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Geiselnahme vor 50 Jahren: „Kapitulation vor der Erpressung“

Vor 50 Jahren nehmen Araber in Österreich Juden als Geiseln, die nach Israel auswandern wollen. Die Regierung Kreisky reagiert mit der Schließung des Transitlagers Schönau. Es kommt zum Konflikt mit Israel.
Von Sandro Serafin

Israels Premierministerin Golda Meir (Avoda) war spürbar empört über das, was sich da in Österreich abgespielt hatte: Von einer „Kapitulation vor der Erpressung“ schrieb sie später, von einem „großen Sieg für den Terrorismus und die Terroristen“ und davon, dass Österreichs Regierung unter Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) den Terroristen „sofort“ nachgegeben habe.

Was war passiert? Am 28. September 1973, vor 50 Jahren, hatten arabische Terroristen in einem Zug in Marchegg an Österreichs Grenze zur Tschechoslowakei (heute Slowakei) eine aufsehenerregende Geiselnahme gestartet. Marchegg – das war für viele Juden aus dem sowjetischen Machtbereich zu jener Zeit das Tor zur Freiheit.

Seit Ende der 1960er Jahre hatte eine intensive jüdische Ausreisewelle aus der Sowjetunion ihren Lauf genommen. Österreich war dabei zentrales Drehkreuz: Hier kamen viele Juden zunächst an, bevor sie meist in andere Länder weiterreisten. Aus israelischer Sicht sollte das Zielland dabei natürlich am liebsten „Eretz Israel“ sein.

So nutzte die israelische Einwanderungsorganisation „Jewish Agency“ seit 1965 das Schloss Schönau südlich von Wien als Transitlager. In Schönau hielten sich die auswandernden Juden meist wenige Tage auf, bevor sie sich mit einer Maschine der israelischen Fluggesellschaft „El Al“ auf den Weg in Richtung Israel machten.

Kuriose Verfolgung

Der palästinensischen Nationalbewegung, die seit Ende der 1960er Jahre mithilfe von Terroranschlägen immer stärker auf die Bühne der Weltöffentlichkeit drängte, war das ein Dorn im Auge. So auch jenen Geiselnehmern, die am Vormittag des 28. September 1973 in Marchegg – bewaffnet mit Maschinenpistolen und Handgranaten – zur Tat schritten: „Wir haben dies getan, weil wir die Einwanderung aus der Sowjetunion für eine große Gefahr für unser Anliegen halten“, teilten sie mit.

Folgerichtig hatten sich die Attentäter für ihre Geiselnahme also einen Zug ausgesucht, in dem sich dutzende jüdische Auswanderer befanden. Fünf Juden, die auf Nachfrage ihren Ausreisewillen nach Israel bekundeten, brachten sie am Grenzbahnhof Marchegg in ihre Gewalt; zwei von ihnen gelang noch vor Ort die Flucht. Zudem nahmen die Araber einen österreichischen Zollbeamten als Geisel; ein tschechoslowakisches Mitglied des Zugpersonals wurde verletzt.

Gut anderthalb Stunden nach Beginn der Terroraktion machten sich die Araber in einem Pritschenwagen der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB) mit ihren Geiseln auf den Weg in Richtung Flughafen Wien–Schwechat. Die österreichischen Sicherheitskräfte erwiesen sich als überfordert: Einen Bahnübergang etwa ließen sie erst schließen, als die Araber diesen bereits passiert hatten.

Verschiedene Forderungen

So erreichte der ÖBB-Wagen gegen 13:30 Uhr das Rollfeld des Flughafens, wo sich nun Verhandlungen mit der österreichischen Seite entwickelten. Die Terroristen forderten die Bereitstellung eines Flugzeugs, um mit den Geiseln in ein arabisches Land auszufliegen. Gleichzeitig drohten sie damit, alle in ihrer Gewalt befindlichen Menschen zu ermorden.

Im weiteren Tagesverlauf tauchte noch eine weitere Forderung auf: Österreich solle ab sofort die Durchreise von Sowjetbürgern stoppen – also die Ausreise von Juden nach Israel verhindern. Die Forderung wurde von arabischen Botschaftern übermittelt, die mittlerweile als Vermittler zwischen die Terroristen und die österreichische Seite getreten waren. Unklar ist, ob sie von den Terroristen selbst ausging.

