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Ein neues Fundament schaffen

Was Jugendliche an Schulen über Israel lernen, prägt ihr späteres Verhältnis zum jüdischen Staat. Doch viele Lehrbücher lassen den größeren zeitlichen und geographischen Zusammenhang vermissen.
Von Israelnetz
EIn Lehrbuch für Politik und Wirtschaft und eines für Geschichte

Die deutsch-israelischen Beziehungen sind seit jeher besonders. Diese Besonderheit, die auf einem rassistisch motivierten Völkermord beruht, ist unvermeidlich und allgegenwärtig. Sie zeigte sich auch zuletzt wieder am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, als der Präsident des israelischen Parlaments, Mickey Levy, eine bewegende Ansprache im Deutschen Bundestag hielt. Er schloss die Rede mit einem Totengebet für die ermordeten Holocaustopfer ab und brach dabei in Tränen aus.

Vor dem Gefühlsausbruch äußerte der Vorsitzende der Knesset jedoch auch seine Vision für die Zukunft der deutsch-israelischen Beziehungen. Hier baue er auf die jungen Menschen und auf die nachfolgenden Generationen, welche gemeinsam die freiheitlichen Werte beider Staaten stützen mögen. 

Damit die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel wachsen und gedeihen, bedarf es einer gegenseitigen Wahrnehmung, die von Verständnis und Empathie geprägt ist. Dies beginnt schon bei den Jüngsten. Das, was Schülerinnen und Schüler in Deutschland heute und morgen über Israel lernen, ist neben persönlichen Begegnungen maßgeblich für das gemeinsame deutsch-israelische Fundament. Doch wie schaut es derzeit mit dem Israelbild in deutschen Schulbüchern aus?

Demokratie als gemeinsamer Nenner

Jörg Rensmann vom „Mideast Freedom Forum Berlin“, das Lehrkräfte im Umgang mit Antisemitismus schult, hat sich explizit mit diesem Phänomen auseinander gesetzt. Dabei erhielt er Unterstützung von weiteren Multiplikatoren, wie der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission. Gegenüber Israelnetz äußerte er, die Forscher hätten festgestellt, dass Israel in deutschen Schulbüchern hauptsächlich als kriegsführender Krisenstaat im Nahen Osten erscheine. Dieses Bild sei allerdings äußerst einseitig. Nicht dargestellt werde, dass es sich bei Israel um eine moderne funktionierende Demokratie mit westlicher Gewaltenteilung handele.

An dieser Stelle würde sich aus seiner Sicht auch ein Einblick in das politische System Israels anbieten. Hier ließen sich Parallelen mit dem politischen System der Bundesrepublik aufzeigen, auch um Israel als Teil der westlichen demokratischen Gemeinschaft darzustellen. Lohnenswert wäre auch ein Blick auf die sehr lebendige israelische Innenpolitik, mit ihren vielen auf demokratischem Wege ausgefochtenen Diskursen. Ferner fehlt eine Darstellung der israelischen vielfältigen und multiethnischen Zivilgesellschaft mit ihren Diskursen und jeweiligen ganz individuellen Interessen. Auch Minderheitenrechte sind in Israel einklagbar. Dies geschieht regelmäßig in der Praxis.

Vor dem Gesetz sind alle Israelis gleich. Ehemalige Staatsoberhäupter werden rechtlich genauso behandelt, wie einfache Bürger. So mussten auch ehemalige Präsidenten oder Premierminister des Landes, genannt seien hier Mosche Katzav und Ehud Olmert, wegen Rechtsverletzungen Haftstrafen antreten.

Israelis können unabhängig ihrer Konfession in israelischen Universitäten studieren und anschließend hohe gesellschaftliche Positionen besetzen. Minderheiten dürfen ihren jeweiligen Glauben frei praktizieren, aktiv und passiv an Wahlen partizipieren und vieles mehr. Erst kürzlich wurde ein muslimischer Richter dauerhaft zum Obersten Gericht Israels berufen. Es wäre sehr förderlich, sich beim Umgang mit Israel in Schulen auch auf diese gemeinsamen Werte zu fokussieren.

Verständnis für Zionismus schaffen

Die Deutsch-Israelische Schulbuchkommission bemängelte laut Jörg Rensmann auch, dass die historische Präsenz von Juden in Palästina nicht korrekt dargestellt werde. Denn Juden leben seit weit über 3.000 Jahren in der Region. Israelische Städte wie Safed (Zefat) oder Tiberias gelten seit kurz nach Beginn der Zeitrechnung als durchgängig besiedelt. Ohne diese Information in Schulbüchern könne der Eindruck entstehen, dass die Juden gar keine Vorgeschichte in dem Land hätten und als Besatzer und Kolonialisten ins Land gekommen seien.

Besatzung und Kolonisation sind auch Begriffe, die manch ein Jugendlicher aufgrund einseitiger Informationen aus dem Elternhaus, Freundeskreis oder tendenziöser Berichterstattung mit dem „Zionismus“ verbindet. Hier könnten deutsche Schulbücher eingreifen und diesem Bild entgegenwirken. 

