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Für Ben-Gurion war er „Wladimir Hitler“

Wladimir Se'ev Jabotinsky ist weniger bekannt als zionistische Größen wie David Ben-Gurion. Doch seine Lehren prägen Geschichte und Politik des jüdischen Staates bis in die Gegenwart. Vor 80 Jahren verstarb der Begründer des zionistischen Revisionismus.
1923 gründete Jabotinsky die Jugendorganisation Beitar. Bald mit dabei: Menachem Begin (l.), der mehr als 50 Jahre später Premierminister Israels werden wird.

Eine „romantische Liebe“ war es nach Wladimir Jabotinskys eigenen Worten nicht zwischen ihm und Palästina, dem Landstreifen am östlichen Rand des Mittelmeers, auf den sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Hoffnungen des Zionismus richteten. Der streitbare Literat und Politiker reiste in der Welt herum, warb unter anderem in England, Frankreich und Deutschland für sein Anliegen. In Palästina aber verbrachte er nur einen geringen Teil seines Lebens. Dort herrsche eine „drückende Atmosphäre“, schrieb der Privatmann Jabotinsky einmal an eine Bekannte über die Gesellschaft des Jischuw, der jüdischen Gemeinschaft im Lande.

Für den Politiker Jabotinsky war indes klar: „Der Zionismus führt nur nach Palästina.“ Dem Sohn einer durchaus religiösen Mutter und eines früh verstorbenen Vaters im multikulturellen Odessa war der Zionismus nicht unbedingt in die Wiege gelegt. Jabotinsky wurde auf Russisch erzogen, nicht auf Jiddisch. Als er mit 17 Jahren die Schule verließ, um in Bern und schließlich in Rom als Korrespondent einer Odessaer Zeitung zu arbeiten, dachte er weder sonderlich politisch, noch irgendwie jüdisch. Er habe als Jugendlicher „keinen inneren Kontakt“ zum Judentum gehabt, schrieb der gänzlich areligiöse Jabotinsky später über sich selbst.

Gegenspieler der Sozialisten

Erst langsam entwickelte er seine zionistischen Überzeugungen, die sich dann allerdings als kompromissloser erwiesen als die Ansichten der Allgemeinen Zionisten um Chaim Weizmann oder der Sozialisten um David Ben-Gurion. Jabotinskys Streben galt einer jüdischen Mehrheit in Palästina – und zwar auf beiden Seiten des Jordans. Die Abtrennung des transjordanischen Teils vom britischen Mandatsgebiet Anfang der 20er Jahre galt es aus seiner Sicht zu revidieren: Jabotinsky wurde zum Vater des zionistischen Revisionismus.

Die Auseinandersetzung zwischen den erstarkenden Sozialisten Ben-Gurions und der ebenfalls an Kraft zunehmenden Jabotinsky-Fraktion prägte die Geschichte des Zionismus in den 30er Jahren. Schon 1925 hatte Jabotinsky in Reaktion auf eine von ihm konstatierte „sklavische Passivität“ der führenden Zionisten seine eigene Partei gegründet. Im britischen Mandatsgebiet bekriegten sich Sozialisten und Revisionisten fortan gegenseitig mit Boykotten und Gewalt. Auch auf dem Zionistischen Weltkongress kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, insbesondere als Jabotinsky 1931 vergeblich versuchte, die Gründung eines jüdischen Staates offiziell als Ziel des Zionismus proklamieren zu lassen.

Nach einem Ausgleichsversuch zwischen ihm und Ben-Gurion, der nicht an den beiden Männern, sondern an der sozialistischen Basis scheiterte, traten Jabotinskys Gefolgsleute aus der Zionistischen Weltorganisation aus. In Wien gründeten die Revisionisten 1935 die Neue Zionistische Organisation, die nun eigene Wahlen abhielt. Das zionistische Schisma verfestigte sich damit auch organisatorisch.

Schwieriges Verhältnis zu den Briten

Die Sorge der anderen Parteien, Großbritannien mit einer entschiedeneren Haltung vor den Kopf zu stoßen, teilte Jabotinsky nicht. Dabei war er es gewesen, der die Kooperation mit der Kolonialmacht im Ersten Weltkrieg besonders intensiv forciert hatte. Als Ben-Gurion noch damit liebäugelte, sich um den osmanischen Pass zu bewerben, lobbyierte Jabotinsky bereits für eine Jüdische Legion innerhalb der britischen Armee. Durch einen zionistischen Beitrag zur Befreiung Palästinas sollte der eigene Anspruch auf das Gebiet praktisch gefestigt werden, so der dahinterstehende Gedanke. Am Ende hoben die Briten tatsächlich mehrere zionistische Bataillone aus.