Regierung beschließt Schließung Schönaus

Die österreichischen Sicherheitsverantwortlichen erwogen zwar verschiedene Optionen, um die Geiselnahme mit Gewalt zu beenden. Die Ereignisse nahmen dann jedoch einen anderen Verlauf. Am Abend trat das österreichische Kabinett zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Nach stundenlangen Überlegungen und weiteren Verhandlungen fasste die Regierung weit nach Mitternacht einen Beschluss:

„Die Bundesregierung hat in einem am 28. September 1973 stattgefundenen außerordentlichen Ministerrat beschlossen, in Anbetracht des Umstandes, dass die Sicherheit der aus der Sowjetunion in Gruppen nach Israel auswandernden Sowjetbürger bei ihrer Durchreise durch Österreich gefährdet ist, in Zukunft die bisher gewährten Erleichterungen, wie die Unterbringung im Lager Schönau, einzustellen.“

Noch in der Sitzung ließ Kreisky verlauten, diese Entscheidung sei „ohne Zweifel nicht erfreulich“, jedoch sei das Leben der vier Menschen „auf andere Art nicht zu retten“ gewesen. Die Terroristen gaben sich zufrieden: Um 2:20 Uhr flogen sie mit einer Cessna ohne Geiseln ab.

Eine Stunde später betonte Kreisky im Interview des ORF, dass man die Durchreise sowjetischer Juden keineswegs grundsätzlich verhindern werde, sondern lediglich „gewisse Erleichterungen“ für die Zukunft ausgeschlossen habe: Noch im selben Jahr war das Transitlager Schönau Geschichte.

Aufschrei in Israel

Was aus Kreiskys Sicht „nicht erfreulich“ war, stieß in Israel auf heftige Empörung. Es kam sogar zu Protestkundgebungen in mehreren Städten: In Be’er Scheva klagte ein Mitarbeiter der „Jewish Agency“ vor Hunderten Demonstranten, Österreich bereite den Weg für einen „Amoklauf des Terrors weltweit“. Die linke Zeitung „Al HaMischmar“ fühlte sich an den „Geist von Chamberlains München“ (1938) erinnert.

In vielen Äußerungen schwang auch die Erinnerung an Österreichs braune Vergangenheit mit. In der Abendzeitung „Ma’ariv“ erschien eine Karikatur, die zwei Terroristen zeigten, dazu die Frage: „Warum haben wir nicht gefordert, dass sie die Gaskammern in Mauthausen wieder in Betrieb nehmen?!…“

Auch die Politik konnte sich dem Aufschrei nicht entziehen. In einer Knesset-Debatte zeigten sich Parlamentarier aller politischen Richtungen empört. Premierministerin Meir griff die Regierung Kreisky am 1. Oktober in einer Rede vor der Beratenden Versammlung des Europarats frontal an: Sie habe den Terroristen einen „großen Sieg“ beschert. In ihren Memoiren konzedierte sie später allerdings zugleich, „dass die österreichische Entscheidung nicht völlig unvernünftig war“.

Kreisky will israelischen „Rassenstandpunkt“ nicht akzeptieren

Eine pikante Note erhielt die Angelegenheit dadurch, dass Kreisky selbst Jude war. Allerdings einer, der ein schwieriges Verhältnis zu Israel hatte. Ihm war die Tätigkeit der „Jewish Agency“ in Schönau bereits vor der Geiselnahme vom September 1973 „ein Dorn im Auge“ gewesen, wie er später selbst ausdrücklich in seinen Memoiren festhielt.

Diese Haltung resultierte zum einen aus seiner Funktion als österreichischer Interessenvertreter: Die Durchreise der Sowjet-Juden durch sein Land empfand Kreisky als „Bürde“, gerade auch aus sicherheitspolitischen Gründen. Hinweise auf mögliche Anschlagsvorhaben hatte es schließlich bereits zuvor wiederholt gegeben. Im Oktober 1973 attestierte der Kanzler Israel in einem „Spiegel“-Interview zudem, in Österreich „Hoheitsrechte“ ausgeübt zu haben, was man nicht zulassen könne.

Zum anderen fühlte sich Kreisky durch die Tätigkeit der Israelis in Schönau aber ganz offensichtlich auch in seiner eigenen (jüdischen oder nicht-jüdischen?) Identität herausgefordert oder womöglich sogar angegriffen. Dem „Spiegel“ sagte er im Oktober scharfzüngig: „Ich lehne den Rassenstandpunkt ab, ebenso den Anspruch Israels, die natürliche Heimat aller Juden zu sein – er beruht auf einer historischen Fiktion.“ In seinen Memoiren beschwerte er sich darüber, dass die „Jewish Agency“ den Juden „keine Wahlmöglichkeit bezüglich ihres Reiseziels“ gelassen habe.

