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Der jüdische Retter islamischer Bauwerke in Kairo

Die Architektur in der ägyptischen Hauptstadt Kairo zeigt eine wechselhafte Geschichte. Manche Gebäude verdanken ihren guten Zustand einem Juden.
Von Gundula Madeleine Tegtmeyer

Kairo ist eine wahre Schatztruhe islamischer Bauwerke. Ägyptens Hauptstadt zeigt die dichteste Konzentration an Moscheen und profanen Bauwerken aus verschiedenen islamischen Epochen in der gesamten arabisch-islamischen Welt. Im ausgehenden 19. Jahrhundert waren viele dem Untergang geweiht.

Ihre Bewahrung ist einem jüdischen Europäer zu verdanken: Max Herz Pascha, Architekt und Konservator. Mit unermüdlichem Engagement und unerschöpflicher Kreativität sanierte und bewahrte der gebürtige Ungar in der ägyptischen Hauptstadt Hunderte von bedeutsamen Juwelen islamischer Architektur.

Eine schicksalhafte Begegnung im Jahr 1880 hatte Max Herz Pascha in das Land am Nil geführt, wo er bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 lebte. Er selbst nannte Ägypten seine zweite Heimat.

Ärmliche Verhältnisse

Sein Start ins Leben war alles andere als einfach. Herz Miksa wurde am 19. Mai 1856 in Ottlaka, seinerzeit Habsburger Reich, heute Graniceri in Rumänien, in ärmliche Verhältnisse geboren. Sein Vater schuftete in der Landwirtschaft. Das warf nicht viel ab, die Familie quälten immerfort Geldsorgen.

Der junge Max sah für sich in der Landwirtschaft keine Zukunft. Anstatt in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, folgte er entgegen großer familiärer Widerstände seiner wahren Passion, der Architektur. Nach erfolgreichem Abschluss seines Architekturstudiums kam seinem weiteren Lebensweg eine glückliche Fügung zugute: Eine vermögende Familie lud den jungen Max ein, mit ihr auf eine ausgedehnte Reise durch Italien mit Ziel Ägypten zu kommen.

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Kairo zog Max Herz vom ersten Moment an in ihren Bann. Stundenlang schlenderte er staunend und fasziniert durch die Gassen und über die Boulevards der Nil-Metropole und wurde schließlich auch auf das reiche Erbe islamischer Bauwerke aufmerksam. Schon während seiner Studienjahre hatte Herz ein besonderes Interesse an „orientalischer Architektur“ gezeigt.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Herz renovierte unter anderem die Fassade der 1125 erbauten Al-Aqmar-Moschee

Inspiriert, aber auch besorgt über den maroden Zustand vieler Gebäude und Moscheen, arbeitete sich Max Herz intensiv in die wechselvolle Stadtgeschichte ein. Nächtelang studierte er autodidaktisch die verschiedenen islamischen Epochen und ihre charakteristischen architektonischen Merkmale, beginnend mit den Umajjaden, gefolgt von den Abbasiden, Tuluniden, Fatimiden, Ajjubiden, Mongolen und Osmanen. Von allen islamischen Epochen faszinierte ihn besonders die Architektur der Mamluken, von denen wir auch im Heiligen Land und in Jerusalem architektonische Spuren finden.

Wer waren die Mamluken? 

Ihre Bezeichnung bedeutet übersetzt „jemandem gehörend“, demnach waren die Mamluken ursprünglich Sklaven. Kinder wurden ihren Familien teils gewaltsam entrissen, als Krieger erzogen und bildeten die türkische Militäraristokratie. Die Mamluken herrschten von 1250 bis 1517 über Ägypten und Syrien. Eine vornehmlich arabische Bevölkerung wurde beherrscht von einer durchweg turkstämmigen Elite freigelassener Militärsklaven.

Mamluk werden konnte nur ein außerhalb des islamischen Herrschaftsbereiches als Nicht-Muslim frei geborener Junge, in der Folge versklavt und als Sklave nach Ägypten verbrachter, zum Islam konvertierter, in die Freiheit entlassener und schließlich ritterlich ausgebildeter Türke, werden. Im 13. Jahrhundert rebellierten die Mamluken in Ägypten gegen den Sultan und errichteten einen souveränen Staat.

Auf dem Gebiet des heutigen Israel stoppten sie in der Schlacht bei Ajn Dschalut, gelegen in den östlichen Ausläufern des Jesreel-Tals, den Eroberungsfeldzug der Mongolen. 1517 wurden die Mamluken von den Osmanen, die bereits über Feuerwaffen verfügten, besiegt.

