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Der verbotene Film

Seit Wochen steckt Israel im Dilemma: Um Solidarität zu erhalten, muss es den Hamas-Terror sichtbar machen. Doch Experten warnen vor weiteren Traumata in der eigenen Bevölkerung.
Von Israelnetz

Ein kleiner Kinosaal in Jerusalem. Der Einlass kostet kein Geld, aber mehrere Unterschriften. Smartphones sind während der Vorstellung nicht erlaubt, dafür bekommt jeder Besucher zur Stärkung eine Flasche Wasser.

„Wir wollen Ihnen diesen Film eigentlich gar nicht zeigen“, sagt ein Mitarbeiter vom Pressebüro der israelischen Regierung. „Aber nachdem einige Ihrer Kollegen wohl schon wieder vergessen haben, was am 7. Oktober passiert ist, können wir nicht anders.“ Vor ihm sitzen etwa 50 Journalisten aus aller Welt.

Den Kurzfilm hat die israelische Armee aus den Aufnahmen gefundener Hamas-Kameras erstellt. Darin zu sehen sind grausamste Tötungen, untermalt von „Allahu Akbar“-Rufen und Gelächter. 45 Minuten blanker Horror. Einen Abspann hat der Film nicht, dafür diesen Hinweis: „Es waren 138 Terror-Opfer zu sehen. Das sind weniger als 10 Prozent der Menschen, die am 07.10. ermordet wurden.“

Foto: Valentin Schmid
Am Dizengoff-Platz in Tel Aviv brennen Kerzen für die Verstorbenen

Das moralische Dilemma

An die Vorstellung schließt sich eine Fragerunde an. „Haben Sie auch Aufnahmen von Massenvergewaltigungen?“, will ein deutscher Journalist wissen, „oder von Menschen, die geköpft wurden?“ Schließlich sei die Echtheit solcher Berichte kaum belegt. Die Mundwinkel des Regierungsvertreters zucken. „Leider nicht“, sagt er.

Foto: Valentin Schmid
Journalisten umringen eine Bewohnerin des Moschav Netiv HaAssara

Die Konversation zeigt das Dilemma, in dem israelische Politiker und Journalisten seit sieben Wochen stecken: Um im medialen Krieg eine Chance gegen die Hamas zu haben, ringen sie um die Empathie der internationalen Presse. Doch im Gegensatz zu manchen Palästinensern widerstrebt es ihnen zutiefst, Bilder von Leichen zu veröffentlichen.

Die Totenwürde ist in der Halacha, dem jüdischen Recht verankert. „Halanat HaMet“ nennt sich dort die Pflicht, jeden Toten zu begraben – wenn möglich noch am Todestag. Und bis dahin fordert die Rechtsnorm „Kvod HaMet“ dazu auf, jedem Leichnam gebührende Ehre zu erweisen.

Die Würde des Toten ist unantastbar

Weil diese Anforderungen nach einem Terroranschlag nur schwer umsetzbar sind, werden die israelischen Sicherheitskräfte seit 1989 von ZAKA unterstützt. Die Organisation besteht aus Freiwilligen – meist orthodoxen Juden, – die an Unfallstellen Leichen identifizieren und eine zeitnahe Bestattung sicherstellen.

Foto: Valentin Schmid
Seit dem 7. Oktober musste Simcha Greinaman massenhaft Leichenteile einsammeln

Simcha Greinaman ist einer von ihnen. Seit Kriegsbeginn ist er im Dauereinsatz – wovon nicht nur seine Augenringe zeugen. Auf Fragen nach Köpfungen oder Vergewaltigungen reagiert er gereizt, für ihn ist der Befund eindeutig. „Ich hatte mit Leichen zu tun, mit Köpfen, mit verschiedensten Körperteilen.“ In einem Schlafzimmer im Kibbutz Be’eri habe er eine halbnackte Frau entdeckt, durch den Kopf erschossen und mit einer entsicherten Granate in der Hand. „Damit sie sich nicht bewegen konnte, während sie vergewaltigt wurde.“

Diagnose Volkstrauma

Doch auch fernab von Gaza hat der 7. Oktober alles verändert. „Bei vielen Patienten flammen alte Depressionen wieder auf“, erzählt Christina Solbach, Hausärztin in Haifa. „Aber es kommen auch Leute mit Angstzuständen, die das vorher nie hatten. Ich hatte gestandene Männer vor mir, die haben gezittert, sind komplett zusammengebrochen.“

