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Die Sünden symbolisch ins Wasser werfen

Dass Gott Menschen ihre Verfehlungen vergibt, verdeutlicht ein Brauch am Neujahrsfest Rosch HaSchanah. Buße und Umkehr haben in den ersten Tagen des jüdischen Jahres allgemein eine besondere Bedeutung.
Äpfel und Honig gehören ebenso auf den Neujahrstisch wie Granatäpfel – und das Schofarhorn

Gott wirft unsere Sünden ins tiefste Meer – so verkündet es der biblische Prophet Micha. Besonders gegenwärtig ist diese Verheißung für Juden in den ersten Tagen ihres Jahres. Der Brauch „Taschlich“ (Wegwerfen) soll sie verdeutlichen. Er gehört zum zweitägigen Neujahrsfest Rosch HaSchanah, das in diesem Jahr am Abend des 18. September beginnt.

In Micha 7,18–20 steht geschrieben: „Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld denen, die geblieben sind als Rest seines Erbteils; der an seinem Zorn nicht ewig festhält, denn er hat Gefallen an Gnade! Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen. Du wirst Jakob die Treue halten und Abraham Gnade erweisen, wie du unsern Vätern vorzeiten geschworen hast.“

Am Neujahrsfest besuchen viele Jerusalemer Juden diesen Teich, um symbolisch ihre Sünden abzuladen Foto: Israelnetz/Elisabeth Hausen
Am Neujahrsfest besuchen viele Jerusalemer Juden diesen Teich, um symbolisch ihre Sünden abzuladen

Im Idealfall geschieht Taschlich an einem Gewässer mit Fischen, doch in Jerusalem freuen sich die Menschen, wenn sie überhaupt einen geeigneten Ort finden. Und so kommen an Rosch HaSchanah viele Juden in den Wohl-Rosenpark in der Nähe der Knesset, wo sich ein Teich befindet. Als sichtbares Zeichen dafür, dass Gott ihre Sünden vergibt, werfen sie kleine Steine ins Wasser, die sie in ihren Kleidertaschen mitgenommen haben. Dazu sprechen sie passende Gebete.

„Hier schlafen die Schachfiguren“

Juden kommen und gehen, beten auf dem Gelände und am Geländer, das den Teich umgibt. Sie grüßen Freunde und Bekannte, tauschen Neuigkeiten aus, fragen nach dem jeweiligen Befinden. Die meisten gehen nach dem Ritual nicht sofort wieder nach Hause, sie haben ja Zeit an diesem Feiertag. Die Atmosphäre ist gleichzeitig ernsthaft und feierlich, freudig und entspannt. Kinder spielen im Park. Ein achtjähriger Junge entdeckt neben einem großen Schachbrett auf dem Boden die Spielfiguren in einem Schrank: „Schaut mal, das ist das Haus der Schachfiguren, hier schlafen sie!“, ruft er begeistert.

Die Eltern des Jungen gehören zur orthodoxen Chabad-Bewegung. Sie will Juden vermitteln, wie sie am besten die göttlichen Gebote einhalten. Eine säkulare Jüdin kommt und fragt eine andere Frau von Chabad, wie viel Zeit ihr noch für das Nachmittagsgebet Mincha bleibe. Nicht mehr viel, lautet die Antwort. Sie leiht sich das Gebetbuch (Siddur) von der religiösen Jüdin, gibt ihr dafür einen Roman zum Verwahren und spricht die Gebete. Dann tritt sie an den Teich, wirft Steinchen hinein und bittet Gott um Vergebung. Später werden die Chabad-Leute sie zum Essen einladen.

Immer wieder sprechen Männer Passanten an: „Haben Sie heute schon das Schofar gehört?“ Denn am Neujahrstag soll jeder Jude wenigstens einmal die für diesen Feiertag vorgesehene Tonfolge auf dem Widderhorn vernehmen. Wird die Frage verneint, dann bieten die Männer den Juden an, ihnen zu helfen, das Gebot zu erfüllen.

Zwei bewaffnete Polizisten kommen vorbei. Einer trägt Kippa, der andere ist barhäuptig. Ein Schofarbläser wendet sich an sie – der Barhäuptige nimmt das Angebot an. Er bekommt ein Gebetbuch für den Segensspruch und eine geliehene Kippa, die der Schofarbläser unter seinem schwarzen Hut hervorzieht. Die vorgeschriebenen Töne erklingen, der Polizist gibt Kippa und Siddur zurück, sie setzen ihren Weg fort.

Neujahr erinnert an Möglichkeit der Umkehr

Umkehr eines einzelnen Menschen kann nach jüdischer Auffassung an jedem Tag des Jahres geschehen, wenn jemand die Notwendigkeit empfindet. Aber als Tag mit nationalem Charakter erinnert Neujahr in besonderer Weise an diese Möglichkeit.

