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Empfang für den Bombenleger in Bonn

Vor 30 Jahren empfängt Kohl Arafat in Bonn. Es ist das erste offizielle Treffen des PLO-Chefs mit einem bundesrepublikanischen Kanzler. Beziehungen zu der Palästinenserorganisation hatte Bonn aber schon lange vorher aufgebaut.
Von Sandro Serafin

Auf diesen Augenblick hatte Jasser Arafat lange warten müssen: Am 7. Dezember 1993 – also heute vor 30 Jahren – schüttelte der PLO-Anführer erstmals offiziell Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) vor der Kamera die Hand. Der seinerzeit 64-jährige Palästinenser war zu einem zweitägigen Besuch in die alte Bundeshauptstadt gekommen.

Möglich geworden war das durch den historischen Handschlag des PLO-Chefs mit Israels Premierminister Jitzchak Rabin (Arbeitspartei) wenige Monate zuvor. In Washington hatten die beiden das erste Oslo-Abkommen besiegelt, das den Friedensprozess zwischen Israel und der „Palästinensischen Befreiungsorganisation“ begründete und zur Errichtung einer palästinensischen Selbstverwaltung führte. Nun erkannte auch Israel die PLO als Vertreterin des palästinensischen Volkes an. Deutschland musste sich damit nicht mehr vor Kritik aus dem jüdischen Staat fürchten, wenn es Arafat in Bonn den Hof machte.

Rabin und Arafat reichen sich die Hände, Clinton ist erfreut Foto: Weißes Haus/Vince Musi
Ikonisches Bild: Der Handschlag des israelischen Premiers Jitzchak Rabin (l.) mit PLO-Chef Jasser Arafat (r.) im September 1993 machte den Weg frei auch für Arafats Besuch in Bonn

Der Aufenthalt des PLO-Chefs am Rhein geriet zu einer Art Schaulaufen, das sich irgendwo zwischen offizieller Visite und Staatsbesuch bewegte. Er traf nicht nur Kohl, sondern kam auch mit Ministern zusammen. Er stellte sich vor der Bundespressekonferenz Journalisten-Fragen und nahm an einer Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages teil. Zudem warb Arafat vor rund 200 Vertretern aus Wirtschaft und Industrie um ökonomische Unterstützung. Nur eine Begegnung mit dem Bundespräsidenten kam nicht zustande.

Arafat spielt brillant auf der Polit-Klaviatur

Die Medien schauten mit großem Interesse auf jeden Schritt, den Arafat tat. Allein das Sicherheitsaufgebot war aufsehenerregend: Der Fatah-Gründer bewegte sich fast nur per Hubschrauber fort. Außerdem spielte er seinen ganzen Araber-Charme aus, etwa als er sich mit dem israelischen Botschafter auf ein frohes „peace“ zuprostete. Arafat habe, so kommentierte der „Bonner General-Anzeiger“ seinerzeit, „brillant auf der rhetorischen Polit-Klaviatur gespielt“.

Der Besuch erschien vielen vor allem deshalb als spektakulär, da sich hier ein Erzterrorist als anerkannter Politiker präsentierte. Noch vor wenigen Monaten habe er „als Bombenleger und Flugzeugentführer“ gegolten, nun werde er Bonn „als akzeptierter Staatsmann“ verlassen, kommentierte etwa die „Süddeutsche Zeitung“. Und Hans-Jürgen Wischnewski (SPD), ein geübter Araber-Freund, der schon in den 70er Jahren eine Beziehung zu Arafat aufgebaut hatte, meinte genüsslich: „Ausgerechnet diejenigen, die mich gerade noch schief anguckten, weil ich Umgang mit Terroristen hätte […]‚ ausgerechnet diejenigen betteln mich nun an, daß ich sie Yassir Arafat vorstelle.“

Annäherung schon in den 1980er Jahren

Endete hier also eine alte und begann „eine neue Ära zwischen Deutschland und den Palästinensern“, wie die FAZ zeitgenössisch einschätzte? In der Tat hatte die Bundesregierung einen direkten Umgang mit Arafat bis dato einigermaßen konsequent vermieden. Der PLO-Chef versuchte sich zwar in den Jahren zuvor gelegentlich deutschen Diplomaten aufzudrängen. Bereits 1989 traf zudem Bundesentwicklungsminister Hans Klein (CSU) mit ihm zusammen.

