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Muslimisch, moderat, modern

Für die einen sind sie ein Ausdruck menschlichen Größenwahns, andere sehen in ihnen ein Beispiel für einen modernen, muslimischen Staat: die Vereinigten Arabischen Emirate polarisieren.
Bei Einheimischen und Touristen beliebt: Der La Mer-Strand in Dubai, im Hintergrund die Skyline mit dem höchsten Gebäude der Welt, dem Burdsch Chalifa

Höher, schneller, weiter – auf den ersten Blick scheint das die Maxime der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) zu sein, einer Föderation aus den sieben Emiraten Abu Dhabi, Dubai, Schardscha, Adschman, Umm al-Quwain, Fudscheira und Ras al-Chaima. In dem Wüstenstaat werden die weltweit größten Bauvorhaben umgesetzt. Hier entstehen Wohnanlagen auf künstlichen Inseln im Meer. Die Regierung beauftragt die international besten Architekten mit dem Bau außergewöhnlicher und futuristischer Gebäude.

Nach außen und durch den Tourismus ist das Bild der VAE besonders durch Dubai geprägt. Das Emirat gehört mittlerweile zu den beliebtesten Reisezielen deutscher Touristen im Nahen Osten. Doch die sieben Emirate unterscheiden sich grundlegend. Während Dubai den Luxus liebt, auf Prunk und Wachstum setzt und damit Touristen aus aller Welt anlockt, fördert Abu Dhabi vor allem Kunst, Kultur und die Entwicklung neuer Technologien. Auch Nachhaltigkeit ist in dem flächenmäßig größten Emirat ein Thema. Das zeigt unter anderem die noch im Bau befindliche Ökostadt „Masdar City“. Dort sollen einmal 40.000 Menschen CO2-neutral leben. Abu Dhabi, zugleich die Hauptstadt der Emirate, ist topmodern, schick, aber zurückgenommener als Dubai – weniger protzig, weniger kitschig.

Die Emirate sind ein Staat der Superlative: Sie halten zahlreiche Weltrekorde und sind ständig auf der Jagd nach neuen. So gibt es in Dubai mit dem Burdsch Chalifa das höchste Gebäude und direkt davor im „Burdsch Chalifa Lake“ das größte aufeinander abgestimmte Springbrunnensystem. Auf dem Goldmark im Stadtteil Daira kann der mit 64 Kilogramm schwerste Goldring „Star of Taiba“ bewundert werden. In der Scheich-Sajed-Moschee von Abu Dhabi glitzern unterdessen unzählige Swarovski-Kristalle am weltgrößten Kronleuchter.

Die Scheich-Sajed-Moschee in Abu Dhabi ist die drittgrößte Moschee der Welt. Ihre Hauptkuppel ist mit einem Durchmesser von mehr als 32 Metern die weltweit größte Moscheekuppel. Foto: Dana Nowak
Die Scheich-Sajed-Moschee in Abu Dhabi ist die drittgrößte Moschee der Welt. Ihre Hauptkuppel ist mit einem Durchmesser von mehr als 32 Metern die weltweit größte Moscheekuppel.
Der weltgrößte Kronleuchter wurde in Deutschland gefertigt. Er ist 15 Meter hoch und wiegt zehn Tonnen. Foto: Dana Nowak
Der weltgrößte Kronleuchter wurde in Deutschland gefertigt. Er ist 15 Meter hoch und wiegt zehn Tonnen.

Im Luxusschlitten auf Streife

In wohl kaum einem anderen Land sind so viele Luxusautos unterwegs wie in den Emiraten. An den Wochenenden reihen sich Lamborghinis, Ferraris und Porsches vor den Hotels. Da liegt es auf der Hand, dass auch die Polizei in Dubai eine Flotte von Luxusflitzern unterhält. Und – wie könnte es anders sein – auch das schnellste Polizeiauto der Welt besitzt: einen 1.000 PS starken Bugatti Veyron. Gerade Dubai legt großen Wert auf Ästhetik: In einigen Stadtvierteln werden Fahrer bereits zur Kasse gebeten, wenn ihr Auto eine Delle hat.

