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Der unglückliche Präsident und sein Taschentuch

Am 16. Februar 1949, vor 75 Jahren, wählte die Knesset Chaim Weizmann zum ersten Präsidenten Israels. Weizmann hatte die zionistische Bewegung lange angeführt. Mit seinem neuen Amt wurde er aber nie richtig warm.
Von Sandro Serafin

Als der Staat Israel am 14. Mai 1948 gegründet wurde, hatte Chaim Weizmann den Höhepunkt seiner politischen Karriere bereits hinter sich. 73 Jahre alt, hatten andere in der zionistischen Bewegung ihm das Heft des Handelns weitgehend aus der Hand genommen, allen voran David Ben-Gurion. Wunderbar eignete sich Weizmann aber für das repräsentative Amt des Staatspräsidenten – jedenfalls von außen betrachtet.

Denn jahrzehntelang war Weizmann das Gesicht des Zionismus gewesen. 1874 nahe Pinks im heutigen Belarus geboren, besuchte er zunächst eine religiös-jüdische Schule. In jungen Jahren kam er nach Deutschland, studierte zunächst in Darmstadt und dann in Berlin Chemie, später auch in der Schweiz.

Anschließend ging Weizmann nach England, wo er an der Universität Manchester lehrte. Er nahm die britische Staatsbürgerschaft an; die Insel wurde seine Heimat und auch sein wichtigster politischer Wirkungsort: Über die Jahre baute Weizmann hier gute Kontakte in die Londoner Politik auf.

Leidenschaftlicher Chemiker

Punkten konnte er auch mit seinem chemischen Wissen. Weizmann entwickelte eine neue Art der Herstellung von Aceton, eines Stoffs, der wiederum für die Produktion von Schießpulver benötigt wird. Im Ersten Weltkrieg wurde er Direktor der „laboratories“ der britischen Admiralität.

Als sich der britische Außenminister Lord Balfour 1917 wohlwollend zur „Errichtung einer nationalen Heimstätte des jüdischen Volkes in Palästina“ äußerte, ging das auch auf Weizmanns Betreiben zurück. Die sogenannte Balfour-Deklaration gilt bis heute als sein größter Erfolg.

Nach dem Krieg stieg Weizmann an die Spitze der weltweiten zionistischen Bewegung auf: 1921 wählte ihn die Zionistische Weltorganisation zu ihrem Präsidenten, 1929 wurde er Vorsitzender der neu gegründeten Jewish Agency in Palästina.

Ein besonderes Anliegen war dem Chemiker Weizmann die Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Eretz Israel: Bereits 1918 hatte er die Hebräische Universität Jerusalem mitbegründet und 1934 folgte die Gründung des Daniel-Sieff-Forschungsinstituts in Rechovot (heute: Weizmann-Institut für Wissenschaften).

Liberales Zionismus-Verständnis

In seiner politischen Führungsfunktion drängte Weizmann derweil darauf, dass die Briten als neue Mandatsmacht Palästinas ihre Versprechen auch umsetzten. Dabei galt er als Vertreter eines pragmatisch-gemäßigten Ansatzes innerhalb des Zionismus, der unter anderem die Teilung des Landes befürwortete.

1946 sprach sich Weizmann vor dem Zionistenkongress mit deutlichen Worten gegen terroristische Aktionen von Hagana und Irgun gegen die Briten aus: Zionismus sei ein „moderner Ausdruck des liberalen Ideals“, meinte er. Terror hingegen entstelle das Wesen des Zionismus: „Ich warne euch: Achtet auf das Wachstum dieses Krebsgeschwürs.“

Auf diesem Kongress wurde Weizmann nicht wiedergewählt. Aufgrund seiner zahlreichen Kontakte in die hohe Politik war er jedoch weiterhin als Vertreter des Zionismus gefragt. Eine wichtige Rolle spielte dabei seine Beziehung zu US-Präsident Harry Truman, den er in Gesprächen zur Anerkennung Israels zu bewegen versuchte.

Kein amerikanischer Präsident

Als der Staat Israel gegründet wurde, hielt sich Weizmann daher in den USA auf. Hier erfuhr er auch, dass er Oberhaupt des neuen Gemeinwesens werden solle. „Sie haben mehr für die Entstehung des jüdischen Staates getan, als jeder andere lebende Mann“, lobte ihn die provisorische israelische Regierung in einem Brief.