Insgesamt machte die bundesrepublikanische und ab 1990 gesamtdeutsche Politik aus historischer Sensibilität gegenüber Israel heraus aber lange einen deutlich größeren Bogen um ihn als viele andere Staaten, darunter Österreich oder auch der wichtigste EG-Partner Frankreich. Das bedeutet aber nicht, dass sie bis dato lediglich eine „Unbeziehung“ zur PLO gehabt habe, wie die FAZ seinerzeit meinte. Im Gegenteil: Bereits in den 1970er Jahren hatte die bundesrepublikanische Außen- und Sicherheitspolitik begonnen, Kontakte zu der Terror-Organisation zu knüpfen. In den 1980er Jahren intensivierte sich dieser Prozess dann.

Vor allem Diplomaten im arabischen Ausland bauten ihre Distanz zu PLO-Vertretern mit Billigung der Bonner Zentrale immer weiter ab. Als sich 1980 zum Beispiel der westdeutsche Botschafter in Beirut, Horst Schmidt-Dornedden, mit dem hochrangigen PLO-Außenpolitiker Faruk Kaddumi traf, textete er anschließend in die Zentrale, es habe sich um ein Gespräch in „gelöster Atmosphäre“ gehandelt, das „durchaus harmonisch“ verlaufen sei.

Das klang schon so vertraut, dass sich die westdeutsche Botschaft in Israel dazu gezwungen sah, im internen Schriftverkehr daran zu erinnern, dass es doch eigentlich eine wichtige Voraussetzung für bessere Beziehungen zwischen PLO und Bundesrepublik gab: die Anerkennung Israels durch die Palästinenser.

Bonn ging gegenüber der PLO in Vorleistung

Diese Conditio sine qua non geriet aber gerade zu dieser Zeit ins Schwimmen, was vor allem an einem Punkt deutlich wurde: Ohne dass Arafat dafür eine Leistung geboten hätte, wirkte Bonn 1980 innerhalb der EG „maßgeblich“ (so betonte Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher stets) darauf hin, das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser und damit faktisch bereits ihr Recht auf einen Staat erstmals in einem offiziellen Dokument der Westeuropäer zu erwähnen. Diese „Venedig-Erklärung“ war ein großes Geschenk für die Palästinenser.

Die Bundesregierung hatte auch kein Problem damit, dass dasselbe Papier sogar die PLO als Partner in einem künftigen Nahost-Friedensprozess deklarierte. Schließlich hatte sie nicht nur in den Auslandsvertretungen, sondern auch in Bonn selbst längst so etwas wie eine diplomatische Beziehung zu der Arafat-Organisation aufgebaut.

Am Rhein vertrat Fatah-Mann Abdallah Frandschi seit den 1970ern die Interessen der Palästinenser: Er war zwar nicht offiziell als Diplomat anerkannt, wurde aber vom Auswärtigen Amt de facto als solcher ernstgenommen, wenn auch mit Abstrichen.

Foto: Das blaue Sofa / Club Bertelsmann | CC BY 2.0 Generic
Vertrat die PLO in der Bundesrepublik schon lange vor Arafats Besuch: Abdallah Frandschi

Dass sich die Bundesrepublik zu dieser Zeit der PLO annäherte, hatte viel mit Spannungen im Ost-West-Verhältnis und der Sorge zu tun, die Araber in Sowjet-Hände zu treiben. Bonn sah sich deshalb unter Handlungsdruck gestellt. Enttäuscht war man dann, als sich abzeichnete, dass Arafat weder intendierte, noch dazu in der Lage war, sich für die Vorschusslorbeeren durch eine entsprechende Gegenleistung, etwa eine Anerkennung Israels, erkenntlich zu zeigen. Schon 1983 meinte ein hochrangiger Diplomat im Auswärtigen Amt resigniert, Arafat sei „unfähig zum Krieg und unfähig zum Frieden“.