Neben dem ganzen Luxus fallen in den riesigen Einkaufszentren oder den Flughäfen von Dubai und Abu Dhabi auch die vielen gläsernen und mit Scheinen gut gefüllten Spendenboxen auf, in denen Geld für internationale Hilfsorganisationen gesammelt wird.

Geld schien lange Zeit für die VAE keine große Rolle zu spielen. Doch die Weltwirtschaftskrise von 2008 ging nicht spurlos an den Emiraten vorbei. Bauprojekte gehen seitdem schleppender voran. Von den künstlichen Inselwelten vor der Küste Dubais wurde bisher nur die Palmeninsel fertiggestellt. Es fehlen ausländische Investoren. Die Errichtung der Museumsbauten auf der Insel Saadjat in Abu Dhabi verzögert sich immer wieder. Und Dubai konnte 2010 nur dank einer Finanzspritze des Emirs von Abu Dhabi, Chalifa Bin Sajed al-Nahjan, den 828 Metern hohen „Burdsch Chalifa“ fertigstellen. Der Turm trägt daher auch den Namen des Geldgebers. Doch die meisten der dort angebotenen Wohnungen stehen seit Jahren leer, da halfen auch massive Preissenkungen nichts.

Und dennoch hat sich Dubai für den Fall gewappnet, wenn der „Burdsch Chalifa“ in den kommenden Jahren vom Dschedda-Turm in Saudi-Arabien überholt werden sollte. In der luxuriösen Dubai-Mall, mit rund 1.000 Geschäften eines der weltweit größten Einkaufszentren, steht bereits ein Modell für ein noch höheres Gebäude.

Schuften für einen Hungerlohn

Doch der Glanz hat seinen Preis: Fast 85 Prozent der mehr als 9,8 Millionen Einwohner in den Emiraten sind Arbeitsmigranten. Hunderttausende von ihnen schuften für einen Hungerlohn. Die vergleichsweise schlechte Entlohnung nehmen sie in Kauf, entspricht diese doch häufig einem Vielfachen der Bezahlung in ihren Heimatländern. In Abu Dhabi und Dubai müssen Arbeitgeber eine Krankenversicherung für ihre ausländischen Arbeitnehmer bezahlen. Ab einem bestimmten Einkommen dürfen Arbeiter in den Emiraten nach Zustimmung des Arbeitgebers die Familie aus dem Ausland nachholen.

Die Gastarbeiter kommen unter anderem von den Philippinen, aus Indien, Pakistan, Bangladesch, dem Jemen oder Sri Lanka. In den Emiraten leben sie fernab jeglichen Glamours, außerhalb der Stadtzentren in einfachsten Massenunterkünften. Sie arbeiten vor allem im Dienstleistungsbereich und Baugewerbe. Zudem sind sie in Privathaushalten als Haushaltshilfen, Kindermädchen, Gärtner oder Chauffeure beschäftigt – während die Emiratis selbst vor allem bei Regierungsbehörden und staatlichen Einrichtungen wie Polizei, Post oder Banken angestellt sind. Vor allem in Privathaushalten sind Frauen stark gefährdet, Opfer von Misshandlungen zu werden.

In den frühen Morgenstunden putzen Gastarbeiter die Fenster eines Hotels in Abu Dhabi Foto: Dana Nowak
In den frühen Morgenstunden putzen Gastarbeiter die Fenster eines Hotels in Abu Dhabi

Während die Gastarbeiter einen großen Anteil zum Wohlstand der Emirate beitragen, geht der ursprüngliche Reichtum auf die Ölreserven des Staates zurück. Es scheint kaum vorstellbar, dass hier, in der Wüste, vor nur rund 60 Jahren lediglich Beduinenzelte und einfache Häuser standen. Mit der Entdeckung des Erdöls in den 1950er und 60er Jahren änderte sich alles. Die Emirate entwickelten sich zu einem Land der Superlative.

Britisches Protektorat

Doch wie kam es überhaupt dazu, dass sich sieben Beduinenstämme zusammenschlossen? Erste archäologische Belege für eine Besiedlung des Gebietes der heutigen Emirate stammen etwa aus dem Jahr 4000 vor unserer Zeitrechnung. An der Küste lebten Menschen vor allem vom Fischfang. In der Wüste waren nomadisierende Stämme unterwegs. Anfang des 16. Jahrhunderts errichteten die Portugiesen Niederlassungen auf dem Gebiet. Sie handelten unter anderem mit Sklaven und Perlen.

