DEN HAAG (inn) – Karim Khan, der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) in Den Haag, lässt sein Amt ruhen. Das erklärte er am Freitag. Dem Schritt gingen spätestens seit Mai vergangenen Jahres Vorwürfe voraus, er habe eine Mitarbeiterin belästigt und zu sexuellen Handlungen gezwungen. Diese brachte sie allerdings erst im Oktober offiziell zur Beschwerde. Im Dezember begannen dann Ermittler des Amtes der Vereinten Nationen für Interne Aufsichtsdienste, den Vorwürfen nachzugehen.
Vertragsstaaten des IStGH, Menschenrechtsorganisationen und Frauenrechtler fordern bereits seit Mai 2024 den Rücktritt des Anklägers, um die Integrität des Gerichts zu gewährleisten. Die Ermittlungen dauern aktuell noch an. Der Zeitpunkt des Abschlusses steht noch nicht fest, wird aber bald erwartet.
IStGH, IGH und Völkermord-Vorwürfe gegen Israel
Im Zuge der israelischen Kriegsführung in der „Operation Eiserne Schwerter“ seit Ende Oktober 2023 zur Zerstörung der Terror-Organisation Hamas nahmen internationale Vorwürfe des Völkermords gegen Israel zu. Südafrika reichte im Dezember 2023 eine Klage gegen Israel mit dem Vorwurf des Völkermordes beim Internationalen Gerichtshof (IGH) ein. Sowohl Israel als auch Südafrika sind Vertragsstaaten des IGH, der ein Organ der Vereinten Nationen ist. Eine ganze Reihe von Staaten haben im Verfahren interveniert, um dem Gericht ihre Rechtsauffassung zur Streitfrage vorzulegen.
Auch Deutschland hat als Drittpartei zu Gunsten Israels interveniert, um einer „politischen Instrumentalisierung“ der Völkermordkonvention entgegenzuwirken und um Israels Recht auf Selbstverteidigung zu stärken. Dabei mahnte Deutschland weiterhin an, dass Israel das humanitäre Völkerrecht beachten müsse. Im Januar 2024 ordnete das Gericht sechs einstweilige Schutzmaßnahmen an, die verhindern sollten, dass das Kriegsgeschehen zu einem Völkermord an den Palästinensern führen würde. Im Mai 2024 ordnete der IGH die „sofortige Einstellung“ von Israels militärischer Offensive in Rafah an.
Diese Anordnung war allerdings nicht absolut, sondern auf Handlungen eingeschränkt, die „der palästinensischen Gruppe in Gaza Lebensbedingungen zufügen können, die deren gänzliche oder teilweise physische Vernichtung bewirken könnten“, erklärt der Berliner Völkerrechtler Christian Tomuschat. Der Gerichtsbeschluss war für Israel völkerrechtlich bindend, allerdings kann das Gericht keine Zwangsmaßnahmen ergreifen.
Dies könnte nur der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, in dem die USA ein Vetorecht besitzen. Israel erklärte damals, dass es „keine militärischen Aktionen im Rafah-Gebiet durchgeführt hat oder durchführen werde, die der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza Lebensbedingungen aufzwingen würde, die ihre ganze oder teilweise physische Zerstörung mit sich brächten.“ Die Streitsache ist weiterhin vor dem IGH anhängig; Israel kann seine letzten Argumente bis Januar 2026 vortragen.
Der Internationale Gerichtshof und der Internationale Strafgerichtshof, obwohl beide im niederländischen Den Haag beheimatet, unterscheiden sich dennoch. Der IGH basiert auf Artikel 92 der UN-Charta und gilt als das „Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen“. Er entscheidet über Streitsachen zwischen Staaten. Demgegenüber soll der IStGH Einzelpersonen aus den Vertragsländern strafverfolgen, die verdächtigt werden, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Der IStGH kann dies nur tun, wenn die zuständige nationale Justiz nicht selbst gegen die Verdächtigten ermittelt.
Der IStGH, der nicht zu den Vereinten Nationen gehört, hat das Römische Statut von 1998 als Rechtsgrundlage. Damals unterzeichneten 120 Staaten den multilateralen Vertrag, Deutschland eingeschlossen, aber die USA und Israel ausgeschlossen. Aufgrund der Tatsache, dass Israel dem Vertrag nicht beigetreten ist und „Palästina“ nicht als Staat anerkennt, weist es regelmäßig die Zuständigkeit des IStGH für Israel und die palästinensischen Gebiete zurück.
Die Vorverfahrenskammer des Gerichtshofes hielt im November 2024 das Gericht dennoch für zuständig, da der „Staat Palästina“ im Januar 2015 dem Römischen Statut beigetreten sei und damit die „besetzten Gebiete“ (der Gazastreifen, das Westjordanland und Ostjerusalem) unter seine Jurisdiktion fielen. Im April 2025 entschied aber die Berufungskammer, dass die Vorverfahrenskammer sich mit Israels Widerspruch zur Jurisdiktion des IStGH beschäftigen müsse. Noch gibt es in dieser Frage keine abschließende Entscheidung.
Der IStGH geriet im Herbst 2023 unter Druck, wegen zunehmender Vorwürfe des Völkermords gegen die israelischen Verantwortlichen der Militäroperation „Eiserne Schwerter“ vorzugehen. Im Oktober 2023 soll dieser Druck auf den Chefankläger sehr hoch gewesen sein, so dass er sein Verhalten gegenüber seinen Mitarbeitern nicht mehr kontrollieren konnte und sich für diese eine „toxische Atmosphäre“ entwickelte.