Ein stetes Hin und Her

Arafats Zick-Zack-Kurs in friedenspolitischen Fragen und seine immer wieder prekäre machtpolitische Lage innerhalb der palästinensischen Politik sollte den deutschen Diplomaten auch danach noch viel Kopfzerbrechen bereiten. Es entspann sich ein Hin und Her aus zaghaften neuen Hoffnungen (Arafats Auftritt in Genf 1988) und neuerlichen Enttäuschungen (Arafats Unterstützung für Saddam Hussein 1990/91).

Mit dem Oslo-Vertrag von 1993 schien sich Arafat dann aber tatsächlich in jene friedenspolitische Rolle hineinzubegeben, die die Bundesrepublik stets aus einem Wunschdenken heraus auf ihn projiziert hatte. Dass auch das nicht das Ende der Geschichte war, wissen wir heute (siehe „Intifada“ ab 2000).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Arafats Aufenthalt in Bonn vor 30 Jahren zwar durchaus eine neue Phase in den bundesrepublikanisch-palästinensischen Beziehungen einleitete: Acht Monate später eröffnete Deutschland als erstes Land eine Vertretung in Jericho und damit im neuen Autonomiegebiet. Aus dem Nichts kam der Besuch aber nicht. Die Beziehungen der Bundesrepublik zur PLO hatten sich über Jahre hinweg entwickelt, nicht auf einer geraden Linie freilich, sondern mit Höhen und Tiefen.

Der Autor hat seine Masterarbeit im Fach Zeitgeschichte über die bundesrepublikanische Palästinenserpolitik in den 1980er Jahren geschrieben. Dafür wertete er Aktenbestände im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes aus.

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6 Antworten

  1. Arafat-Besuch 1993 Empfang für den Bombenleger in Bonn. Der nächste hohe Besuch steht schon fest:
    Yahya Sinwar. Diesmal in Berlin.

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    1. Vielleicht bittet er ja um Asyl, Albert. Arafat hat ja seinerzeit in der arabischen Welt keins bekommen. Kein Land wollte ihn. Warum ist wohl keine Frage, jedes Land in der je wohnte, hat er zerstört. Libanon, Jordanien, Tunesien wurde verschont, weil man ihm rechtzeitig losbekam. Dafür hat er sein nächstes Heimatland in Grund und Asche „regiert“. Gibt leider bis heute Zeitgenossen, die ihn dafür bejubeln,

      Um Sinwar brauchen wir uns bestimmt keine Sorgen machen, sollte er tatsächlich entwischen können, Ergodan hat in seinem Palast sicher ein freies Zimmer für ihn.

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  2. Die Begegnung mit Arafat war bisher der größte Fehler den Deutschland. Und keine Regierung hat daraus etwas gelernt. Es flossen Millionen von DM bzw. heute Euro in die Taschen der PLO. Wo sind diese Gelder geblieben? Wirtschaftlicher Aufschwung? 0, Bildung 0 Soziale Strukturen 0 Vor einiger Zeit gingen von der Deutschenregierung ca. 300 Millionen € an Herrn Abbas wo für und für was?

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  3. Der damalige Besuch in Bonn war aus einer anderen Zeit, in der man an Oslo glaubte. Viel schlimmer ist die heutige Zeit, weil die arabischen Terroristen keinen Frieden wollen und Deutschland sich mehr um den Gaza kümmert als um Israel. Vor 30 Jahren war alles anders, der Iran war noch nicht so mächtig wie heute, und auch Putin war noch nicht an der Macht. Da glaubten noch viele an den Frieden in dieser Welt. Diesen wird es zwar geben, aber erst wenn die Zeit der heutigen Finsternis vorbei ist.

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