Weltweit erste Implantation von Rückenmark

Seit mehreren Jahren experimentieren Forscher der Universität Tel Aviv mit 3D-Rückenmark. Nun gelingt erstmals eine Implantation.
Von Jörn Schumacher
Israelische Wissenschaftler wollen mit 3D-Gewebe gelämhte Menschen wieder zum Gehen verhelfen

TEL AVIV (inn) – Israelische Forscher haben erstmals einen Weg gefunden, menschliches Rückenmark zu implantieren. So könnten in Zukunft gelähmte Patienten aus dem Rollstuhl aufstehen und wieder gehen.

Tal Dvir, Leiter des Sagol-Zentrums für Regenerative Biotechnologie und des Nanotechnologie-Zentrums an der Universität Tel Aviv, teilte mit, sein Forschungsteam sei nun in der Lage, Rückenmark zu konstruieren, das genau wie ein natürliches funktioniert. Der implantierte Bereich sei ein 3D-konstruiertes Gewebe.

Danach kommt es zu einer natürlichen Verbindung zwischen den gesunden Bereichen und dem neuen Gewebe oberhalb und unterhalb der Verletzung. Dadurch wird die Lähmung gestoppt.

Vor drei Jahren bereits war es Dvir und seinen Kollegen gelungen, im Labor ein personalisiertes 3D-Rückenmark zu erstellen. In Versuchen konnten zum ersten Mal Mäuse mit den künstlichen Implantaten von einer chronischen Lähmung geheilt werden. Die Tiere konnten danach nicht nur wieder laufen, sondern sogar wieder rennen.

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Die Erfolgsrate lag bei Mäusen mit chronischer Lähmung bei 80 Prozent, von den Mäusen mit kurzfristig aufgetretener Lähmung konnten 100 Prozent danach wieder laufen. Die Forscher veröffentlichten ihre Ergebnisse erstmals 2022 in der Fachzeitschrift „Advanced Science“. Dvir gründete 2019 zusammen mit Alon Sinai sein Biotech-Unternehmen „Matricelf“.

Rückenmark heilt nicht von selbst

Eine Rückenmarksverletzung habe unmittelbare und katastrophale Auswirkungen auf die Bewegungskontrolle sowie auf alle Aspekte der Gesundheit und Lebensqualität des Patienten, betonen die Forscher. Rückenmarksverletzungen gehören zu den wenigen Verletzungen des menschlichen Körpers, die nicht von der natürlichen Regenerationsfähigkeit erfasst werden, erklärte Dvir. „Die Neuronen teilen sich nicht und erneuern sich nicht“, sagte er. „Diese Zellen sind nicht wie Hautzellen, die nach einer Verletzung heilen können, sondern eher wie Herzzellen: Einmal beschädigt, kann der Körper sie nicht reparieren.“

Das Rückenmark bestehe aus Nervenzellen, die elektrische Signale vom Gehirn in alle Körperteile übertragen, sagte Dvir weiter. Werde im Gehirn ein Befehl losgeschickt, gelange das elektrische Signal durch das Rückenmark zu den Neuronen, welche die Muskeln aktivieren. Wenn das Rückenmark aufgrund eines Traumas, beispielsweise eines Autounfalls, eines Sturzes oder einer Kampfverletzung, durchtrennt wird, wird diese Kette unterbrochen.

Nun erster Test an Menschen

Die Zelltherapie mit aus induzierten pluripotenten Stammzellen gewonnenen Neuronen sei jedoch ein vielversprechender Ansatz zur Regeneration des verletzten Rückenmarks. Die Israelis entwickelten ein funktionales menschliches neuronales Netzwerk. Sie ahmten die embryonale Entwicklung des Rückenmarks in einer dynamischen dreidimensionalen Mikroumgebung auf Basis von Biomaterialien nach.

Nun soll der Eingriff an Patienten getestet werden: In den kommenden Wochen ist eine Operation geplant, bei der erstmals Teile der Wirbelsäule aus menschlichen Zellen hergestellt und anschließend transplantiert werden. Der Eingriff wird weltweit erstmalig sein.

Das Gesundheitsministerium hat inzwischen die Genehmigung dazu erteilt, mit den Versuchen an acht Patienten zu beginnen. Das Forschungsteam sei derzeit dabei, seinen ersten Patienten auszuwählen, berichtet die Nachrichtenseite „The Times of Israel“.

Umwandlung von Zellen in embryonale Stammzellen

Weltweit leiden über 15 Millionen Menschen an einer Rückenmarksverletzung. Fachkräfte können zwar helfen, das Leiden zu stabilisieren, aber darüber hinaus nicht viel ausrichten. Mit der Zeit entwickle sich in der beschädigten Stelle Narbengewebe, und das Problem werde schlimmer.

„Der Patient bleibt unterhalb der Verletzungsstelle gelähmt“, sagte der Wissenschaftler. „Ist die Verletzung im Nackenbereich, können alle vier Gliedmaßen gelähmt sein. Liegt sie im unteren Rückenbereich, können die Beine nicht bewegt werden, und so weiter.“

Laut Dvir wollen die Forscher den Prozess mit einer kleinen Biopsie aus dem Bauch beginnen. Anschließend entnehmen sie diese Blutzellen und führen eine „Reprogrammierung“ genannte Methode durch – eine genetische Manipulation, die die Zellen in stammzellenähnliche Zellen umwandelt, die sich zu jedem Zelltyp im Körper entwickeln können.

Im nächsten Schritt entnehmen die Wissenschaftler dem Patienten Fettgewebe, extrahieren Schlüsselkomponenten wie Kollagene und Zucker und stellen daraus ein maßgeschneidertes Hydrogel her. Die embryonalen Stammzellen-ähnlichen Zellen werden in dieses Gel eingebracht, und so wird die embryonale Entwicklung eines Rückenmarks nachgeahmt. Dieses Rückenmark wird dann in den menschlichen Körper transplantiert, wodurch die Fähigkeiten des Körpers wiederhergestellt werden.

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3 Antworten

  1. Israel, Vorreiter in so vielen Bereichen und sehr viel im medizinischen Bereich. 👏
    Das dürfte weltweit eine Sensation sein.
    Ich bin sehr gespannt, wie die Test-Operationen am Menschen verlaufen. Ist es womöglich altersabhängig und wie lange die Lähmung schon besteht? Das Rückenmark, die Kommunikation zwischen Gehirn und Körper, verantwortlich für Reiz und Reaktion. Wie schön wäre es, wenn die Ärzte zum Patienten sagen könnten: „Steh auf, nimm dein Bett und geh. Und sag allen weiter, dass Gott uns befähigt hat, dir zu helfen.“ 🙏🇮🇱

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  2. Amazing! Was für eine Hoffnung für Menschen wieder laufen zu können. Danke zum Forschungsteam und den Ärzten. Shalom
    OT: Medizinischer Nobelpreis wäre angesagt.

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