Der Begriff der „deutschen Staatsräson“ sorgt seit der Rede der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) 2008 für Diskussionen. Auch Deutschlands europäische Partner haben bestimmte Erwartungen. Dazu betont die Politologin und Europa-Expertin Maja Sion-Tzidkijahu von der Hebräischen Universität in Jerusalem gegenüber „Ha’aretz“, dass der jetzige Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) vor allem die Erwartungen der europäischen Partner berücksichtigen müsse.
So will die Europäische Union die völkerrechtliche Basis des Assoziierungsabkommens mit Israel von 1995 regelmäßig auf den Prüfstand stellen. Großbritannien habe Handelsgespräche mit Israel ausgesetzt, während Spanien sich um europäische Sanktionen gegen den jüdischen Staat bemühe.
Europäische Erwartungen
Friedrich Merz habe seine Kanzlerschaft mit dem Anspruch begonnen, sich besonders der Außenpolitik zu widmen und Deutschland wieder zu einem bedeutenden außenpolitischen Akteur zu machen. Dazu gehöre auch die Ukraine-Politik und damit vor allem die politische wie militärische Unterstützung für das kriegsgebeutelte osteuropäische Land.
Laut Sion-Tzidkijahu bestehe die politische und normative Herausforderung darin, dass manche europäische Partner Deutschland doppelte Standards vorwerfen könnten, wenn sie die deutsche Ukraine-Unterstützung mit der Unterstützung Israels vergleichen: „Eine unkritische Ausrichtung auf Israel riskiert Deutschlands Glaubwürdigkeit“, sagt die Forscherin. Sie bezieht sich damit indirekt auf Kritiker Israels, die dessen Kriegsführung mit der russischen Kriegsführung in der Ukraine vergleichen.
Deutsche Innenpolitik
Das deutsche Dilemma werde nicht nur durch die europäische Politik zugespitzt, sondern auch durch die Innenpolitik Deutschlands und Israels. Sowohl der Koalitionspartner SPD, als auch Oppositionsparteien wie Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke, haben sich in den vergangenen Jahren und Monaten kritisch gegenüber einer zu eindeutigen Positionierung für Israel beziehungsweise zu Waffenlieferungen für das Land ausgesprochen. Im Herbst 2024 warfen der damalige Oppositionsführer Merz sowie das Koalitionsmitglied Wolfgang Kubicki (FDP) der Koalition aus SPD, Grünen und FDP gar vor, vereinbarte Waffenlieferungen an Israel stillschweigend eingefroren zu haben.
Sowohl die Wiederaufnahme von Israels Krieg gegen die Hamas im Mai 2025 in der neuen Operation „Gideons Streitwagen“ als auch Israels Präventivschlag gegen den Iran am 13. Juni haben bei SPD, Grünen und der Linken zu verstärkter Kritik geführt. Im ersten Fall haben sich auch Kanzler Merz und Außenminister Johann Wadephul (CDU) bezüglich der humanitären Lage im Gazastreifen, der Verhältnismäßigkeit der israelischen Kriegsführung und einer in Israel diskutierten möglichen zukünftigen Besatzung des Küstengebietes ablehnend geäußert.
„Staatsräson“ als „politisches Dilemma“
Dabei wurde es als „grundsätzliches Dilemma“ und „schwierige Gratwanderung“ empfunden, dass die „Staatsräson“ gegenüber Israel der deutschen Verpflichtung gegenüber dem Völkerrecht widersprechen könnte. Die „Staatsräson“ und das Völkerrecht seien „zwei Seiten ein und derselben Medaille“, sagte der Bundesaußenminister im Gespräch mit seinem israelischen Amtskollegen Gideon Sa’ar (Neue Hoffnung) Anfang Juni bei dessen Besuch Anfang Juni in Berlin.
Israelische Innenpolitik
An dieser Stelle hängt dieses Dilemma auch an der israelischen Innenpolitik. Die Frage, die sich stellt, ist, welcher Flügel in der Regierung von Benjamin Netanjahu (Likud) dominiert. Außerdem bleibt die Frage, für welche militärische und politische Strategie für den weiteren Krieg im Gazastreifen und die Zeit danach sich die Regierung entscheidet. Die deutsche Haltung macht sich zudem auch an der Ausrichtung von Israels Politik gegenüber den Palästinensern im Westjordanland und dem Siedlungsbau fest.