Die Osmanen eroberten Kairo, der Mamluken-Staat endete. Batals, die Bezeichnung für ehemalige mamlukische Gouverneure, zogen sich nach Jerusalem zurück, wo sie ihr Vermögen zum Bau von Häusern und religiösen Einrichtungen investierten. In Jerusalem säumen Mamluken-Gebäude meist Straßen, die zum Tempelberg führen.

Begegnung mit einem königlichen Chefarchitekten

Ein glücklicher Zufall führte Max Herz Pascha mit Julius Franz, später Franz Pascha (1831– 1915), zusammen, dem Chefarchitekten des ägyptischen Vizekönigs. Er war auch Verantwortlicher der Technischen Abteilung des Waqf, einer islamisch-religiösen Stiftung.

Beeindruckt von Herz bot Franz seinem jungen Kollegen einen Job im Technischen Büro des Waqf an. Herz, überrascht von diesem unerwarteten Angebot, zögerte allerdings keine Sekunde und griff zu. Seine Mitarbeit beim Waqf von 1881 an markierte den Beginn seiner neuen Karriere. Sechs Jahre später, 1887, trat Herz die Nachfolge von Franz Pascha an, der sich in den Ruhestand verabschiedete.

Im Jahr 1890 folgte ein weiterer Karrieresprung: Max Herz wurde zum Chef- Architekten des Comité de Conservation des Monuments de L‘Art Arabe, ernannt. Es wurde 1881 von Khedive Taufiq, dem osmanischen Vizekönig, gegründet. In dieser verantwortlichen Funktion legte Herz sein Augenmerk nicht nur auf Restaurierung, sondern auch auf die Erhaltung islamischer Bauwerke.

Wendepunkt der Architekturentwicklung

Dazu gehört etwa der Sultan-al-Mansur-Qalawun-Komplex, der sich in der Al-Muis-Straße befindet und somit im Herzen des fatimidischen Kairos. Der Komplex zeugt für einen Wendepunkt in der Entwicklung mamlukischer Architektur und ist der Prototyp für weitere noch folgende und für Kairo so typische mamlukische Bauwerke.

So gut wie nichts war vom ursprünglichen bimaristan, Persisch für Krankenhaus, wie es von Pascal Coste zwischen 1813 und 1825 dokumentiert worden war, stehen geblieben. Herz versuchte, sich dem ursprünglichen Design des Architekten Hussein Fahmi so weit wie möglich zu nähern. Ein herausforderndes Unterfangen, denn es existierten keine Originalpläne und somit war seine ganze Expertise gefordert.

Moscheen rekonstruiert

Nach intensiver Auseinandersetzung mit dem Komplex kam Herz zu der Schlussfolgerung, dass das Bauwerk einst eine Kreuzachse gehabt haben muss sowie vier rechteckige Iwane, gewölbte Hallen, gelegen zum offenen Innenhof. Auch die Arbeiten an der berühmten Al-As’har-Moschee, gegründet 970 von den fatimidischen Eroberern und heute eine Autorität im sunnitischen Islam, wurden Herz anvertraut.

Eine seiner Rekonstruktions-Maßnahmen war, die zugemauerten Arkaden, die den geräumigen Innenhof umlaufen, zu öffnen. Diese Vorgehensweise fällt unter die Arbeitsweise der „stilistischen Restauration“, der konsequenten Entfernung später zugefügter Anbauten. Erklärtes Ziel ist, dem Aussehen des ursprünglichen Bauwerks so nah wie möglich zu kommen.

Ein vehementer Kritiker dieser Methode war der französische Architekt Eugène Viollet-le-Duc (1814–1879). Als Denkmalpfleger und Kunsthistoriker befürchtete er, Bauwerke könnten idealisiert werden, anders ausgedrückt: Ihnen könnte eine prachtvolle Architektur „angedichtet, anrestauriert“ werden, die sie aber zu keinem Zeitpunkt innehatten.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Herz öffnete die ummauerten Arkaden, die den Innenhof der Al-As’har-Moschee umgaben

Im Jahr 1905 beauftragte Hilmi Pascha, der letzte Khedive (Vizekönig) der nominell osmanischen Provinz Ägypten, den Juden Max Herz mit der Rekonstruktion und schließlich auch Vollendung der Königlichen Moschee Al-Rifa‘i. 25 Jahre lang hatte der Schrein von Sheich Al-Rifa‘i, einem islamischen Heiligen und Gründer eines Sufi-Ordens, brach gelegen.

