Antisemitismus und postkoloniale Theorie

Eine der größten Herausforderungen für Israels Legitimität ist heute die postkoloniale Theorie. Das verdeutlicht der Philosoph und Sozialwissenschaftler Ingo Elbe in Nürnberg bei einem Vortrag.
Von Israelnetz

NÜRNBERG (inn) – Bilder der aktivistischen Proteste an der Columbia-Universität in den USA oder an der Humboldt-Universität in Berlin machen deutlich, wie auf internationaler Ebene eine hochideologisierte antisemitische und israelfeindliche Welle rollt. Sie schreckt auch vor Gewalt- und Morddrohungen und einer Solidarisierung mit islamistischen Extremisten nicht zurück. Dies strich der Philosoph und Sozialwissenschaftler Ingo Elbe bei einem Vortrag in Nürnberg heraus.

Dem Wissenschaftler zufolge haben diese Entwicklungen ihren Ursprung mitunter in den postkolonialen Theorien. Diese besagen, dass koloniale Spuren in Wissenssystemen und gesellschaftlichen Strukturen auch nach dem formalen Ende der territorialen Kolonialherrschaft fortbestehen. Dabei wird die westliche Moderne pauschal als kolonial geprägt verstanden, der globale Süden als Opfer. Kolonialität wird zum zentralen Erklärungsmodell, zu einer „Einpunkt-Ideologie“. Andere Ideologien werden untergeordnet oder vereinnahmt.

Israel, sagte Elbe, werde als Siedlerkolonialstaat dargestellt, der das indigene Volk der Palästinenser eliminiere. Dabei greift man auf die Theorie des Siedlerkolonialismus zurück, die in diesem Fall Israel als Siedlerkolonialprojekt versteht. Die Siedlerkolonialtheorie fußt auf den postkolonialen Theorien.

Einer der Vordenker dieses Ansatzes ist Edward Said mit seinem Buch „Orientalismus“ von 1978. Unzählige postkoloniale und siedlerkoloniale Forscher blasen demnach in das gleiche Horn. Die gesamte Geschichte des Zionismus wird unter dem Begriff des Siedlerkolonialismus eingeordnet. Siedlerkolonialismus begreifen Anhänger dieser Theorie als Aneignung des Landes Indigener durch Nicht-Indigene, wobei die ursprünglichen Eigentümer des Landes eliminiert werden.

Genozidbegriff inflationär

Laut Siedlerkolonialismus-Theorie kann die Eliminierung der Indigenen, gemeint sind damit die Palästinenser, alle möglichen Formen annehmen. Selbst die Gewährung israelischer Staatsbürgerschaft, die „Zwei-Staaten-Lösung“, kulturelle Assimilation oder familiale Vermischung fällt darunter. Genauso wird das Gegenteil, die ethnische Trennung, unter Genozid eingeordnet.

An dieser Definition fällt die groteske Inflationierung des Genozidbegriffs auf. Wir hätten es hier, erläuterte Elbe in dem Vortrag am 3. Juni, mit einer Art Indigenitätsfetisch zu tun, wonach jedweder Einfluss auf die Indigenität ein Genozid sei. Dieser Denkansatz wird zur universell anwendbaren Waffe aktivistischer Sozialwissenschaft gegen Israel.

In der Denke postkolonialer Theoretiker besteht laut des Referenten außerdem eine Zweiteilung, der Okzidentalismus. Diese Ideologie sei vom Hass auf den Westen, den Okzident, geprägt. Sie verstehe den Westen als eine essenziell verdorbene, kulturzersetzende und indigene Völker zerstörende Entität. Die indigenen Völker hingegen repräsentieren das Leben per se, harmonisch und naturverbunden.

Ausgehend von diesem Denken, das sich ebenso im Islamismus findet, wird nun Israel dämonisiert. Einer der führenden postkolonialen Theoretiker, Ramón Grosfoguel, formuliert einen Erlösungsantisemitismus vom Endkampf der Menschheit in Palästina – zwischen den Kräften des Todes, nämlich den USA und Israel, und den Kräften des Lebens, nämlich Huthis, Hamas, Hisbollah und dem Iran.

Aufrufe zu anti-israelischer Gewalt

In diesem Kontext sind Elbe zufolge auch Parolen wie „Palestine will set us free“ („Palästina wird uns frei machen“) zu bewerten. Legitimiert als Dekolonialisierung rufen außerdem Parolen wie „Decolonization is not a metaphor” („Dekoloniaisierung ist keine Metapher“) zu anti-israelischer Gewalt auf. „By any means necessary“, mit allen erforderlichen Mitteln.

All diese Denkmuster werden mit einer anti-westlichen Kampagne verbunden, die nicht zuletzt auch mit russischer Propaganda zu arbeiten scheint und durch den Iran unterstützt wird. Akteure wie der Iran sprechen den Anhängern dieser Theorien zu, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen.

Folgen Sie uns auf Facebook und X!
Melden Sie sich für den Newsletter an!

Weitere Legitimation findet die Israelfeindlichkeit in einer „Dämonisierung durch Derealisierung“. Grobe Auslassungen von historischem oder geopolitischem Kontext treten zuhauf in postkolonialen Texten auf. Die Gewalt islamistischer Akteure wird als Dekolonisierung romantisiert, während israelisches Handeln ohne Kontext als Ursache allen Übels dargestellt wird. Diese elegante Art des Lügens durch halbe Wahrheiten findt sich Elbe zufolge in fast allen Texten postkolonialer Ideologie.

Das Fazit des Referenten lautet: Um diesen Trend aufzuhalten oder der Bewegung zumindest die Stirn zu bieten, ist neben viel Aufklärung auch eine gute Auseinandersetzung mit dem modernen Rassismus-Begriff sowie den entstandenen Mustern nötig. Diese gilt es an einigen Stellen einzugrenzen.

Foto: Edition Tiamat

Dr. Ingo Elbe ist Philosoph und Sozialwissenschaftler an der Universität Oldenburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind Marxismusforschung, kritische Theorie, politische Philosophie sowie Rechts- und Sozialphilosophie. Der Vortrag bezog sich auf sein Buch „Antisemitismus und postkoloniale Theorie“. Veranstalter war die AG Nürnberg-Mittelfranken der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG).

Von Karin Eichele und Diana Liberova (DIG Nürnberg-Mittelfranken)

Bitte beachten Sie unsere Kommentar-Richtlinien

Schreiben Sie einen Kommentar

Eine Antwort

  1. Antisemitismus Teil der kommunistischen Ideologie: Rotchina liefert Mittelstreckenraketen an den Iran
    und Linksextreme hetzen gegen Juden.
    „Die Linke zeigt, wo sie steht – und das ist nicht an der Seite der Jüdinnen und Juden“. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

    0

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Israelnetz-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen