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Verbundenheit und einige „Differenzen unter Freunden“

Es war eine historische Stunde im deutschen Bundestag: Erstmals haben die Staatspräsidenten Israels und Deutschland zu den Abgeordneten gesprochen. Beide finden würdige Worte und setzen trotzdem Spitzen, wo sie es für nötig halten.
Nie zuvor hatten beide Staatsoberhäupter Israels und Deutschlands im Bundestag gesprochen

BERLIN (inn) – Erstmals haben die Staatsoberhäupter Deutschlands und Israels der Holocaust-Opfer gemeinsam im Bundestag gedacht. Anlass war der 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die sowjetische Rote Armee. Der israelische Präsident Reuven Rivlin sprach am Mittwoch auf Hebräisch zu den deutschen Abgeordneten, Regierungsvertretern und Überlebenden. Am Beginn seiner Rede setzte er sich eine Kippa auf den Kopf und sprach ein Gebet im Gedenken an die Opfer der Scho’ah.

Rivlin lobte Deutschland, das nach der Naziherrschaft im vereinten Europa eine Führungsrolle zum Schutz liberaler Werte und der Demokratie übernommen habe. Bundeskanzlerin Angela Merkel werde „zu Recht“ als Anführerin der Freien Welt bezeichnet. Und das in einer Zeit, in der Europa erneut von Fremdenhass, Rassismus und Antisemitismus heimgesucht werde. „Ich bin mir bewusst, dass ein Teil der Angriffe auf Juden von Muslimen kommt“, sagte Rivlin. Dabei würden Muslime auch selbst Opfer von Fremdenhass in Europa.

Er sei „voller Hochachtung“ für Deutschland und seine „Anstrengungen seit Adenauer“ gegen Antisemitismus. Deutschland und Israel seien darin „wahre Partner“ und kämpften „mit unseren Werten“, „vielleicht für immer“ dagegen. Dies gelinge nicht mit einem Schlag, sondern müsse hartnäckig, Generation um Generation fortgeführt werden.

Debatten unter Freunden

Deutschland dürfe hier nicht versagen, mahnte Rivlin. Wenn Deutschland als der Hüter an der Schwelle gegen Antisemitismus scheitere, werde dieses Ansinnen überall scheitern: „Wenn dort, wo der Holocaust geschah, Juden nicht frei leben können, werden Juden nirgendwo angstfrei leben können.“ Er sage dies nicht, „um Moral zu predigen“, sondern als Mitstreiter und voller Respekt für die deutschen Anstrengungen.

Rivlin klammerte Differenzen zwischen Israel und Deutschland nicht aus und sprach von „tiefgründigen Debatten zwischen wahren Freunden“. Hier nannte er zuerst das Regime im Iran. Die Bedrohung aus dem Iran sei für Israel keine theoretische Sache, sondern eine existentielle Frage. Israel führe keinen Krieg gegen das iranische Volk. Für die geistlich-politischen Machthaber gelte jedoch: „Wir müssen dieses Regime isolieren, wir müssen es aus der Weltgemeinschaft ausstoßen, bis diese Bestrebungen bezwungen sind.“ Auch vor den Terror-Organisationen entlang der israelischen Grenzen dürfe niemand die Augen verschließen. „Ich begrüße den Beschluss dieses Hauses, dass nicht mehr zwischen dem politischen und dem militärischen Flügel der Hisbollah unterschieden werden soll.“ Der Bundestag hatte dies von der Regierung gefordert. Insbesondere AfD und FDP hatten sich dafür eingesetzt.

Zarte Hoffnung auf Frieden

Den israelisch-palästinensischen Konflikt nannte Rivlin „eine langjährige Tragödie für beide Völker“. Er sei jedoch überzeugt, dass auch dieser Konflikt gelöst werden könne: „Gestern in Washington haben wir Momente gesehen, die hoffnungsvoll stimmen können.“ US-Präsident Donald Trump habe einen Vorschlag unterbreitet, der „die Gesprächskanäle wieder öffnen könnte“. Diejenigen, die aufgeben, verzichteten auf die Chance „und ich weigere mich, aufzugeben“, sagte Rivlin. Deutschland könne „sehr helfen“, das dafür nötige Vertrauen zwischen Israelis und Palästinensern zu schaffen.

Zuvor hatte sich Bundespräsident Steinmeier sich mit Blick auf seinen zurückliegenden Gang durch Auschwitz an Rivlin gewandt: „Nie war mir ein Gang so schwer und nie war ich so dankbar für den Freund an meiner Seite.“ Darüber, dass an diesem Tag ein israelischer Präsident im Herzen der deutschen Republik spreche, sagte Steinmeier: „Lieber Reuven Rivlin, es ist ein Geschenk, und dafür danke ich im Namen meines Landes. Ich verstehe es als Verpflichtung, uns der Hand, die Israel uns gereicht hat, als würdig zu erweisen. Wir stehen an der Seite Israels.“

Steinmeier sieht „Ungeist der Vergangenheit“ erstarken

Wenig später warnte Steinmeier vor einer „Verrohung der Sprache und Verächtlichmachung des Parlaments“ und sagte dann: „Vor wenigen Jahren hätte meine Rede an diesem Punkte enden können.“ Doch heute sickere „das Gift des Nationalismus“ wieder in Debatten ein. „Die bösen Geister der Vergangenheit zeigen sich heute in neuem Gewand. Mehr noch: Sie präsentieren ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Vision.“ Und das „auch hier bei uns“. Für diese Sätze erntete Steinmeier langen Applaus von den meisten Anwesenden.

Eröffnet hatte die Gedenkstunde Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Er nannte die historische Verantwortung „für das Selbstverständnis unseres Landes konstitutiv“. Wer immer daran rüttle, werde scheitern. Gleichzeitig verbürge dies die „historische Verantwortung für die Existenz und Sicherheit Israels und die Pflege der besonderen deutsch-israelischen Beziehungen, für unsere besondere Freundschaft, die sich der historischen Abgründe stets bewusst ist und gleichzeitig in die Zukunft gerichtet ist“.

Von: tk

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