Der Streit um Wehrdienstverweigerung

Viele ultra-orthodoxe Juden in Israel sind derzeit von der Wehrpflicht befreit. Bereits in der Bibel gibt es Ausnahmen – aber auch gute Gründe, einen Militärdienst zu leisten.
Von Israelnetz
Haredim Luftwaffe

Viele Soldaten, die im am 7. Oktober 2023 ausgebrochenen Krieg sogar mehrmals Reservedienst leisteten, Job und Familie verlassen mussten, empfinden tiefen Schmerz und Ungerechtigkeit. Denn ultra-orthodoxe Männer (Haredim) werden nicht in gleicher Weise zum Wehrdienst herangezogen.

Zur Zeit sind 80.000 Ultra-Orthodoxe zur Einberufung fähig. Die Armee erteilte aber nur 24.000 Einberufungsbefehle. Und vergangenes Jahr folgten sogar nur 2.700 dem Befehl.

Die Regierung versuchte, zum Beispiel durch phasenweise steigende Einberufungszahlen, Fortschritte zu erzielen, aber auch die Einhaltung der Vorgaben durch Sanktionen (zum Beispiel Verbot von Auslandsflügen, Führerscheinentzug und Streichung von Mitteln zum Wohnungskauf) durchzusetzen, zumal nach dem über zweijährigen Krieg zur Zeit 12.000 weitere Soldaten benötigt werden.

Am 30. Oktober blockierten circa 200.000 Haredim als Protest die Hauptzufahrtstraße nach Jerusalem und Verkehrswege in der Hauptstadt. Der Jerusalemer Bahnhof wurde sicherheitshalber eine Zeit lang geschlossen. Es kam zu Ausschreitungen, wobei Polizisten und Journalisten mit Stöcken und Flaschen beworfen wurden. Circa 2.000 Sicherheitskräfte mussten eingesetzt werden.

In weiten Kreisen der Bevölkerung ist die Ausnahmeregelung für Haredim – übrigens durch David Ben-Gurion kurz nach Staatsgründung für einige hundert Ultra-Orthodoxe zugestanden – seit Jahrzehnten ein Ärgernis. Zur Wahrung von Koalitionsmehrheiten waren den haredischen Führern immer wieder große finanzielle Zugeständnisse gemacht worden. Im Juli 2025 traten die Parteien „Vereinigtes Tora-Judentum“ und „Schass“ aus der Regierung aus, als sich eine Verschärfung der Einberufungsregeln abzeichnete.

Argumentation: Gebet wichtiger als Militärdienst

Die haredischen Rabbiner argumentieren, vollzeitliches Torastudium und Gebet seien die wichtigsten Dienste, wichtiger als die Verteidigung. Ja, die Armee habe nur Erfolg, weil in den Jeschivot gebetet werde. Und einer der Oberrabbiner drohte sogar: „Wenn die Haredim nicht befreit werden, werden wir alle das Land verlassen.“

Die seit Jahrzehnten existierende Spannung zwischen denen, die das Torastudium als lebenswichtige geistliche Verteidigung ansehen, und den Verfechtern eines nationalen Dienstes als moralische Bürgerpflicht erreichte damit einen neuen Höhepunkt.

Diese Verhärtung besteht, obwohl es ein Programm „Hesder“ gibt, das parallel ein Jeschivastudium und Militärdienst erlaubt und die Armee spezielle Einheiten für Religiöse eingerichtet hat – abgesehen davon, dass vor und während Militäreinsätzen Gruppen von Soldaten gemeinsam beten.

Gibt es biblische Anhaltspunkte zur Einordnung des Geschehens?

  • Beten oder arbeiten?

Über die Zeit des Wiederaufbaus der Stadtmauer in Jerusalem unter Nehemia lesen wir: Eine Hälfte der Männer „war in dem Werk beschäftigt“, die andere Hälfte hielt Waffen bereit. Da gab es also eine Aufgabenteilung.

