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Elegie in moderner Kunst auf den 7. Oktober

In einer neuen Ausstellung befasst sich das Israel-Museum mit Trauer und Vergänglichkeit. Kontext ist das Terrormassaker der Hamas.
Von Gundula Madeleine Tegtmeyer

Der Begriff Elegie bezeichnet ein verfasstes Gedicht mit Klagecharakter. Tiefgründige und poetische Reflexionen der Elegie finden sich auch in den Werken vieler zeitgenössischer Künstler als Ausdruck von Verlust und Trauer; ergreifende Erinnerungen an Familie, Freunde, Heimat und Landschaft und die Abwesenheit dessen, was war und nicht mehr ist. Unter dem Eindruck der Schrecken des 7. Oktober hat das Israel-Museum Jerusalem eine ursprünglich für später im Jahr geplante Ausstellung vorgezogen und die Arbeiten der Künstler und Künstlerinnen in den Kontext des Hamas-Terroranschlags gestellt.

Die Ausstellung umfasst bedeutende Werke von Christian Boltanski, Joshua (Shuky) Borkovsky, Hans-Peter Feldmann, Anya Gallaccio, Felix Gonzalez-Torres, Douglas Gordon, Talia Keinan, Jonathan Monk, Melik Ohanian, Yehudit Sasportas, Dina Shenhav und Gal Weinstein.

Persönliche und universelle Bedeutung

Jedes ausgestellte Kunstwerk aus den Sammlungen des Museums wurde aus dem spezifischen persönlichen Kontext des Künstlers heraus geschaffen, hat darüber hinaus auch eine universelle und hohe symbolische Bedeutung. Gemeinsam der Öffentlichkeit präsentiert, bieten sie dem Betrachter einen stillen und kontemplativen Raum, in dem Schmerz und Trauer in diesen dunklen Zeiten durchlebt werden können.

Betrachten wir einige Arbeiten etwas näher. Beginnen wir mit Joshua (Shuky) Borkovsky, 1952 in Israel geboren. Borkovsky schreibt über seinen „Lacrimae“-Zyklus (Tränen), Graphit auf Papier: „Nach jenem Schabbat am 7. Oktober, als ich es schaffte, mich ins Atelier zu bringen – was keineswegs einfach war –,  führten mich die Emotionen, die Traurigkeit und Angst intuitiv zu dem Einzigen, was ich machen konnte: eine Träne. Daraus wurde ein tägliches Ritual: Jeden Tag mache ich mindestens eine weitere Lacrima.“ Mit der Zeit entstand ein neuer Zyklus: der fortlaufende „Lacrimae“- Zyklus.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Jeden Tag eine neue Träne

Anya Gallacciowurde 1963 in Schottland geboren. Ihr Triptychon Preserve Beauty (Schönheit bewahren) besteht aus etwa 900 Gerbera-Blüten. Diese hat die Künstlerin in voller Blüte hinter Glasscheiben installiert. Im Laufe der Zeit durchleben die Blumen den natürlichen und unvermeidlichen Prozess des Welkens und Austrocknens.

Die verrottenden Blumen erinnern an ihre einstige Schönheit und machen uns die Vergänglichkeit bewusst: Verfall und Tod sind Teil des natürlichen Kreislaufs. Die Vergänglichkeit des dreiteiligen Werkes symbolisiert die Vergänglichkeit des Lebens selbst.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Symbol der Vergänglichkeit

Im heutigen Israel verkörpert die Gerbera Trauer, sie wird daher zum Binden von Kränzen für die Grabniederlegung verwendet. Die gebürtige Israelin Yehudit Sasportas wirkt als Künstlerin in Berlin und Tel Aviv. Ihre Sechs-Projektoren-Installation läuft in einer Endlosschleife von je 5 Minuten pro Projektion.

