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Vor 70 Jahren flogen in Tel Aviv die israelisch-sowjetischen Beziehungen in die Luft

Einem Attentat rechter Israelis auf die sowjetische Gesandtschaft in Tel Aviv folgt vor 70 Jahren der Abbruch der israelisch-sowjetischen Beziehungen. Dem vorausgegangen war eine antisemitische und anti-israelische Kampagne, mit der Stalin seinen Machtbereich überzog.
Von Sandro Serafin

Der große Knall kommt am Abend des 9. Februar 1953, gegen halb elf Uhr Ortszeit: Im Erdgeschoss der sowjetischen Gesandtschaft in Tel Aviv am Rothschild Boulevard bersten die Fenster, Rolläden werden aus der Führung gerissen, Teile der Decke kommen runter. Die Explosion ist so heftig, dass selbst bei der Schweizer Vertretung gegenüber Schäden zu notieren sind. Auch Verletzte gibt es: Ausgerechnet die Frau des sowjetischen Ministers in Tel Aviv hat es getroffen, wenn auch nur leicht. Andere sind schwerer verletzt.

Foto: Hans Pinn/GPO
Am 9. Februar kommt es am Rothschild-Boulevard zur Detonation

Doch was ist überhaupt passiert? Israelis, die im Zusammenhang mit der vormaligen rechts-zionistischen Untergrundgruppe Lechi stehen, haben sich Zugang zum Gesandtschaftsgelände verschafft und eine Bombe, offenbar mehr als 15 Kilogramm schwer, detonieren lassen. So wollen sie Widerstand leisten gegen die antisemitische und antizionistische Welle, die Sowjetdiktator Josef Stalin zur selben Zeit über die Juden in seinem Machtbereich hinwegrollen lässt.

Schon in den Monaten zuvor hatte es in Israel immer wieder Aktionen mit antikommunistischer und anti-sowjetischer Stoßrichtung gegeben: Anfang Dezember inszenierten rechte Zionisten in Tel Aviv einen Schauprozess gegen das kommunistische Reich. Einen Anschlag gab es bereits auf die tschechoslowakische Vertretung.

Moskau beschuldigt Israel

Nach dem Angriff auf die sowjetische Vertretung versuchen israelische Politiker umgehend, zu retten, was noch zu retten ist. Das israelische Außenministerium spricht von einem „abscheulichen Verbrechen“. Premierminister David Ben-Gurion nennt die Täter in einer Knesset-Ansprache „Hooligans“, die mehr Feinde des Staates Israel seien als Hasser irgendeines anderen Staates.

Am Abend des 9. Februar dauert es nur eine halbe Stunde, bis ein Vertreter des israelischen Außenministeriums am Tatort auf der Matte steht, um sein Bedauern auszudrücken. So notiert es der sowjetische Gesandte Pavel Jerschow selbst. Doch die Beziehungen zur Sowjetunion sind längst zerstört, nicht erst seit diesem Tag.

Jerschow kabelt noch am Abend nach Moskau, er habe die Entschuldigung nicht angenommen und stattdessen erklärt, die Explosion sei Ergebnis einer „systematischen anti-sowjetischen Kampagne“ der israelischen Regierung. Seine Empfehlung an die Zentrale: „Wir sollten die diplomatischen Beziehungen abbrechen“.

Vorwand gegen Israel

So kommt es denn auch: Am 11. Februar bricht die UdSSR die diplomatischen Brücken zum Staat Israel ab. In der Note, die dem israelischen Vertreter in Moskau übergeben wird, heißt es, Vertreter des Staates Israel seien „Teil der systematischen Entfachung von Hass und der Anstachelung zu feindlichen Aktivitäten gegen die Sowjetunion“.

Israel weist diese Vorwürfe zurück: Das israelische Außenministerium kabelt am 12. Februar an seine Botschaften, den Sowjets diene der Anschlag nur als „Vorwand“ dafür, „die finale Stufe eines Prozesses zu implementieren, der 1952 begonnen hat und dessen Wurzeln noch weiter zurückreichen“. In der Tat ist das Ereignis nur der Höhepunkt eines jahrelangen Entfremdungsprozesses zwischen den Staaten.

