissenschaftler Caspar Battergay seinen amerikanischen Gast auf der Bühne. Es ist der Auftakt einer Reihe von Podiumsgesprächen, die das Jüdische Museum in Berlin zur Golem-Ausstellung organisiert hat. Die bis zum 29. Januar 2017 laufende Ausstellung ist einer der prominentesten jüdischen Legendenfiguren gewidmet.
„Die Frage ist eher, ob Donald Trump ein Golem oder der Rabbiner ist, der den Golem erschafft“, antwortet Joshua Cohen. Der amerikanische Schriftsteller, der als Jugendlicher eine jüdische Hochschule, eine Jeschiwa, in Atlantic City besuchte, liebt das Spiel mit der Metapher. Die legendäre Figur des Golems eignet sich für seine Vergleiche besonders gut. Das riesige Wesen, das der Sage nach aus unbelebter Materie wie Lehm oder Staub durch rituelle Beschwörung mit einer hebräischen Buchstabenkombination zum Leben erweckt werden kann, funktioniert auch beim US-Wahlkampf. Eigentlich als Helfer gedacht, gerät der Golem in den meisten Erzählungen außer Kontrolle und bringt Verwüstung und Bedrohung.

Trump-Wähler die besseren Golems

„Haben die amerikanischen Wähler Donald Trump als ihren Golem erschaffen?“, fragt Cohen, dessen neues Buch „Book of Numbers“ (übersetzt: Buch der Zahlen) im vergangenen Jahr erschienen ist. „Oder ist es nicht vielleicht eher so, dass Trump der Zauberer und die Millionen Menschen, die ihn gewählt haben, seine außer Kontrolle geratene Schöpfung sind?“, denkt Cohen laut auf der Bühne nach.
Im hiesigen Bewusstsein ist die Sagenfigur des Golems vor allem durch Dichter der Deutschen Romantik wie Theodor Storm oder E.T.A. Hoffmann wach gehalten worden. Im 19. Jahrhundert wurde die Golem-Figur meist eher negativ dargestellt. Auch die Filme von Paul Wegener, ganz besonders sein Stummfilmklassiker „Der Golem, wie er in die Welt kam“ aus dem Jahr 1920, prägten die visuelle Vorstellung. „Menschen, die Trump gewählt haben, glauben, er wäre authentisch“, sagt Cohen. Das Interessante sei, dass für deutsche Romantiker wie Clemens Brentano der Golem das Sinnbild des Unwahren gewesen ist.

Projektionsfläche der eigenen Seele

In Cohens Buch „Book of Numbers“, das im kommenden Jahr auch in Deutschland erscheinen soll, geht es um einen der reichsten Männer der Welt, der wie der Autor heißt. Um die Verwirrung perfekt zu machen, ist aber der eigentliche Protagonist ein Schriftsteller, der ebenfalls Joshua Cohen heißt und eine Autobiografie über den Milliardär schreiben soll. Cohen, der am Abend einige Auszüge aus dem Buch vorliest, liebt das Doppelgänger-Motiv. „Der Golem ist eine Projektionsfläche, ein Doppelgänger der eigenen Seele“, sagt Cohen. Deswegen lässt er seinen Buch-Helden vor dem Internet fliehen. Denn auch in der digitalen Technik hat Cohen Anknüpfungspunkte zur Golem-Legende gefunden.
Die Figur des Golems ist stumm, wird aber in der Regel durch ein Schlüsselwort aktiviert. In dem jüdischen Konzept aus Beschwörung und Code sieht Cohen viel im Internet widergespiegelt. Der Golem wird eigentlich beschworen, um gute Dinge zu tun. „Eine Internetseite wie Facebook ist ursprünglich geschaffen worden, um die Menschen miteinander zu verbinden“, sagt Cohen.
Heute würden auf Facebook gefälschte Nachrichten und Nachrichten der seriösesten Medien nebeneinander gestellt. Selbst die klügsten Menschen könnten nicht immer unterscheiden, welche Nachricht vertrauenswürdig sei und welche nicht. „Der Golem zerstört ein System, das eigentlich für gute Taten gedacht war“, sagt Cohen. Das sei die Golem-Metapher zur heutigen digitalen Gesellschaft.

Poetisch ist die hebräische der englischen Sprache überlegen

Der von der „New York Times“ gefeierte Autor schätzt die jüdische Golem-Figur auch so sehr, weil die Menschheit heutzutage seiner Ansicht nach in einer Welt ohne Mystik lebt. Er wollte in seinem Roman zu den mystischen Aspekten zurückgehen. Außerdem liebe er die hebräische Sprache, weil sie eine symbolische Sprache sei. Auf einer poetischen Ebene sieht er sie dem Englischen überlegen.
In der Golem-Legende entdeckt Cohen auch eine Hybris: Damit meint er aber nicht die Erschaffung des Golems aus Lehm, die für ihn die Kraft Gottes widerspiegelt. Aber die Selbstüberschätzung komme, wenn der Golem zu widrigen Zwecken eingesetzt werde: „Wenn der Golem Amok läuft, sagt das mehr über den Schöpfer als über den Golem aus.“
Das nächste Podiumsgespräch der Golem-Reihe ist am 1. Dezember um 19 Uhr im Jüdischen Museum in Berlin. Die Kulturwissenschaftlerin Cathy Gelbin hält einen Vortrag über den Golem als popkulturelles Phänomen. Der Titel der Veranstaltung lautet: „Der Golem kehrt zurück“. Der Eintritt ist frei, Voranmeldungen sind erwünscht. (mm)Warum der Autor Etgar Keret nicht auf Hebräisch schreiben wollte (inn)
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