Wiederaufbau: „Dieses Jahr in Bat Jam“

Iranische Luftangriffe haben bedeutende Zerstörung in einigen israelischen Städten hinterlassen. Noch im Krisenmanagement, planen diese einen schnellen Wiederaufbau. Vertreter israelischer Kommunen äußern sich dazu.
Von Israelnetz

JERUSALEM (inn) – Ein Webseminar der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem hat sich am Mittwoch mit Perspektiven nach dem Irankrieg befasst. Das Thema lautete: „Die gegenwärtige Lage in Israel nach dem Krieg mit dem Iran: Kommunale Perspektiven in Kriegszeiten“.

Israelische Gesprächspartner dabei waren Schiri Steinhardt-Sela, Leiterin der Abteilung für auswärtige Angelegenheiten des Verbandes israelischer Kommunen, sowie der Bürgermeister von Bat Jam, Zvika Brot. Von deutscher Seite moderierten das Gespräch Michael Rimmel, der Leiter des Jerusalemer Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, und Uwe Becker, der hessische Landesbeauftragte für den Kampf gegen Antisemitismus und ehemalige Bürgermeister von Frankfurt am Main.

Das Webseminar hatte das Ziel, die Lage der Kommunen in Israel nach den teils schweren Raketenangriffen zu erörtern. Michael Rimmel machte dabei die Resilienz als Schlüsselthema aus – im Hinblick auf das unmittelbare Krisen- und Katastrophenmanagement vor Ort genauso wie auf die Moral der Bevölkerung und ihr Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates und seine demokratischen Prozesse. Damit verbunden seien die Identifikation der Bewohner mit ihrer Stadt sowie ihr Image als bleibend lebenswerter Ort.

Bedeutung des kommunalen Katastrophenmanagements

Zu Beginn des Gesprächs wies Schiri Steinhardt-Sela auf die wichtigen Aufgaben der Kommunen bei der akuten Nothilfe und Reaktion auf die Kriegsschäden hin. In Zusammenarbeit mit dem Heimatschutzkommando und den Rettungsdiensten müssten die Kommunen die beschädigten Gebäude und Wohngebiete sichern und begutachten, die medizinische Versorgung der Verletzten unterstützen, die wohnungslosen Menschen zeitnah anderswo unterbringen und sie mit dem Nötigsten versorgen. Direkt in der Katastrophensituation müsse der Betrieb der regulären kommunalen Dienste für die ganze Stadtbevölkerung weiterhin umfänglich sichergestellt werden.

Steinhard-Sela machte klar, dass die iranischen Angriffe im Juni mit über 550 ballistischen Raketen und über 1.000 militärischen Drohnen das bisher größte Schadensereignis in Israel seit seiner Gründung 1948 darstellen. Verschiedene Großstädte wie Haifa, Tel Aviv und Be’er Scheva wurden getroffen, aber auch mittelgroße und kleinere Städte wie Bat Jam, Petach Tikva, Bnei Brak, Ramat Gan, Holon, Beit Sche’an und Ness Ziona.

Ballistische Raketen aus dem Iran beziehungsweise von den Huthis im Jemen trafen nicht nur israelische Ortschaften, sondern auch Araber in Israel und auch in den Palästinensergebieten. Die Bürgermeister, Stadträte, Stadtverwaltungen und ihre Dienste seien dabei extrem gefordert gewesen, seien diesem Anspruch aber auch gerecht geworden. Die Raketen hätten meist zivile Ziele getroffen.

Wie „Business Insider“ berichtet, gab es über 50 Einschlagsorte. Dabei habe das System Arrow mindestens 90 Prozent aller Raketen abgewehrt. Wenn die Arrow-Raketenabwehr ein errechnetes Ziel als nicht schützenswert betrachtet, lässt sie aus ökonomischen Gründen die Raketen durch. Es seien aber auch gelegentlich iranische Raketen beim Anflug nicht erfasst worden.

Größte Katastrophe in Israels Geschichte

Dabei hat die Stadt Bat Jam, in der sich keine militärischen Einrichtungen befinden, den größten Schaden erlitten. Ein zehnstöckiges Wohnhaus wurde getroffen. Infolgedessen ist der gesamte Westflügel kollabiert. Darüber hinaus sind 61 weitere Gebäude in dem Wohngebiet beschädigt worden. Insgesamt wurden ungefähr 200 Menschen verwundet, einige davon schwer.

Neun Personen wurden getötet. Dazu zählen fünf Ukrainer einschließlich dreier Kinder sowie eine Holocaust-Überlebende. Nicht nur für Israel als Land, sondern auch für die Stadt an der Mittelmeerküste mit knapp 130.000 Einwohnern ist dies die größte Katastrophe in ihrer Geschichte. Ein Stadtgebiet von mindestens 16 Hektar sei zerstört worden.