In einem stark abgedunkelten Raum werfen sechs Projektoren Impressionen – gestaltet aus Fotografien, Zeichnungen und Animationen – aus norddeutschen Wäldern und Marschen an die Wände. Äste schwanken und fallen zu Boden, ein weißer Lichtfleck bewegt sich kontinuierlich über die projizierten Bilder. Er scheint in der düsteren Szenerie etwas oder jemanden zu suchen.

In „GHARDY – Local Voices“ überschneidet sich Yehudit Sasportas‘ ästhetischer Ansatz mit Form und Linie mit ihrer eigenen Lebensgeschichte. GHARDY ist ein Akronym für die Namen der sechs Sasportas-Geschwister. Jede der sechs Projektionen ist die individuelle „Landschaft“ – eine mentale Landkarte – eines Bruders und einer Schwester.

Sasportas hat in ihrer Arbeit eine Familienlandschaft geschaffen. Die Wälder und Sümpfe verwendet die Künstlerin als Metaphern, persönliche und familiäre Erinnerungen sprudeln an die Oberfläche. Unterlegt hat Sasportas ihre geheimnisvollen Bilder mit einer mystisch-dunklen Musik, komponiert von ihrem Bruder Gamliel.

Künstler aus Düsseldorf

Unter den Künstlern findet sich auch ein Deutscher, kein Geringerer als Hans-Peter Feldmann (1941–2023). Die im Israel-Museum ausgestellte Arbeit Zwei Mädchen stammt aus dem Jahr 2006, ist eine von Feldmann bearbeitet Fotografie und Dauerleihgabe des Vereins der Freunde des Israel-Museums in Deutschland.

Hans-Peter Feldmann war ein deutscher Konzeptkünstler, bekannt vor allem für seine Verwendung von Künstlerbüchern, gefundenen Objekten und angeeigneten Bildern zur Neubewertung und Neukontextualisierung von Themen. Feldmann nimmt häufig allgegenwärtige oder banale Themen als Ausgangspunkt – wie etwa Schuhe oder Fotografien aus Hotelfenstern – und erhebt sie durch Fotoessays zu tiefgründigen und nachdenklich stimmenden Erlebnissen.

„Kunst muss sinnlich sein, damit die Augen sie berühren“, sagt Feldmann, „man muss es einfach ansehen, um die Musik zu hören.“

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Die Ausstellung trägt den Titel „Die Dämmerung der Finsternis – Elegie in zeitgenössischer Kunst“

Der Konzeptkünstler wurde am 17. Januar 1941 in Düsseldorf geboren. In Österreich studierte er in Linz Malerei an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung. Ende der 1960er Jahre begann Feldmann mit der Produktion von Künstlerbüchern mit dem Titel „Bilde“, die in den folgenden Jahren in seinem Schaffen verankert waren. Im Jahr 2010 erhielt Feldmann den Hugo-Boss-Preis, der 2011 eine anschließende Ausstellung im Solomon R. Guggenheim Museum in New York beinhaltete.

Seine Werke befinden sich in den Sammlungen des Art Institute of Chicago, dem Museum of Modern Art in New York und im Hamburger Bahnhof in Berlin. Der Konzeptkünstler lebte und arbeitete bis zu seinem Tod im vergangenen Jahr in Düsseldorf.

Feldmanns Arbeit Zwei Mädchen begann mit einem vergrößerten Abdruck einer bereits existierenden Schwarz-Weiß-Fotografie. Ein kleines Mädchen, das auf einem Roller fährt, streckt seine Hand nach einem anderen Mädchen aus, das ihr gegenübersteht. Doch dieses Mädchen ist nicht zu sehen – Feldmann hat sie aus dem Foto herausgeschnitten, und stattdessen füllt ein Segment der Museumswand ihre Silhouette aus.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Das Foto stammt vermutlich aus den 1940er Jahren

Die Abwesenheit des Mädchens wird durch seinen langen Schatten unterstrichen, ein dunkles „Echo-Bild“ seiner früheren Existenz. Das Foto wurde wahrscheinlich in den 1940er Jahren in Europa aufgenommen. Das abwesende Mädchen ist imaginärer Ausdruck für die unzähligen Menschen, die in dieser Zeit umkommen und den Schatten, den ihr Verlust wirft.