Jabotinsky, hier in einer Uniform der Jüdischen Legion, brachte die Briten im Ersten Weltkrieg dazu, zionistische Bataillone aufzustellen Foto: GPO
Jabotinsky, hier in einer Uniform der Jüdischen Legion, brachte die Briten im Ersten Weltkrieg dazu, zionistische Bataillone aufzustellen

Doch schon bald nach dem Ersten Weltkrieg trübte sich Jabotinskys Blick auf den gerade erst gewonnen Partner. Die Freude über die Zusammenarbeit wich einem Misstrauen gegenüber der Ernsthaftigkeit des britischen Bekenntnisses zur „Errichtung einer nationalen Heimstatt der Juden“, wie es in der Balfour-Deklaration festgehalten worden war. Als es im April 1920 am Rande des muslimischen Nabi-Mussa-Festes in Jerusalem zu schweren Ausschreitungen von Arabern gegen Juden kam, hielt sich die britische Militärverwaltung vor Ort zurück.

Jabotinsky, der bereits 1903 nach den Pogromen in Kischinjew eine jüdische Selbstverteidigung organisiert hatte, setzte sich nun an die Spitze der neu entstehenden Hagana. Die Briten quittierten dies mit einer 15-jährigen Haftstrafe gegen ihn – „eine Provokation des ganzen jüdischen Volkes“, wie die Jüdische Rundschau in Deutschland anschließend schrieb. Zwar kam Jabotinsky schnell wieder frei. Doch das Verhältnis zur Mandatsmacht blieb zerrüttet. Nach den erneuten Pogromen des Jahres 1929 wurde der unbequeme Zionist des Landes verwiesen. Bis zu seinem Tod elf Jahre später kehrte er nicht mehr zurück.

Die eiserne Mauer

Gegenüber den Arabern setzte der „Wolf“ (Jabotinsky hatte den hebräischen Vornamen Se’ev angenommen) auf eine Sprache der Macht. 1923 breitete er, der auch Schriftsteller und Journalist war, in seinem wohl bekanntesten Essay seine Vorstellungen für den Umgang mit den anderen Bewohnern Palästinas aus. Die Hauptthese: Nur eine „eiserne Mauer“ militärischer Macht gegenüber den Arabern werde diese letztlich zu einer Vereinbarung mit den Juden drängen. Hoffnungen auf eine gütliche Einigung bezeichnete er hingegen als „kindliche Phantasie“: „Von einer freiwilligen Versöhnung der palästinensischen Araber mit uns kann keine Rede sein, weder jetzt noch in absehbarer Zukunft.“ Jabotinsky begründete dies, indem er historische Betrachtungen heranzog: Eingeborene hätten schließlich „immer hartnäckig gegen die Kolonisatoren gekämpft“.

Eine „eiserne Mauer“ gegenüber den Arabern forderte Jabotinsky 1923. An eine echte Mauer, wie sie heute in Teilen der Sperranlage entlang der Grünen Linie zum Westjordanland zu sehen ist, dachte er dabei jedoch wohl kaum. Foto: Sandro Serafin
Eine „eiserne Mauer“ gegenüber den Arabern forderte Jabotinsky 1923. An eine echte Mauer, wie sie heute in Teilen der Sperranlage entlang der Grünen Linie zum Westjordanland zu sehen ist, dachte er dabei jedoch wohl kaum.

Diese Argumentation brachte ihm vielfach den Vorwurf einer zynischen Logik ein. Die israelische Geschichte der folgenden Jahrzehnte sollte ihm indes Recht geben. Ben-Gurion selbst übernahm den Mauer-Begriff sechs Jahre später. Auch dieses Mal war Jabotinsky der Konkurrenz mehrere Schritte voraus gewesen.

Ein jüdischer Faschist?