Aufgrund der Größenordnung der Katastrophe werde der Umgang seiner Stadt mit dem Großschaden auch zum Signal für das ganze Land, und die entsprechenden Erfahrungen würden mit großem Interesse von anderen Kommunen beobachtet. Bereits in der COVID-19-Krise habe die nationale Regierung gelernt, dass sie die konstruktive Zusammenarbeit mit den Kommunen benötigt, um ihre Politik umzusetzen.

Auf der kommunalen Ebene sei die Politik am effektivsten. Die nationale Politik sei besonders im Bereich der Gesetzgebung gefordert, um den jeweils passenden rechtlichen Rahmen abzustecken und um Finanzierung zu gewährleisten. In Krisenzeiten müssten die Kommunen allerdings größere politische Handlungsoptionen besitzen, da sie unmittelbar gefordert sind.

Zerstörtes Gebäude Bat Jam Foto: Flash90
Eine ballistische Rakete aus dem Iran zerstörte dieses Wohnhaus in der Küstenstadt Bat Jam

Notfallmanagement und Schutzmaßnahmen

Der wichtigste Gast des Gesprächs war Zvika Brot. Er machte deutliche, dass die Stadtverwaltung mit Hochdruck daran arbeite, die Lebensbedingungen der betroffenen Einwohner wieder zu normalisieren. Bewohner, deren Wohnraum beschädigt, aber nicht zerstört wurde, sollen innerhalb von wenigen Wochen wieder in ihre Häuser zurückkehren können.

Für die Bewohner, die nun wohnungslos sind, müssen mittelfristige Unterkünfte gefunden werden. Manche Menschen könnten temporär bei Verwandten wohnen. Erst im Laufe von einigen Jahren könne komplett neuer Wohnraum geschaffen beziehungsweise gebaut werden.

Brot führte aus, dass die Sicherheitsvorkehrungen und Warnungen der Stadt und des Heimatschutzes für die Öffentlichkeit gut funktioniert hätten. Bei Bewohnern, die dem Alarm gefolgt seien und Bunker oder Schutzräume aufgesucht hätten, habe es nur wenige Verletzungen gegeben. In den allermeisten Fällen hätten die Schutzsuchenden keinen Schaden erlitten. Die Todesfälle hätten sich ausschließlich bei Personen ereignet, die sich zum Zeitpunkt des Raketeneinschlags in ihren Schlafzimmern aufhielten.

Neue Schadensdimension

Die iranischen Angriffe hätten sich zudem stark von den bisher gewohnten Angriffen durch Raketen der Hamas und der Hisbollah unterschieden, führte Brot weiter aus. Während letztere mit eine Sprenkraft von 30 bis 40 Kilogramm ausgestattet sind, besitzen die iranischen Raketen eine Sprengkraft von 500 Kilogramm. Entsprechend größer ist der Schaden.

Während bisher die Bewohner einen Raketenalarm im Bewusstsein des relativ geringen erwarteten Schadens nicht immer ganz ernst genommen hätten, sei die Bevölkerung inzwischen auf die Unterschiede hin sensibilisiert und leiste den Warnaufrufen Folge, bei Alarm innerhalb von 90 Sekunden einen Schutzraum aufzusuchen. Bei einem Aufenthalt in einem Gebäude ohne Schutzräume sei zur Not das Treppenhaus ein in der Regel einigermaßen sicherer Ort. Die Stadt sei dabei, neu zusätzliche mobile Bunker im Stadtgebiet aufzustellen, um die Dichte von Schutzmöglichkeiten weiter zu erhöhen.

„Dieses Jahr in Bat Jam“: Umgehender Wiederaufbau

Vor allem plane die Stadt den schnellstmöglichen Wiederaufbau der zerstörten Wohngebiete, ergänzte der Bürgermeister. Die Verbundenheit der Bürger mit ihrer Stadt und ihr Vertrauen zur Stadtverwaltung solle nicht unnötig auf die Probe gestellt werden, und das Trauma der Angriffe solle möglichst schnell überwunden werden. Die Stadt solle weiterhin für gegenwärtige und zukünftige Bürger attraktiv bleiben.

Brot berichtete davon, dass die Bürger auch genau dies erwarteten: Beim Rundgang mit dem israelischen Generalstabschef Ejal Samir durch den betroffenen Stadtteil sei er von einem Bürger gefragt worden, wann die Stadt das nächste Festival feiern würde. Das Leben gehe normal weiter, die Menschen besuchten Cafés, Kulturveranstaltungen und gingen in ihren Urlaub.