Im 18. Jahrhundert gründeten Beduinen die Siedlungen Abu Dhabi und Dubai. Zu dieser Zeit dienten Teile des Küstengebietes bereits Piraten als Ausgangspunkt für Überfälle auf Handelsschiffe. Um dem Abhilfe zu schaffen, schloss Großbritannien mit den ansässigen Scheichtümern Verträge. Sie sicherten den britischen Schiffen freie Fahrt zu, im Gegenzug erhielten Beduinenstämme wirtschaftliche Unterstützung sowie Waffen. 1853 wurde schließlich der „Vertrag des Ewigen Friedens“ geschlossen. Er bestätigte die Schutzherrschaft der Briten über die Scheichtümer bestätigt. Letztere verpflichteten sich dazu, den Sklavenhandel und die Piraterie einzustellen.

Sieben Scheichtümer, ein Staat

Als Großbritannien 1967 ankündigte, sich bis zum Jahr 1971 aus der Region zurückzuziehen, schlossen sich die Scheichs von Abu Dhabi und Dubai zusammen. Sie luden die benachbarten Scheichtümer zur Gründung einer Föderation ein. 1971 entstanden somit aus Abu Dhabi, Dubai, Schardscha, Adschman, Umm al-Quwain und Fudscheira die Vereinigten Arabischen Emirate. 1972 kam Ras al-Chaima dazu. Die benachbarten Scheichtümer Katar und Bahrain wollten unabhängig bleiben.

Erster Präsident wurde der Emir von Abu Dhabi, Sajed Bin Sultan al-Nahjan. Er verfügte über eine einfache Bildung, die gemäß seiner Zeit und der Region auf die religiösen Prinzipien des Islam und die Lebensweise der Beduinen beschränkt war. Er war im Vergleich der arabischen Staaten ein volksnaher, verhältnismäßig liberaler, prowestlicher und visionärer Herrscher. Seiner Führung ist es zu verdanken, dass sich die Emirate von einem armen Flecken Land geeint in eine der reichsten Regionen der Erde verwandelten. Die Einnahmen aus dem Ölgeschäft versandeten nicht in den Taschen einiger weniger, sondern flossen in den Aufbau des neuen Staates.

Etwa 10 Prozent des weltweit bekannten Erdölbestandes befinden sich auf dem Gebiet der Emirate. Die Reserven sind ungleich verteilt. Mehr als 90 Prozent entfallen auf Abu Dhabi, der Rest auf Dubai und Schardscha. Die anderen Emirate gehen weitestgehend leer aus, doch sie werden an den Einnahmen aus dem Öl- und Erdgasgeschäft beteiligt. Experten schätzen, dass die Vorräte noch etwa 100 Jahre reichen. Die Emirate setzen daher schon seit langem erfolgreich auch auf andere Einnahmequellen.

Bildung für alle

Mit den Erdölfunden entwickelten sich die Emirate zu einem Wohlfahrtsstaat, in dem Bildung von Beginn an ein wichtiges Thema war: Als eine der ersten Maßnahmen führte das Land direkt nach seiner Gründung die Schulpflicht für Jungen und Mädchen ein. Als erstes Land der Region begann es in den 1990er Jahren, massiv in den Ausbau seines Hochschulsystems zu investieren und den Markt für ausländische Anbieter zu öffnen. Laut einem Bericht der Weltkulturerbeorganisation UNESCO konnten im Jahr 2015 mehr als 99 Prozent der Emiratis im Alter zwischen 15 und 24 Jahren lesen und schreiben. In den arabischen Staaten betrug der Anteil der Analphabeten ab 15 Jahren im Jahr 2019 durchschnittlich 25,2 Prozent.

Von Anfang an ließen die Herrscherfamilien die Bevölkerung am Reichtum teilhaben – und sicherten sich so bis heute die Zustimmung zu ihrer Politik. Es sind kaum Steuern zu zahlen. Junge Paare bekommen bei ihrer Hochzeit ein Grundstück und ein Haus geschenkt. Jeder Bürger hat gemäß beduinischer Tradition die Möglichkeit, sich mit Fragen und Anliegen an seinen Emir zu wenden. Anders als beispielsweise in Bahrain gab es in den VAE im Rahmen des „Arabischen Frühlings“ keine Proteste. Das Land ist seit seiner Gründung von politischen Unruhen verschont. Die Herrscher sind darum bemüht, zumindest die einheimische Bevölkerung stets zufriedenzustellen. So gibt es in den Emiraten ein Ministerium für Glück. Aber auch eines für Toleranz und Zukunft.