Schon zu Lebzeiten sah sich der Revisionist seitens der politischen Konkurrenz dem Vorwurf ausgesetzt, einen jüdischen Faschismus zu betreiben. Als „Wladimir Hitler“ hatte Ben-Gurion ihn einmal bezeichnet. Tatsächlich erblickten einige seiner Anhänger in Jabotinsky ihren jüdischen „Führer“. Verstärkt wurde dieses Bild nicht zuletzt durch das Auftreten der 1923 von ihm gegründeten Jugendorganisation Beitar. Deren Mitglieder marschierten nicht nur mit äußerster Disziplin durch die Straßen – sondern trugen dabei auch noch braune Uniformen.

Jabotinsky selbst entmachtete 1933 moderatere Kräfte in der revisionistischen Partei und setzte sich als alleiniger Anführer an ihre Spitze. Doch mit dem „Führer“-Begriff hatte er zeitlebens ein Problem. Denn Jabotinsky, ein Kind des 19. Jahrhunderts, dachte in den Kategorien eines Liberalen. „Nur Büffel folgen Führern. Zivilisierte Menschen haben keine Führer“, formulierte er 1926. Sein Schwanken zwischen Individualismus und nationalem Kollektivismus beschrieb der israelische Jabotinsky-Biograph Hillel Halkin 2014 als „das zentrale Paradox“ in dessen Leben. Der Revisionist selbst versuchte diesen vermeintlichen Widerspruch aufzulösen, indem er den Einsatz für das Ganze als höchste Ausdrucksform eines freien Geistes interpretierte.

Auch sonst war Jabotinsky weniger radikal, als es auf den ersten Blick scheint. Vor allem war er weniger extrem als die maximalistische Fraktion des Revisionismus, die sich offen faschistisch gab und selbst gegenüber Adolf Hitler zeitweise nicht ganz abgeneigt war.

Zwar hatte Jabotinsky zum Teil ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt als Mittel der Politik. Die nationalen Gefühle der Araber aber erkannte er an. „Eben weil sie kein Gesindel, sondern ein lebendiges, wenn auch ein zurückgebliebenes Volk“ seien, könne man sie nicht durch Bestechung oder Täuschung zur Anerkennung der jüdischen Heimstätte bewegen, analysierte Jabotinsky in seinem Essay zur „eisernen Mauer“. Eine gegenseitige Übereinkunft mit den Arabern schloss er auf lange Sicht keineswegs aus. In seinem Buch „Die jüdische Kriegsfront“ schlug er 1940 sogar vor, einem jüdischen Premierminister stets einen arabischen Vize-Premier zur Seite zu stellen.

Jabotinskys Erben

Zu diesem Zeitpunkt neigte sich Jabotinskys Leben bereits dem Ende zu. Während eines Besuchs in den USA hatte er mit schweren Schmerzen in der Brust zu kämpfen. In der Nacht vom 3. auf den 4. August 1940 (29. Tammus 5700) stirbt er im Alter von gerade einmal 59 Jahren an einer Herzattacke. Einige Jahre zuvor hatte er verfügt, dass sein Leichnam so lange nicht nach Palästina überführt werden solle, bis es eine jüdische Regierung gebe, die dies anweisen kann.

Doch nach der Gründung des Staates Israel 1948 macht Jabotinskys Rivale Ben-Gurion keine Anstalten, seine Gebeine umzubetten. Nach einem jahrelangen Tauziehen ist es 1964 die Regierung unter Levi Eschkol, die die Überführung des Leichnams aus den USA auf den Herzl-Berg in Jerusalem veranlasst. Aus der Beerdigung wird eine große Prozession, die de facto einem Staatsbegräbnis gleichkommt.

Erst 1964 wird Jabotinsky auf dem Herzl-Berg begraben. Zehntausende geben ihm das letzte Geleit. Ganz vorne dabei: Menachem Begin (r.) Foto: Ilan Bruner/GPO
Erst 1964 wird Jabotinsky auf dem Herzl-Berg begraben. Zehntausende geben ihm das letzte Geleit. Ganz vorne dabei: Menachem Begin (r.)

Stets an der Seite des Sarges ist an diesem Tag ein inzwischen 51-jähriger Mann zu sehen, der als 16-Jähriger der Beitar-Organisation beigetreten war und sich anschließend als ein rechter Herausforderer Jabotinskys entpuppt hatte. Es ist Menachem Begin. 1977 wird er als Anführer des Likud der erste Premierminister Israels aus dem revisionistischen Lager Jabotinskys werden – eine Zäsur in der Geschichte des jüdischen Staates.

Von: Sandro Serafin

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