Nach den jahrhundertelangen Erfahrungen mit europäischem Antisemitismus, die schließlich in den Holocaust mündeten, erschien ein jüdischer Staat vielen Juden als einziger sicherer Zufluchtsort. Dies ist ein Kernanliegen des Zionismus. Es sollte als solches vermittelt werden, um Verständnis für den Wunsch vieler Juden nach einer Heimstätte, einem sicheren Hafen zu schaffen.

Komplexe Zusammenhänge vermitteln

Das Aufkommen des Nahostkonfliktes war nicht durch die zunehmende jüdische Besiedlung vorherbestimmt. Viele Araber im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina setzten sich in den 1920er Jahren für einen Ausgleich mit den Zionisten ein. Diese politische Strömung wurde in den 30er Jahren jedoch von der palästinensischen Nationalbewegung zerschlagen.

Mohammed Amin al-Husseini, auch als „Mufti von Jerusalem“ bekannt, war an diesen Geschehnissen maßgeblich beteiligt. Al-Husseini war ein entfernter Verwandter vom späteren Chef der „Palästinensischen Befreiungsorganisation“ (PLO), Jasser Arafat, und ein überzeugter Antisemit. Er agierte im Zweiten Weltkrieg als Bündnispartner der Nationalsozialisten und war durch Kriegsverbrechen auch selbst aktiv am Holocaust beteiligt. Da Al-Husseini eine aktive Rolle bei der Etablierung des palästinensischen Nationalismus spielte, sollte diese Rolle auch in Schulbüchern wahrheitsgemäß dargestellt werden.

Die historische und zivilgesellschaftliche Komplexität des Nahostkonfliktes wird in Schulbüchern nur unzureichend abgebildet. Zwar thematisieren deutsche Lehrbücher oft die arabische „Nakba“, also die Flucht und Vertreibung von arabischen Palästinensern aus dem früheren britischen Mandatsgebiet Palästina, als der israelische Staat gegründet wurde. In gegenwärtigen Debatten und Schulbüchern findet jedoch keine Erwähnung, dass es solch eine „Nakba“ auch auf jüdischer Seite gab. Im Zuge der Staatsgründung Israels flohen und emigrierten rund 850.000 Juden aus arabischen Ländern nach Israel, vielfach aufgrund von stark zunehmenden Diskriminierungserfahrungen.

Auch umstrittene und polarisierende Themen wie den Siedlungsbau sollte der Schulunterricht nicht ausklammern. Allerdings hält der Politikwissenschaftler Rensmann es für wichtig, die Vorgeschichte zu thematisieren, um der Komplexität des Themas gerecht zu werden: So sollte in diesem Kontext erwähnt werden, dass das Westjordanland nie ein palästinensisch-selbstständiger Staat war. Von 1949 bis 1967 war das Gebiet von Jordanien annektiert. Kurz nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 entwickelte das israelische Kabinett einen umfassenden Friedensvorschlag, auf den die arabischen Staaten allerdings nicht eingingen. Die im November verabschiedete UN-Resolution 242 verlangt von Israel zwar einen Rückzug aus im Sechs-Tage-Krieg eroberten Gebieten, allerdings nicht explizit aus „allen“ eroberten Gebieten. Die Formulierung wurde in der britischen Version des Textes bewusst offen gehalten, damit die betroffenen Parteien den finalen Grenzverlauf regeln können. 

Arabische Verantwortung für Palästinenser ausgeklammert

Erwähnenswert wäre auch, dass die umliegenden Staaten eine historische Verantwortung für die Palästinenser tragen, welche nicht immer wahrgenommen wird. Leider wird dieses mitunter problematische Verhältnis der arabischen Nachbarstaaten zu Nachkommen der palästinensischen Flüchtlinge ausgeblendet, obwohl es eine Lösung des Nahostkonfliktes maßgeblich erschwert.

Hier sei beispielsweise an die zahlreichen palästinensischen Flüchtlinge und deren Nachkommen im Libanon erinnert. Da den meisten Palästinensern die libanesische Staatsbürgerschaft verwehrt bleibt, leben sie abseits der Gesellschaft in Flüchtlingslagern des UN-Hilfswerkes für Palästina-Flüchtlinge, UNRWA. Diesen Menschen werden falsche Hoffnungen bezüglich einer Rückkehr ins heutige Israel gemacht, während der Flüchtlingsstatus und der Hass auf den jüdischen Staat von Generation zu Generation vererbt werden.

Diese historischen und politischen Aspekte gehören auch in Schulbüchern thematisiert, da sie zu einem Gesamtverständnis des Konfliktes beitragen.

Zudem fordert die Deutsch-Israelische Schulbuchkommission einen erweiterten regionalen Bezugsrahmen. Sie kritisiert in diesem Kontext eine verengte Sicht auf den palästinensisch-israelischen Konflikt. Internationale Akteure würden zu wenig Berücksichtigung finden. Aktuell verändert sich die Region zunehmend. Im Rahmen der Abraham-Friedensverträge, bilden sich neue Allianzen. Der palästinensisch-israelische Konflikt wird nicht länger als Hinderungsgrund für arabische Staaten wahrgenommen, um gute Beziehungen zu Israel zu pflegen.