Aber es war nicht eine Aufgabenteilung zwischen Arbeit und Gebet. Von den Lastträgern heißt es: „Mit der einen Hand arbeiteten sie am Werk, während die andere die Waffe hielt. Und von den Bauleuten hatte jeder sein Schwert um seine Hüften gegürtet, so bauten sie.“ (Nehemia 4,10 ff). Es war also nicht eine Aufgabenteilung zwischen Arbeit und Gebet. Wie sehr die Bibel auch die Bedeutung von Gebet betont – „sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Arbeit tun, aber der siebte Tag ist Schabbat für den HERRN, deinen Gott“ (2. Mose 20,8 f.).

  • Einberufung

Gott ordnete an, dass Mose „die Summe der ganzen Gemeinde der Kinder Israel … von zwanzig Jahren und darüber“ mustern sollte. Nur die Leviten waren davon ausgenommen, weil sie für die Stiftshütte sorgen sollten. (4. Mose 1,2 f. und 1,49 f.). Das scheint das Argument der Haredim zu stützen – aber sie können nicht alle für sich beanspruchen, Leviten zu sein.

  • Befreiung vom Militärdienst

Die Heilige Schrift zeigt sehr wohl auf, dass es Ausnahmen vom Militärdienst geben sollte (5. Mose 20,6–8), und zwar vor allem zum Schutz des persönlichen Besitzes. Wie brauchte nicht in den Krieg zu ziehen? Wer ein neues Haus noch nicht eingeweiht hatte, wer einen neuen Weinberg noch nicht benutzt hatte, wer sich frisch verlobt und die Braut noch nicht zu sich geholt hat. Aber auch: „Wer ist der Mann, der sich fürchtet und verzagten Herzens ist? Er gehe und kehre in sein Haus zurück, damit nicht das Herz seiner Brüder verzagt werde wie sein Herz.“

Als es für die Israeliten galt, nach Gottes Plan auch das Ostjordanland im Kampf einzunehmen, wollten die Stämme Ruben und Gad nicht über den Jordan ziehen und das gute Weideland im Osten nicht aufgeben.

„Und Mose sprach zu den Kindern Gad und zu den Kindern Ruben: Sollen eure Brüder in den Kampf ziehen, und ihr wollt hier bleiben?“ Und er erinnerte sie daran (5. Mose 1,19–28), wie zehn der zwölf Kundschafter durch falsche Berichterstattung das Herz ihrer Brüder verängstigt und sie von Einnahme des Landes abgehalten hatten. „Und der Zorn des HERRN entbrannte gegen Israel, und er ließ sie vierzig Jahre lang in der Wüste umherirren …Und siehe, ihr seid aufgestanden an eurer Väter statt, eine Brut von sündigen Männern, um die Glut des Zorns des HERRN gegen Israel noch zu mehren.“

Ruben und Gad ließen sich umstimmen und hörten den Bescheid von Mose: „Wenn ihr euch vor dem HERRN zum Kampf rüstet und alle unter euch, die gerüstet sind, vor dem HERRN über den Jordan ziehen, bis er Seine Feinde vor sich her vertrieben hat, und das Land vor dem HERRN unterjocht ist und ihr danach zurückkehrt, so sollt ihr schuldlos sein gegen den HERRN und gegen Israel; und dieses Land soll euch zum Eigentum sein vor dem HERRN.“ (4. Mose 32,6–22)

In der aktuellen Situation geht es nicht um ein Gebiet östlich des Jordan, das erstmals eingenommen werden sollte, aber um ein Gebiet, Gaza, das der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs letztlich für Sein Volk vorgesehen hat.

Von: Winfried Balke

Winfried Balke lebt seit seiner Pensionierung im Jahr 2003 mit seiner Frau in Israel. Er sieht eine Aufgabe darin, das Volk Israel zu trösten.

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6 Antworten

  1. Danke für den Bericht. Bezüge zur Bibel sind immer hilfreich.
    Indes wird das Problem des Wehrdienst wohl noch ein wenig anhalten…

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  2. Es waren mal 60 nach der Wiederbegründung Israels. Jetzt sind es über 60000, die den ganzen Tag nur Zeit für die Tora haben. Ansonsten 1x jährlich ein Kind auf die Reise bringen, zT den Staat Israel ablehnen. Dafür dürfen die israelischen Frauen, die knapp 3 Kinder auf die Welt bringen, über 2 Jahre zur IDF.

