Suche
Close this search box.

Osmanisches Dekret befriedet christliche Konfessionen

Ohne komplizierte Regelungen ist es offenbar nicht möglich, den Frieden zwischen den Konfessionen in der Jerusalemer Grabeskirche zu wahren. Und so gelten bis heute alte Regelungen – die mitunter keinen Sinn mehr ergeben.
Die Leiter ist an sich nicht mehr nötig – doch wenn sie verrottet, muss eine neue her

JERUSALEM (inn) – Seit über 260 Jahren sorgt ein Firman (Dekret) des Sultans von Konstantinopel (heute Istanbul) in vielen heiligen Stätten Jerusalems für Kirchenfrieden. Dieser Firman von Osman III. aus dem Jahr 1757 wurde in den Jahren 1852 und 1853 durch weitere Dekrete ergänzt, die bestätigten, dass ohne Konsens aller sechs christlichen Gemeinschaften in neuen heiligen Stätten Jerusalems und Bethlehems, bei denen die Besitzrechte nicht eindeutig geklärt waren, keine Regeländerungen vorgenommen werden können.

All das wurde in Artikel 9 des Pariser Vertrags (1856) international anerkannt. Der Begriff „Status quo“ wurde erstmals in Bezug auf diese heiligen Stätten im Berliner Vertrag (1878) verwendet. 1929 hat der britische District Officer Archer Cust alle bestehenden Regeln des Status quo in einem Büchlein festgehalten, das in Jerusalem bei allen verantwortlichen Christen gleich neben der Bibel seinen Platz im Bücherschrank hat.

Aufteilung genau festgelegt

In Jerusalem spielt an den heiligen Stätten der Status quo eine große Rolle, da insbesondere die verschiedenen christlichen Konfessionen hier um jeden Streifen Marmor kämpfen. Betroffen sind nicht nur Griechisch-Orthodoxe und Katholiken, vertreten durch die Franziskaner. Auch Äthiopier, Syrer, Armenier und andere müssen sich da unterordnen. Der Status quo legt auch fest, wer, wann und wo genau zu welcher Uhrzeit prozessieren darf, wobei es passieren kann, dass Priester mit riesigen Kreuzen bewaffnet aufeinander zugehen und sich prügeln. Er bestimmt ebenso, welche Kapelle welcher Konfession gehört. Der Status quo legt außerdem fest, welche Priester bis zu welcher Stufe eine Kapelle fegen durften, ohne einen Territorialstreit mit den Nachbarn auszulösen.

Die Regelungen sind teilweise sehr kompliziert und teilweise auch umstritten, wenn bislang unbedeutende Konfessionen aus weltpolitischen Gründen plötzlich zu Macht und Einfluss aufsteigen oder wenn sich Kirchen spalten oder ihre Vertreter sterben. So warteten die Äthiopier auf die Pest, die koptische Priester auf dem Dach der Grabeskirche hinraffte, um den ganzen Komplex zu übernehmen. Manche Kapellen können nicht renoviert werden, weil sich zum Beispiel Syrer und Armenier um die Zugangsrechte streiten.

Es gibt auch sichtbare Kuriosa. Als das einzige Tor zur Grabeskirche abgesperrt worden war, mussten dennoch die in der Kirche lebenden Priester versorgt werden. Also wurde den Armeniern zugestanden, auf dem Gesims des rechten Eingangsportals eine Holztreppe aufzustellen, wo dann an einem Strick ein Korb herabgelassen wurde, um Brot hinaufzuziehen. Die Leiter ist längst völlig überflüssig geworden, aber sie steht immer noch dort, weil es der Status quo so vorschreibt.

Zu den Regeln dieses Status quo gehört auch, dass in der Kirche, die vielen Christen als die heiligste gilt, der Jerusalemer Grabeskirche, Christen Untermieter der Moslems sind. Auf einer Bank links neben dem Eingang sitzt Wadschi Nuseibeh, der Schlüsselhalter. Er erbte das Amt von seinem Vater und dieser wieder von seinem Vater. Viele Generationen dieser Familie bewachten den Eingang. Sowie eine Prozession in Sicht ist, verschließt er das schwere Tor. Der Patriarch muss dann anklopfen. Er wird von Nusseibeh gefragt, wer er sei und was er wolle. Dann erst dreht Nusseibeh den riesigen Eisenschlüssel im mittelalterlich Schloss wieder um, öffnet das Tor und lässt die Prozession das Gotteshaus betreten.

Von: Ulrich W. Sahm

Bitte beachten Sie unsere Kommentar-Richtlinien

Schreiben Sie einen Kommentar

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

Israelnetz-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen