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Sorglose Formulierungen in Ramallah

Als ob es die größte Selbstverständlichkeit wäre, grüßt der neue deutsche Vertreter in Ramallah, Christian Clages, aus „Palästina“. Das Auswärtige Amt teilt mit, diese Formulierung bedeute nichts weiter. Ein Blick in die Geschichte legt einen anderen Gedanken nahe. Eine Analyse von Ulrich W. Sahm
Auf diplomatischer Mission: Der deutsche Vertreter in Ramallah, Christian Clages, hier mit der palästinensischen Politikerin Hanan Aschrawi

Diplomaten und ganz speziell deutsche Diplomaten sind bekannt dafür, in ihren Äußerungen pingelig auf jedes Detail zu achten. Die deutsche Geschichte wäre anders verlaufen, wenn ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes in Bonn versehentlich und auch noch schriftlich die „ständige Vertretung“ in Ost-Berlin als „Botschaft“ bezeichnet hätte. Denn Bonn hatte bekanntlich die DDR nie als Staat anerkannt. Nur so konnte 1990 die „Wiedervereinigung“ zustande kommen.

Doch ausgerechnet im Nahen Osten, wo jede unvorsichtige Formulierung einen „Weltkrieg“ auslösen könnte, scheint es das Auswärtige Amt im Falle der Palästinenser mit der sonst üblichen Genauigkeit nicht so ernst zu nehmen. Der Gesandte Christian Clages, Leiter der „ständigen Vertretung“ in Ramallah, erklärt auf der Webseite des Vertretungsbüros in Ramallah: „Ich freue mich, die Bundesregierung in den kommenden Jahren in Palästina zu vertreten.“ Da es noch keinen Staat Palästina gibt und ein solcher von Deutschland auch nicht anerkannt worden ist, stellt sich die Frage, was er mit „Palästina“ meint.

Will das Auswärtige Amt Israel abschaffen?

Auf Anfrage war aus dem Auswärtigen Amt zu hören: „Die allgemein gängige Bezeichnung ‚Palästina’ impliziert keine völkerrechtliche Anerkennung als Staat.“ Gut zu wissen, dass dieser Begriff keine völkerrechtliche Anerkennung als Staat impliziert. Gleichwohl stellt sich die Frage, welche Bedeutung es hat, wenn ein hochrangiger deutscher Diplomat dieses Wort schriftlich und offiziell auf der Webseite seiner diplomatischen Vertretung verwendet. Wenn „Palästina“ aus deutscher Sicht eine „allgemein gängige Bezeichnung“ ist, wieso gibt es in der EU und in den Vereinten Nationen jedes Mal einen Aufschrei, wenn ein Land beschließt, den von den Palästinensern noch nicht einmal ausgerufenen Staat „Palästina“ zu erwähnen?

Zuletzt wurde das Mandatsgebiet von der Mandatsmacht Großbritannien als „Palästina“ bezeichnet – das umfasste damals die Gebiete des heutigen Israels und Jordaniens, des Gazastreifens und des Westjordanlandes. Meint Clages etwa diesen geografischen Begriff, wie er auch in Bibel-Ausgaben verwendet wird? Oder impliziert er mit diesem Begriff schon die Abtrennung des Emirates Transjordanien, das 1946 zu Jordanien wurde? In seiner Antwort auf die Anfrage verzichtete das Auswärtige Amt in Berlin auf eine genauere Definition der „gängigen Bezeichnung Palästina“, wo dessen Grenzen verlaufen und was sonst damit gemeint sein könnte.

Das Territorium des jüdischen Staates liegt mitten in „Palästina“. Betrachtet sich Clages also gleichzeitig auch als Botschafter im Staate Israel? Mit Israel pflegt die Bundesrepublik bekanntlich ordentliche diplomatische Beziehungen und ordnet das Land nicht dem Gebiet „Palästina“ unter, wie dessen Territorium unter den Briten bis 1948 geheißen hat. Sollte Clages auf dem Begriff Palästina bestehen, dann käme das dem Wunsch einer Abschaffung Israels gleich. Wäre das im Sinne des Auswärtigen Amtes oder der Regierungschefin Angela Merkel, die gar die Sicherheit Israels zur Staatsräson erklärt hatte und erst kürzlich zu Regierungskonsultationen nach Jerusalem gereist ist?

Doch die Geschichte zeigt, dass die Wahl der Begriffe in der Welt der Diplomiatie durchaus Folgen hat. Bonn hatte 1965 im Rahmen der „Hallstein-Doktrin“ die diplomatischen Beziehungen mit Ägypten abgebrochen, nachdem Ägypten den damals amtierenden Herrscher der DDR, Walter Ulbricht, eingeladen hatte. In der Folge nahm Bonn diplomatische Beziehungen mit Israel auf. Allein anhand dieses Beispiels kann man erkennen, dass in der Diplomatie „gängige“ Schritte, wie die Einladung eines „gängigen“ Staatschefs, zu Umwälzungen führen können.

Propaganda und Geschichtsklitterung

Nicht minder diffus ist neben „Palästina“ die Verwendung des wohl ebenfalls „gängigen“ Begriffs „Palästinensische Gebiete“. Deutschland definiert hier historisch und politisch unkorrekt: „Westjordanland (englisch: Westbank), Ostjerusalem und Gazastreifen.“ Genau genommen gehören nur der Gazastreifen und die großen Städte im Westjordanland dazu. Der größte Teil des ehemals jordanischen Westjordanlandes und ganz gewiss das von Israel 1967 annektierte Ostjerusalem waren niemals „palästinensisches Gebiet“, wie hier von deutscher Seite behauptet.