    Das Oberste Gericht verfügte vergangenes Jahr, die Sonderbehandlung der Haredim u.ä. zu beenden. Schlicht weil das Gesetz dazu ausser Kraft getreten war.

    Die Noch-Regierung in Jerusalem ignoriert den Gerichtsbeschluss. Bananenrepublik, schrieb ich schon einmal . Höchste Zeit, das ISR ein Regierung der politischene Mitte erhält.

    Und: Das war jetzt keine „biblische Betrachtung“. Schlicht die eines westlichen Rechtsstaates. Das Ergebnis dürfte identisch sein.

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    1. PS: Wir scheinen uns hier alle zu wiederholen, was, da das Theme „brennt“ auch verständlich ist.

      Ich bekam vorhin die Krise, als ich las: „Wenn die Haredim nicht befreit werden, werden wir alle das Land verlassen.“.

      WOHIN soll denn die Reise gehen? In Antwerpen, in NY, in Zürich, über all wo streng gläubige Juden wohnen, hat niemand Lust, die Spinnerten Nichtstuer aufzunehmen. In Antwerpen lebt man gut vom Diamantenhandel- resp. dem -Schliff. In Zürich ist man gerne Banker, nur deutlich schwärzer gekleidet als Zürcher oder US-Amerikaner. Und über die Juden in NY, die teilweise das Musikgeschäft „kaperten“ (Simon&Garfunkel. Dylan alias Zimmerman, Kiss, Melanie uvam), die im Bankengeschäft rühmlich und sehr unrühmlich aktiv waren, will ich gar nicht reden. Mir fiele höchstens die Wüste ein, Kairo ist bei einer erfreulichen Sonderahlung bestimmt bereit, einen Teil von Sinai den Spinnerten zu überlassen. Kein Wasser weit und breit – ist doch kein Problem. 18 STunden am Tag gebetet und das Wasser kommt als Fata Morgana… .

      PPS: @ Ella ua. Das die Haredim teilweise zur Vernunft kommen, und dass das Aufsammeln von Leichenteilen nach Anschlägen oder Bränden Respekt verdient. Das ist mir bekannt.

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  3. Kein Ultra-orthodoxer ist besser als ein gläubiger Soldat, auch wenn er das denken mag. Millionen gläubige Menschen beten UND arbeiten und das Hesder-Programm beweist, dass beides geht. Hochachtung vor den Jungen der Haredim, die sich aus dieser alten Glaubensrichtung ablösen und etwas für ihr Land tun. Es sollte aber vielleicht auch einen Zivildienst geben.
    Einer der Oberrabbiner drohte: „Wenn die Haredim nicht befreit werden, werden wir alle das Land verlassen.“
    Das können sie ja gerne mal versuchen. Wo wollen sie denn unterkommen? Nirgends würden sie so akzeptiert wie in Israel, wenngleich ihnen dort auch großes Unverständnis entgegen kommt. Wovon wollen sie leben, wenn sie den unterstützenden Staat Israel verlassen würden? Ein neues Gesetz muss meines Erachtens unbedingt geschaffen werden.

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  4. Sollen sie doch gehen.
    Die werden zurückkommen, wenn sie da draußen trotz intensiven Gebets durchgeprügelt wurden, weil der Ewige dann nämlich nicht seine Hand über sie gehalten hat, wie von Winfried Balke so ausführlich (und wie mir deucht, ein wenig süffisant)beschrieben.
    SHALOM

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  5. Es gibt Ultra-Orthodoxe Männer, die sich weigern, das Ticket für die öffentlichen Verkehrsmittel zu zahlen, weil sie den Staat Israel nicht anerkennen. Das habe ich selbst in Jerusalem erlebt. Es bleibt abzuwarten, wie diese Community auf die neue Verfügung der Knesset, dass 7000 Männer zur Armee eingezogen werden dürfen, reagieren werden. So friedlich sind die nämlich nicht. Es sind ja Angehörige dieser Volksgruppe, die in der Altstadt Christen bespucken und das armenische Restaurant verwüstet haben. Auch wenn es einige geben mag, die Toleranz üben: Es gibt auch diejenigen, die christliche und muslimische Dörfer in den West Banks überfallen, die Häuser und Felder anzünden, um Fakten zu schaffen!

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