Es hatte gut angefangen

Dabei waren die beiderseitigen Beziehungen doch eigentlich überraschend verheißungsvoll gestartet. Im Mai 1947 hielt der sowjetische UN-Botschafter und spätere langjährige Außenminister Andrej Gromyko eine wegweisende Rede vor den Vereinten Nationen, in der er dem „jüdischen Volk“ ein Selbstbestimmungsrecht zugestand.

Die Erfahrung zeige, dass kein westeuropäischer Staat in der Lage war, das jüdische Volk vor der Vernichtung zu retten, argumentierte Gromyko vor dem Hintergrund des Holocaust. Nun müsse den Menschen geholfen werden, „nicht mit Worten, sondern mit Taten“. Am 29. November 1947 stimmt die Sowjetunion dem UN-Teilungsplan und damit der Gründung eines Judenstaats in Palästina zu.

Es fing gut an: Sowjet-Außenminister Gromyko (l.), hier im Gespräch mit dem Vertreter der USA bei den UN, Warren Austin

Während die USA angesichts des eskalierenden Bürgerkriegs ein Waffenembargo über die Region vorantreiben, schickt mit der Tschechoslowakei ein Staat des Ostblocks Waffen an die jüdischen Kämpfer. Geht man von den Handlungen aus, so sitzt die pro-zionistischere Macht in diesen Tagen im Osten, nicht im Westen.

Auf wackeligen Füßen

Doch die Sympathien für Israel stehen auf wackeligen Füßen. Die Unterstützung gründet – so wie die gleichzeitige Zurückhaltung der USA – auf machtpolitischen Erwägungen. Moskau hofft, einen jüdischen Staat, der auf einer starken sozialistischen Tradition aufbaut, zu seinem Vorposten in der Region machen zu können. Der Nahe Osten ist im aufziehenden Kalten Krieg von herausragender geostrategischer Bedeutung.

Doch schon bei den ersten Knesset-Wahlen 1949 wird deutlich, dass die israelischen Kommunisten der Maki (3,5 Prozent) und die Moskau-offenen Marxisten der Mapam (14,7 Prozent) nur eine nachgeordnete Rolle im jüdischen Staat spielen. Vielmehr wird Israels Politik von der Mapai (35,7 Prozent) um Ben-Gurion dominiert. Und dessen Herz pocht eher für den Westen. Außenpolitisch fährt das Land anfangs einen Neutralitätskurs, stellt sich im Korea-Krieg 1950 sogar auf die Seite der Vereinten Nationen und damit gegen die Sowjetunion.

Hinzu kommt, dass israelische Politiker bei den Sowjets nachhaltig darauf drängen, mehreren Millionen Juden die Ausreise nach Israel zu gestatten. Dort werden sie für den zionistischen Aufbau heiß ersehnt. Das totalitäre Stalin-Regime, auf seine Abschottung angewiesen, empfindet das als Bedrohung und gibt als Diktum aus, mit dem Staat Israel hätten die Juden der Sowjetunion „nichts zu tun“.

Stalin: Antizionist und Antisemit

In der um sich greifenden Feindeshysterie des Ost-West-Konflikts erscheint der Zionismus und damit auch der Staat Israel Stalin immer mehr als ein Kampfmittel des „westlichen Imperialismus“ gegen die Sowjetunion. Statt die Juden freizugeben, setzt der Sowjetdiktator sie der Verfolgung aus. In verschiedenen Teilen seines mittel- und osteuropäischen Machtbereichs kommt es zu antisemitischen und antizionistischen Kampagnen.

In der Tschechoslowakei werden im sogenannten Slánský-Prozess 1952 zahlreiche kommunistische Funktionäre, unter ihnen der vormalige Generalsekretär Rudolf Slánský, als Teil einer „trotzkistisch-titoistischen, zionistischen, bürgerlich-nationalistischen“ Verschwörung abgeurteilt und hingerichtet. Dass die meisten von ihnen Juden sind, wird im Prozess eigens herausgestellt. Mit dem Mapam-Aktivisten Mordechai Oren und dem Geschäftsman Schimon Orenstein werden sogar israelische Staatsbürger in diesem Kontext zu Haftstrafen verurteilt.