Die Mischung aus Freude und Ernsthaftigkeit ist bezeichnend für Rosch HaSchanah: Einerseits beginnen am 1. Tag des Monats Tischrei die zehn Bußtage, die mit dem Großen Versöhnungstag Jom Kippur enden. Andererseits gehört aber auch fröhliches Feiern dazu. Und so hat sich die Tradition nicht durchgesetzt, an Neujahr zu fasten.

Der hebräische Name „Rosch HaSchanah“ bedeutet wörtlich „Haupt des Jahres“. Juden feiern damit die Erschaffung der Welt vor 5.781 Jahren. Genauer gesagt hat Gott laut der Tradition Adam und Eva an Rosch HaSchanah erschaffen. Am selben Tag habe der Mensch auch die erste Sünde begangen, indem er gegen das göttliche Verbot verstieß, vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen. Zwar wurden Adam und Eva aus dem Garten Eden vertrieben. Doch dadurch kam auch die Möglichkeit zur Reue und Umkehr in die Welt.

Ferner ist „Akedat Jitzchak“, die Bindung Isaaks, mit diesem Tag verbunden. Der Stammvater Abraham war bereit, seinen einzigen Sohn Isaak zu opfern, weil Gott dies geboten hatte (1. Mose 22). Bei dem Fest spielt die biblische Geschichte eine besondere Rolle.

Schofar ruft zur Besinnung auf

Die Bibel bezeichnet Rosch HaSchanah als „Tag des Posaunenschalls“ (4. Mose 29,1). An anderer Stelle ist die Rede von „Posauneblasen zum Gedächtnis“ (3. Mose 23,24). Das Widderhorn Schofar, das an Rosch HaSchanah geblasen wird, ruft zur Besinnung auf und dient dem Lob des Schöpfers. In der Synagoge dominiert die weiße Farbe, die für Reinheit steht. Viele Juden tragen weiße Kleidung, auch beim Taschlich.

Rosch HaSchanah gilt als Gerichtstag, an dem Gott das Urteil über Juden und Nichtjuden fällt. Es wird am letzten Bußtag – dem Jom Kippur – besiegelt. In diesem Zeitraum, der vom 1. bis zum 10. Tischrei währt, besteht die Möglichkeit zur Selbstbesinnung, Reue und Bitte um Versöhnung. An den ersten Tagen des Jahres begrüßen Juden einander mit dem Wunsch: „Mögest du zu einem guten Jahr ins Buch des Lebens eingetragen und besiegelt sein“. Dieser Gruß bezieht sich auf das Buch, in dem Gott nach jüdischem Verständnis die Taten der Menschen notiert.

Das jüdische Jahr richtet sich nach dem Mond. Es hat zwölf Monate und durchschnittlich 354 Tage. Alle zwei bis drei Jahre wird im Frühjahr nach dem Monat Adar ein zusätzlicher Monat „Adar II“ eingeschaltet, damit die Differenz zum Sonnenjahr ausgeglichen ist. Dadurch können die Juden ihre Feste in den passenden Jahreszeiten feiern. Die Tage beginnen mit dem Sonnenuntergang, denn im biblischen Schöpfungsbericht (1. Mose 1) heißt es: „und es ward Abend, und es ward Morgen …“. In Psalm 55,18 betet David zudem: „Des Abends, morgens und mittags will ich klagen und heulen; so wird er meine Stimme hören.“

Schofarbläser: Bewegungsfreiheit trotz Corona-Sperre

Am Abend leiten das Anzünden der Kerzen sowie der Segen über den Wein, der Kiddusch, die feierliche Mahlzeit ein. Nach dem Segen über das Brot streuen Juden nicht – wie sonst üblich – Salz darauf. Stattdessen tauchen sie es an diesem Abend in Honig. Zum Festmahl gehören Äpfel, die ebenfalls mit Honig gegessen werden. Dies drückt die Hoffnung auf ein „süßes“ Jahr aus. Hinzu kommen andere Früchte wie Granatäpfel oder Datteln. Auch Fischgerichte gehören bei vielen Juden zum Fest, denn der Fisch gilt als Symbol der Fruchtbarkeit.

In diesem Jahr müssen Juden in Israel wegen der dreiwöchigen strengen Quarantänemaßnahmen Rosch HaSchanah anders feiern, als sie es gewohnt sind. Doch auf ein wichtiges Element brauchen sie laut einem Bericht der Zeitung „Jerusalem Post“ nicht zu verzichten: Das Religions- und das Gesundheitsministerium haben sich darauf geeinigt, dass Schofarbläser und Kantoren Sondergenehmigungen erhalten und sich frei bewegen dürfen. Das Konzept wurde vom Corona-Beauftragten Roni Gamsu gebilligt. Die Musiker müssen ein Onlineformular ausfüllen, das vom Religionsministerium genehmigt wird. Wenn sie dieses vorweisen können, dürfen sie sich in den Straßen bewegen und Juden helfen, das Gebot des Schofarhörens trotz der Pandemie zu erfüllen.

Von: Elisabeth Hausen

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