Die Moschee trägt ihren Beinamen „königlich“ zu Recht: Die Moschee beherbergt das königliche Mausoleum der Familie von Muhammad Ali und das Grab von Faruk, dem letzten ägyptischen König. Auch der iranische Reza Schah Pahlavi fand seine letzte Ruhe zunächst in der Al-Rifa’i-Moschee, sein Leichnam wurde 1944 in den Iran überführt. Sein Sohn, Mohammad Reza Schah Pahlavi, starb am 27. Juli 1980 in Kairo. Eine iranische Flagge kennzeichnet sein Grab.

Der ursprüngliche Architekt der Al-Rifa’i-Moschee war Hussein Fahri Pascha, ein entfernter Cousin aus der 1803 von Muhammad Ali von Ägypten gegründeten Dynastie. Fahri Pascha verstarb während der ersten Bauphase, woraufhin die Arbeiten nach der Abdankung von Khedive Isma‘il Pascha im Jahr 1880 eingestellt wurden.

Verzögerte Fertigstellung

Die Bauarbeiten gingen erst 1905 weiter, als der neue Khedive, Abbas II. von Ägypten, die Fertigstellung anordnete. Max Herz überwachte sie in seiner Funktion als Vorsitzender des Komitees zur Erhaltung der Denkmäler von Kairo. Herz modifizierte den ursprünglichen Design-Entwurf zu einem Bauwerk in neo-mamlukischen Stil, auch bekannt als „neo–islamisch“. In seinem Design für die Königliche Al-Rifa’i-Moschee griff er charakteristische Stilelemente der gegenüberliegenden Sultan-HassanMoschee auf, einschließlich der typischen mamlukischen Minarette und der Kuppel.

Herz‘ neo-mamlukischer Baustil wurde in Ägypten sehr populär, auch, um sich architektonisch von den osmanischen Herrschern abzugrenzen. Es war ein neuer Architekturstil, der beides in sich vereinte: Modern, aber auch unverwechselbar ägyptisch.

Auftraggeber von Kreativität beeindruckt

Herz war die führende Autorität des neo-mamlukischen Stils, auch architektonischer Ausdruck des aufkommenden Nationalismus. Er fand viele private Liebhaber, so auch den Tabakhersteller Nestor Gianaclis. Dieser ließ seinen herrschaftlichen Wohnsitz von Herz umgestalten, heute ist es eines der zentralen Gebäude der Kairoer Universität, gelegen am zentralen Tahrir-Platz.

Sein Auftraggeber, Khedive Hilmi Pascha, war von Herz‘ Kreativität und architektonischem Statement beeindruckt und zeigte sich erkenntlich. Herz trug bereits den Ehrentitel bey, demnach „Herr“, als ehrenvolle Bezeichnung in seinem Namen. Nun wurde nun durch den Khediven berechtigt fortan das Ehrenprädikat Pascha, sinngemäß Eure Exzellenz im modernen Ägyptischen Arabisch, zu führen.

Bei einigen islamischen Bauwerken wandte Herz die sogenannte Analogie-Methode an. Sie besagt, dass noch existierende Bauwerke der betreffenden islamischen Epoche als Referenz für Rekonstruktionen herangezogen wurden.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Der rekonstruierte Brunnen im Innenhof des Sultan-Qalawun-Komplexes

Eindrucksvolles Beispiel dieser Methode ist die Brunnen-Rekonstruktion im Sultan-Qalawun-Komplex, erbaut von 1284 bis 1285. Dieses imposante Gebäude steht für einen neuen Gebäudetypus, der als „Komplex“ bezeichnet wird, da es mehrere architektonische Komponenten umfasst und somit eine Reihe von Funktionen erfüllt: Mausoleum, Madrasa (Koranschule) und ein Krankenhaus. Der Sultan-Qalawun-Komplex befindet sich in der Al-Mui-li-Din-Allah-Straße (Bajn al-Qasrajn) in einem Gebiet, das früher Teil des westlichen Fatimiden-Palastes war.

In seiner Wahlheimat Ägypten erfüllte sich Max Herz Pascha einen langgehegten persönlichen Wunsch: Er initiierte den Bau des Museums für Islamische Kunst, das Gebäude wurde nach seinem Design errichtet. 1893 nahm Ägypten in den USA in Chicago an der „World‘s Columbian Exposition“ teil. Herz ist der Schöpfer der legendären „Cairo Street“.