Weizmann selbst sprach von einer „großen Ehre“, die ihm zuteil werde. Doch richtig warm wurde er mit seinem neuen Amt des „Nasi HaMedina“ (Staatspräsidenten; der Begriff „Nasi“ taucht mehrfach in der hebräischen Bibel auf) nicht. Im sogenannten Transitionsgesetz von 1949 wurde ihm vor allem eine repräsentative Rolle zugeschrieben.

Weizmann war klar, dass er kein mächtiger Präsident nach amerikanischem oder französischem Vorbild sein konnte oder wollte. Ein bloßer Abnicker nach Art des britischen Königs mochte er aber auch nicht sein. Irgendetwas dazwischen hätte ihm wohl Befriedigung verschafft.

Laut seinem Vertrauten Richard Crossman hatte Weizmann drei grundlegende Bitten: er beanspruchte das Recht, bisweilen über Kabinettssitzungen zu präsidieren; er wollte Einfluss auf Außenpolitik und die Ernennung von Botschaftern; und schließlich: er wünschte Zugang zu Kabinettsprotokollen.

Wiederholte Rücktrittsgedanken

Crossman zufolge blieb ihm das alles verwehrt. Weizmann fühlte sich schnell hintergangen und nicht beachtet: „Ich bin hochgradig irritiert aufgrund der Behandlung meiner Person“, schrieb er im August 1948 an Mosche Schertok (später Scharett), der offenbar nicht auf seine Kontaktaufnahmen aus den USA reagiert hatte. Zu diesem Zeitpunkt war Weizmann noch provisorischer Präsident.

Foto: Public Domain
Gerieten heftig aneinander: Chaim Weizmann (l.) und David Ben-Gurion

Schon zuvor hatte er sich in einen Brief an seinen Assistenten Meyer Weisgal heftig beschwert und vorübergehend gar seinen Rücktritt beschlossen: „Ich kann mich nicht damit abfinden, eine Art passiver Partner in einer Unternehmung zu sein, die sich entlang von Linien bewegt, hinter denen ich nicht voll stehe.“

Seine Position besserte sich auch in den Folgejahren nicht: Im Januar 1951 schrieb er einen irritierten Brief an Premierminister David Ben-Gurion, in dem er zum Ausdruck brachte, dass ihm seine genaue Rolle immer noch nicht klar sei: „Mir wurde gesagt, der Präsident sei ein Symbol. Ich bin nach wie vor ratlos, was diese unklare Aussage heißen soll, und wer darüber entschieden hat.“

„Exilant im eigenen Land“?

Auch hier deutete Weizmann einen Rücktritt an – eine Drohung, die er nie vollzog. Weizmanns letzte Lebensjahre waren nicht nur durch seine politische Enttäuschung geprägt, sondern auch durch starke gesundheitliche Beeinträchtigungen. Laut Crossmann nannte er sich selbst den „Gefangenen von Rechovot“ (seinem Wohnort). Der Historiker Tom Segev schrieb einmal, Weizmann habe „wie ein Exilant im eigenen Land“ gelebt. Am 9. November 1952 starb er im Alter von 77 Jahren.

An der Rolle des Präsidentenamts innerhalb der israelischen Demokratie hat sich bis heute nichts Grundlegendes geändert: es ist vor allem repräsentativer Natur. Oder wie Weizmann es einmal zugespitzt formuliert haben soll: „Das einzige, wo ich meine Nase reinstecken darf, ist ein Taschentuch.“

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2 Antworten

  1. Möge uns Chaim Weizmann alle in guter Erinnerung bleiben !
    Ich glaube, die historische Bedeutung wird bleiben, nicht nur als erster Präsident Israels, sondern auch durch seine Arbeit für den zionistischen Staat ist Chaim Weizmann wichtig.

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  2. Na, hoffentlich nimmt sich das mal der amtierende Präsident zu Herzen. Der steckt seine Nase nämlich weitaus in Themen, die das Land spalten anstatt einen und das nur, um international Zuspruch zu erhalten, der doch dem Land mehr schadet als nutzt.

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