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„Direkte Begegnung mit Menschen durch nichts zu ersetzen“

Die Bundeszentrale für politische Bildung bietet seit 60 Jahren Israel-Studienreisen an. Der Präsident Krüger spricht sich für den Ausbau deutsch-israelischer Begegnungen aus.
Von epd
bpb-Präsident Thomas Krüger

BERLIN (inn) – Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), Thomas Krüger, hat sich für einen Ausbau deutsch-israelischer Begegnungen ausgesprochen. Zum 60. Jubiläum der Israel-Studienreisen der Bundeszentrale und dem 75. Gründungsjahr des jüdischen Staates plädiert er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) unter anderem für „eine Art Deutsch-Israelisches Jugendwerk“. Die Bundeszentrale für politische Bildung feiert am heutigen Freitag mit einer Tagung in Berlin und israelischen Gästen das Jubiläum ihrer Studienreisen.

epd: Die Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt die 60-jährige Geschichte ihrer Studienreisen nach Israel als „Erfolgsgeschichte“. Ins Leben gerufen wurden sie, um gegen antisemitische Stereotype und Vorurteile in Deutschland anzugehen. Wie lässt sich dieser „Erfolg“ heute denn messen?

Thomas Krüger: Die Israel-Studienreisen waren eine unmittelbare Reaktion auf antisemitische Vorfälle im Westdeutschland der Nachkriegszeit Ende der 50er Jahre. Kurz vor der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen 1965 haben die Reisen begonnen. Ziel war immer, Multiplikatoren durch eine unmittelbare Begegnung mit den Menschen ein differenzierteres Bild vom Leben und den Herausforderungen dieses Landes zu vermitteln. Das hat über die Jahrzehnte relativ gut funktioniert.

Diese Multiplikatoren kommen schlicht anders zurück, als sie hingefahren sind. Das heißt, die direkte Begegnung ist eine andere Form politischer Bildung, als wenn man sich das Wissen abstrakt, etwa durch Vorträge, herleitet. Die direkte Begegnung mit Menschen ist eben durch nichts zu ersetzen.

Wie viele Reisen sind bislang zusammengekommen?

Die Erfolgsgeschichte können wir an mehreren Faktoren festmachen: Es gibt nach wie vor eine riesige Nachfrage. Wir haben über die sechs Jahrzehnte mehr als 9.000 Teilnehmende in rund 300 Reisen nach Israel gebracht. Seit 60 Jahren ist das ein kontinuierliches Angebot, das nur kurz durch die „zweite Intifada“ vor rund 20 Jahren und jetzt durch die Pandemie unterbrochen wurde.

Auch in schwierigen und zugespitzten Zeiten sind wir immer gefahren und haben dieses Angebot hochgehalten. Es ist nach wie vor so, dass auf eine ausgeschriebene Reise mit etwa 22 Plätzen es grob gesprochen sechs Mal so viele Bewerbungen gibt.

Wenn Sie den Erfolg der Reisen am Stand des Antisemitismus in Deutschland messen würden, muss man doch eigentlich sagen, dass die Wirkung der Reisen verpufft ist?

Es ist immer die Frage, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Was wäre denn, wenn diese Reisen nicht stattgefunden hätten. Wäre es dann genauso oder wäre es möglicherweise sogar noch schlimmer.

Ich glaube, dass wir über die Jahrzehnte sehr viele Multiplikatoren mit am Start hatten, aus dem Journalismus, dem Bildungsbereich, von bestimmten Zielgruppen wie Integrationsbeauftragten der Kommunen, die natürlich ein viel differenzierteres Bild mit zurückbringen und den allgemeinen antisemitischen Positionen dann auch etwas entgegenhalten können. Die Resilienz von wichtigen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren macht sich dann schon über die Jahre bezahlt, weil in verschiedenen Bereichen einfach differenzierter über Israel gesprochen wird.

Schauen Sie Kultureinrichtungen wie das Berliner Maxim Gorki Theater an: Man denkt, postmigrantisches Theater, das ist bestimmt antisemitisch, aber das Gegenteil ist der Fall. Die Hausregisseurin heißt Yael Ronen und kommt aus Israel. Das hat auch etwas damit zu tun, dass Israel kennengelernt worden ist, dass es eine differenzierte Haltung zu Israel gibt; dass Israel kein monolithischer Block ist, sondern eine vielfältige Gesellschaft mit völlig unterschiedlichen Aspekten, die es eben nachzuvollziehen und zu verstehen und einzuordnen gilt.

Das vierte Kabinett von Israels Premier Benjamin Netanjahu besteht auch aus rechtsextremen und nationalistischen Ministern. Wie reagiert die Bundeszentrale mit ihrem Reiseprogramm darauf?

Die Bundeszentrale hat sich immer und zu allen Zeiten sehr stark an das Kontroversitätsgebot der politischen Bildung gehalten. Das heißt, wir haben immer die unterschiedlichen Teile dieser Gesellschaft vorgestellt. Wir sind auch immer in die Teile Israels gefahren, in denen arabische Israelis leben. Wir haben bei jeder Reise die palästinensischen Gebiete besucht, um kein Narrativ, keine Perspektive auszuschalten. Aus dem politischen Bereich sind eher weniger Referenten bei unseren Reisen dabei.

Wir versuchen dieses Land aus den verschiedenen Alltagskonstellationen heraus zu
verstehen. Da kommt natürlich auch der eine oder andere Politiker zur Sprache, aber extreme Positionen, wie wir sie derzeit als Teil der Regierung sehen, sind tendenziell nicht unsere Ansprechpartner. Wir befassen uns auch mit dem Thema der völkerrechtswidrigen jüdischen Siedlungen, fahren aber nicht in diese Siedlungen. Sondern wir suchen Gesprächspartner, um uns kritisch damit auseinanderzusetzen.