Nicht erwähnt wird auch, wann und wie eigentlich diese Gebiete „palästinensisch“ geworden sind. Denn der Gazastreifen stand bis 1967 unter ägyptischer Verwaltung und der Rest war ab 1948 19 Jahre lang jordanisch. Durch die Osloer Verträge von 1994, nach einer gegenseitigen Anerkennung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) als Vertreterin des palästinensischen Volkes und des Staates Israel, wurde die Errichtung einer „palästinensischen Autonomie“ beschlossen. Die Palästinenser in Ramallah stellen zwar Ansprüche auf Ostjerusalem und das restliche Westjordanland, haben ansonsten in diesen Gebieten aber niemals geherrscht oder irgendeine administrative Verantwortung getragen.

Es ist also ziemlich ungeheuerlich, dass ausgerechnet Deutschland hier nicht nur einen Vorgriff auf eine mögliche künftige Friedensregelung unternimmt, sondern auch noch die Stadt Jerusalem erneut zweiteilt. Und wenn dort dann auch noch die Rede von den „Grenzen von 1948“ ist, übernimmt das Aiuswärtige Amt nicht nur palästinensische Propaganda, sondern bedient sich zusätzlich einer Geschichtsklitterung. Es hat niemals eine „Grenze“ gegeben, sondern nur eine zwischen Jordanien und Israel bei Verhandlungen auf Rhodos 1949 abgesprochene „Waffenstillstandslinie“. Nachdem er in einer historischen Rede in Kairo 2009 von einer „Grenze“ gesprochen hatte, wurde sogar der Friedensnobelpreisträger und US-Präsident Barack Obama zurückgepfiffen und stellte dann klar, dass er doch nur „Lines“ (Linien) gemeint habe.

Aus der Antwort des Auswärtigen Amtes war auch zu erfahren, dass die in Oslo 1993 und 1995 vereinbarten Abkommen zwischen Israel und der PLO aus Sicht der Bundesregierung weiter gültig sind. „Dass die C-Gebiete des besetzten Westjordanlands unter israelischer Verwaltung stehen, impliziert keine Anerkennung israelischer Souveränität über diese Gebiete.“

Offenbar weiß man im Auswärtigen Amt nicht einmal, dass diese C-Gebiete im Westjordanland bis heute unter Militärverwaltung stehen. Sie wurden nie von Israel annektiert. Deshalb verlangt Israel auch keine Anerkennung seiner dort nicht-vorhandenen Souveränität.

Der Begriff Palästinensergebiete ist auch sprachlich irreführend. Kein fremder Botschafter würde es begrüßen, in den „Deutschengebieten“ zu dienen, sowie er seinen Dienst in Berlin antritt. Da käme sofort Kritik auf, zumal man meinen könnte, dass damit auch Schlesien, das Sudetenland oder das Elsass gemeint sein könnten. Ebenso falsch wäre es, von der „preußischen Hauptstadt“ zu reden oder gar vom „Deutschen Reich“. Fragwürdig wäre es wohl auch gewesen, wenn ein ausländischer Botschafter damals in Bonn sich gefreut hätte, nun im Rheinland zu dienen. Korrekt wäre es nur gewesen, wenn Clages gesagt hätte, jetzt bei der „Palästinensischen Autonomiebehörde“ als Gesandter zu dienen. Alles andere entspricht vor allem palästinensischer Propaganda.

Und für wen ist das Auswärtige Amt zuständig?

Auf der Webseite der Vertretung in Ramallah wird der „Amtsbezirk / Konsularbezirk: Palästinensische Gebiete (Westjordanland, Gazastreifen und Ostjerusalem)“ definiert. Wenn also die Vertretung in Ramallah für die genannten Gebiete konsularisch zuständig ist, fragt sich, ob dann auch Israelis/Siedler, die in Ostjerusalem oder im Westjordanland leben, nach Ramallah fahren müssen, um den Pass zu verlängern oder die Geburt eines Kindes anzumelden. Bekanntlich ist es Israelis auf Weisung der Militärbehörden verboten, Ramallah zu betreten, nachdem mehrfach Israelis in Ramallah und anderen Autonomiestädten zu Tode gelyncht worden sind. Niemand dürfte bereit sein, das eigene Leben zu gefährden, nur um ein deutsches Führungszeugnis zu erhalten oder ein Dokument beglaubigen zu lassen.

Erkundigungen ergaben, dass die deutschen Konsulatsbeamten es mit dem „Amtsbezirk“ ihrer Vertretung in Ramallah nicht so genau nehmen. Alle israelischen Staatsangehörigen können sich an die Botschaft in Tel Aviv wenden.

Bei weiterem Stöbern auf der Homepage stößt man auf einen Artikel mit der Überschrift: „Palästinensische Gebiete“. Unter „Aufnahme diplomatischer Beziehungen“ erfährt man dort, dass am 18. November 1988 die Deutsche Demokratische Republik noch diplomatische Beziehungen mit dem von Jasser Arafat im gleichen Jahr ausgerufenen Staat aufgenommen hat, der jedoch über kein definiertes Territorium verfügte und daher eine politische Fiktion war. Die Bundesrepublik Deutschland hat laut der Homepage der Vertretung in Ramallah am 8. August 1994 diplomatische Beziehungen nicht etwa mit der Autonomiebehörde aufgenommen, sondern mit den „Palästinensischen Gebieten“! Das ist eine ungeheuerliche Aussage, auch sprachlich, da diplomatische Beziehungen nicht mit einem Territorium oder Gebiet gepflegt werden, sondern mit einer Regierung oder Behörde, die über ein gewisses Territorium herrscht. Oder erwartet das Auswärtige Amt demnächst eine diplomatische Anerkennung des Schwarzwaldes, der Zugspitze oder des Wattenmeeres durch Frankreich und Dänemark?

Von: Ulrich W. Sahm

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