Seit gut 13 Jahren arbeitet Solbach als Ärztin, bildet selbst Nachwuchs aus. Doch in dieser Situation ist auch sie auf den Rat anderer Experten angewiesen. Das Problem: „Allein die furchtbaren Bilder in den Nachrichten können eine posttraumatische Störung auslösen.“

Solbach spricht von einem „nationalen Trauma“: Während der Krieg anhält und so viele Geiseln fehlen, wähnen sich viele Menschen weiter im Überlebensmodus – und können daher kaum Emotionen zulassen. Das stelle die Psychologie vor völlig neue Herausforderungen. „Und wir wissen noch nicht, wie es ausgeht.“

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9 Antworten

  1. Der Unterschied zwischen einem Kulturvolk und Barbaren.

    Der Umgang mit Toten.

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  2. Ein deutscher Journalist fragt nach Fimbeweisen von Vergewaltigungen und Köpfungen, weil die Echtheit des gezeigten Fils nicht belegt ist. Wenn ich bedenke was für Meldungen ohne Belege durch die Medien gehen muß ich mich wunder. Spontan fällt mir ein Bericht mit einen Krankenhaus in Gazastreifen ein. Die Tagesschau brauchte keine Belege für die Echtheit, die Quelle Hamas reicht völlig aus.

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    1. @ TomH: Leider kann ich mich da nicht mehr wundern, sondern nur noch angewidert fühlen. Das sind die zweierlei Maß der westlichen Medienwelt!

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      1. Da hast Du recht. Und es sind nicht nur die Medien, die Politik ist ja genauso verseucht.

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  3. Es ist unfassbar, für mich einfach unvorstellbar, dass ein (deutscher) Journalist noch nach mehr Grausamkeiten ‚verlangt‘ hat, als ob er noch nicht genug der Gräueltaten gesehen hätte.
    Ich habe einige dieser Fotos und Videos gesehen und musste vor Schmerz und Hilflosigkeit weinen. Es waren sehr schlimme Bilder. Wenn ich mir vorstelle, dass Leute wie ZAKA mit all diesem Schlimmen vorort konfrontiert wurden – da leidet die Seele.

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  4. Genau das ist das Dilemma. Israel hält sich an das Gesetz und nimmt den Ermordeten nicht die Ehre, zeigt deswegen nicht jede Grausamkeit der HAMAS. Es muss doch in der freien Welt MEHR gescheite Reporter/innen geben, die erkennen, dass die HAMAS keine glaubwürdige Quelle für Journalismus ist. Ich glaube aber daran, dass nach der Zeit der Finsternis die Zeit des Lichts kommen wird, „und er wird Seinem Volk Recht schaffen und sich über seine Knechte erbarmen“, Israel wird Freunde erhalten, nur das wir jetzt die Zeit der Finsternis haben, durch die alle Gescheiten durchgehen müssen. Wir brauchen in der freien Welt so einen Menschen wie einst Oscar Schindler, und ein geschichtsbewussten Deutschland, wie ich es einst in West-Berlin kennengelernt habe, damals, im Französischen Sektor.

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  5. Nicht in den üblichen sozialen Netzwerken+ohne Smartphone unterwegs bleibe ich verschont von den schlimmsten Bildern. Die Erzählungen allein sind schon schrecklich genug…

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  6. Karim Khan (ICC Internationale Strafgerichtshof) hat die Gewalt gegen Frauen u. a. jetzt offiziell aufgenommen und versprochen gerichtliche Schritte gegen die Hamas-Verantwortlichen einzuleiten. Dies wird von israelischer Seite als Erfolg gewertet. Ich betrachte „assoziale“? Netzwerke nicht als Informationsquelle. Solche Zeiten snd schwer und sie sind noch schwerer zu ertragen mit Scheininformation. Ich bete mittlerweile lieber eine Runde für die Gequälten dieser Konflikte, für Wunder der Bewahrung und für Frieden und Gerechtigkeit und natürlich ein intaktes Israel, was in Frieden lebt. AM ISRAEL CHAI

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