Es ist davon auszugehen, dass sich diese Vorbehalte noch verschärfen, wenn Israel mit amerikanischer Unterstützung das Westjordanland annektieren sollte. Eine solche Entwicklung liegt durchaus im Rahmen des Möglichen und wird vor allem von den nationalreligiösen Koalitionspartnern in Netanjahus Regierung angestrebt. Die US-Regierung unter Donald Trump (Republikaner) hat sich jedoch noch nicht prinzipiell zu dieser Frage geäußert.
Im zweiten Fall, dem der israelisch–amerikanischen Luftschläge ab dem 13. beziehungsweise 22. Juni gegen das iranische Atomwaffenprogramm, fiel die Positionierung der Unionsfraktion, vom Bundeskanzler über den Außenminister bis zu führenden Fraktionsmitgliedern wie Roderich Kiesewetter, Norbert Röttgen (beide CDU) und Alexander Dobrindt (CSU), zugunsten Israels wesentlich eindeutiger aus.

Operation „Volk wie ein Löwe“: Luftschläge gegen den Iran
Dabei wurde das iranische Atomwaffenprogramm als Bedrohung für Israels Existenz und Sicherheit wahrgenommen und verstanden – eine Bedrohung, auf die sich die „Staatsräson“ unmissverständlich bezieht. Kanzlerin Merkel hatte in ihrer bahnbrechenden Rede zur Staatsräson 2008 dargelegt, dass die Bedrohung durch das iranische Atomwaffenprogramm diese entscheidend mit umfasse. Sie argumentierte damals noch, dass dies durch diplomatische Mittel erreicht werden müsste, und sich Deutschland dafür einsetze.
Dennoch ist ihr Kommentar gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ am 21. Juni folgerichtig: „Wenn die einen erklären dürfen, sie wollen den Staat Israel auslöschen, muss der Staat Israel sich dagegen wehren können“. Sie ergänzte: „Wenn die Existenz eines Landes von der Hamas oder vom Iran infrage gestellt wird, ist das ja völkerrechtlich nicht so ganz einfach zu beantworten.“
Israels Angriffe auf Irans Urananreicherungsanlagen, Luftabwehr und Raketenabschussrampen, auf seine Militärführung und symbolische Regimeziele werden vermutlich von Völkerrechtlern noch länger diskutiert und unterschiedlich bewertet werden. Dennoch haben die außenpolitisch führenden Kräfte in der Union Israel mindestens das politische und moralische Recht zugesprochen, diese nukleare Bedrohung auszuschalten.
Kanzler Merz deutete zudem an, dass berücksichtigt werden müsse, dass der Iran für eine zivile und völkerrechtlich zulässige Atomenergienutzung keine unterirdischen Anlagen benötige. NATO-Generalsekretär Mark Rutte dankte US-Präsident Donald Trump dafür, dass seine Luftschläge gegen die iranischen Atomanlagen „uns alle sicherer machen“.
„Drecksarbeit“ und Völkerrecht
Letztendlich hat der Iran allen Erkenntnissen nach über Jahrzehnte ein Raketenarsenal ausgebaut und völkerrechtswidrig zu militärischen Zwecken in den genannten unterirdischen Anlagen Uran angereichert. Dass Israel mit seinen Angriffen auch eine potenzielle militärische Bedrohung für Europa und die westliche Welt minimalisiert hat, hat Kanzler Merz in einer Antwort in einem Interview im ZDF ausgedrückt. Darin griff er die Frage der Moderatorin auf, ob Israel die „Drecksarbeit für uns alle mache“ – und nutzte dankbar den Begriff.

Der Begriff „Drecksarbeit“ war ungeschickt gewählt. Impliziert er doch gewissermaßen, dass der Westen mit Israels Hilfe politische Ziele umsetzt, für die sich Europa zu schade und zudem militärisch nicht in der Lage ist. Der Westen kennt ohne die USA keine realisierbaren Möglichkeiten, die wirklichen Störer des Weltfriedens im Nahen Osten, also den Iran und seine verbündeten Terrorgruppen, zur Rechenschaft zu ziehen.
Stattdessen wird das Ziel der „Stabilität“ zum bedeutungsleeren Mantra internationaler und besonders europäischer Politik. Soll der Nahe Osten wirklich um der „Stabilität“ willen weiterhin dem Terror des Iran und seiner regionalen Verbündeten unterworfen bleiben? Dagegen weisen die seit 2020 entstandenen „Abraham-Abkommen“ zwischen Israel und Teilen der arabisch-muslimischen Welt den Weg in die richtige Richtung der „Normalisierung“ und einer echten Partnerschaft.
9 Antworten
Eine Anexion von Samaria und Judäa könnte Israel nicht alleine tätigen, es bräuchte die USA dazu und macht sich dadurch abhängig. Dann wären auch die Abraham-Abkommen, mit denen Trump in den arab. Staaten wirbt, Geschichte.