Der Bürgermeister machte auch deutlich, dass man trotz der Angriffe die Städte in Israel nicht mit einem normalen Kriegsgebiet vergleichen dürfe. Es sei zwar schwerer Schaden entstanden, aber es seien keine Panzer auf den Straßen und kein alltägliches Kampfgeschehen dort. Brot lud die Zuhörer dazu ein, sobald wie möglich Bat Jam zu besuchen. Seine Botschaft an die ausländischen Freunde der Stadt sei nicht: „nächstes Jahr in Jerusalem“, sondern „dieses Jahr in Bat Jam!“

Folgen Sie uns auf Facebook und X!
Melden Sie sich für den Newsletter an!

Bedeutung von Städtepartnerschaften

Für Bürgermeister Brot ist es wichtig, gerade in solchen Krisenzeiten die bestehenden Städtepartnerschaften aktiv mit Leben zu füllen. So habe er es auch schon in der COVID-19-Pandemie gehandhabt. Damals habe es zum Beispiel regelmäßigen Video-Ausstausch von Experten in Bat Jam und den Partnerkommunen im Berliner Bezirk Neukölln und dem New Yorker Stadtteil Manhattan gegeben. In der aktuellen Lage könnten Video-Gespräche zwischen Schülern unterschiedlicher Schulen in Bat Jam und den Partnerstädten über die Realität und die Hintergründe des Irankrieges, auch des Gazakrieges, aufklären und anti-israelische Ressentiments abbauen.

Noch wichtiger als der Austausch mit Partnern in Deutschland und den USA sei es aber, den Kontakt in Gesellschaften hinein aufzubauen, die Israel prinzipiell kritisch und ablehnend gegenüber stünden. Mit Menschen in solchen Ländern müssten Israel und dessen Partner Kanäle der Kommunikation aufbauen, um die israelische Erfahrung zu vermitteln und damit die Feindschaft gegenüber dem Land abzubauen. Dabei könnten die mit Israel verbundenen Partnerstädte mitwirken.

So könnte zum Beispiel ein israelischer Bürgermeister in einer türkischen Partnerstadt, die eventuell zwischenzeitlich die Partnerschaft ausgesetzt hat, nicht nur allein auftreten, sondern in einer Delegation zusammen mit dem Bürgermeister der entsprechenden deutschen oder amerikanischen Partnerstadt, um für eine stabile Zusammenarbeit mit Israel zu werben. Dann würde die türkische Stadtgesellschaft dem die nötige Aufmerksamkeit schenken.

Brot rief somit dazu auf, als kommunale Partner Israels gegenüber ausländischen Partnern, die Israel gegenüber distanziert sind, stärker als bisher für den jüdischen Staat einzutreten. Zudem sollten besonders die Sozialen Medien, in denen sich der Israelhass am schnellsten verbreitet, auch intensiv von öffentlichen Repräsentanten auf nationaler und kommunaler Ebene genutzt werden, um dem Hass zu widersprechen.

Ausländische Berichterstattung über Bat Jam

Zvika Brot, selbst ehemaliger Journalist, führte seine Ausführungen noch mit einem Hinweis auf akuelle internationale Reaktionen zu Ende. Die Solidaritätsbekundungen aus dem westlichen Ausland habe die Stadt dankbar aufgenommen. Auch die Berichterstattung der ausländischen Presse im Westen sei überwiegend positiv und zutreffend gewesen, teils im Unterschied zur Berichterstattung über die aktuellen Kriege Israels generell. Wegen dem enormen Umfang des Schadens habe die Presse großes Interesse. Noch zwei Wochen nach den Angriffen kämen Journalisten nach Bat Jam, um sich mit der Lage vor Ort vertraut zu machen.

Dem entgegnete Brots Gesprächspartner Uwe Becker mit seiner eigenen kritischen Beobachtung, dass die internationalen Medien dazu neigten, Angriffe auf Israel in den „Kontext“ des andauernden Konfliktes zu stellen. Damit deuteten sie diese mehr oder weniger direkt als vermeintliche Reaktion auf vorangegegangene israelische Gewalt. (ndr)

Bitte beachten Sie unsere Kommentar-Richtlinien

Schreiben Sie einen Kommentar

4 Antworten

  1. Ich wünsche den Israelis viel Erfolg für den Wiederaufbau.
    Während Israel auf militärische Anlagen des Irans zielte, haben die Mullahs gezielt zivile Orte bombardiert, und wegen der Vielzahl der Bomben war auch der Irondome überfordert.
    Aber ohne Irondome wäre es noch viel schlimmer geworden.
    Ich hoffe, dass der Iran militärisch geschwächt bleibt, denn nicht nur Atombomben sind gefährlich, wie man an den Zerstörungen in Israel sieht.

    1
  2. So sind die Israelis : Aufstehen, Staub abklopfen und an den Wiederaufbau. Hilft‘ ja net, wie man in Bayern sagt. Wie schrieb Ephraim Kishon so schön : „in Israel haben wir öfter Wahlen, aber selten eine Wahl“.

    1

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Israelnetz-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen