Schriftrollen vom Toten Meer wohl älter als gedacht

Die Qumranrollen sind weltberühmt. Der ursprünglichen Datierung zufolge entstanden alle Texte in den Jahrhunderten rund um die Zeitenwende. Doch einige der Fragmente könnten älter sein, als gedacht.
Von Israelnetz

GRONINGEN (inn) – Dass die Qumrantexte ein beachtliches Alter haben, ist bekannt. Doch nun hat ein Team an der Universität Groningen herausgefunden, dass manche Texte älter sind als bislang angenommen. Nach Ansicht der Forscher stammt ein Fragment des Buches Daniel sogar aus der Zeit seiner Entstehung. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz gelang es ihnen, die Datierung genauer zu bestimmen.

Für die Neudatierung der Schriftrollen verwendeten die Forscher die gängige Radiokarbonmethode. Allerdings entfernten sie erstmals Fette, die die bisherigen Datierungen verfälscht hatten. Früher bearbeiteten Schriftforscher die Fragmente mit Rizinusöl, um sie lesbarer zu machen, erklärte der Judaist Mladen Popović. Die Ergebnisse der Untersuchung veröffentlichte sein Team in der Fachzeitschrift „Plos One“.

C14-Methode

Das Kohlenstoff-14-Isotop kommt in allen organischen Materialien immer in einem be-stimmten Anteil vor. Es nimmt nach dem Absterben dieses Organismus stetig ab. Da die-se Abnahme mit einer Formel berechnet werden kann, wird mit Hilfe eines Massenspekt-rometers die Anzahl der noch vorhandenen Kohlenstoffisotope ermittelt. Auf diese Weise kann errechnet werden, wie viele Isotope noch vorhanden sind. Somit können Forscher auf das Alter schließen. Je weniger Kohlenstoffisotope nachgewiesen werden, desto älter ist eine Probe.

KI „Enoch“ musste trainiert werden

Um die Ergebnisse zu verfeinern, bedienten sich die Forscher der Künstlichen Intelligenz, die sie „Enoch“ nannten.

Zuerst untersuchte das Team rund um Popović in der Studie mit Hilfe der C14-Methode 30 Fragmente, deren Abfassung in einem Zeitraum von zirka 500 Jahren geschätzt wurde. Erst danach verwendete das Team 27 gültige Ergebnisse dieser Fragmente, um damit die KI „Enoch“ zu trainieren. Dafür erstellte es digitalisierte Bilder der Fragmente. Das Programm sollte feine Unterschiede in den Schriftstilen erkennen. Auf diese Weise grenzten die Forscher den fraglichen Entstehungszeitraum im Schnitt auf 30 Jahre ein. Das derartig trainierte Modell konnte damit 135 Fragmente analysieren, deren zeitliche Einordnung bislang nicht möglich war.

Dennoch handelt es bei dem von der KI angegebenen Alter nur um eine Wahrscheinlichkeit.

Das Fragment 4Q114 ist für die Forscher besonders bemerkenswert. Es umfasst die Verse Daniel 8–11. Denn die Forschung datierte es zunächst auf die Zeit um 160 vor Christus. Das Ergebnis der Studie sprach dagegen für die Zeit um 230 bis 160. Das würde somit in die Zeitspanne fallen, die einzelne Forscher für die Fertigstellung des Buches Daniels annehmen.

Die Autoren der Studie halten fest, dass „Enoch“ nur ein Anfang war und bisherige Analysemethoden ergänzen kann. Für Paläografen biete die KI Möglichkeiten, eigene Einschätzungen zu vergleichen. Eine neue Chronologie der Schriftrollen sei ebenso ein Ergebnis der Studie wie neue Erkenntnisse zur Schriftentwicklung. Demnach existierten Schriftstücke im herodianischen und hasmonäischen Schriftstil viel früher nebeneinander, als zuvor angenommen.

Die Schriftrollen von Qumran

Im Jahr 1947 fand ein Beduine in Khirbet Qumran in einer Höhle nordwestlich des Toten Meeres insgesamt sieben Schriftrollen. In den Folgejahren bis 1956 kamen weitere Entdeckungen ans Licht, auch durch wissenschaftliche Forschungen. Schriftfragmente waren in insgesamt elf Höhlen zu finden. Inhaltlich haben die Texte einen biblischen, apokryphen und glaubensunabhängigen Hintergrund. Biblische Bücher sind etwa Daniel oder der Prophet Jesaja.

Bedeutend sind die Schriftrollen von Qumran, weil die Texte beispielsweise das Denken und Leben einer Welt erkennen lassen, die christliche und spätere jüdische Schriften beeinflussten. Die Gesellschaft in Judäa zur Zeit des zweiten Tempels wurde vor der Entdeckung der Schriftrollen als relativ homogen angesehen. Die Entdeckung weist jedoch im Gegenteil auf eine große Diversität der Gesellschaft in dieser Zeit hin. Ein weiterer Grund für die Bedeutung von Qumran ist, dass viele der Schriften deutlich älter sind als die zuvor bekannten ältesten Schriften. Die Funde der Schriftrollen verweisen auch auf die enorme Genauigkeit zu den heute gängigen Bibeltexten. (ewe)

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