Bloß nicht, obwohl ich es persönlich begrüßen würde, gehört es doch zum Kernland Israel.
Vielleicht hätte Merz sich zum Aussenminister wählen lassen sollen. Es ist ihm sehr wichtig, da er, wie wir alle, gemerkt hat, was für einen Bockmist der Baerbock veranstaltet hat. Ich hoffe nur, dass er Wadephul an der Leine hält.
Der Begriff „Drecksarbeit“ hätte nicht treffender formuliert werden können.
Um Europäische Erwartungen kümmert sich Israel schon lange nicht mehr. Sie verstehen im Unterschied zum Westen, dass die Araber nicht mit europäischen Werten gemessen werden können. 🙏🎗🇮🇱
Für Israel gibt es keine „menschliche Hilfe“! Deswegen führt der Weg Israels immer mehr in die Isolation und die Menschen – die Nationen tun sich immer schwerer, sich zu Israel zu stellen.
Israel kann und wird diesen Kampf nicht alleine gewinnen können – dann wird es Israel so ergehen, wie Jakob: „errette mich von der Hand meines Bruders, von der Hand Esaus; denn ich fürchte mich … “ 1.Mose 32
Nach dem Kampf mit dem „Mann“ … nachdem er den Segen bekommen hat. „… wie heißest du? Er antwortete Jakob. Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel …“
Noch ist Israel – Jakob und versucht aus eigener Kraft zu kämpfen, so wie Jakob den Kampf gegen Esau nicht gewinnen konnte, so kann auch Israel nicht gegen all seine (weltweiten) Feinde ankämpfen.
Israel ist noch ein Jakobsstaat – „seid alle Menschen, wir werden gewinnen, wir sind stark, usw. …“ Israel heißt aber „Gott kämpft“ – das ist noch Zukunft. Aber der Sieg kommt und der Jakobsstatt – wird zu Israel werden, Halleluja.
Lieber Gruß Martin
Wenn selbst die iranische Führung erkennt, dass die Israelis mit „übernatürlicher Magie“ gekämpft haben, warum können Sie dann nicht sehen, dass seit einem Jahr Gott in der Region am arbeiten ist?
Aber Sie sind ja so verblendet in ihrer Haltung: alles Juden sind ungläubig, dass Sie noch nicht mal sehen, was vor Ihren Augen passiert.
Liebe Christin, ja, – verblendet sind immer die Anderen. „Nicht alle Juden sind ungläubig“ – aber Juden und Christen haben sich sehr weit von dem übernatürlichen Gott entfernt – sich entfremdet.
Lieber Gruß zu Ihnen, Martin
Gut „gesprochen“, liebe Ella. Shalom.
Deutsche Staatsräson wird immer ein Dilemma bleiben! Nur Freunde Gottes, können auch authentische Israel Freunde sein und bleiben.
Religiösen „Freunde Gottes“ werden immer mehr in ein menschliches Dilemma geraten. Gottes Freunde lieben Gottes Wort und ehren es und rechnen damit. Lieber Gruß Martin
Was ist denn an dem Begriff DRECKSARBEIT
ungeschickt, die Implikationen treffen doch den Punkt.
Der ganze nahe Osten ist politisch doch wirklich eine dreckige Ecke, in der sich aller mögliche Unrat herumtreibt (aus europäischer Sicht).
Und da sich die Europäer und anderen Mächte nunmal nicht gerne die Finger besudeln, weil sies nicht wollen oder nicht können, überlässt man das Kehren halt demjenigen, der das am besten kann, aber motzen und mosern gleichzeitig, weil derjenige das allzu gründlich macht.
Was also wollen die alle? Groben Dreck kriegt man eben nur mit Schrubber und Stahlwolle weg, das schafft man nicht mit soften Reinigungsmitteln wie Diplomatie oder es dauert, wie man sieht, viel zu lange.
SHALOM
Ich geb zu,daß diese Analogie ziemlich grob gewählt ist, aber jeder, der die Verhältnisse dort mit den entsprechenden Augen betrachtet, wird mir im großen und ganzen zustimmen,religiöse humanistische und völkerrechtliche Aspekte mal ganz aussen vor gelassen………………SHALOM
Nach dem Rückzug der streng religiösen Parteien aus der israelischen Regierung im Zusammenhang mit der Einberufung von Thora-Studenten zur Armee sieht die innenpolitische Lage in Israel schon wieder anders aus. Schaun wir mal , dann sehn wir schon.