Foto: Bundesarchiv, Bild 183-R80329 | CC BY-SA 3.0 Unported
Stählern gegen Juden: Stalin wittert in der Spätphase seines Regimes überall die zionistische Weltverschwörung

Auch in der DDR sind Folgen zu spüren: Im „Neuen Deutschland“ zieht die SED ihre „Lehren aus dem Prozess gegen das Verschwörerzentrum Slánský“ und hetzt gegen das frühere Mitglied des Politbüros Paul Merker. Merker ist zwar selbst nicht Jude, die Partei gibt aber vor, mit der „Entlarvung der Zionisten als einer Agentur des amerikanischen Imperialismus“ sei auch Merkers Rolle als „Agent“ offengelegt. Der langjährige Kommunist wandert ins Gefängnis.

In der Sowjetunion selbst hat Stalin bereits gegen das von ihm selbst einst geförderte „Jüdische Antifaschistische Komitee“ durchgegriffen und bricht im Januar 1953 eine Propagandakampagne gegen die sogenannten „Ärzteverschwörung“ vom Zaun. Die Behauptung lautet, mehrere Mediziner – auch sie vorwiegend Juden – trachteten der Sowjetführung nach dem Leben. Sie seien Agenten einer „jüdisch-burgeois-nationalistischen“ und „zionistischen Spionageorganisation“.

Ärzteverschwörung auch in Israel

Als im darauffolgenden Monat die Bombe in Tel Aviv explodiert und die betroffenen Sowjetbürger in israelische Behandlung kommen, ist dieser Kontext deutlich zu spüren: Die „Jerusalem Post“ notiert seinerzeit, dass ein Vertreter der sowjetischen Gesandtschaft genau wissen wolle, welche Mittel den ins Krankenhaus eingewiesenen injiziert würden. Anfangs habe er sogar den Operationen beiwohnen wollen – „Ärzteverschwörung“ auch in Israel.

Obwohl für die israelische Staatsführung klar ist, dass die Sowjetführung den Bombenanschlag nur als Vorwand ihrer Politik gebraucht, heizt der Vorgang im Land die laufende Kontroverse um die außenpolitische Orientierung Israels an. In der Knesset beantragen Parteien links der Mapai ein Misstrauensvotum gegen die Regierung Ben-Gurion. Ein Redner der Mapam erklärt, der Neutralitätskurs des Premiers habe die Sowjets provoziert.

Doch ein Zurück zur Zeit der guten israelisch-sowjetischen Beziehungen gibt es nicht. Zwar stirbt Stalin schon kurz darauf: Die Verfolgung der „Ärzteverschwörung“ wird abgeblasen und bereits im Juli 1953 die diplomatischen Beziehungen mit Israel wieder aufgenommen. Doch sie halten wieder nur einige Jahre, dieses Mal bis zum Sechs-Tage-Krieg 1967. Als es dann das nächste Mal zur Wiederaufnahme kommt, im Oktober 1991, ist die Sowjetunion schon fast Geschichte.

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6 Antworten

  1. Bemerkenswert: während sogar steinewerfende palästinensische Kinder in diesem Forum in der Regel zu „Terroristen“ abgestempelt werden, werden mordende und bombenlegende jüdische Terroristen hübsch als „rechts-zionistischen Untergrundgruppe Lechi“ tituliert. Das nenne ich ausgewogenen Journalismus!

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    1. Bjoern, ausgerechnet Sie sprechen von ausgewogenem Journalismus! Wachen Sie auf, das wünsche ich Ihnen

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    2. „Steinewerfende palästinensische Kinder“ sind keine Bagatelle sondern Terror – ohne Anführungszeichen.
      Im Rechtssystem gilt „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“
      Tatsächlich ist Ermordung durch Steinigung laut sharia vorgesehen.
      Wollen Sie etwa leugnen, dass die Terror-hamas und Derengleichen tatsächlich, real Kinder zu Terror gegen unbewaffnete, friedliche Zivilisten aufhetzen?

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    3. Steine können töten. Nicht umsonst kommt man in D vor Gericht, wenn man Steine von der Brücke auf Autos wirft. Gehört zur Allgemeinbildung.

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  2. Werte Redaktion, vielen Dank für die Einblicke in die Geschichte.
    Die Ereignisse zeigen, dass jeder in erster Linie selbst stark genug sein muss um zu überleben. Die Verbündeten können da nur unterstützen.

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