Erfährt die Bundeszentrale aus Israel politischen Druck auf die Gestaltung des Reiseprogramms und die Gesprächspartner?

Krüger: Es gab schon immer wieder mal Vorschläge. Die ordnen wir dann als wohlmeinende Informationen ein. Wir machen sie uns in der Regel nicht zu eigen. Wir haben unser eigenes Programm, das wir mit unseren israelischen Partnern entwickeln. Das ist unabhängig und wird weder von der Bundesregierung, noch der deutschen Botschaft in Israel, noch von Mittlerorganisationen wie dem Goethe-Institut oder aus Israel selbst beeinflusst.

Es wird akzeptiert, dass wir mit unseren Studienreisen nach Israel kommen und uns kritisch mit dem Land auseinandersetzen. Dabei werden keine Vorgaben gemacht. Die Reisen werden wertgeschätzt, vor allem weil ein differenziertes Bild von Israel vermittelt wird. Israel ist eine vielfältige, mit sich selbst ringende Gesellschaft, in der gegensätzliche Standpunkte aufeinandertreffen. Ehrlich gesagt, würden wir politischen Druck auch zurückweisen.

Werden den Reisegruppen der Bundeszentrale für politische Bildung Hindernisse in den Weg gelegt, etwa wenn es darum geht, palästinensische Gesprächspartner zu treffen?

Wir werden an den Checkpoints genauso behandelt wie alle anderen auch. An manchen Tagen läuft es besser, an anderen Tagen weniger. Wir sind als deutsche Reisegruppe immer fair behandelt worden.

Was ist Ihres Erachtens nötig, um das deutsch-israelische Verhältnis zu fördern, insbesondere um deutsche Missverständnisse über Israel abzubauen?

Die politische Ebene, die jeweiligen Regierungen und Parlamente, haben schon ein Fundament für eine nachhaltige Dialog- und Begegnungskultur geschaffen. Die Studienreisen der Bundeszentrale laufen unabhängig davon. Wir versuchen mit unseren Studienreisen alle Alters- wie Interessensgruppen und Kompetenznetzwerke in die Begegnung mit Israel zu bringen, um die beiden Gesellschaften osmotischer, durchlässiger zu machen, sich austauschen zu lassen.

Mir wäre es wichtig, dass über die Studienreisen hinaus am Ausbau von Begegnungs- und Dialognetzwerken gearbeitet wird. So etwas wie ConAct, das Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch in Lutherstadt Wittenberg, verdient es ausgebaut zu werden zu einer Art Deutsch-Israelisches Jugendwerk.

Sie meinen, persönliche Begegnungen helfen gegenüber antisemitischen Stereotypen, die sich nach wie vor fest in unserer Gesellschaft halten?

Wenn Sie Menschen begegnen, mit all ihren Stärken und Schwächen, mit ihren Interessen, mit ihren Fantasien, die einen in ihr Herz schließen, die anderen ablehnen, dann kommen Sie einfach anders aus diesem Land zurück und haben ein differenzierteres Bild.

Das große Problem des Antisemitismus ist, dass er sich immer gruppenbezogen auf das gesamte jüdische Kollektiv, auf das gesamte Israel erstreckt. Wer mit uns nach Israel fährt, erlebt ein Israel, das eine so große Vielfalt bietet, so dass es zumindest dem einigermaßen nachdenkenden Menschen schwer fallen sollte, seine Vorurteile unbedacht zu reproduzieren.

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4 Antworten

  1. Wie die breite Masse in Deutschland versteht leider auch Herr Krüger nichts von der tatsächlichen Situation im
    „Westjordanland“. Die israelischen „Siedlungen“ befinden sich auf israelischem Gebiet (Zone C). – Im Gegensatz zu palästinensischen Orten, deren Bau sogar die EU finanziert.

    Nur, weil Jordanien das Gebiet vom israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948 bis zum Sechs-Tage-Krieg 1973 besetzte, ist es nicht automatisch arabisches Gebiet. Weil die Araber nur ein lautes Nein zum UN-Teilungsplan vernehmen liesen, konnte und kann er nicht umgesetzt werden. Folglich kann man auch die israelischen „Siedlungen“ nicht als illegal bezeichnen.

    5
    1. Zone C ist NICHT israelisches Staatsgebiet. Sie irren sich, Fr. Neubert. Wenn auch ganz bewußt.

      2
  2. Aber in der Frage, ob persönliche Begegnungen helfen, Vorurteile, Stereotype, Antisemitismus abzubauen, stimme ich Herrn Krüger zu.

    3
  3. Das Olso II Abkommen sah vor, dass Zone C unter israelische Verwaltung gestellt wird. Und dass darüber verhandelt werden soll. Leider waren weder Arafat noch Abbas bereit um Land zu verhandeln, das einzige worüber verhandelt wurde, war die Freilassung ihrer Judenmörder. Das scheint für manche Zeitgenossen aber in Ordnung zu sein.

    Aber ja: es wurden tatsächlich Palästinenser geschickt. Leider nicht mit Verhandlungswillen, sondern mit Sprengstoffgürteln. Leider gibt es auch in D Zeitgenossen, die dies auch noch verteidigen. Auch den Tamimiclan, der nicht nur einmal an solchen Terroreinsätzen beteiligt war.

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