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„Die Grundlagen der arabischen Welt werden in Frage gestellt“

Der FAZ-Journalist Rainer Hermann beschreibt in seinem neuen Buch die Konflikte der arabischen Welt, und wie sich der Iran diese zunutze macht. Trotz greifbarer Lösungsansätze ist ein schnelles Ende der Konflikte nicht in Sicht.
Analysiert die politischen Verhältnisse im Nahen Osten: FAZ-Journalist Rainer Hermann

FRANKFURT/MAIN (inn) – Die Konfrontation zwischen dem Iran und Saudi-Arabien hat sich in den letzten Jahren als der zentrale Konflikt des Nahen Ostens herauskristallisiert. Das betonte der FAZ-Journalist und Islamwissenschaftler Rainer Hermann am Donnerstag bei der Vorstellung seines neuen Buches „Arabisches Beben“ in Frankfurt. Dieser Konflikt sei „viel gravierender“ als etwa der israelisch-palästinensische, der inzwischen als einer von vielen in der arabischen Welt gelten müsse.

Für diese Entwicklung führt Hermann mehrere Gründe an: Zunächst verlieren die arabischen Staaten an Rückhalt in der Bevölkerung, da sie über Jahrzehnte hinweg einen Großteil der Gesellschaft ausgeschlossen haben. Das wiederum habe für die Aufstände seit dem Jahr 2011 gesorgt. „Diejenigen, die ausgeschlossen worden sind, gingen auf die Straße.“ Hinzu komme, dass sich Amerika als Ordnungsmacht zurückziehe. „Weil die arabische Welt implodiert, weil Staaten zerfallen, ist ein Leerraum geschaffen.“

Verschiedene Ordnungsvorstellungen

Der Iran als noch funktionierender Nationalstaat mache sich dies zunutze und fülle das so entstandene Vakuum. Das entspreche auch seinem in der Verfassung vorgegebenem Bestreben, die islamistische Revolution von 1979 zu exportieren.

In dieser Entwicklung liege nun „Sprengstoff“, weil der vom Iran vertretene schiitische Islam eine „völlig andere politische Ordnungsvorstellung“ habe als die sunnitische Mehrheit der Muslime, betonte Hermann weiter. Dabei gehe es um die Frage, wer rechtmäßiger Herrscher ist: Im schiitischen Islam ist es ein Nachkomme Alis, der Schwiegersohn und Cousin von Mohammed; im sunnitischen Islam ist derjenige rechtmäßiger Herrscher, der sich durchgesetzt hat. „Die Furcht der Sunniten ist heute, dass durch den Export der Revolution die Grundfesten der arabischen Welt verändert werden.“ Von den arabischen Ländern sei nur noch Saudi-Arabien in der Lage, diesen Kampf aufzunehmen.

Innere Zerrissenheit

Doch auch der Iran, der sich nach außen hin stark gibt, sei mit großen Problemen konfrontiert. „Der Iran ist zum Zerreißen gespannt.“ Besonders kritisch sei die hohe Zahl von arbeitslosen Jugendlichen. Für das iranische Regime seien diese „wie eine Armee, die die Sicherheit gefährdet“ – mit Unruhen rechneten Beobachter noch in diesem Jahr. Hinzu komme die Mehrheit der Iraner, die ein normales Leben führen wollen – Partys und Alkohol inklusive. Diese wollten „nichts lieber als das Ende der Islamischen Republik“. Dem stehen jedoch die Revolutionswächter entgegen, die im Besitz der Waffen seien und die Wirtschaft kontrollierten. In einzelnen Regionen gebe es zwar Unruhen; doch erst, wenn auch die Mittelschicht auf die Straße gehe, könne es zu einem Umbruch kommen, meint Hermann.

Parameter für eine Lösung

Um dieser Gemengelage beizukommen, sind für Hermann fünf Faktoren wichtig, auf die es zu achten gilt. Zuallererst gelte es, sich auf territoriale Nationalstaaten mit klaren Grenzen zu einigen. „Die Bindekraft dieser Grenze ist groß.“ Als zweites müssten diese Staaten gut funktionierende Institutionen wie Armee oder Justiz haben, denn dann könnten sich die Menschen leichter mit dem Staat identifizieren.

Als dritten Punkt nannte Hermann den „gemäßigten Arabismus“. Es gehe also nicht darum, eine große arabische Nation wiederherzustellen, wie es der Panarabismus einst wollte. Klüger sei es, für die einzelnen arabischen Staaten Unterschiede zuzulassen – etwa was den Einfluss der Scharia angehe. Ein weiterer Faktor einer längerfristigen Lösung der Konflikte sei eine Freihandelszone, um eine gute Wirtschaft aufzubauen und auch den Austausch von Gütern innerhalb der arabischen Welt zu stärken. Zuletzt sei eine regionale Ordnung wichtig, die andere Identitäten zulässt, sodass sich etwa auch Saudi-Arabien und der Iran vertragen. Hermann schlägt vor, eine OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) für den Nahen Osten zu schaffen, um etwa festzustellen, wo gemeinsame Sicherheitsinteressen liegen.

Bei alledem rechnet Hermann jedoch nicht mit einer schnellen Lösung. Er gab zu bedenken, dass auch Europa erst nach einem dreißig Jahre währenden Krieg von 1618 bis 1648 zu einer Friedensordnung gefunden haben. „Es ist noch ein langer Weg.“

Rainer Hermann: „Arabisches Beben. Die wahren Gründe der Krise im Nahen Osten“, Klett-Cotta, 378 Seiten, 16,95 Euro, ISBN: 978-3-608-96211-6

Von: df

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