Anwältin spricht von sexuellem Fehlverhalten
Eine malaysische Anwältin in Khans Anklagebehörde bat um einen Gesprächstermin, um das unerträgliche Arbeitsumfeld anzusprechen. Khan lud diese Mitarbeiterin zu dem Termin in seine Suite im Millennium Hilton Hotel ein. Dort bedrängte er sie ihrer Aussage nach sexuell. In den folgenden Monaten soll er sie bei Dienstreisen nach Kolumbien, New York, Paris, in den Kongo und den Tschad, aber auch in den privaten Wohnräumen seiner Ehefrau in Den Haag, wiederholt zum Geschlechtsverkehr gezwungen haben. Khan weist durch seine Anwälte alle Vorwürfe des dienstlichen und sexuellen Fehlverhaltens kategorisch zurück.
Die verheiratete Mutter erklärte den Ermittlern später, dass der sexuelle Kontakt nicht einvernehmlich geschah. Sie sah zunächst davon ab, die Übergriffe zu melden. Denn sie fürchtete um ihre Arbeitsstelle bei der „führenden Menschenrechtsorganisation“, also dem Gericht, sowie um ihr Einkommen, da sie für die Gesundheitsfürsorge ihrer Mutter aufkomme. Khan soll sie zudem damit unter Druck gesetzt haben, dass die Vorwürfe gegen ihn das Verfahren gegen die israelischen Beschuldigten gefährden würden. Da die Juristin die Anklage unterstützte, ließ sie anfänglich von einer Beschwerde gegen Khan ab.
Haftbefehle als Ablenkungsmanöver?
Wie das „Wall Street Journal“ erstmals am 10. Mai berichtete, werfen manche Beobachter Khan vor, der Haftbefehl gegen israelische Politiker sei davon motiviert gewesen, von den Vorwürfen der Juristin gegen ihn abzulenken. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass eine Anklage des IStGH gegen Israelis bedeutende Unterstützer fände und Khan dadurch eine gewisse politische Immunität gegenüber den Missbrauchsvorwürfen erlangte.
Laut Beobachtern gibt es jedoch Unklarheiten in den zeitlichen Abläufen. Khan erklärte, er habe bereits im März 2024 das US-Außenministerium über seine Pläne informiert, Haftbefehle gegen Premierminister Benjamin Netanjahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Joav Gallant zu beantragen. Khan gab die Absicht, die Haftbefehle zu beantragen, am 20. Mai 2024 offiziell bekannt. Nach seinen Angaben war dies vor dem Zeitpunkt gewesen, zu dem ihm erstmals sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen wurde.
Am Tag vor der Bekanntgabe sagte er eine Faktenermittlungsmission nach Israel und in den Gazastreifen ab. Die Reise hätte zur Entscheidungsfindung beitragen sollen und war von der US-Regierung vermittelt worden. Demgegenüber stehen Mutmaßungen, sein Vorgehen gegen Israel diene der Verschleierung der Übergriffe auf seine Mitarbeiterin. Der IStGH erteilte die Haftbefehle am 21. November 2024.
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Für Israel kommen die Vorwürfe gegen Khan nicht ungelegen. Seit der Ausstellung der Haftbefehle wirft der jüdische Staat ihm vor, politisch motiviert zu handeln, und bemüht sich um deren Aufhebung. In der neuen US-Regierung unter Donald Trump hat Israel wichtige Unterstützung gefunden. Im Februar erließ er Sanktionen gegen den IStGH – mit dem Vorwurf, seine Zuständigkeiten zu überschreiten.
Verdacht: Mossad involviert
Die „Times of Israel“ berichtete am Freitag, im Umfeld des IStGH kursiere der Verdacht, dass der israelische Geheimdienst in das Geschehen involviert sein könnte. Bereits im Mai 2024 hatten die israelische Online-Zeitung und der britische „Guardian“ von Vorwürfen berichtet, dass der Mossad von 2017 bis 2021 versucht habe, Khans Amtsvorgängerin Fatou Bensouda einzuschüchtern.
Bensouda hatte 2019 angekündigt, dass ihre Anklagebehörde Grund habe, Ermittlungen gegen Israel aufzunehmen, aber erst die Jurisdiktion des Gerichts prüfen lassen müsse. Laut der „Times of Israel“ wollte der israelische Geheimdienst damals die Chefanklägerin von ihren Ermittlungen gegen Israel abbringen.
Die Vorwürfe bezogen sich auf vermeintlich unverhältnismäßiges Vorgehen der israelischen Streitkräfte im Westjordanland, im Gazastreifen und in Ostjerusalem, und besonders während der Operation „Starker Fels“ im Gazastreifen im Jahr 2014. Im Februar 2021 erklärte sich das Gericht für „Palästina“ zuständig. Im selben Monat trat Bensouda von ihrem Amt zurück und wurde durch Karim Khan ersetzt. (ndr)
2 Antworten
Jetzt äußere ich mich zum 3. Mal bezüglich des“ Richters“. Seit Mai 2024 bereits “ Gerüchte.“
Dachte wohl, er kommt davon, je mehr er hetzt, anklagt, gegen Israel. Mehr möchte ich nicht schreiben….ausser ironisch…ja, ja, UN….IGH.
Moralapostel. Die eigenen Reihen säubern?
Ach, weil der Druck auf den Chefankläger sehr hoch gewesen sei, konnte er sein Verhalten gegenüber seinen Mitarbeitern nicht mehr kontrollieren und ließ stattdessen seine Hose sprechen? Ich schrieb es schon vor ein paar Tagen, das liegt in der Familie. Wer Khan, der kann!
Aber die Anklägerin ist auch nicht die hellste Kerze auf der Torte. Eine Anwältin lässt sich Monatelang begrappschen und zum GV zwingen, um am Ende doch noch auszupacken. Ich hoffe, dass dieser Antisemit verurteilt wird. Dieses Gericht ist eine Farce, braucht niemand.