Zusammenstoß Kreiskys mit Meir

Diese innerjüdische Konfliktlage zwischen Zionismus und Anti-Zionismus führte offensichtlich auch zum Zusammenstoß mit Meir, als diese nach ihrer Rede beim Europarat nur wenige Tage nach der Geiselnahme wegen des Schönau-Vorfalls in Wien aufkreuzte, um dem Kanzler ihren Protest vorzutragen. Wie die Premierministerin in ihren Memoiren festhielt, machte Kreisky ihr bei dieser Gelegenheit deutlich, dass er und Meir „zwei verschiedenen Welten“ angehörten.

ür sie sei das „völlig unannehmbar“ gewesen, meinte die Israelin später: „Mir war zumute, als hätte ich eine heiße Kartoffel verschluckt.“ Eine geplante gemeinsame Pressekonferenz mit Kreisky ließ Meir platzen. Zudem behauptete sie, in Wien sei ihr nicht einmal ein Glas Wasser angeboten worden.

Obgleich Schönau geschlossen wurde, ging die Durchreise tausender osteuropäischer Juden über Österreich auch nach den Ereignissen von 1973 in der Tat weiter – so wie es Kreisky noch in der Nacht versichert hatte. Das Verhältnis der Kanzlers zum jüdischen Staat blieb indes kompliziert. In den folgenden Jahren zeigte er sich als einer der größten Förderer Jasser Arafats und der „Palästinensischen Befreiungsorganisation“ (PLO) in Westeuropa.

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11 Antworten

  1. Das ist moderner Antisemitismus wie er leibt und lebt. Seine Solidarität mit den Juden bekunden und genau das Gegeteil davon tun und sich bei den Arabern beliebt machen. Der perfide und infame Vorwurf mit den Hoheitsrechten hätten Nazis nicht besser gekonnt. Im Übrigen wie war es eigentlich nach dem Terroranschlag 1972 in München möglich, dass die Terroristen dort ungehindert Zugang hatten.

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    1. Bruno Kreiski war ein Jude. Deine Schlimmste Feinde aus dein Volk kommen werden. Bibel hat wieder Recht. Ob die Nazis so einen an leben gelassen hatten. Na ja solche Vertreter gibt es in jeden Volk, leider auch in Jüdischen

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  2. Shalom,Kreisky war es auch der in Europa das erste Büro der PLO eröffnete,in Oestereich¨War er wirklich Jude??? ich weiss es nicht genau. weiss das jemand von Euch,oder vieleicht die Redaktion! Jerusalem

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    1. Das ist bis heute nicht ernsthaft bestritten worden.

      Aber eine Lichtgestalt seines Volkes, die war er gewiss nicht.

      Gruss aus dem seit 1938 „judenfreiem“ Klagenfurt im österreichischen Kärnten; hier dominiert das Kopftuch und der gelangweilte junge Mann aus dem Nahen Osten das Stadtbild.

      Aber wenigstens einen kleinen jüdischen Friedhof, von der Stadt recht liebevoll wieder hergerichtet, gibt es.

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  3. Als Kreisky mach Israel kam wo seine Mutter und Bruder lebten, besuchte er Sie nicht. Der größte Antisemit ist ein Jude. Er möge sich drehen wie ein Kreisel

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  4. Dieser Bericht zeigt mal wieder, dass der Terrorismus für eine gewisse Zeit seine Ziele durchsetzen konnte. Das darf niemals so bleiben. Ich kenne Kreisky zu wenig, um seine Ansichten beurteilen zu können. Aber: Österreich hat andere, sehr gute Politiker/innen, die Israel-freundliche Politik betreiben. Österreich ist so zart wie Mozart, am Ende ist Österreich der gute Teil der deutsch-österreichischen Kultur.

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  5. Kreisky hatte jüdische Abstammung, seine verschwenderische, anti-jüdische Politik hat bis heute Auswirkungen auf Österreich. Irgendwie erinnert er uns an den Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, Dr. Hanno Loewy. Er ist auch selbst Jude, liebt aber die Araber um ein Vielfaches mehr als seinesgleichen und organisiert immer Anti-zionistische Ausstellungen.

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  6. Kreisky, als Jude und Kanzler für Österreich ein Segen. Ein überzeugter Antizionist, der die PLO und Arafat als „ die Fiktion des Palästinensischen Volkes“ in Europa und der Welt salonfähig gemacht hat.

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    1. Sie wissen aber schon, dass Arafat ein Terrorist sondergleichen war?

      Den Libanon zugrunde gerichtet!. Jordanien an den Abgrund getrieben – der Schwarze September ist legendär.

      Dass er es mit Tunesien nicht schaffte, lag nur daran, dass er vorher in den Gazastreifen ausreisen durfte.

      Und heute? Wo steht das Palästinensische Volk? Kaputt gemacht durch die eigene Führung bis heute.

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