Über Herz‘ Privatleben ist nicht viel bekannt. Eine der wenigen Quellen sind die Briefe seiner Ehefrau. 1895 hatte Max Herz Pascha die Italienerin Lina Colorni geheiratet. Das Paar hatte einen Sohn, der unerwartet im Alter von nur 17 Jahren verstarb – ein Verlust, den Herz nie überwand. Aus der Ehe gingen außerdem drei Töchter hervor.

Foto: Privat
Max Herz stammte aus Österreich-Ungarn

Ägypten war seine erklärte zweite Heimat, er hielt aber regen Kontakt mit ungarischen Institutionen und publizierte Artikel in ungarischen Zeitschriften. Eines seiner Hauptwerke war seine „Geschichte der Islamischen Kunst“. Franz Joseph I., österreichischer Kaiser und König von Ungarn, verlieh Max Herz – in Anerkennung seiner exzellenten Arbeit und Verdienste – zwei Ehrenorden. 1912 eröffnete die ungarische Regierung ein Prozedere, um Max Herz Pascha einen ungarischen Adelstitel zu verleihen, dieses Ansinnen wurde durch die politischen Ereignisse vereitelt.

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs – Ägypten war eine autonome Provinz des Osmanischen Reiches, allerdings seit 1882 unter britischer Militärbesetzung – erklärten die Osmanen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie im August 1914 den Krieg. Max Herz Pascha wurde vor die Wahl gestellt: Entweder seine ungarische Staatsbürgerschaft aufgeben oder Ägypten umgehend zu verlassen.

Als ungarischer Patriot, der er zeitlebens war, entschied er sich schweren Herzens, das Land am Nil nach 25 Jahren zu verlassen. Seinen persönlichen Besitz, Freunde und nicht zuletzt sein Lebenswerk, die Bewahrung islamischer Bauwerke, musste er zurückzulassen.

Über Italien in die Schweiz

Um trotz Kriegswirren Anspruch auf seine Pension erheben zu können, musste Herz fortan in einem neutralen Land leben. Er entschied sich für Italien, wo er sich mit seiner Familie in Mailand bei den Verwandten seiner italienischstämmigen Frau einquartierte. Ein Jahr später trat auch Italien in den Krieg ein.

Weil er seine Pensionsansprüche weiterhin sichern wollte, musste Herz nun auch Italien verlassen, die Familie ging in die Schweiz, wo sie fortan in Zürich wohnte. Max Herz Pascha litt noch immer unter dem Verlust seines Sohnes und glitt in eine tiefe Depression, womöglich zudem verstärkt durch den Verlust seiner beruflichen Existenz. Zu all dem quälte ihn eine schwere Gastritis.

Am 5. Mai 1919 starb Max Herz Pascha in Zürich auf dem Operationstisch. Auf eigenen Wunsch wurde Herz im Grabmal, das er einst für seinen Sohn entworfen hatte, in Mailand auf dem Cimitero Monumentale beigesetzt. Lina, seine Frau, überlebte ihn um viele Jahre, sie starb 1949. Auch sie fand im Mailänder Familiengrab ihre letzte Ruhestätte.

Die Liste der Bauwerke, die Max Herz Pascha im Laufe seiner 25-jährigen Schaffensperiode in Kairo und Ägypten vor dem Untergang gerettet hat, ist lang und beeindruckend. Sie sind eindrucksvolle steinerne Zeugnisse seiner Expertise, Hingabe und seines Engagements, um baufällige islamisch-architektonische Juwelen zu retten und für zukünftige Generationen zu bewahren.

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4 Antworten

  1. Das ist schon eine Vorschattung, auf das was einmal im Millenium von positiven Weltveränderungen zum Segen aller Völker von den Juden ausgehen wird. Mommentan fliessen diese Talente gezwungenermassen noch in militärische Innovationen. Wenn aber die Schwerter zu Pflugscharen werden, wird sich das trastisch ändern. Dann wird der Segen den Gott Abraham verheissen hat , „durch dich sollen alle Völker gesegnet werden“, Voll wirksam werden.

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  2. Eines der grossen Probleme in der Welt des Islams ist die Unterhaltung und Erhaltung von Bauwerken. Es herrscht die Idee: Wir haben das gebaut und das bleibt „immer so“ – ohne Unterhalt…..! Es wird gewartet bis irgend etwas verlottert oder verfällt, dann wird möglicherweise eingegriffen.

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  3. Wird das Werk dieses Mannes in Ägypten gewürdigt ? Wird darauf hingewiesen, dass er Jude war ? Gibt es so etwas wie dankbares Gedenken an ihn ?

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