Jonathan Monk, 1969 in Großbritannien geboren, wählte Berlin als Wirkungsstätte. Sein Kerzenfilm aus dem Jahr 2009 setzt sich aus acht 16-mm-Filmen zusammen mit einer Länge von insgesamt 6:20 Stunden. Über diesen Zeitraum  brennt eine Kerze ab, bis sie letztendlich erlischt.

Seit Jahrhunderten wird die Kerze – ihre Flamme als Symbol für die Seele, das schmelzende Wachs für den Körper – in der Kunst verwendet, um die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens darzustellen. Die klassische Technik des 16-mm-Films und des Projektors, bei dem die Rollen jede Stunde von Hand nachgeladen werden müssen, spiegelt in diesem Werk das Thema des Films wider: Wie die Kerze geht auch die Filmrolle zu Ende, und dann bricht die Dunkelheit an.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Kerze und Filmrolle gehen irgendwann zu Ende

Auch Douglas Gordon, 1966 in Schottland geboren, entschied sich für Berlin als künstlerischen Standort. Der Titel seiner Arbeit lautet „Ohne Titel“ (Unavoidables) und ist ein Vinyl-Wandtext aus dem Jahr 1992.

An Gedenkstätten wie Yad Vashem begegnen uns reihenweise die Namen der Toten, oftmals dicht an dicht in Wänden eingraviert. Um die Selektivität der Erinnerung und die Prozesse des Vergessens hervorzuheben, dekorierte Douglas Gordon die Wände der Galerie mit sieben schwebenden Texten. Sätze, wie „die, die ich vergessen habe, aber an die ich mich erinnern werde“, zeigen die logischen Möglichkeiten auf, wie Menschen im Gedächtnis des Künstlers (und aller anderen) bleiben oder daraus verschwinden.

Die Kälte des schwarzen Textes wird im Moment des Lesens durch die Identifikation mit der Sehnsucht ersetzt, sich an die Menschen zu erinnern, sie nicht zu verlieren. Gordons Arbeit zwingt uns, uns mit unserer Hilflosigkeit angesichts des Vergessens auseinanderzusetzen und anzuerkennen.

Die Ausstellung läuft bis zum 16. November 2024.

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9 Antworten

  1. Danke für den Bericht.
    Zur Verarbeitung der schrecklichen Ereignisse seit dem 7.Oktober 2023 ist auch diese Elegie wichtig.

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  2. Danke@Redaktion. Berührend. Ich sehe mir die bewegende, schmerzliche Ausstellung an. OT:
    Leider Hallervorden, kulturelle Witzfigur, veröffentlichte Gedicht gegen Israel. Mit Videos aus Gaza. Nur kurz erwähnt Massaker 7.10.
    Wir sollten dem alten Herrn schreiben.

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    1. Danke für die Info, das ist für mich ein Schock, weil ich von Hallervorden so etwas NICHT erwartet habe.
      Ich werde mich mit „Hallervorden“ beschäftigen…

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    2. „Palim, palim, zwei Staaten her, das reimt sich fein auf Schuldumkehr.“ Eine Reaktion auf das Gedicht von Hallervorden. Er meint das ernst, der arme alte Mann, dass eine 2 Staatenlösung Frieden bringt. Hört ihm keiner mehr in seinem Theater Berlin zu, dass er solchen Unsinn verzapfen muss?

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  3. Liebe Ella, der Herr ist 88 Jahre, hat eine junge Frau. Mit Witz und als Komödiant hat er sicher Menschen erreicht. Hatte er zwei Gesichter oder schliesst er sich Kulturellen an? Er hat sich keinen Gefallen getan auf seine alten Tage. Hoffentlich kritisieren ihn viele.

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