Eingeschränkte Religionsfreiheit

Obwohl der Islam Staatsreligion ist, gewährt das Land eine gewisse Religionsfreiheit und zeigt sich im Vergleich zu anderen Ländern der Region toleranter. Es gibt Dutzende Kirchen, einige Tempel und eine Synagoge. Die erste Kirche wurde in Abu Dhabi bereits 1965 eingeweiht, noch vor der Staatsgründung. Viele Supermärkte haben abgetrennte Abteilungen. Dort bieten sie unter anderem für die Gastarbeiter Produkte aus Schweinefleisch und andere Waren an, die nicht den islamischen Speisevorschriften entsprechen. Dennoch prägt der Islam den Alltag. Die Mehrheit der Emiratis sind Sunniten (80 Prozent). Etwa 20 Prozent gehören dem schiitischen Islam an.

Einige Bereiche des Präsidentenpalastes in Abu Dhabi, des Qasr al-Watan, sind für Besucher geöffnet Foto: Dana Nowak
Einige Bereiche des Präsidentenpalastes in Abu Dhabi, des Qasr al-Watan, sind für Besucher geöffnet

Das Jahr 2019 erklärten die VAE zum Jahr der Toleranz. Im Palast des Präsidenten in Abu Dhabi wurden aus diesem Anlass unter anderem neben dem Koran eine Bibel und jüdische Schriften ausgestellt. Dennoch sind Muslime und Christen nicht gleichgestellt. Missionierung und Abkehr vom Islam sind verboten. Muslimische Frauen dürfen keine Nichtmuslime heiraten. Auch bei Regierungskritikern hört die Toleranz auf. Hier drohen Gefängnis oder gar die Todesstrafe. Medien werden staatlich kontrolliert, es gibt keine Meinungsfreiheit. Auch Homosexualität oder Drogenhandel können mit der Todesstrafe geahndet werden.

Die Beziehungen zu Israel

Im August überraschten die Emirate mit der Ankündigung, volle diplomatische Beziehungen zu Israel aufzunehmen. Der erste Präsident der VAE, Scheich Sajed, bezeichnete den jüdischen Staat noch als „Feind der arabischen Welt“. 1972 erließen die VAE per Gesetz den Boykott Israels. Entsprechend kühl war jahrzehntelang das Verhältnis. Israelis durften nicht einreisen, israelische Flugzeuge den Luftraum der Emirate nicht überfliegen.

Doch etwa ab 2010 kam Bewegung in die Beziehungen. Als erster israelischer Minister besuchte der damalige Minister für nationale Infrastruktur, Usi Landau, die Emirate. In den folgenden Jahren nahm die Annäherung hinter den Kulissen ihren Lauf. Am 15. September 2020 besiegelten die Emirate im Garten des Weißen Hauses in Washington ihr Abkommen für volle Normalisierung der Beziehungen zu Israel.

Hinter der Einigung steckt vor allem, aber nicht nur, die gemeinsame Bedrohung durch den Iran. Israel hat in Bereichen wie Medizin, Landwirtschaft, Wasseraufbereitung oder Cybertechnologie viel zu bieten. Und es ist willens, dieses Wissen mit anderen zu teilen. Die Emirate können hier von den fortschrittlichen Technologien aus Israel profitieren. Auch sie wollen ihre Wüste zum Blühen bringen.

Scheinheilige Toleranz?

Viele Kritiker und Medien werfen den Emiraten eine scheinheilige Toleranz vor. Selbstverständlich müssen Menschenrechtsverletzungen kritisiert, volle Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung angestrebt werden. Doch ein Vergleich mit westlichen Ländern hinkt. Angesichts der Tatsache, dass es im Nahen Osten neben Israel keine weitere Demokratie gibt, stechen die Emirate trotz aller berechtigter Kritik in ihrer Region positiv hervor.

Von: Dana Nowak

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