Israelbezogenen Antisemitismus thematisieren

Die Beschäftigung mit dem Thema Israel ist für Schülerinnen und Schüler auch deswegen wichtig, da sich gegenwartsbezogener Antisemitismus häufig am Staat Israel entzündet.

Aus einem Bericht der Bundesregierung geht hervor, dass rund 40 Prozent der Bundesbürger israelbezogenen antisemitischen Stereotypen zustimmen. Sie bejahen Sätze wie „Bei dem, was Israel tut, kann ich verstehen, wenn man etwas gegen Juden hat“. Auch Julia Bernstein von der „Frankfurt University of Applied Sciences“ (Frankfurt UAS) beklagt, dass durch die sozialen Medien vor allem ein Antisemitismus zugenommen habe, der sich unter dem Deckmantel sogenannter Israelkritik tarne. Dadurch werde dieser zu einem erlaubten Ressentiment. Der Forschung der Professorin zufolge ist der israelbezogene Antisemitismus die aktuell dominierende Erscheinungsform.

Laut Jörg Rensmann ist es gerade angesichts solcher flächendeckend verbreiteten antisemitischen Ressentiments sehr wichtig, dass das Thema Israel an Schulen richtig behandelt wird. Die führenden Experten auf diesem Gebiet sprechen sich dafür aus, dass das Erkennen und der Umgang mit israelbezogenem Antisemitismus zu einem verbindlichen Teil der Lehramtsausbildung werde.

Eine Auseinandersetzung mit Fakten zur Entstehung und Gegenwart der israelischen Demokratie könne helfen, falschen Welterklärungen sowie einem verzerrten Israelbild an deutschen Schulen entgegenzutreten.

Ein stabiles Fundament für die Zukunft schaffen

Am Beginn der eingangs zitierten Holocaustgedenkveranstaltung sagte die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Erinnerungskultur lasse sich nicht von oben verordnen. Eine Feststellung, die auf lange Sicht richtig und wichtig ist.

Die unvermeidliche Besonderheit in den deutsch-israelischen Beziehungen wird auch in Zukunft fortbestehen. Das gemeinsame Fundament sollte jedoch breiter und stabiler werden. Um dies zu erreichen, bedarf es eines besseren gegenseitigen Verständnisses.

Heutzutage ist Israel eben auch ein modernes, demokratisches und dynamisches Land, in dem Bildung, Forschung, Start-ups und neue Technologien eine große Rolle spielen. Das, was Schüler in Deutschland heute und morgen über Israel in all seinen Facetten lernen, ist neben persönlichen Begegnungen maßgeblich für das gemeinsame Fundament.

Von: Boris Itkis

Jörg Rensmann steht dem Mideast Freedom Forum Berlin vor. Dieses bietet Seminare für Lehrkräfte sowie Workshops für Schulklassen an. Themen sind unter anderem Antisemitismus, die israelische Demokratie oder der Nahostkonflikt.

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2 Antworten

  1. Es scheint erfreulich, dass in vielen Bereichen eine neue Haltung zum Antisemitismus feststellbar ist. Wer hinter die Kulissen blickt (die Bibel liest) wird feststellen, dass nach unzähligen militärischen Aktionen, die nicht die Juden ins Meer trieben, nun ein Schmusekurs von Israels Gegnern eingeschlagen wird. Wir wissen, s. o., dass es anders kommen wird. JAH wird SEINEN Weg mit Israel und seinen Gegnern so gehen, wie ER es sich vorgenommen hat. Und da wird er ganz andere Töne anschlagen. Trotz des positiven Aspektes sollten wir uns nicht blenden lassen.

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  2. Sehr guter Artikel von Herrn Itkis. Kann man nur hoffen, dass Herr Rensmann an diesen Thema dranbleibt, ansonsten entsteht eventuell eine Parallele zu den hasserfüllten palästinensischen Schulbüchern, nämlich nichts.
    Eine wichtige Ergänzung zu den arabischen Flüchtlingen, die jetzt zum großen Teil im Libanon siedeln. Die meisten wurden nicht von den Juden vertrieben, sondern ihre eignen Leute haben Sie dazu aufgefordert für etwa zwei Wochen ihre Häuser zu verlassen. Wörtlich:
    „Arabische Brüder in Palästina! Wir werden die verbrecherischen Zionisten-Bande ins Meer werfen, so dass in Palästina kein einziger Jude mehr übrig bleibt. Aber damit unsere siegreichen Armeen ihre heilige Mission erfüllen können, ohne dass dabei arabische Bürger geopfert werden, müsst ihr vorläufig das Land verlassen, damit unsere Truppen ihr Vernichtungswerk ungestört verrichten können, denn Bomben können nicht zwischen Juden und Arabern unterscheiden.“
    Das war kurz vor dem Unabhängigkeitskrieg 1948

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